Aber vielleicht haben wir im Ausschuss auch noch einmal die Möglichkeit, uns etwas sachlicher dazu zu verständigen.
Im Zusammenhang mit der Großen Anfrage möchte ich erstens etwas zur Ausgangslage sagen: 1995 haben die Berliner Bezirke laut Jugendstatistik ca. 639 Millionen DM ausgegeben. 2002 waren es bereits 452 Millionen €. Das hat eine Steigerung von 41 % ergeben. Ende des 3. Quartals 2002 befanden sich ca. 3,1 % der jugendlichen Bevölkerung Berlins unter 21 Jahren in Maßnahmen der Hilfen zur Erziehung. Das waren 21 810 Fälle im Verhältnis zu einer Gesamtbevölkerung dieser Altersgruppe von knapp 710 000. Für diese 3,1 % gaben die Berliner
Welche Maßnahmen wurden eingeleitet? – Auch dazu wurde heute schon teilweise informiert. Als in der Koalitionsvereinbarung quasi als Notbremse festgelegt wurde, dass die Ausgaben für die Hilfen zur Erziehung im Jahr 2002 um 33 Millionen € und im Jahr 2003 um weitere 50 Millionen € abzusenken seien, gab es zunächst viel Protest – aus meiner Sicht zu Recht –, denn die entsprechenden Steuerungsinstrumente waren dafür nicht geschaffen. Die Vorgaben erwiesen sich daher folgerichtig auch als unrealistisch. Ich erinnere daran, 2002 wurden die Einsparvorgaben nicht nur nicht erreicht, sondern die Ausgaben stiegen auch um weitere 10 Millionen € an. Es hat sich als richtig und wichtig erwiesen, dass der Senat in dieser Situation den Prozess der Qualifizierung der Hilfen und der Steuerung der Ausgaben gemeinsam mit den Bezirken in Angriff genommen hat.
Bezirke insgesamt 452 Millionen € aus. Das ist ca. ein Drittel des gesamten Jugendhilfeetats von Land und Bezirken. Für die allgemeine Förderung junger Menschen dagegen waren nur ca. 100 Millionen € vorhanden. Nach einem Ländervergleich des Statistischen Landesamtes liegt Berlin mit 109 Fällen der Hilfen außerhalb des Elternhauses pro 10 000 jugendliche Einwohner bundesweit an der Spitze. Der bundesdeutsche Durchschnitt liegt bei 58 Fällen. In Hamburg sind es 57 und in Bremen 66 Fälle. Das sind schon beeindruckende Zahlen. Die kann man noch weiter fortsetzen. Sie signalisieren in aller Anschaulichkeit, dass Berlin nicht nur ein finanzielles Problem hat, sondern auch ein fachliches.
Um die Ursachen dieser Entwicklung zu ermitteln, sind genaue Analysen notwendig. Es ist unbestritten, dass sich die Lebenssituation junger Menschen auch in Berlin verschlechtert hat. Wir konstatieren anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und Ausbildungsplatzmangel, eine zunehmend schwierigere soziale Situation der Familien mit Kindern und eine Zunahme von Multiproblemlagen. Fachlich unstrittig war und ist aber auch, dass die Ausgabenentwicklung im Bereich der Hilfen zur Erziehung in Berlin überdurchschnittlich und in keinem Verhältnis zur demographischen Entwicklung und zu den unbestritten wachsenden Problemlagen junger Menschen steht. Dass Auswahl und Einsatz von Hilfen zur Erziehung in den Bezirken sehr unterschiedlich gehandhabt werden und dass ein fachliches Controlling unzureichend entwickelt ist, das unter anderem die Wirkung der eingesetzten Hilfen prüft und steuert, ist unstrittig, auch, dass die Datenlage in den Bezirken sehr unterschiedlich und insgesamt noch nicht ausreichend ist und dass es im Rahmen der vorhandenen Finanzierungsinstrumente an Möglichkeiten fehlt, flexibel und unter Berücksichtigung des individuellen Bedarfs der Betroffenen Angebote zu unterbreiten. Auf all diese Fakten hat bereits der erste Berliner Kinder- und Jugendbericht hingewiesen. Fazit: Die Entscheidung zur Umsteuerung war und ist alternativlos. Sie ist keine Notwendigkeit, die sich allein auf den Zwang zum Sparen gründet.
Die Umsteuerung ist auch fachlich geboten – der Senator hat das dargestellt –, nicht zuletzt wegen der großen Diskrepanz zwischen dem Anstieg der intervenierenden Hilfen und den Ausgaben für allgemeine Förderung und Prävention.
