Protokoll der Sitzung vom 29.04.2004

Beide Firmen setzen auf die Lage Berlins und auf die Kontakte, die es nun einmal in Berlin in Richtung Mittel- und Osteuropa gibt. Berlin kann als Sprungbrett sowohl gen Osten als auch gen Westen dienen.

Und aus aktuellem Anlass füge ich hinzu: Wir begrüßen ausdrücklich das Engagement von polnischen Firmen, die schon in Berlin sind, und wir rollen den roten Teppich für all jene aus, die sich mit dem Gedanken tragen, nach Berlin zu kommen. Dies gilt selbstverständlich für alle Länder. Ich freue mich, dass es keine Einbahnstraße mehr ist, sondern auch mehr und mehr Unternehmen aus Mittel- und Osteuropa in Berlin investieren.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Wir sollten uns an die Fakten halten: Die Öffnung der mittel- und osteuropäischen Märkte hat in der bestehenden Europäischen Union mehr Arbeitsplätze geschaffen, als verlagert wurden. Auch für Mittelständler ergeben sich neue Absatzmöglichkeiten, und das hilft, auch Arbeitsplätze in Berlin zu schaffen. Die EU ist ja gerade ein Mittel, um gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Die Beitrittsverhandlungen wurden genutzt, um steuerpolitischen Wildwuchs zu beschneiden. Steuerdumping wird durch die EU erschwert, und das bedeutet, dass sich die Lage ab dem 1. Mai verbessert und nicht verschlechtert. Wenn sich manche über Steuergesetzgebung in den neuen Ländern aufregen – auch im westeuropäischen Bereich haben wir unterschiedliche Voraussetzungen. Dies sollten wir nicht vergessen.

Wir alle wissen, dass die Erweiterung der Europäischen Union auch Anpassungsprobleme mit sich bringt. So liegt der Stundenlohn in Deutschland um ein vielfaches höher als in den Beitrittsstaaten. Die Angst vor einem verbreiteten Lohndumping ist dennoch unbegründet. Es gibt erstens Übergangsfristen bei der Öffnung unseres Arbeitsmarktes. Zum anderen ist klar: Die mittel- und osteuropäischen Volkswirtschaften wachsen, die jungen qualifizierten Kräfte sitzen keineswegs auf den gepackten Koffern – im Gegenteil, sie wollen ihr Land voranbringen. Das war bei den Iren, den Spaniern und den Portugiesen so, und das ist auch jetzt bei den Polen, Tschechen, und Ungarn nicht anders.

Vor kurzem hat das renommierte Londoner Forschungsinstitut CEPR eine Studie veröffentlicht, wonach die Osterweiterung zu erstaunlich wenig Jobverlagerungen führen wird. So haben deutsche Firmen in den vergangenen 10 Jahren zwar 460 000 Stellen in Mittel- und Osteuropa geschaffen, die meisten davon aber beruhten nicht auf Produktionsverlagerungen, wie immer wieder

RBm Wowereit

Mit dem Mittel- und Osteuropabeauftragen Dr. Wolfram Martinsen hat der Senat einen kompetenten Ansprechpartner für alle Wirtschaftsfragen, der Projekte initiiert und die Kontakte einzelner Wirtschaftszweige koordiniert.

Wichtig ist, dass Europa nicht allein den EUFachleuten überlassen wird. Ich bin daher froh, dass sich ein Netzwerk von EU-Fachleuten in den Verwaltungen gebildet hat, die dafür sorgen, dass Fachpolitik mit Europapolitik verknüpft wird. Und es ist gut, dass fast alle Bezirke EU-Referenten eingesetzt haben. Sie stärken die Europafähigkeit der Berliner Verwaltung.

Sprachkompetenz ist eine Schlüsselqualifikation. Deshalb bietet die Verwaltungsakademie Brandenburg jetzt einen Polnisch-Intensivkurs an, und ich werbe für eine rege Beteiligung der Berliner Kolleginnen und Kollegen.

