Herr Dr. Augstin, ich stimme Ihnen zu, die Übertragung von Kindertagesstätten an freie Träger hat nicht nur etwas mit den Finanzen zu tun, sie hat auch etwas mit Pluralität nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz zu tun. Darüber werden wir uns vielleicht im Fachausschuss noch streiten.
Ich möchte nicht viel zur Koalitionsvereinbarung von SPD und PDS sagen. Dort ist genau festgehalten, in welcher Größenordnung und mit welchen Modalitäten die Übertragung vollzogen werden soll. Ich bin froh, dass ein Anteil von ca. 66 % an Plätzen in freier Trägerschaft festgelegt wurde, weil damit auch künftig ein Platzangebot für die Eltern besteht, die einen Platz in einer kommunalen Kita haben wollen.
Zum Antrag meine ich, es ist schon richtig, ein Konzept zu fordern. Dieser Übertragungsprozess wird Größenordnungen umfassen, die wir bislang in Berlin noch nicht gesehen haben.
In der letzten Koalitionsvereinbarung wurde von 50 % gesprochen. 50 % haben wir nicht erreicht. Wir fangen in Berlin natürlich nicht bei null an, wir haben da Erfahrung. Und diese Erfahrungen müssen auch ausgewertet werden. Aber gerade weil dieser Übertragungsprozess in diesen Größenordnungen ablaufen soll, und ich denke, darüber gibt es politisch Konsens, ist es notwendig, dass die Betroffenen auch mit einbezogen werden. Denn wir wissen im Moment noch nicht, wie es überhaupt aussieht mit den Trägern. Haben wir so viele Träger, die auch die Qualität bieten, um die Kitas übernehmen zu können? – Denn uns ist es wichtig, dass die Kinder hier eine gute Bildung, Betreuung und Erziehung erhalten, so, wie es im Kita-Gesetz verlangt wird. Und insofern stimme ich schon zu.
Allerdings wundere ich mich über die Kriterien, die in dem Antrag ausgewiesen sind. Denn wenn der Übertragungsprozess so leicht wäre, wie Ihre Kriterien dies angeben. dann frage ich mich doch, warum die CDU nicht mehr Kindertagesstätten in ihrer Regierungszeit übertragen hat. Also ich irre mich doch offensichtlich nicht, dass es dann an anderen Gründen lag. Ich meine schon, dass der Übertragungsprozess einige Probleme mit sich bringt und dass wir alle gemeinsam sachlich und fachlich darüber diskutieren müssen.
Für mich ist der erste Punkt im zuständigen Ausschuss, dass wir uns da noch einmal klug machen und genau prüfen: Wie ist unser Übertragungsverfahren? Wie ist die Rechtsgrundlage dazu? Funktioniert dieses Übertragungsverfahren auch mit den Mitteln, die wir haben? – Außerdem bin ich überzeugt, dass die zuständige Fachverwaltung bereits auf Hochtouren daran arbeitet. Denn, wie gesagt, es ist ja keine neue Aufgabenstellung.
Wir wissen, seit Jahren wollen wir alle gemeinsam diesen Übertragungsprozess nach vorne bringen. Also lassen Sie uns gemeinsam darüber nachdenken, wie wir es am besten machen können. Und ich glaube, im Ausschuss werden wir uns dazu weiter austauschen. – Danke schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nun haben ja die neuen Abgeordneten, die heute mal zu diesem alten Thema gesprochen haben, durchaus wirklich neue Aspekte in die Debatte gebracht. Ob das Niveau dadurch besser geworden ist, wage ich im Moment aber noch anzuzweifeln. Es geht ja eigentlich wirklich nicht um die Frage, ob es jetzt 50 % der Kitas sein sollen, die in freier Trägerschaft getragen werden sollen, wie die große Koalition es als Ziel hatte, ob es 66,66 % sind, wie es jetzt in der Koalitionsvereinbarung steht, oder 75 %, wie die CDU möchte, oder 80 %, wie es die FDP am Anfang mal unbedingt wollte, oder 100 %, die in der Ampel Zwischenstand waren. Es geht in der Tat um das, was Herr Steuer angesprochen hat, nämlich darum, welche Qualität muss eine Kita haben, damit das, was in Pisa festgestellt worden, ist, nämlich dass viele Kin
der gar nicht die Kompetenzen erreichen, um in diesem Leben bestehen zu können, also wie Kitas ausgestattet sein müssen, damit sie das können. Darüber haben wir hier oft und lange diskutiert. Und dann sehe ich auch das Problem, das auch schon angesprochen wurde: Wenn, wie im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, insbesondere bei den Leitungsanteilen die Kürzungen vorgenommen werden, dann sehe ich schwarz für die Qualitätsentwicklung in den Kitas, und ich sehe auch schwarz für das Ziel der Übertragungen, weil die Personen in den Kitas, die die Prozesse steuern und moderieren müssen, die dann mit dafür verantwortlich sind, dass das alles so klappt, wie sich das Politiker hier im Haus oder anderswo ausdenken, das sind letztendlich die Leitungskräfte, und da wollen Sie von der PDS und der SPD ordentlich wegkürzen.