Welche Zielstellung hatte das Umsteuern? – Nach dem Kinder- und Jungendhilfegesetz gibt es einen individuellen Rechtsanspruch auf Hilfen zur Erziehung. Das ist unstrittig. Steuerungsrelevant jedoch ist, dass diese Hilfe, die erteilt wird, nach Art, Umfang und Dauer unbestimmt ist. Es bedarf in jedem Fall der Beurteilung durch sozialpädagogische Fachkräfte, die gemeinsam mit den Betroffenen und im Rahmen eines Hilfeplanverfahrens die richtige Hilfe bestimmen. Zielstellung des Umsteuerns muss es aus meiner Sicht sein, jedem Kind, Jugendlichen und jeder Familie, die notwendige und richtige Hilfe zu gewähren und dabei dennoch auf das Geld zu achten und
Es sind zwei Dinge, die sich aus meiner Sicht nicht ausschließen, wie oft unterstellt wird. Mit dem Ziel und Leitbild der Hilfen zur Erziehung gibt es in Berlin auch dazu eine gute fachliche Grundlage.
Bereits im Frühjahr 2002 bildete sich eine gemeinsame Ad-hoc-Arbeitsgruppe, deren Wirken mittlerweile in etlichen Berichten an das Abgeordnetenhaus kommentiert wird. Diese Arbeitsgruppe hat in Berlin Enormes geleistet. Ich erinnere insbesondere an die Ergebnisdokumentation Hilfen zur Erziehung, die die Sofortmaßnahmen bis Ende 2002 in neuen Arbeitspaketen detailliert erfasste. Viel ist seitdem geschehen und auch auf den Weg gebracht worden. Das darf man doch wohl einmal anerkennen.
Das sind zum Teil längst überfällig Maßnahmen. – Und jetzt meine ich auch Sie, meine Damen und Herren von der CDU, denn Sie haben auch eine Aktie daran, dass vieles jahrelang verschleppt wurde.
Das ist nicht zuletzt eine Ursache für das Dilemma, das wir heute zu klären haben. Der Prozess der Umsteuerung wird in Berlin komplex in Angriff genommen, und ich bin sehr froh darüber. Es geht nicht nur darum, die Rechtsvorschriften an die veränderte Lebenssituation anzupassen, ich könnte das jetzt weiter aufzählen bis hin zu den Standardüberprüfungen, die auch von Herrn Steuer gefordert worden sind. Im Übrigen gibt es ein Schreiben – rote Nr. 1547 –, wo man einiges konkret zu den Standards nachlesen kann.
Außerdem gehe ich davon aus, dass die jugendpolitischen Sprecher, die alle im Landesjugendhilfeausschuss vertreten sind, dort regelmäßig informiert werden und auch die Möglichkeit haben, sich dort weiter über diese Dinge
Die Diskussion zeigt, dass es eine starke finanzpolitische Seite gibt und eine fachliche Seite, die versucht, sich an die Oberfläche zu kämpfen, es aber nicht immer ganz schafft: Die hohen Ausgaben in den Bezirken – Frau Barth hat sie angesprochen –, die hohe Anzahl an Jugendlichen, die Hilfen zur Erziehung in Anspruch nehmen, die Vielfalt des Angebots, das alles hat Herrn Sarrazins Blick sich sofort auf diese Hilfen richten lassen. Es entstanden hohe Sparbegehrlichkeiten, die den Bezirken vorgelegt wurden.
Diese hohen Sparvorgaben haben die Jugendstadträte noch abgewendet mit einem eigenen Modell. Der Kompromiss ist jedoch teuer erkauft worden. Trotz Kürzungen über 10 Prozent – das ist richtig viel, 10 Prozent des Etats haben die Stadträte freiwillig gekürzt! – stehen immer noch massive Kürzungen in den Bezirkshaushalten an. Die Zahlen zeigen es deutlich, es wird gespart. Das ist per se erst einmal nicht schlecht. Aber das Problem ist, dass flächendeckend bei allen Hilfen gespart wird. Das gefährdet den individuellen gesetzlichen Rechtsanspruch und ist wahrlich keine Strukturreform, Herr Böger. Mit anderen Worten: In der Jugendhilfe droht ungebremstes Abwärtssparen. Wir sind keineswegs in dieser wunderbaren Schönen-Jugendhilfe-Welt, die Sie uns hier vorgemalt haben, Herr Böger. Sie sparen, und keiner merkt es, das war Ihre Botschaft. Schön wäre es, kann ich dazu nur sagen!
informieren zu lassen. Das alles zeigt, wie ziel- und planmäßig gearbeitet wird und nicht, wie die CDU unterstellt hat, dass Ziel- und Planlosigkeit in diesem Prozess herrschen.
Es ist festzustellen, dass alle Bezirke, egal welches Parteibuch der zuständige Stadtrat oder die Stadträtin haben, energisch und zielorientiert darauf hinwirken, dass bei Wahrung der Leistungsansprüche der Betroffenen auf Qualität und Geld geachtet wird.
