Protokoll der Sitzung vom 01.04.2004

Berlin ist die Stadt, in der es für Frauen, nämlich denjenigen aus dem Ostteil der Stadt, selbstverständlich ist, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, oder wie es so schön in einer erst kürzlich veröffentlichen Untersuchung heißt: „Die Erwerbsneigung der Frauen ist ungebrochen.“ – Es gibt Frauen, die sich nicht als Rabenmütter fühlen, wenn sie ihre Kinder im Kindergarten unterbringen und die sich mit ihren Männern ganz selbstverständlich Familien-, Haus- und Erwerbsarbeit teilen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass die jungen Frauen, die bestausgebildetsten Frauen seit je, dem Arbeitsmarkt und der Wirtschaft vorenthalten werden.

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Ich schließe meine Rede mit einem Zitat von Irene Joliot-Curie, der Tochter von Marie Curie und Nobelpreisträgerin. Sie hat das Recht der Frau auf Berufstätigkeit die wichtigste Errungenschaft des letzten Jahrhunderts genannt. – Jetzt müssen wir für die gleichberechtigte Berufstätigkeit der Frau sorgen. – Danke, für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Danke schön, Frau Kollegin Baba! Für die Beantwortung hat nun Herr Senator Wolf das Wort – bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben Ihnen eine ausführliche schriftliche Antwort zukommen lassen.

Schriftliche Beantwortung der Großen Anfrage durch Bm Wolf vom 31. März 2004

Die herkömmliche Wirtschaftspolitik wird nach wie

vor von dem Leitbild des scheinbar geschlechtsneutralen „homo oeconomicus“ geprägt. In Wirtschaftspolitik und -wissenschaft wird die Förderung der Chancengleichheit von Frauen oder die Integration von Gender-Mainstreaming – wenn sie überhaupt eine Rolle spielen – im Zusammenhang mit arbeitsmarktpolitischen Fragen thematisiert. Beispielsweise in der Steuer- oder Geldpolitik und auch in der Wirtschaftsförderung werden Geschlechterfragen nicht einmal im Ansatz thematisiert und meist als irrelevant betrachtet. Vielmehr wird von der These ausgegangen „Eine gute Wirtschaftspolitik ist für alle gut“!

Die ökonomische Eigenständigkeit und damit die

persönliche Unabhängigkeit von Frauen ist aber eines der wichtigsten Ziele von Geschlechterpolitik überhaupt. Zur Erreichung dieses Ziels ist die enge Verzahnung von Wirtschaftspolitik und Arbeitsmarktpolitik mit der Frauenpolitik, so wie sie mit der erstmaligen Kombination dieser Themen in einem ministeriellen Ressort hier in Berlin geschaffen wurde, eine große Chance und eine große Herausforderung.

Unsichere, schlechter bezahlte Arbeitsplätze in einem

engen Berufsspektrum, geringere Aufstiegschancen und die geringe Repräsentanz in Führungspositionen kennzeichnen die Situation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt ebenso wie die diskontinuierlichen Erwerbsbiographien mit Unterbrechungen und Arbeitszeitreduzierungen für gesellschaftlich bedeutsame Aufgaben für Kindererziehung und Pflege. Auch im 21.Jahrhundert liegt in der Bundesrepublik Deutschland das durchschnittliche Einkommen von Frauen mit Vollzeitbeschäftigung rund ein Drittel niedriger als das von Männern.

Eine Änderung dieser Verhältnisse ist eine gesamtge

sellschaftliche Aufgabe, die nur durch eine enge Kooperation von Politik, Wissenschaft, Verbänden und Unternehmen erreicht werden kann. Mittlerweile sind die Handlungsfelder für eine geschlechtergerechte Politik in diesen Bereichen identifiziert, auch wenn noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden muss. Die Orientierung auf Maßnahmen der Infrastrukturförderung und die Bedeutung der Schaffung von Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln von Unternehmen und wirtschaftlich Tätigen sind ebenso unstrittig wie die verfassungsmäßigen Vorgaben, nach denen der Staat aktiv auf den Abbau bestehender Benachteiligungen von Frauen hinwirken muss. Beides gilt es, effektiv miteinander zu verbinden.

