Protokoll der Sitzung vom 11.12.2003

Welche Gründe für die Ausgaben- und die Haushaltsmisere haben wir? – Wir haben zu hohe Ausgaben. – Richtig, darüber redet die ganze Stadt, aber das ist auch nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte der Wahrheit ist, dass wir in Berlin zu sehr nach innen orientiert sind. Es gibt zwei Tabellen aus dem sarrazinschen Folienvortrag, die er immer am Anfang präsentiert. Das ist die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts mit null Prozent seit 1992, und das sind die Zahlen des Exports: Berlin 2 619 € pro Einwohner, Hamburg 13 635 und Bundesschnitt über 7 700 €. Das heißt, wir müssen uns, um unsere Einnahmensituation und damit auch unsere Finanzkraft zu stärken, auf Gedeih und Verderb nach außen orientieren. Wir müssen sehen, wie wir wieder in Kontakt zum Umland kommen und die Wirtschaftskraft der Stadt steigern. Das Umland ist nicht nur Brandenburg, sondern im Wesentlichen Europa. Es geht nicht durch die alte Zigarettendrehmaschine Westberlins.

[Beifall des Abg. Niedergesäß (CDU)]

Wir müssen sehen, wo es neue Produkte und neue Märkte gibt. Die neuen Produkte müssen in Berlin produziert und von Berlin aus vermarktet werden. Wir müssen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer qualifizieren, diese Vermarktung und Produktion durchzuführen. Diese neuen Produkte müssen auch entwickelt werden. Das tun Wissenschaft und Forschung gemeinsam mit Wirtschaft und Industrie. Dafür brauchen wir einen starken Wissenschafts- und Forschungsschwerpunkt. Beispiele könnten die Umwelttechnologien sein, die Energiesysteme, die an der TU erforscht werden, die Antriebstechnologien, die an den osteuropäischen Märkten dringend benötigt werden. Das sind Umsätze, die von Berlin aus zu erzielen wären, wenn man den Wissenschafts- und Forschungsstandort nicht plattmachen würde.

[Beifall bei den Grünen und der CDU]

Die zweite Variante: Wir brauchen Dienstleistungen, die man auch exportieren kann, Berater, Juristen, Unternehmensberater, Energiedienstleister, Architekten, Ingenieurdienstleister, Planungskompetenzen, all das, worauf der gesamte osteuropäische Markt in den nächsten Jahren dringend angewiesen sein wird und was er finanzieren muss. Das heißt aber, wir brauchen Studenten, die hier diese Fächer studieren und hier bleiben und von hier aus ihre berufliche Karriere starten, aber auch Studenten, die hier den Nachwuchs für ansiedlungswillige Unternehmen darstellen. Ohne die Wissenschaft haben wir keine Chance, unsere wirtschaftliche Entwicklung wieder auf Vordermann zu bringen.

Sie reden von Überausstattungen. Sehen wir uns die Zahlen an: Wir haben 140 000 Studenten auf 3,5 Millio

nen Einwohner. Das sind 4 %. München hat 7 %, Dresden 7 %. Sehen wir einmal in die andere Richtung, nach Polen: Breslau 15 %, Stettin 47 %.

[Niedergesäß (CDU): Hört, hört!]

[Beifall bei den Grünen – Klemm (PDS: So ein Quatsch! – Weitere Zurufe von der PDS]

Wir sind für jeden Studenten und jede Studentin dankbar, die in Berlin und nicht in München oder Stuttgart studieren. Für uns ist das eine Chance und keine Last, die einen Lastenausgleich braucht.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

[Beifall bei den Grünen]

Sie diskutieren immer wieder über Abbau statt über Perspektiven der Stadt. Sie sind der Mähdrescher, der täglich übers Feld fährt und sich dann wundert, dass es nicht sprießt und gedeiht. Sie machen nur nieder.