Ich habe ja am Anfang gedacht, ich habe hier den falschen Antrag, weil es um das Thema ging, worum es wirklich gehen muss, nämlich: Was muss eine Kita als Bildungseinrichtung leisten? – Dann kamen wir ja doch zu dem Konzept. Und wir Bündnisgrünen können eindeutig sagen, wir werden diesem Antrag zustimmen. Wir finden es dringend nötig, dass ein Gesamtrahmenkonzept für weitere Übertragungen an freie Träger kommt. Wir finden auch die Kriterien, wie sie da sind, erst mal richtig. Die kann man sicherlich ergänzen. Wir kennen die Probleme, die bei der Übertragung über all die Jahre aufgelaufen sind, und die müssen gelöst werden. Und dann wird für unsere Kinder auch eine Zukunft sein, letztendlich egal, in welcher Kita in freier oder öffentlicher Trägerschaft.
Danke schön, Frau Jantzen! – Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung an den Ausschuss für Jugend, Familie Schule und Sport und an den Hauptausschuss. Wer dem seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen! – Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Dann ist das einstimmig so beschlossen.
Antrag der Fraktion der FDP über Errichtung eines Gustav-Noske-Denkmals statt eines weiteren Rosa-Luxemburg-Denkmals
Nach der Geschäftsordnung ist eine Beratung bis zu 5 Minuten vorgesehen. – Herr Hahn von der Fraktion der FDP begründet den Antrag. – Herr Kollege Hahn, Sie haben das Wort!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu später Stunde nun das, was seit Tagen die Presse schon beschäftigt hat. Ich zitiere zunächst:
SPD und PDS bekennen sich im Wissen um das Trennende aus der Geschichte dazu, dass die Vergangenheit nicht auf Dauer die Zukunft beherrschen darf.
So weit Ihre Koalitionsvereinbarung; die haben Sie erkannt. – Verdrängt und vertuscht aber die Koalition mit ihrem lapidaren Beschluss zur Errichtung eines Rosa-Luxemburg-Denkmals nicht gerade das Trennende ihrer Geschichte? Lässt dieser Beschluss nicht geradezu zu, dass die Vergangenheit die Zukunft beherrscht? Was hier betrieben werden soll, ist das nicht Geschichtspolitik? – Diese Fragen bewegten uns beim Lesen der Koalitionsvereinbarung.
Wir haben Ihnen deshalb einen zugegeben provokanten Antrag vorgelegt. Er soll provozieren und muss provozieren.
Denn die eigentliche Provokation ist für uns diese Ihre Vereinbarung zur erneuten Ehrung Rosa Luxemburgs. Rosa Luxemburg ist eine umstrittene und widersprüchliche Persönlichkeit der deutschen Geschichte. Unbezweifelbar war ihre menschliche Ausstrahlung, ihre Bedeutung als Publizistin und auch Politikerin. [Vereinzelter Beifall bei der PDS]
Tragisch war ihr Schicksal. Und damit meine ich nicht nur den Mord, dem sie zum Opfer fiel. Aber Rosa Luxemburg war eben nicht nur der Schöngeist, die mit ihrem Satz von der Freiheit der Andersdenkenden, den sie von Voltaire übernommen hat, von der Freiheit der Andersdenkenden gern zitiert wird. Rosa Luxemburg nur so zu verstehen, hieße sie nachträglich kleiner zu machen. Sie war Agitatorin, Demagogin und Revolutionärin, und das mit ganzer Seele.
Sie lehnte den Parlamentarismus ab, Herr Cramer. – Sie bekämpfte die Durchführung freier Wahlen zur Nationalversammlung, und das gegen den Willen selbst der überwältigenden Mehrheit der Revolutionäre. In einem Aufruf des Spartakusbundes, dessen Mitglied sie war, vom 10. November 1918 hieß eine der Forderungen u. a. – unter Punkt 6 –: Beseitigung des Reichstages und aller Parlamente sowie der bestehenden Reichsregierung. – Sie können das übrigens nachlesen in einer Information der Bundeszentrale für politische Bildung, die ich Ihnen für die weitere Debatte dringend ans Herz lege. – Weitere Forderungen des Spartakusbundes waren u. a. die Auflösung des Rats der Volksbeauftragten, Entwaffnung der Polizei, sämtlicher Offiziere sowie der nichtproletarischen Soldaten, Bewaffnung der gesamten erwachsenen männlichen proletarischen Bevölkerung als Arbeitermiliz, Enteignung des Grund und Bodens aller landwirtschaftlichen Groß- und Mittelbetriebe, Enteigung aller Bergwerke, Hütten und Großbetriebe in Industrie und Handel. Rosa Luxemburg selbst kommentierte am 20. November 1918 in der „Roten Fahne“:
Die Nationalversammlung ist ein überlebtes Erbstück bürgerlicher Revolutionen, eine Hülse ohne Inhalt, ein Requisit aus den Zeiten kleinbürgerlicher Illusionen vom einigen Volk, von der Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit des bürgerlichen Staats.
