Protokoll der Sitzung vom 31.01.2002

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Im Interesse Berlins muss es auch ein wichtiges Anliegen sein, die Universitäten für Forschende und Studierende aus dem Inund Ausland attraktiv zu machen. Wir müssen in einen Wettbewerb um die besten Köpfe eintreten, welche dauerhaft an unsere Stadt gebunden werden. Nur dadurch kann die Stadt einen attraktiven Bestand an Fach- und Führungskräften aufbieten. Verkannt werden darf auch nicht, dass im Zeitalter der Globalisierung die in Berlin tätigen Fachkräfte sehr mobil und außerordentlich begehrt sind. Die aktuellen Diskussionen sind daher wenig geeignet, das Vertrauen dieser Menschen in die Zukunftsfähigkeit der Berliner Universitätsmedizin zu stärken. Es ist schwer vorstellbar, dass eine zusammengezimmerte Einrichtung aus Charite´ und UKBF in irgendeiner Form attraktiv wirken könnte.

Für das Vertrauen dieser Fachkräfte ist es ebenso wichtig, unsere Vision für die Stadt aufzuzeigen. Diese fehlt Ihnen anscheinend noch. Die Umstrukturierungsmaßnahmen der letzten Jahre und das heute Geplante lassen uns vor dem fürchten, was noch an Vorschlägen in den nächsten Jahren kommen mag. Unbedachte Strukturentscheidungen schädigen nicht nur einen Forschungsstandort, sondern die gesamte Wissenschaftslandschaft Berlins und gefährden dadurch die Wurzeln für das zukünftige wirtschaftliche Wachstum der Stadt.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Vielleicht, Herr Wowereit, sollten Sie sich einmal ein Beispiel an der ruhigen Hand des Bundeskanzlers nehmen. Wenn Sie nicht wissen, was Sie tun sollen, weil Sie keine Konzepte und keine Sachkenntnis besitzen, lassen Sie es einfach lieber!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

In der großen Koalition trug auch die SPD dazu bei, Milliardenbeträge in den Sand zu setzen und einen riesigen Schuldenberg aufzutürmen. Diese Hypothek wiegt auf die Zukunft schon schwer. Doch nun die Resultate eigenen Fehlverhaltens als Argumentation zu benutzen, um an den Investitionen für die Zukunft zu sparen, ist grundweg falsch.

Die finanzielle Situation Berlins macht vielfältige Einsparmaßnahmen unumgänglich. Das ist nicht zu bestreiten. Doch ist davon auch die Universitätsmedizin nicht ausgenommen worden. In den gültigen Hochschulverträgen wurden bereits Kürzungen von 30 Millionen Euro fixiert. Um diese Absenkung im Budget zu erreichen, muss eine Expertenkommission eingesetzt werden. Dies wurde ebenfalls in den Hochschulverträgen fixiert. Der Verzicht auf die Einsetzung dieser Kommission kann von den Universitäten zu Recht als Bruch der gültigen Hochschulverträge angesehen werden. Inwieweit dies in Deutschland einmalige Vorgehen geeignet ist, das Vertrauen in die Politik des neuen Senats zu schaffen, ist fragwürdig.

Fragwürdig sind ebenso die erhofften Einsparpotentiale. Verpflichtungen aus laufenden Verträgen mit Professoren, wissenschaftlichen Mitarbeitern und Angestellten werden auch nach Aufgabe der Universitätsmedizin zu begleichen sein. Hinzu kommen die notwendigen Investitionen in die Gebäudesubstanz, die auch für das Versorgungskrankenhaus zu tätigen sind. Bei Verwirklichung der rot-roten Pläne sind dies Mehrbelastungen des Landeshaushalts in Höhe von etlichen Millionen Euro. Ich frage mich, wie sie zu den 98 Millionen Euro kommen, die Sie einsparen wollen.

Die geplante Umwandlung des UKBF in ein Versorgungskrankenhaus hat natürlich auch Auswirkungen auf die Qualität der Freien Universität Berlin. Ohne den so wichtigen Bereich der Universitätsmedizin kann nicht mehr von einer Universität, sondern nur noch von einer einfachen Hochschule gesprochen werden. Wenn man sich die Verbindungen von Benjamin Franklin zu den Instituten der Freien Universität anschaut, kann man ahnen, wie die Folgen aussehen werden. Selbst das so technisch anmutende Institut für Informatik, das auf den ersten Blick mit Medizin recht wenig zu tun hat, arbeitet im Bereich der medizinischen Informatik eng mit dem UKBF zusammen.

Wenn die Freie Universität als Lehr- und Forschungseinrichtung ersten Ranges für Berlin erhalten bleiben soll, ist eine Auf

gabe der Universitätsmedizin nicht der richtige Weg. Danach würde es nämlich heißen: Operation gelungen, Patient tot!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

In den letzten Wochen kam vielfach die Meinung auf, dass politisch gewollt und sachlich unbegründet nur im Westen gespart werden soll. Deshalb ist die Einsetzung der Expertenkommission ein sehr geeignetes Mittel, um Diskussionen über politisch gewollte unterschiedliche Einsparleistungen von Ost und West zu vermeiden. Das zu erarbeitende Strukturkonzept würde so der politischen Diskussion entrückt und einem an der Sache orientierten Entscheidungsprozess zugeführt.