Ihre Aufgabe wäre es, gemeinsam mit den Universitäten Ziele zu definieren, die die Interessen der Stadt aufnehmen, gemeinsam mit den Universitäten die Rationalisierungsmöglichkeiten der Hochschulen zu prüfen, die dadurch frei werdenden Mittel für die Erhöhung der Studienplatzzahl einzusetzen und sie nicht auch noch aus den Unis herauszuknautschen.

[Beifall bei den Grünen]

Herr Flierl, Sie sagen, Sie dekretierten keine Strukturdebatten. Es geht nicht darum, dass Sie etwas dekretieren sollen, aber Sie können sich doch einmischen. Die ganze Stadt diskutiert, die Industrie- und Handelskammer diskutiert, der DGB diskutiert, und der einzige, der sich zu Strukturdebatten nicht äußert, ist der Senator, der sagt, ihm fehlten dafür die Kompetenzen und die Mitarbeiter. Das ist eine völlig falsche Rollenverteilung. Sie verstehen anscheinend Ihren Job nicht.

und zwar Verständnis für das Anliegen der Studenten. Denn es geht ihnen darum, dass wir bessere Studienbedingungen schaffen, dass wir die Voraussetzungen schaffen, dass sie in der Regelstudienzeit ihr Studium tatsäch

lich absolvieren können. Es geht ihnen darum, dass sie qualitativ eine hochwertige Ausbildung bekommen, und das ist ihr gutes Recht.

Nein, keine Zwischenfragen! – Ich habe allerdings kein Verständnis dafür, dass diese Proteste sich ausschließlich gegen die Hochschulverträge richten. Denn wer veränderte Rahmenbedingungen für das Studium will, der muss sich die Strukturen in den Hochschulen ansehen

und der muss sich natürlich damit auseinander setzen, wie man diese Strukturen so neu ordnen und so effizient gestalten kann, dass tatsächlich ein effizientes und ein effektives Studium möglich wird. Und ich habe auch kein Verständnis dafür, dass die Hochschulpräsidenten, die die Hochschulverträge ausgehandelt haben, über die wir heute abstimmen werden, die Studenten unterstützen und sagen: Demonstriert gegen diese Hochschulverträge! – Denn sie sind von eben diesen Präsidenten ausgehandelt worden, und sie sind von eben diesen Präsidenten paraphiert worden.

(D – Frau Grütters, ich sage Ihnen auf Ihren Zwischenruf „erpresst“: Haben Sie denn wirklich so wenig Zutrauen zu den Präsidenten unserer Universitäten? Das sind doch gestandene Persönlichkeiten, die in der Lage sind, ihre Einrichtungen zu vertreten und das Beste für diese herauszuholen.

Ich bitte, zum Schluss zu kommen.

Ja, ich komme zum Schluss. – Sie diskutieren zwei Tage über Kleinstbeträge beim Zoo, aber nicht die Perspektiven der Stadt. Wenn Herr Hoff sagt, die große Koalition hatte eine unrealistische Metropolenkonzeption – Sie haben gar keine, und das ist mindestens genauso schlimm. Sie müssen sich entscheiden, ob Sie in die Geschichte der Stadt als Senat des Abbruchs oder als Senat des Aufbruchs eingehen wollen. Im Moment stehen Sie eindeutig auf der falschen Seite.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP – Frau Dr. Hiller (PDS): Demagoge!]

Danke schön! – Für die SPD-Fraktion hat Frau Abgeordnete Dr. FugmannHeesing das Wort. Der SPD stehen noch 12 Minuten zu. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Zimmer! Als ich Sie eben gehört habe, war mir klar, dass Sie nicht zu den klugen Köpfen gehören, die immer hinter einer bestimmten Zeitung stecken, denn dann wüssten Sie, dass wir hier nicht über eine speziell Berliner Frage reden, und dann würden Sie wissen, was in Hessen, Niedersachsen und in anderen Bundesländern passiert.

[Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Als ich das Ende Ihrer Rede hörte, habe ich mich gefragt, ob Sie die Empfehlung, die Sie dem Regierenden Bürgermeister gegeben haben, zum Anlass genommen haben, bei Ihren Parteikollegen Koch und Wulff anzurufen und ihnen selbige Empfehlung zu geben.