Der parlamentarische Kretinismus war gestern eine Schwäche, ist heute eine Zweideutigkeit, wird morgen ein Verrat am Sozialismus sein.
Ich erspare Ihnen hier andere Kommentare Rosa Luxemburgs über die Gewerkschaften oder die Sozialdemokraten aus jener Zeit.
Wir tagen hier im Preußischen Landtag. Hier in diesem Saal tagte auch am 16. Dezember 1918 der Reichskongress der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands. Hier fiel der Beschluss zur Abhaltung der freien Wahlen zur Nationalversammlung mit einer Dreiviertelmehrheit. Karl Liebknecht, der ebenso wie Rosa Luxemburg nicht zum Delegierten gewählt worden war, rief anschließend zu den Waffen und zum Sturz der Regierung Ebert auf. Über Weihnachten 1918 wurde der Sozialdemokrat Otto Wels von bewaffneten Anhängern Liebknechts entführt und festgehalten. Anfang Januar wurde die Reichskanzlei eingeschlossen und belagert. Nur knapp gelang es dem Reichskanzler Ebert zu entkommen. Der sogenannte Januaraufstand des Spartakusbundes und der Kommunisten zielte darauf ab, Deutschland unter die Gewalt eines Rätesystems nach bolschewistischem Muster zu bringen. Absicht war die Errichtung der Diktatur des Proletariats.
In dieser Situation war es die historische Leistung der deutschen Sozialdemokratie, die Demokratie und den Parlamentarismus durchzusetzen. Die Regierung Ebert handelte dabei nach dem Grundsatz: Gewalt kann nur mit Gewalt bekämpft werden. – Ein Grundsatz, der dieser Tage durch den derzeitigen Außenminister Fischer wieder zu Ehren kommt. – Der sozialdemokratische Historiker Heinrich August Winkler hat daher jüngst in einem Artikel „Nachdenken über Rosa Luxemburg“ die Über
nahme des Wunsches der PDS nach Errichtung eines RosaLuxemburg-Denkmals durch die SPD charakterisiert als die Wendung dieser Partei gegen ihre eigene historische Leistung, nämlich die Begründung der ersten deutschen Demokratie.
Herr Präsident, ich bemühe mich. – Ich glaube, dass sich die Sozialdemokraten heute mit diesem Entschluss in ihrer Koalitionsverbarung in eine Traditionslinie einordnen, die nicht ihre eigene ist. Und die PDS frage ich: Wollen Sie wirklich Rosa Luxemburg weiterhin zur Säulenheiligen eines demokratischen Sozialismus machen? Kann sie überhaupt für diese Tradition stehen? – Ich meine, dass sie das nicht kann.
Ich glaube, dass die Sozialdemokratie – an die richtet sich unser Antrag zuerst – dringend aufgerufen ist, ihr eigenes Selbstverständnis zu klären. Wollen Sie künftig die Traditionslinien des Kommunismus in Deutschland für sich selbst übernehmen, oder wollen Sie sich auf Ihre eigene Leistung, nämlich die Rettung und Bewahrung der Demokratie in Deutschland 1919, zurückbesinnen? Das war und bleibt eine große historische Leistung. Zu der trug auch Gustav Noske bei. Gustav Noske war Sozialdemokrat.
Er sagte 1966, er achte Gustav Noske von allen Sozialdemokraten am meisten. Er hatte seine Gründe dafür. Wir wollen Gustav Noske nicht vertreten. Er war keiner der unsrigen, aber wir fragen heute die Sozialdemokratie – nachdem sie diese Koalition abgeschlossen hat –, wie sie es mit ihrer Vergangenheit halten will, ob sie sich selbst zur SPDS machen will – wie sie von vielen Bürgerrechtlern heute schon bekennzeichnet wird oder nicht. Ich fordere Sie daher auf, Ihr Verhältnis zur Vergangenheit zu klären, und bitte, unseren Antrag als eine Anregung dazu zu verstehen. – Vielen Dank!