Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir in der ersten Plenarsitzung des neuen Jahres die II. Lesung des Schulgesetzes auf der Tagesordnung haben, gleich nach der Aktuellen Stunde, leider nicht mehr in der Fernsehzeit.
Denn dieses Gesetz ist ein Reformgesetz, das einen Neubeginn in der Berliner Schule markiert. Ich würde nicht gleich von einer Kulturrevolution sprechen, weil bei einer Revolution meistens Blut fließt, und das gönne ich der Berliner Schule nun wirklich nicht.
Ich würde eher den Begriff Paradigmenwechsel wählen oder könnte mich auch dem Begriff Meilenstein anschließen. Endlich liegt es nun in der Schlussfassung vor, nachdem wir in den unterschiedlichsten Konstellationen lange darüber diskutiert haben. Es kann also nicht keineswegs von einem Durchpeitschen des Gesetzes gesprochen werden, wie es Teile der Opposition immer gern in den Medien kolportieren. Ich erinnere daran, seit 1998 und nicht seit zwei Jahren, Herr Kollege Goetze, diskutieren wir über weitgehende Veränderungen in der Berliner Schule,
zuerst in der großen Koalition, dann während des rotgrünen Übergangssenats, in der kurzen Phase, in der man über eine Ampelkoalition nachdachte, und schließlich in der rot-roten Koalition. Das Gute ist, die SPD war immer maßgeblich daran beteiligt.
Wir haben aber nicht nur alle Fraktionen dieses Hauses, sondern auch alle von dem Gesetz betroffenen Gruppen an der Diskussion beteiligt, sei es durch Anhörung im Ausschuss oder in diversen anderen Gesprächsrunden. Schließlich haben wir kurz vor Weihnachten, am 19. Dezember, in einer Mammutsitzung von sieben Stunden über dieses Gesetz Paragraph für Paragraph abgestimmt und auch einige sinnvolle Änderungen aufgenommen.
Ich freue mich, dass der Hauptausschuss gestern grünes Licht gegeben hat, damit die geplanten Reformen zeitnah, wenn auch nicht überstürzt umgesetzt werden können.
Ich komme jetzt zum Inhaltlichen: Auch der Vorwurf des Sammelsuriums oder, wie Herr Goetze heute sagte, der Halbherzigkeit ist völlig aus der Luft gegriffen. Dieses neue Berliner Schulgesetz gibt vielmehr als erstes in der Bundesrepublik Antworten auf PISA. Alle Teile von der Grundschule bis zum Abitur sowie die berufliche Bildung sind aufeinander abgestimmt. Selbst der „Tagesspiegel“ lobt heute das neue Schulgesetz und spricht von einer Reform aus einem Guss. Wir mussten nämlich nicht nachbessern wie andere Bundesländer.
Außerdem vereint dieses Gesetz folgende bislang unabhängige Gesetze: das Schulgesetz, das Schulverfassungsgesetz und das Privatschulgesetz.
Ich möchte die wichtigsten Änderungen darlegen, wobei ich auf das jeweilige Inkrafttreten hinweise, das für die Betroffenen von äußerster Wichtigkeit ist. Es nützt nämlich nichts, gute Vorhaben nur zu Papier zu bringen, sondern dies hat mit einer umfassenden Information und einem gewissen Vorlauf zur Vorbereitung einherzugehen, damit alle Beteiligten in den Prozess einbezogen werden können. So müssen die Kerngedanken des Gesetzes, die eigenverantwortliche Schule, mehr Chancengleichheit für alle und die Evaluierung und Sicherung von Qualität an den Berliner Schulen, auch in der Umsetzung des Gesetzes gewährleistet werden. Darin liegt die Großtat, Herr Goetze!