Noch ein letzter Punkt, der die Europafähigkeit betrifft. Berlin ist mit 36 Berliner Twinning-Beteiligungen bundesweit führend. Wir begründen damit strategische Partnerschaften, die weit in die Zukunft reichen.

Ich freue mich, dass Europa inzwischen zu einem Thema der Medien geworden ist. Die vielen Informationen, die wir in den letzten Tagen und heute und sicherlihc noch bis zum 1. Mai lesen können, sind hoffentlich nicht nur ein Strohfeuer. Bis vor kurzem war es noch anders. Es war nicht das zentrale Thema in der öffentlichen Diskussion.

behauptet wird, sondern auf der Erschließung neuer Märkte.

Und noch ein weiteres Ergebnis der Studie: Es sind vor allem hochwertige Stellen, die von einer möglichen Verlagerung betroffen sein werden. Der Grund dafür liegt nicht im Lohngefälle, sondern im Mangel an qualifizierten Fachkräften auch hierzulande. Warum sonst setzen sich gerade die Bürgermeister der Grenzstädte wie Frankfurt/Oder, Guben und Schwedt für eine Arbeitserlaubnis für Polen ein? – Alle drei Städte kämpfen gegen eine Arbeitslosenquote von mehr als 20 %, aber es fehlen Fachkräfte, so zum Beispiel in Krankenhäusern. Hier müssen wir flexibler werden. Der Berliner Senat setzt sich intensiv für vereinfachte Verfahren bei Arbeits-, Aufenthalts- und Gewerbegenehmigungen ein

[Vereinzelter Beifall bei der PDS]

und hat das Thema auf die Agenda der Wirtschaftsministerkonferenz gesetzt.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Damit bin ich bei dem, wo im engeren Sinne wir als Senat gefordert sind. Unser Ziel ist vor allem, Wissen und Kompetenzen zu bündeln und gezielt neue Kooperationen anzustoßen. Wir wollen die Profilierung der Berliner OstWest-Kompetenz in wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und kultureller Hinsicht, den Ausbau des Berliner Engagements in Mittel- und Osteuropa, und wir laden Investoren aus allen Teilen Europas dazu ein, Berlin als Plattform für ihre MOE-Aktivitäten zu nutzen.

Wir setzen klare geographische und inhaltliche Schwerpunkte, zum einen auf die Metropolenräume, insbesondere unsere Partnerstädte in Mittel- und Osteuropa. Gemeinsam mit Wien haben wir die Konferenz der Hauptstädte aus den Beitrittsländern ins Leben gerufen. Da ist ein wichtiger Kontakt entstanden, den wir regelmäßig pflegen, zum Beispiel im Rahmen der Bürgermeisterkonferenz kommende Woche. Auch die Besuche in fast allen Beitrittsländern haben ein dichtes Netz an Kontakten entstehen lassen.

Der zweite Schwerpunkt liegt in der engen Zusammenarbeit zwischen Berlin, Brandenburg und den westpolnischen Woiwodschaften. Heute ist Staatssekretär André Schmitz in Posen, um dort das trilaterale Arbeitsprogramm zu unterzeichnen. Unser Ziel ist, die ganze Region als einen eng vernetzten, wettbewerbsfähigen Wirtschaftsraum zu stärken.

Zu einer zielgerichteten Europapolitik gehören klare Zuständigkeiten. Berlin hat mit Staatssekretärin Monika Helbig eine Europabeauftragte, die sich mit hohem persönlichen Engagement um alle Belange der EUErweiterung kümmert und die die MOE-Aktivitäten des Senats koordiniert. Das nutzt dem Profil unserer Region. Monika Helbig möchte ich hier ausdrücklich für ihren Einsatz danken und ihr vor allem gute Besserung wünschen, dass sie uns bald wieder gesund zur Verfügung steht.

[Allgemeiner Beifall]

Es ist noch immer allgemein zu konstatieren: Wir stehen vielfach immer noch mit dem Rücken zum Osten, unser Blick geht nach Paris, London, New York, noch zu wenig nach Warschau oder Moskau. Das muss sich ändern. Dafür tragen auch die Medien eine Verantwortung. Ich hoffe, die derzeitige Vielfalt der Berichterstattung wird anhalten.