Die bisherigen Erfahrungen beim Umbau von Wirt

schaftssystemen in Folge der weltweiten Globalisierung stellt Chancengleichheitspolitik vor neue und noch größere Herausforderungen. Hier lässt die wissenschaftspolitische Fundierung der Auswirkungen dieser Prozesse auf die ökonomische Situation von Frauen noch viele Fragen offen In Berlin können wir dazu auf die Kooperation mit dem Harriet-Taylor-Mill-Institut für Ökonomie und Geschlechterforschung an der Fachhochschule für Wirtschaft, als erstes und bislang einziges Institut an einer wirtschaftswissenschaftlichen Hochschule, das sich diesen Themen gezielt widmet, zurückgreifen.

Ziele der Förderung der Chancengleichheit von Frauen in der Berliner Wirtschaftspolitik

Zu 1 und 2: Die Förderung der Chancengleichheit von

Frauen in der Wirtschaft setzt eine enge Verzahnung von Frauen-, Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, sowie (Aus-)Bildungspolitik voraus. Frauenförderung und Gender-Mainstreaming leisten dabei einen unverzichtbaren Beitrag zu einer innovativen und chancengerechten Strukturpolitik. Die Berliner Unternehmen werden dabei unterstützt, die Potentiale der weiblichen Berliner Beschäftigten besser zu nutzen, bestehende Diskriminierungen und Vorurteile abzubauen.

Das Ziel „Geschlechtergerechtigkeit“ wird in alle

Maßnahmen der Wirtschaftsförderung integriert. Das bedeutet im Sinne der Doppelstrategie des GenderMainstreamings, die bestehenden Maßnahmen zu überprüfen und ggf. so zu verändern, dass sie für Frauen und Männer gleichermaßen attraktiv sind. Die bestehenden Maßnahmen, die sich gezielt an Frauen richten und bestehende Lücken und Defizite im Angebot ausfüllen, bleiben dabei erhalten. So bereits ist in den Förderbedingungen für die Förderung der gewerblichen Investitionen in Berlin auf Grundlage der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GA) festgelegt, dass im Rahmen der Höchstfördersätze ein besonderer Zuschuss in Höhe von 5 000 € für jeden Frauenarbeitsplatz gezahlt werden kann, wenn neu geschaffene, hoch qualifizierte Dauerarbeitsplätze mit Frauen besetzt werden.

Im Rahmen der Standortpolitik ist die vergleichsweise

gute Infrastruktur im Bereich der Kinderbetreuung ein wichtiger Standortvorteil bei der Ansiedlungspolitik. Das Land Berlin setzt hier einen klaren Schwerpunkt und bietet so im Vergleich mit den anderen Bundesländern gute Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Zu 3: Im Februar 2004 fand ein Workshop statt, bei

dem mit den Vertreterinnen der Wirtschafts- und Sozialpartner sowie der Frauenverbände und -organisationen, die im Themenbereich Frauen und Wirtschaft aktiv sind, eine erste Diskussion geführt wurde. Dabei wurden zahlreiche Themen angesprochen, die weiter intensiv und teilweise kontrovers diskutiert werden. Darüber hinaus haben alle Beteiligen ihre Planungen von Aktivitäten für das Jahr 2004 vorgestellt, und Themenbereiche für gemeinsame Aktivitäten identifiziert.

Fördermöglichkeiten durch neue Verwaltungs-Strukturen

Zu 1: Mit der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit

und Frauen wurde erstmals in der Bundesrepublik ein solcher Ressortzuschnitt realisiert. Die regelmäßige Zusammenarbeit führt zu verbesserter gegenseitiger Information und größerer Transparenz sowie zu einer zielgenaueren Abstimmung und Berücksichtigung der jeweils anderen Fachinteressen. Mit dem Gender-MainstreamingPilotprojekt „Gendern des Wirtschafts- und Arbeitsmarktberichts“ werden darüber hinaus die Grundlagen für Veränderungen der Förderstrukturen geschaffen. Die Personalunion der Ämter des Wirtschafts- und Frauensenators eröffnet auch im Bereich der öffentlich-rechtlichen Unternehmen verbesserte Chancen zur Frauenförderung.