Im Hinblick auf die in den nächsten Jahren bevorstehende Fusion von Berlin und Brandenburg sind die Auswirkungen einer Aufgabe der Universitätsmedizin der FU ebenfalls zu berücksichtigen. Im Land Brandenburg wurde bislang mit Verweis auf das Universitätsklinikum Benjamin Franklin und die Charite´ keine Universitätsmedizin betrieben. Das Universitätsklinikum Benjamin Franklin hat nicht nur die hochwertige medizinische Ausbildung für den Berliner Südwesten, sondern auch für den Süden Brandenburgs garantiert. Eine Aufgabe des Standortes würde es notwendig machen, eine neue hochschulmedizinische Einrichtung in Brandenburg zu errichten. Dieses würde für Berlin einen Verlust an Arbeitsplätzen und für die Zukunft im gemeinsamen Bundesland trotzdem keine niedrigen Kosten bedeuten.

Es geht gar nicht darum, das Universitätsklinikum Benjamin Franklin oder die Charite´ von den Einsparmaßnahmen auszunehmen. Beide Universitätsklinika haben mit dem Abschluss der Hochschulverträge bereits Kürzungen akzeptiert. Es geht um eine Entscheidung, die Signalwirkung im In- und Ausland hat und die Weichen für die Zukunftsfähigkeit der Stadt stellt.

[Beifall bei der FDP]

Jede zu treffende Wahl hat sich an dem Kriterium messen zu lassen, inwieweit sie geeignet ist, die Wissenschaftslandschaft Berlins zu stärken. Eine Aufgabe der Universitätsmedizin der Freien Universität führt nicht zu dieser Stärkung, sondern zu einer Schwächung, zum Verlust von Arbeitsplätzen und dringend benötigtem Investitionskapital für die Stadt. Die vertraglich vereinbarte Expertenkommission ist der richtige Weg, um diese beschlossenen Budgetsenkungen zu erreichen.

[Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Herr Abgeordneter, gestatten Sie mir ganz kurz eine Bemerkung! – Hier oben ist jetzt in allen Fraktionen ein starkes Gemurmel hörbar.

[Ritzmann (FDP): Wir murmeln nicht, wir hören zu!]

Ausgenommen die gerade redende Fraktion. – Ich bitte, das Gemurmel einzustellen und dem Redner die ihm gebührende Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Bitte setzen Sie die Gespräche, die am Rande des Plenarsaals geführt werden, draußen fort! [Beifall bei der FDP]

Bitte schön, Herr Schmidt, Sie haben wieder das Wort!

Lassen Sie uns eines klarstellen: Wer Hand an die Wurzeln des Wissenschaftsstandortes Freie Universität legt, gefährdet die Zukunftsfähigkeit Berlins; er versündigt sich an der ganzen Stadt und verdiente es, bei den nächsten Wahlen die entsprechende Quittung zu erhalten. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Danke schön! – Für die Fraktion der Grünen hat nunmehr das Wort die Frau Abgeordnete Paus. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Abwesenheit von Herrn Wowereit zeigt relativ deutlich – – interjection: [RBm Wowereit: Ich bin hier!]

(A) (C)

(B) (D)

Wunderbar! Es tut mir Leid, ich nehme das sofort zurück. Ich wollte schon gerade lobend erwähnen, dass der zuständige Senator Flierl hier ist, aber es geht hier um eine gesamtstädtische Entscheidung. Eigentlich sollte auch der Wirtschaftssenator hier sitzen, weil es um Berlin als Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort geht.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Ich gehe gleich noch einmal auf Frau Simon ein. Frau Simon, es wäre sehr schön, wenn ich Ihre Hoffnung teilen könnte, dass diese intensive Debatte stattfindet. Aber noch muss ich Ihnen sagen: Der Antrag, der vorliegt, ist Augenwischerei. Und so, wie er vorliegt, muss er vom Tisch.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP]

Seit mehr als zwei Stunden wohnen wir jetzt dieser absurden Inszenierung bei; praktisch alle Argumente gegen die Schließung sind aufgereiht. Senator Flierl zeigt sich nachdenklich, und die Brücke, über die Sie, Herr Wowereit, gehen könnten, nämlich die Einrichtung einer Expertenkommission, zwar mit klaren Vorgaben, was den Finanzrahmen angeht, aber mit einem offenen Mandat, verschiedenste Alternativen zu prüfen, diese Brücke ist längst aufgebaut – auch mit unserem Antrag –, aber Sie stellen sich an – es tut mir Leid, ich kann es nicht anders bezeichnen – wie ein störrischer Esel und wollen einfach nicht hinübergehen.

