Protokoll der Sitzung vom 15.01.2004

Dann wird das Abitur nach 12 Jahren nach einer unsäglichen Debatte hier in diesem Haus eingeführt. Haben wir das vergessen? Es ist noch nicht ein Jahr her, da haben wir uns hier um 12,75 Schuljahre gezofft, ich glaube, da waren wir es, die hier den Finger immer wieder in die Wunde gelegt haben!

[Zuruf der Frau Abg. Schaub (PDS)]

Dann zentrale Prüfungen, Vergleichsarbeiten, mehr Unterricht in den Klassen 5 und 6, ein Schulprofil, verlässliche Halbtagsschule: Das sind endlich richtige Schritte. Herr Böger, eines müssen Sie akzeptieren: Es sind keine originären Böger-Vorschläge. Da sind viele von uns der Auffassung.

[Beifall bei der FDP – Mutlu (Grüne): Ja, Böger ist ja lernfähig! – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Das war es dann aber auch. Es ist eben nicht die von Ihnen postulierte Revolution. Das passiert nämlich schon seit längerem in anderen Bundesländern, wenn auch nicht in Gesetzesform festgegossen. Da gebe ich Ihnen Recht.

Im Gegensatz zu diesen durchaus positiven Aspekten gibt es einige Punkte, die zwar gut gemeint, aber nicht zu Ende gedacht sind. Zum anderen werden Reformen angeschoben, die einfach nur schlecht bzw. dilettantisch angegangen werden. Zur Kategorie „gut gemeint“ und schlecht umgesetzt gehört die hier propagierte verbindliche Sprachförderung der Kinder ein halbes Jahr vor Schulbeginn. Ich weiß, auch da steckt ein bisschen FDP dahinter.

[Sen Böger: Alles, was gut ist, kommt von der FDP!]

Nur, Herr Böger, unser Vorschlag, die Einführung einer verbindlichen Startklasse wäre die saubere Lösung gewe

sen. Dieses Startklasse ermöglicht nämlich gute Voraussetzungen, damit den Kindern der eigentliche Schulstart erleichtert wird. Genau dieses ist die eine Voraussetzung, die entscheidende Voraussetzung für den Erfolg der flexiblen Eingangsstufe. Ohne die zusätzliche Förderung der Leistungsschwachen wird die Flexibilisierung der Eingangsphase zu einer Farce. Diese Einführung der Startklasse wäre eine innovative Alternative und finanziell auch zu machen gewesen. Last not least wäre das ein wirklicher Beitrag zur Chancengerechtigkeit in dieser Stadt gewesen: früh anfangen, früh fördern.

[Beifall bei der FDP]

Gut gemeint ist auch die Eigenverantwortung, die Sie den Schulen übertragen wollen.

[Sen Böger: Auch FDP!]

Dieses Kapitel ist allerdings alles andere als ein Ruhmesblatt. Oder bleiben wir in Ihrem Jargon: Dies Kapitel ist alles andere als revolutionär. Ein aktuelles Beispiel sind diese zwei freien Tage, die Sie den Lehrern nun geben müssen wegen des Tarifvertrags. Hier wollen die Schulen ihre eigenen Lösungen finden. Ich finde das richtig. Was machen Sie? – Sie sagen: Nein ich will das aber nicht, sie machen das jetzt so, wie ich es will. –

[Sen Böger: Umgekehrt!]

Das hat mit Eigenverantwortung, verehrter Herr Senator, nichts, aber auch gar nichts zu tun.

[Beifall bei der FDP]

Fazit: Es sind angedachte Reformen, mehr sind es nicht.

Nun komme ich zur zweiten Kategorie, nämlich zu den Punkten, die einfach nur schlecht und dilettantisch geregelt werden, und das sind für uns die entscheidenden Punkte, warum wir dem Gesetz nicht zustimmen werden.