Zu 2: Das im März 2003 gestartete neunmonatige

Modellprojekt „Mit Mentoring in Führung gehen!“ wurde von der Abteilung Frauen der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen initiiert und von der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft e.V. (EAF) in Zusammenarbeit mit dem Institut für Verwaltungsmanagement an der

Verwaltungsakademie Berlin (IVM) durchgeführt. Für dieses Mentoringprogramm wurden 17 Mentees aus verschiedenen Berliner Verwaltungsbereichen ausgewählt und den insgesamt 17 Mentorinnen und Mentoren (10 Frauen, 7 Männer) aus der Berliner Verwaltung und Politik, aus Bundesbehörden und aus renommierten Wirtschaftsunternehmen (Siemens AG, Deutsche Bahn AG, Daimler Chrysler AG, Vivantes GmbH, DB

Dienstleistungen GmbH) zugeordnet. Mit dem

erfolgreichen Abschluss des Programms im November 2003 wurde ein eindeutig positives Signal für die Chancengleichheitspolitik im Land Berlin gegeben. Mit dem Mentoringprogramm wurden wichtige Impulse für die Weiterentwicklung und Leistungsverbesserung der Verwaltung gegeben Das in der Berliner Verwaltung vorhandene Potential an weiblichen Leistungsträgern wurde durch die Qualifizierung und Motivierung gestärkt. Durch die Einbeziehung von Vertreterinnen und Vertre

tern aus Wirtschaftsunternehmen wurde der Erfahrungs- und Wissensaustausch zwischen angehenden Führungskräften aus der Verwaltung und aus Berliner Unternehmen zielgerichtet gefördert. Wichtige Akteure und Multiplikatoren wurden durch das Programm mit Mentoring als Methode der Personalentwicklung bekannt gemacht und für gleichstellungspolitische Fragen sensibilisiert.

Zu 3 und 4: Im Rahmen der Pilotphase des Gender

Mainstreaming (GM)-Prozesses wurden in der

Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen sowie den Bezirksämtern Marzahn-Hellersdorf, Pankow und Tempelhof-Schöneberg seit Sommer 2003

wirtschaftsbezogene GM-Projekte gestartet. Die einzelnen Pilotprojekte spiegeln die Vielfalt des Themas GenderMainstreaming in der Wirtschaftspolitik wider:

Im Pilotprojekt der Senatsverwaltung für Wirtschaft,

Arbeit und Frauen steht die Implementierung des Gender-Mainstreamings in den Wirtschafts- und Arbeitsmarktbericht 2004 im Fokus. Der Wirtschafts- und Arbeitsmarktbericht bildet die zentralen Politikfelder des Hauses für das jeweils zurückliegende Jahr ab und zeigt gleichzeitig kurz- und mittelfristige wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Handlungsperspektiven auf. Eine ca. 20-köpfige Arbeitsgruppe mit Mitgliedern aus allen Abteilungen analysiert seit Herbst 2003 die einzelnen wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Themenbereiche. Die „Schaffung von Transparenz“ erstreckt sich von der Analyse des bedeutendsten Regionalförderprogramms – der

Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur – über die Innovationsförderprogramme (z. B. Innovationsassistent/-in, Technologiecoaching Center) bis hin zur Meistergründungsprämie. Der Bericht wird im 2. Quartal 2004 fertiggestellt. In der zweiten Projektphase werden die hier gewonnenen Erkenntnisse über die teilweise ungleichgewichtigen geschlechtsspezifischen Wirkungen einzelner Maßnahmen im Hinblick auf mögliche Bestimmungsgründe untersucht, um abschließend Lösungsstrategien zur Implementierung des Gender-Mainstreaming

Aspektes in die bestehenden Programme zu formulieren.

Der „gegenderte“ Jahresbericht des Bezirksamtes

Marzahn-Hellersdorf wird demnächst dem Bezirksamt zur Beschlussfassung vorgelegt. Genderspezifische Aspekte wurden durchgehend in der Analy

se/Berichterstattung berücksichtigt. Quantifizierbare Genderangaben konnten zu folgenden Schwerpunktthemen erfasst und dargelegt werden:

a. Bevölkerungsentwicklung,

b. Gewerbeanzeigen/-entwicklung,

c. Arbeitsmarktentwicklung,

d. Ausbildungsstellenproblematik,

e. Unternehmensbetreuung,