Die Ergebnisse von PISA zeigen deutlich, dass ein möglichst früher Eintritt in die Schule, eine individuelle Verweildauer von Beginn an und eine möglichst lange gemeinsame Schulzeit für alle Kinder die Grundlagen für mehr Chancengleichheit sind. Deshalb wird das Einschulungsalter um ein halbes Jahr vorgezogen. Diese Regelung greift am 1. August 2005, also für die Anmeldungen im November 2004. Zusätzlich ist geplant, bei Kindern mit deutlich verminderter Sprachkompetenz, die in einem verbindlichen Sprachtest ein halbes Jahr vor der Einschulung festgestellt werden kann, einen verpflichtenden Sprachkurs ab 5 Jahre einzuführen. Berlin ist somit das erste Bundesland – einzigartig in Deutschland, schreibt der „Tagesspiegel“ –, das eine Schulpflicht ab fünfeinhalb Jahren mit vorher zusätzlicher Sprachförderung einführt, die im Übrigen nicht nur den geförderten Kindern, sondern der gesamten Klasse zugute kommt. Die ersten beiden Klassen der Grundschule bilden die Schulanfangsphase, die individuell durchlaufen werden kann. Auch sie wird sorgfältig vorbereitet. Der Start ist im Schuljahr 2005/06 mit einem großen Jahrgang, die Schulanfangs
phase greift dann im Schuljahr 2006/07. Die Koalition hält an der sechsjährigen Grundschule fest und lehnt weitere grundständige Gymnasien ab, wie sie CDU und FDP fordern, da sie nur zur früheren Selektion der Schülerinnen und Schüler beitragen. Die Aufgabe der Vorklassen wird zum einen durch die neue Schulanfangsphase und zum anderen durch die Kitas, die zu Bildungseinrichtungen aufgewertet werden, wahrgenommen. Die bisherigen Vorklassenleiterinnen werden in die Schulanfangsphase integriert. Gleichzeitig wird der Hortbetrieb an die Schulen verlagert, die dann mit Sportvereinen, Musikschulen, Literaturhäusern und anderen Jugendeinrichtungen kooperieren sollen.
Neben den zusätzlichen Ganztagsgrundschulen werden alle Grundschulen zu verlässlichen Halbtagsgrundschulen ausgebaut, wodurch gewährleistet wird, dass alle Kinder von 7.30 Uhr bis 13.30 Uhr pädagogisch betreut werden. Diese Verbesserung hat nicht nur bildungspolitisch, sondern auch familienpolitisch große Bedeutung. Familie und Beruf lassen sich so besser vereinbaren.
Eine andere wichtige Neuerung ist der mittlere Schulabschluss, der an allen Schularten am Ende der 10. Klasse vergeben wird. Dieser Abschluss ist auch eine Zugangsvoraussetzung für die gymnasiale Oberstufe. Die Schulzeit bis zum Abitur wird im Regelfall auf 12 Jahre verkürzt, möglich sind aber auch 11 oder 13 Jahre. Auch diese Änderung wird sorgsam vorbereitet, da hierfür die Stundentafeln ab der 5. Klasse verdichtet werden, und zwar für alle Schülerinnen und Schüler dieses Jahrgangs, auch wenn sie vielleicht einmal nicht das Abitur ablegen werden.
Die 5. Klasse befindet sich meines Erachtens in Berlin immer noch in der Grundschule, Herr Kollege Mutlu! – So wird das Abitur nach 12 Jahren erstmals im Schuljahr 2011/2012 von den Schülerinnen und Schülern abgelegt, die sich jetzt in der 4. Klasse befinden.
Durch diese unterschiedliche Verweildauer einzelner Schülerinnen und Schüler in der Berliner Schule wird mehr Chancengleichheit gewährleistet.
Außerdem wird dem didaktischen Prinzip der Förderung von Lernschwächeren und der Forderung von Lernstärkeren Rechnung getragen.