Wir müssen alle daran arbeiten, die Menschen für Europa zu gewinnen. Das ist eine Frage überzeugender Politik, aber auch von Öffentlichkeitsarbeit. Unsere Internetpräsenz haben wir mit MOEPlus und MOE-Business erheblich aufgewertet, und allein von April bis Juni finden 220 größere Veranstaltungen statt, mittendrin die Europawoche Anfang Mai.

Der Senat unterstützt Unternehmen auf ihrem Weg nach Mittel- und Osteuropa. Förderprogramme wie „Neue Märkte erschließen“ helfen dabei ebenso wie die engagierte Arbeit der Wirtschaftsförderung Berlin International, die Investoren aus Mittel- und Osteuropa bei der Ansiedlung unterstützt und zugleich Berliner Unternehmen beim Markteintritt in die Beitrittsstaaten berät.

Meine Reisen nach Mittel- und Osteuropa nutze ich ebenso wie jedes Senatsmitglied, um wirtschaftliche Ko

RBm Wowereit

Insgesamt muss es mehr werden. Berlin ist nicht nur für Polen – das ist unser direkter Nachbar –, sondern für alle Länder in Mittel- und Osteuropa Shopping- und Kulturmetropole attraktiv. Die Kaufkraft dort wächst. Deshalb wird Berlin in der Mitte Europas wesentlich an Bedeutung gewinnen. Dies muss gepflegt werden. Ich rufe deshalb die Berliner Hoteliers, Händler und Tourismusexperten auf: Bauen Sie Ihr Angebot für Gäste aus Mittel- und Osteuropa aus! – Und ich werde das Thema am „Runden Tisch Tourismus“ ansprechen. Die Märkte der Zukunft liegen nicht nur fern, sondern sind auch direkt vor unserer Haustür.

operationen anzuregen und die Kompetenz Berliner Unternehmen ins Gespräch zu bringen.

Wir müssen uns auf die Stärken Berlins konzentrieren. Das sind für unsere Region Bereiche wie die Bio- und Verkehrstechnologie oder die Kommunikations- und Medienwirtschaft. Hier ist in den nächsten Jahren das größte wirtschaftliche und wissenschaftliche Entwicklungspotenzial zu erwarten.

Eine dieser Stärken ist zweifellos auch Berlins Renommee als internationaler Messestandort. Die Messe Berlin hat ihre Aktivitäten mit Erfolg auf Mittel- und Osteuropa fokussiert, und Berlin wird im Messe- und Kongressbereich zunehmend als Schaufenster zwischen Ost- und Westeuropa wahrgenommen, das Unternehmen aus ganz Europa nach Berlin bringt.

Ein ganz zentrales Thema ist die Verkehrsinfrastruktur. Das Thema steht im Mittelpunkt unserer Zusammenarbeit mit Brandenburg und der Woiwodschaft GroßPolen. Mit der einzigen Bahn-Direktverbindung nach Stettin braucht man heute gut 2 Stunden. Das ist für eine Entfernung von 140 Kilometern entschieden zu lang. Immerhin ist die Strecke Berlin-Stettin nach gemeinsamen Anstrengungen von Berlin und Brandenburg in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen worden. Der bis 2008 geplante Ausbau bis Angermünde auf Tempo 160 ist ein wichtiger erster Schritt, aber Berlin-Stettin muss auch wieder eine richtige Fernverbindung werden, und das bedeutet langfristig dann auch eine Hochgeschwindigkeitsstrecke. Ähnliches gilt für die Strecken nach Breslau oder Posen.