Erstens: Es wird gravierende Folgen haben, dass die vorschulische Bildung ausschließlich an die Kitas verlagert werden soll. Herr Senator, Sie haben es gestern selbst gesagt, Hauptziel der Kitas wird es zukünftig sein, als Bildungseinrichtung Sprache zu fördern und zu vermitteln – ein hehres Ziel. Wie aber soll das verwirklicht werden, ohne ausreichend qualifiziertes Personal. Es stimmen die Rahmenbedingungen nicht, und daran wird sich auch in absehbarer Zukunft nichts ändern.

Zweitens – darüber wurde heute schon ein paar Mal gesprochen: Die Förderung der Hochbegabten in dieser Stadt ist nach wie vor unzureichend geklärt. Weder ein Paragraph noch eine Rechtsverordnung, deren wir nun 24 haben, weist darauf hin, dass und wie künftig hochbegabte Schülerinnen und Schüler in dieser Stadt gefördert werden sollen. Da ist Ihre sozialdemokratische Kollegin aus Rheinland-Pfalz, Frau Ahnen, viel, viel weiter.

Drittens: Die Schulleiterinnen und Schulleiter werden in ihren Kompetenzen nur marginal gestärkt. Eigenständigkeit ohne eine starke Schulleitung vor Ort – das kann nicht funktionieren.

Viertens: Die Schulen in freier Trägerschaft werden weiterhin stiefväterlich behandelt. Die Finanzierung ist nach wie vor vom Goodwill der Regierung abhängig. Sie wird auch in Zukunft nicht transparent nach Schülerkostensätzen berechnet. Das ist ein riesiger Fehler.

Fünftens: Das „Weiter so“ beim Werteunterricht ist nicht hinnehmbar. Wider besseres Wissen lassen wir alles beim Alten, obwohl den meisten in diesem Raum – auch denen, die im Augenblick fehlen, und das ist eine ganze Reihe – klar ist, dass die Berliner Lösung die denkbar schlechteste ist.

Nachzulesen ist dieses alles in 131 Paragraphen, teilweise in schwallend ausladenden Abhandlungen und überflüssigen Phrasen. Viel zu viel Text, zu viele Paragraphen, zu viele angekündigte Rechtsverordnungen! Es fehlt der Mut, ein schlankes und einfaches Gesetz vorzulegen. Bürokratieabbau in den Schulen – das bleibt ein Traum.

[Beifall bei der FDP]

Im Rahmen der Beratungen haben wir diverse Anhörungen durchgeführt. Fazit: Die Ratschläge der Experten wurden von den Regierungsfraktionen in den Wind geschlagen. Eigentlich war es für die Katz! Ob zum Thema Hochbegabung, zum Thema Eigenverantwortung, zum Thema Werteunterricht oder zum Thema Vorklasse und Kita, kein Vorschlag – nichts, aber auch gar nichts – wurde übernommen. Taube Ohren, Unbelehrbarkeit! Es war ein Affront gegenüber den Experten.

Ein Beispiel: Bei der Anhörung zum Thema Eigenverantwortung der einzelnen Schule waren sich die Experten einig,

[Mutlu (Grüne): Der Senator war nicht da!]

dass Eigenverantwortung eine der wichtigsten Vorrausetzungen für eine bessere und leistungsfähigere Schule ist. Dazu gehört selbstverständlich auch die Einstellung des Personals durch die Schulleitung, eine leistungsbezogene Besoldung und ein eigenes Budget, über das dann eigenverantwortlich verfügt werden kann. Das sind nun einmal genuin liberale Forderungen, die von den Experten – und zwar in diesem Fall unisono – unterstützt wurden.

Die Einstellung des Personals durch die Leitung der Schule, Herr Böger, das wäre in der Tat eine deutsche Bildungsrevolution gewesen. Stellen Sie sich vor, die Einstellung würde ohne Einmischung der Schulverwaltung, ohne Einmischung der bezirklichen Personalräte, aber im Einvernehmen mit den schulischen Gremien erfolgen! Das wäre die Revolution.