[Brauer (PDS): Traut er sich nicht!]

Denn die Proteste, die wir in Berlin erleben, sind kein singuläres Phänomen, sondern die Studenten protestieren mittlerweile fast bundesweit.

[Niedergesäß (CDU): Gegen Rot-Rot!]

Natürlich, in Hessen gegen Rot-Rot, in Niedersachsen gegen Rot-Rot, in Thüringen gegen Rot-Rot – wäre ja toll, wenn wir überall diese Regierungskonstellation hätten, aber leider ist es noch nicht ganz so weit. –

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Die Studenten protestieren bundesweit, und sie haben auch allen Anlass dazu. Denn es ist etwas faul in unserem Bildungswesen. Jeder, der das leugnen wollte, würde die Realitäten verkennen. Ich habe großes Verständnis für diese Proteste, wie sie in anderen Bundesländern geführt werden, und auch für die Proteste, die in Berlin geführt werden,

[Dr. Lindner (FDP): Verständnis reicht aber nicht!]

Frau Abgeordnete! Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Wieland?

[Beifall bei der SPD und der PDS]

[Frau Grütters (CDU): Erpresst worden!]

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Und ich habe kein Verständnis für die Begründung, die die Opposition heute in dieser Aktuellen Stunde gebracht hat. Gerade Sie – nach all den Diskussionen, die wir in der Vergangenheit geführt haben – sollten es besser wissen.

[Zuruf von den Grünen: Tun wir doch!]

Denn Sie kennen nicht nur das Thema der Studiensituation, sondern Sie sind als Parlamentarier verantwortlich für die Gesamtpolitik dieses Landes. Sie kennen die Haushaltssituation dieses Landes, und Sie spielen ein doppeltes und ein doppelzüngiges Spiel.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Ritzmann (FDP): Quatsch!]

Gerade diese Verhaltensweise trägt nicht zur Glaubwürdigkeit von Politik und schon gar nicht zur Glaubwürdigkeit von Politikern bei.

[Zurufe von den Grünen]

Sie haben eine Verfassungsklage eingereicht, und wenn diese Klage so erfolgreich gewesen wäre, wie Sie sich das gewünscht hätten, dann hätten wir – –

[Wieland (Grüne): Das wird die nächste sein!]

Frau Dr. Fugmann-Heesing

Wir haben im Wissenschaftsausschuss empfohlen, den Hochschulverträgen zuzustimmen, weil es dazu keine Alternative angesichts der Konsolidierungsnotwendigkeiten gibt. Herr Flemming hat doch zu Recht darauf hingewiesen, das ist nicht ein wissenschaftspolitisches Anliegen, das ist eine finanzpolitische Notwendigkeit, so wie wir sie in anderen Politikbereichen auch haben.

Aber ich will in diesem Zusammenhang doch auch noch auf eines hinweisen, weil hier Frau Grütters von der guten Wissenschaftspolitik der vergangenen Jahre gesprochen hat. Die CDU hat über 10 Jahre den Wissenschaftssenator gestellt. In dieser Zeit ist es auch bei deutlich höheren Etats, die es zu Beginn der 90er Jahre gegeben hat, nicht möglich gewesen, das Studium in Berlin qualitativ so auszugestalten, dass mehr Studienanfänger ihr Studium erfolgreich abschließen, dass in kürzeren Studienzeiten studiert wird. Wenn wir heute wissen, ein Lehrerstudent schließt in Berlin durchschnittlich erst nach 17 Semestern sein Studium ab, dann sind das alles die Studenten, die zu Zeiten von CDU-Wissenschaftssenatoren ihr Studium begonnen und durchgeführt haben. Was ist das denn für ein Umgang mit diesen Riesenhochschulen, wenn wir uns nicht ernsthaft die Frage stellen: Wie können wir die Strukturen in diesen Hochschulen verbessern?