Sie wissen doch alle: Die finanziellen Konsequenzen aus der Schließung des Uniklinikums sind bisher überhaupt nicht seriös geprüft worden, und nicht umsonst fehlt an diesem Punkt, obwohl das doch Ihr zentraler, substanzieller Einsparvorschlag sein soll, in der Koalitionsvereinbarung eine Zahl. Auch gestern, im Hauptausschuss, verweigerten Sie die Debatte dazu. Aber umgekehrt verlangen Sie von den Kritikern der Schließung, sie sollten kassenwirksame Sparmaßnahmen unterbreiten, die bereits ab 2006 die Halbierung des derzeitigen Hochschulmedizinetats sicherstellen sollen. Das ist dreist! Das ist unverfroren! Das hat mit verantwortungsvoller Politik für diese Stadt nichts, aber auch überhaupt nichts zu tun! Und, Frau Dunger-Löper, wenn Sie Herrn Wieland hier vorwerfen, er würde hier nur mit Polemik agieren, dann sage ich: Diesem Politikstil kann man nur in dieser Art und Weise antworten.

[Beifall bei den Grünen und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Herr Wowereit! Wenn Sie Recht hätten, dass nur eine Schließung des Universitätsklinikums Benjamin Franklin diese nachhaltige Einsparung bringt, warum verpassen Sie dann die Chance, sich das von einem unabhängigen Expertengremium attestieren zu lassen? – Wir hätten dann einen schweren Stand und Sie alle Trümpfe in der Hand. Das finanzpolitische ist Ihr einziges Argument, es gibt kein wissenschaftspolitisches, es gibt kein wirtschaftspolitisches Argument.

[Zuruf des Abg. Gaebler (SPD)]

Sie haben die gesamte Wissenschaft, die gesamte Wirtschaft, das Land Brandenburg, die Berliner Bevölkerung – 161 000 Unterschriften wurden bereits geleistet – gegen sich. Einzig Herrn Motzkus von der Charite´ haben Sie bei sich, der uns seit langen Jahren „bekannt“ ist und Ihnen aus reinem Eigeninteresse die Stange hält. Wenn aber die Schließung finanzpolitisch nicht die richtige Entscheidung ist oder wenn Sie es nicht sicher wissen – Herr Hoff sprach heute auch davon, es war wohl nicht erst 2030, aber wir wissen immer noch nicht die genaue Jahreszahl, wann die Schließung tatsächlich finanzpolitisch wirksam werden wird –,

[Zuruf des Abg. Gaebler (SPD)]

warum treffen Sie dann diese Entscheidung, ohne vorher eine entsprechende Expertenmeinung eingeholt zu haben? – Das versteht kein Mensch in der Stadt!

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP – Dr. Lindner (FDP): Richtig! Das ist genau der Punkt!]

Es geht Ihnen nicht um die Sache; es geht Ihnen nicht um die Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft, um strukturelle Reformen, um die regionalökonomische Seite, um die Sicherung der Zukunftsfähigkeit der Stadt – nein, Herr Wowereit, Ihnen geht es lediglich darum, ein Exempel zu statuieren, ein Haushaltsexempel! Sie denken hier nicht in Sachkategorien, sondern Sie denken allein in Durchsetzungskategorien. Sie wollen sich profilieren als „knallharter“ Haushälter, und da machen sich prominente Opfer, die geschlachtet werden müssen, besser als eine sinnvolle Konsolidierungspolitik. Und darum brauchen Sie auch keine Expertenkommission, die Ihnen die geplante Machtdemonstration verpfuscht. Das Opfer, das Sie sich jenseits der Sachargumente ausgesucht haben, ist nicht zufällig im Bereich des Wissenschafts- und Kultursenators der PDS. Die PDS soll ihre Feuertaufe bekommen und ihre Festigkeit unter Beweis stellen. Für diese Machtzusammenhänge opfern Sie ohne wirkliche Evaluierung wichtige zukunftsfähige Strukturen in der Stadt, und das ist schlichtweg schlecht so!

[Beifall bei den Grünen – Zuruf des Abg. Gaebler (SPD)]

Ihr persönliches Machtinteresse ist auch der Grund, warum Sie gegen den Geist Ihrer eigenen Koalitionsvereinbarung verstoßen. Es gibt nämlich nicht nur das Wissenschaftskapitel, es gibt auch andere Kapitel in dieser Koalitionsvereinbarung. – Herr Gysi ist leider immer noch nicht da, ihm wollte ich es auch noch sagen. – Es steht im Wirtschaftskapitel:

Wir werden zukünftig eine engere Verknüpfung von Wirtschaft und Wissenschaft sicherstellen. Es sollen dazu hochschulnahe Standorte für technologieorientierte Unternehmen entwickelt werden, zum Beispiel beim Oskar-HeleneHeim.

Sie wissen alle, worum es da geht: um eine Entwicklung, die eng im Zusammenhang steht mit dem Medizinstandort Benjamin Franklin, der Medizinischen Fakultät an der Freien Universität.

[Beifall des Abg. Jungnickel (FDP)]