[Beifall bei der FDP]

Und wie sieht die Realität aus? – Ich zitiere:

Der Schulleiter wirkt bei der Einstellung und Umsetzung der Lehrkräfte mit.

Das steht in § 59. Dafür kann er sich auch einen Knopf an die Backe nähen. Es bleibt alles beim Alten. Aus der Traum!

Stellen Sie sich vor, die Schulen erhielten ein Budget, das sich nach den wirklichen Schülerkostensätzen richtet und über das sie eigenverantwortlich verfügten könnten. Das wäre die deutsche Bildungsrevolution. Dann hätten wir den fairen Wettbewerb um die beste Schule.

Und die Realität? – Die Schulen erhalten ein Pillepalle-Sümmchen, damit sie zukünftig vielleicht die Glühbirnen selber kaufen können. Das wäre es dann aber auch schon. Aus der Traum!

Wenn die FDP-Fraktion auch in einigen Punkten mit den Regierungsfraktionen übereinstimmt – ich sagte das zu Anfang –, so werden wir diesem Gesetz dennoch nicht zustimmen. Wir haben uns mit Änderungsanträgen sehr aktiv und konstruktiv an der Debatte beteiligt, und in den meisten Fällen haben uns die Experten in den Anhörungen auch Recht gegeben. Wir können diesem Gesetz nicht zustimmen, denn die essentiellen Punkte, um die es der FDP-Fraktion geht und die ich angesprochen habe, wurden nicht berücksichtigt.

Dieses Gesetz reicht nicht aus, um die von Ihnen genannten Ziele zu verwirklichen. Ich nenne die Ziele noch einmal: Bildungschancen für alle vergrößern! – Richtig! – Integration durch Bildung! – Richtig! – Mehr Qualität in den Berliner Schulen! – Das sind alles Ziele, mit denen wir übereinstimmen. Aber dieses Gesetz reicht nicht aus, um den Bildungsstandort Berlin nach vorn zu bringen. Doch genau das brauchen wir. Dieses Gesetz ist zwar ein kleiner Schritt in die Richtung, das Zukunftsweisende fehlt, und das ist uns zu wenig. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Das Wort hat Frau Abgeordnete Schaub. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die PDS-Fraktion stimmt dem Schulgesetz zu,

[Mutlu (Grüne): Was für eine große Überraschung!]

weil wir Ja sagen zu größerer Eigenverantwortung der einzelnen Schulen und zur veränderten Struktur in der vorschulischen Erziehung und Bildung. Verehrte Frau Kollegin Senftleben! Das wird sich nicht als Nachteil oder Schwachstelle, sondern als ausgesprochener Vorteil bei der Verbesserung der Qualität von Bildung und Erziehung erweisen. Das möchte ich an dieser Stelle schon einmal behaupten.

[Beifall bei der PDS – Beifall der Frau Abg. Dr. Tesch (SPD)]

Wir sagen Ja zum pädagogischen Konzept der flexiblen Schulanfangsphase. Dieses Konzept ist auf die individuelle Förderung eines jeden Kindes ausgerichtet, damit jedes Kind mit möglichst guten Grundlagen in die

Frau Senftleben

jedes Kind mit möglichst guten Grundlagen in die weitere Schullaufbahn starten kann. Wenn zu Recht nach Schlussfolgerungen aus dem deutschen PISA-Ergebnis gefragt wird, so ist hier eine davon.

[Beifall bei der PDS – Beifall der Frau Abg. Dr. Tesch (SPD)]

Wir sagen Ja zur frühen, kontinuierlichen Sprachförderung vor Schulbeginn in der Kita und dann in der Schule sowie zum Vorrang der gemeinsamen Bildung und Erziehung von Kindern mit und ohne Behinderung. Wir müssen hinnehmen, dass die Haushaltsnotlage uns hier schmerzhafte Grenzen setzt.

Wir sagen Ja zum Ausbau der Ganztagsbetreuung und zum Ausbau der Kooperation zwischen Schule und Jugendhilfe