Letztlich muss vor Ort der Beweis angetreten werden, dass sich Kostenbewusstsein, Qualität und Hilfegewährung nicht ausschließen. Das heißt nicht, dass es auch Fälle gibt, wo eine Hilfeentscheidung strittig ist. Dafür gab und gibt es Mechanismen bis hin zur gerichtlichen Prüfung, die gewährleisten, dass die Rechte der Betroffenen gewahrt werden. Ein Beispiel für das bezirkliche Engagement bei der Führung des Prozesses ist aus meiner Sicht das gemeinsam von Senat und Bezirken erarbeitete Zuweisungsmodell für die Haushaltsjahre 2004 und 2005. Nach fachlichen und sozialstrukturellen Kriterien und auf der Basis des Leitbildes für das Jugendamt und der Sozialraumorientierung wurde ein wichtiger Rahmen für die weitere Entwicklung in diesem Bereich gesetzt.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen: Auch das Zusammenwirken mit den freien Trägern ist in diesem Prozess notwendig.
Wenn die Liga in diesem Zusammenhang Defizite beklagt hat, dann ist das weiter zu klären. Dazu sind wir auch da. Das werden wir uns auch weiter mit der Liga gemeinsam, ob im Jugendhilfeausschuss oder sonst wo, vornehmen.
Ich möchte zum Schluss sagen, das Problem der Aufgabenentwicklung im Bereich der Hilfen zur Erziehung ist keineswegs ein alleiniges Problem der Jugendhilfe. Es bedarf ressortübergreifender Anstrengung, um die Ursache der Problemlagen junger Menschen und ihrer Familien anzugehen. Ein auskömmliches Familieneinkommen, Ausbildung und Arbeit, gute Beratung und sinnvolle Freizeitangebote sind immer die beste Art der Prävention. Das ist nicht nur wichtig für die Kinder und Jugendlichen, das ist auch finanzpolitisch vernünftig. – Danke schön!
Danke schön, Frau Dr. Barth! – Das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nunmehr Frau Pop. – Bitte schön, Frau Pop!
die Reden der Koalition und die Reden von Herrn Böger ähnelten sich stark. Ich hatte den Eindruck, da gab es nur ein Redemanuskript, das nur leicht variiert worden ist.
[Beifall bei den Grünen – Frau Dr. Klotz (Grüne): Wir wissen alle, wer es geschrieben hat! – Weitere Zurufe]
Nach den aktuellen Zahlen der Finanzverwaltung haben die Bezirke schon über ihre Vorgaben hinaus gekürzt. Sie, Herr Böger, servieren uns das als gute Nachricht und sagen, die Strukturreform hätte bereits gegriffen. Das Problem ist allerdings, dass es noch gar keine Strukturreform gab.
Wir haben immer gesagt – und Sie haben sich dem angeschlossen –: Der erste Grundsatz jeglicher Strukturreform heißt ambulant vor stationär. Doch Sie haben die Umsteuerung von den starren stationären Hilfen zu den flexiblen ambulanten Hilfen bislang überhaupt nicht hinbekommen.
In einzelnen Bezirken, die suchen Sie offensichtlich mit der Lupe, Frau Barth. – Die Zahlen zeigen es deutlich: Es wird in allen Hilfearten gekürzt und am meisten bei den ambulanten Hilfen. Mit über 20 % Kürzungen trägt dieser Bereich den Großteil dieser Kürzungen und damit fast den
Sozialraumorientierung an dieser Stelle bedeutet einen Paradigmenwechsel in der Jugendhilfe. Sie zielt auf die Aktivierung des Einzelnen, auf die Stärkung der Eigenverantwortung und die Einbeziehung der Ressourcen im Sozialraum ab. Zu diesen zählen – weil viel danach gefragt wird – die klassischen sozialen Netzwerke wie Familie, Nachbarschaft, Clique oder Verein. In der Sozialraumorientierung richtet sich der Blick eben auf alle Hilfen und Angebote, nicht nur auf die professionellen Hilfen des Jugendamtes. An Bedeutung gewinnen die ehrenamtlichen und freiwilligen, ja sogar die kommerziellen Angebote.
Das bedeutet, dass sich künftig die erzieherischen Hilfen nicht länger an den Paragraphen, an der bürokratischen Logik orientieren sollen, sondern an den individuellen Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen.
Manche Bezirke – das ist auch angesprochen worden – haben sich bereits auf den Weg gemacht. Sie folgen den Grundsätzen der Sozialraumorientierung – aber die Bezirke einzeln für sich und auf sehr unterschiedlichen Wegen, was zu einer Gefährdung der Einheit der Jugendhilfe führt, weil es keine Steuerung und leider auch keine politischen Vorgaben gibt. Es gibt keine politische Unterstützung dieses Prozesses, und der zuständige Senator ist lieber Bildungssenator statt Jugendsenator. Das merkt man, Herr Böger.
doppelten Anteil der Heimunterbringung, die nur mit knapp 12 % dabei ist. Es gibt sogar einzelne Bezirke – die ich jetzt nicht nennen möchte –, die bei den ambulanten Hilfen fast 50 % gekürzt haben. Das, was Sie hier machen, ist kein Umsteuern, sondern ein zielloses Herumrudern.