Die nächste größere Neuerung, die – wie ich bereits erwähnt hatte – einer der Kernpunkte des neuen Schulgesetzes ist, ist die Eigenständigkeit der Einzelschule. So erhalten die Berliner Schulen mehr finanzielle Selbständigkeit und können stärker selbst bestimmen, wofür Geld ausgegeben wird. Das Geld, das die Schulen einnehmen, verbleibt in voller Höhe an der Schule und kann auch in das nächste Haushaltsjahr übertragen werden. Die Schulkonferenz ist das höchste Gremium an der Schule. Sie besteht aus Lehrenden, Elternteilen und Schülerinnen und Schülern sowie einer externen Person. Die Schulkonferenz wählt die Schulleitung für eine Dauer von fünf Jahren. Sie entscheidet ebenfalls eigenständig über die der Schule zugewiesenen Sach- und Personalmittel. Außerdem kann die Schule schulbezogene Ausschreibungen vornehmen und ihre Lehrkräfte selbst auswählen. Damit wird gewährleistet, dass die Lehrkräfte gefunden werden, die am besten zur jeweiligen Schule passen, besonders wenn es sich um eine Schule mit einem besonderen Profil handelt.
Dieses Profil wird in den Schulprogrammen festgelegt, das die Schulkonferenz beschließen muss. Damit legt sie dar, wie sie ihren Bildungs- und Erziehungsauftrag erfüllen und welche inhaltlichen Schwerpunkte sie setzen will. Dieses Profil kann z. B. im Bereich der Fremdsprachen, des Sports, der Naturwissenschaften oder im musischen Bereich liegen und wird sowohl intern als auch extern evaluiert. Bereits jetzt sind die Schulen berechtigt, befristete Verträge abzuschließen, um drohendem Unterrichtsausfall schnell zu begegnen. Diese Neuerungen treten sofort in Kraft, bedürfen aber eingehender Fortbildungsmaßnahmen für die Lehrkräfte und die Schulleitungen, damit sie ihre künftigen Aufgaben kompetent erfüllen können.
Lassen Sie mich zum Fazit kommen. Mit dem neuen Schulgesetz tragen wir zu mehr Chancengleichheit und Qualität in der Berliner Schule bei.
Dies sind die grundlegenden Ziele sozialdemokratischer Bildungspolitik. Die Stadt braucht ein neues Schulgesetz, mit dem wir die rechtlichen Voraussetzungen für bildungspolitische Reformen und die Gestaltung einer leistungsfähigen Schule schaffen. Deshalb bitte ich Sie: Stimmen Sie diesem Gesetz zu! – Ich danke Ihnen!
Frau Präsidentin! Meine Herren, meine Damen! Euphorie scheint sich breit zu machen, beim Herrn Senator, bei Frau Dr. Tesch, alle
loben dieses Schulgesetz. Der Herr Senator ist ganz euphorisch, landauf, landab verkündet er engagiert, es sei die Revolution ausgebrochen. So etwas war noch nie da. Und bei manchen, die nicht so richtig genau hingucken, habe ich das Gefühl, sie glauben das sogar. Ich möchte ein bisschen Wasser in den Wein schütten und empfehle allen, auf dem Teppich zu bleiben.
In einer Hinsicht allerdings, Herr Senator, kann ich Ihre Begeisterung verstehen, ja sogar nachvollziehen, das Gesetz wird nämlich endlich verabschiedet. Fünf Jahre Diskussion sind genug, da bin ich ganz Ihrer Meinung, dass wir dieses Ding heute verabschieden, ist völlig in Ordnung.
Es gibt weitere positive Ansätze, die ich zunächst nennen möchte. Das sind die Reformen, die im Übrigen die Liberalen seit langem gefordert haben. Da ist es höchste Eisenbahn, dass sie endlich angegangen werden: die vorgezogene Einschulung. Auch hier, bitte ich, ein bisschen auf dem Teppich zu bleiben. Das Durchschnittsalter senkt sich jetzt von 6,9 auf 6,2 Jahre. Das sind Ihre eigenen Zahlen, Herr Senator, nicht so üppig!