[Beifall der Frau Abg. Matuschek (PDS)]

Sie können ruhig klatschen.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Auch die Autobahn nach Warschau verlangt dringend nach einem Ausbau. Wir wollen und werden die Abstimmung mit dem Bund, Polen und Brandenburg weiter intensivieren, damit aus Planungen und Forderungen endlich Realität wird. Wir können nicht vom Ende der europäischen Teilung reden, wenn schon vor den Grenzen die Langsamfahrt beginnt. Die Entwicklung der Infrastruktur auch Richtung Moskau und dem Baltikum ist für die wirtschaftliche Perspektive der Bundesrepublik Deutschland und Berlins einer der wesentlichen Punkte. Ich kann nicht verstehen, dass es nicht gelingt, in Kooperation mit mehreren Ländern mit Unterstützung der EU große Verkehrsprojekte auf den Weg zu bringen. Was wir jedes Jahr damit verloren geben, schadet der wirtschaftlichen Entwicklung nicht nur Berlins, sondern der gesamten Republik.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Natürlich hat eine bessere verkehrliche Infrastruktur auch mit Tourismusförderung zu tun. Allein im vergangenen Jahr stiegen 27 Polen in unseren Hotels ab. Das muss noch mehr werden. Berlin ist für Polen, aber auch für die Ungarn, für die Slowenen, für alle in Mittel- und Osteuropa – –

[Frau Sen Dr. Knake-Werner und Sen Dr. Körting: 27?]

Habe ich 27 gesagt? – Es müssen aber auch mehr als 27 000 werden.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

27 wären wirklich ein bisschen wenig gewesen.

[Heiterkeit]

Ein ganz wichtiges Potential ist die gut vernetzte Wissenschaftsszene Berlins. So ist Mittel- und Osteuropa ein Schwerpunkt an zahlreichen Berliner Wissenschaftseinrichtungen. Zur Zeit bestehen etwa 160 Kooperationsvereinbarungen zwischen Berliner Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen in MOE-Staaten bzw. der GUS. Und auch für Studierende aus Mittel- und Osteuropa ist Berlin überaus attraktiv. Allein mehr als 1 260 Polen studieren in Berlin. Das ist ein wichtiges Kapital: Wenn die Studenten von heute in den Beruf einsteigen, so werden sie ihre Kontakte in und nach Berlin nutzen. Berliner Unternehmen sollten sich um diese Studentinnen und Studenten bewerben, die ihre kulturellen und regionalen Kenntnisse bei der Erschließung neuer Märkte einbringen können.

Am Vorabend der europäischen Vereinigung hat sich Berlin gut positioniert. Ohne Frage bleibt aber auch noch vieles zu tun. Es geht auch hier um einen Mentalitätswechsel in der Stadt. Wir müssen uns noch mehr klar machen, was die EU-Erweiterung für unsere Stadt bedeutet: Aus einer Stadt am Rande der EU wird eine Stadt in der Mitte eines geeinten Europas. Aus lang beschworenen Perspektiven werden reale Chancen.

Der europäische Gedanke funktioniert nur, wenn er auch von den Menschen getragen wird. Der Senat unterstützt deshalb Begegnungen zwischen jungen Menschen aus Berlin und den Staaten Mittel- und Osteuropas. Das Interesse daran ist groß. Allein 58 Berliner Schulen pflegen Schulpartnerschaften mit polnischen Schulen. Und ich wünsche diesen Schulen viele Nachahmer.

Europa geht uns alle an. Deshalb rufe ich alle Berlinerinnen und Berliner auf: Gehen Sie am 13. Juni zur Europawahl! Zeigen Sie, dass Sie die Geschicke unseres Kontinents mitbestimmen wollen!

[Allgemeiner Beifall]

RBm Wowereit

Es ist – der Regierende Bürgermeister ist darauf bereits eingegangen – der richtige Zeitpunkt, sich die Dimension dieses Datums vor Augen zu halten. 15 Jahre nach dem Fall des eisernen Vorhangs – das ist eigentlich keine lange Zeit – sind aus ehemaligen Gegnern – obwohl sich eher die Systeme feindlich gegenüberstanden und nicht die Menschen – Freunde geworden, die sich zu gemeinsamen Werten bekennen und die ihre Zukunft gemeinsam gestalten wollen. Gerade in Berlin, einem Ort der Teilung und des Zusammenwachsens, wissen wir sowohl um die Euphorie bei einem Neubeginn als auch die