Protokoll der Sitzung vom 29.04.2004

Ich möchte an ein Beispiel erinnern: Das Land hat bis vor einigen Jahren die Genossenschaftsförderung betrieben, und daran wird besonders deutlich, wie Herr Strieder agiert hat. Es gab verschiedene Genossenschaften, wo sich Bürger zusammengefunden haben – gerade im Bereich der Großsiedlungsgebiete – und Verantwortung übernehmen wollten. Sie wollten sich um die Sanierung ihrer Häuser kümmern. Das zeigt, in welchem Maß Engagement investiert wird, damit sich die Lebensumstände dort bessern und den Menschen langfristig eine angenehme Wohnperspektive geboten wird. Aber hierbei hat Herr Strieder schlichtweg versagt, und erst mit Herrn Klemm und anderen ist es gelungen, den Genossenschaften ein Stück weit zu helfen. Weil aber Herr Ex-Senator Strieder nicht in der Lage war, ein klares Bild zu zeichnen, wohin er mit den einzelnen Gebieten in der Stadt will, sondern immer nur die Abrissbirne über allem kreiste, war selbstverständlich keine Bank bereit, für diese Genossenschaften irgendeinen Kredit zu geben. Das muss sich in der Zukunft dringend ändern, denn sonst geben wir in den Gebieten, die schon jetzt in der Erhebung nicht besonders gut dastehen, das weitere Signal: Hier wird nur abgebaut! – Das kann nicht zielführend sein. Damit verstärkt man nur die vorhandenen Abwärtstendenzen, wo anderes notwendig wäre.

Form zumindest hat das Quartiersmanagement kläglich versagt.

[Beifall bei der FDP]

Wir müssen uns darüber Gedanken machen, wie wir es weiterentwickeln können. Auch die FDP will nicht, dass wir Gebiete, die „auf der Kippe“ stehen, sich selbst überlassen. Es ist selbstverständlich, dass die Politik hier aktiv werden muss.

Aber das Quartiersmanagement in der heuten Form ist fehlkonstruiert. Da kann man Vergleiche zur Dienstleistungsindustrie ziehen, die sich um die Bundesagentur für Arbeit gebildet hat. Verdient wird nur an Problemen. Nehmen diese ab, fehlt die Einnahmequelle. Deshalb muss man das Quartiersmanagement auf eine andere Basis stellen.

Das Quartiersmanagement hat auch das Problem, dass man nicht diejenigen mitnehmen kann, die man eigentlich erreichen will. Es engagieren sich nur diejenigen für die Verbesserung der einzelnen Quartiere, die sich auch so schon engagieren, und diejenigen, die zu Hause sitzen, die resigniert haben, die sich von der Politik nicht angesprochen fühlen, die können wir darüber nicht erreichen. Mein Kollege Herr Lehmann hat schon einiges angesprochen und deutlich gemacht, dass beim Quartiersmanagement gerade nicht die sozialen Probleme gelöst werden. Die liegen vor allem in der Einnahmesituation der Bewohner, und diese lässt sich nur über verbesserte wirtschaftliche Rahmenbedingungen lösen.

[Beifall bei der FDP]

Auch die bessere Vernetzung, die Frau Knake-Werner mit allen Initiativen vor Ort machen will, ist zwar löblich, wird aber keine Besserung bringen. Ganz wichtig – und der Beitrag von Herrn Hoffmann war dabei durchaus hilfreich – ist die Frage, wie man es schafft, den Bewohnern der einzelnen Quartiere Perspektiven zu bieten, damit diese sich in dem Gebiet weiterhin wohl fühlen. Da hat der Senat in der Vergangenheit kläglich versagt. Herr Strieder ist zum Glück nicht mehr da, aber wenn man sich anschaut, was er mit dem Programm Stadtumbau Ost erreicht hat, stellt man fest, dass es das Gegenteil von dem ist, was sinnvoll ist. Wenn ihm etwas anderes als die Politik mit der Abrissbirne eingefallen wäre, wäre das sicherlich gerade für die Großsiedlungsgebiete im Ostteil der Stadt eine Hilfe gewesen. Aber stattdessen erfahren die Bürger z. B. in Marzahn-Nord – das ist eines der Gebiete, wo abgerissen wird – per Post, dass ihre Häuser zum Abriss bereit stehen, und zwar ohne dass sie vorher in Entscheidungsprozesse eingebunden waren. So kann man selbstverständlich keine Politik machen. Da kann man nur hoffen, dass mit der neuen Besetzung dieses Senatsressorts eine Besserung eintreten wird.

[Beifall bei der FDP]

Das sieht für einige Gebiete, die in der neuesten Erhebung nicht so gut abschneiden, nicht besonders vorteilhaft aus.

Ich komme zum Schluss, denn das Lämpchen hier vorn blinkt bereits: Selbstverständlich müsste der Senat als Schnittstellenfunktion eine Moderationsfunktion übernehmen. Gerade im Bereich der städtischen Wohnungsbaugesellschaften ist mit Sorge zu beobachten, dass bestimmte Separierungstendenzen bei der Vermietung eher verstärkt als abgebaut werden. Da fragt man sich, welche Ursachen das hat. Hier sollte das Land nicht vordringlich Druck ausüben, um die finanziell ausgebluteten Wohnungsbaugesellschaften zu zwingen, nur nach Kosten- und Einnahmegesichtspunkten zu agieren, sondern auch in Gesprächskreisen daran appellieren, die soziale Verantwortung für die Gebiete, die sie betreuen, wahrzunehmen und für eine aktive Durchmischung der Bevölkerung zu sorgen.

Herr Kollege! Der gute Wille zum Schluss ersetzt nicht den Schluss!

Es gibt eine Fülle von Programmen – die Fachdiskussion hat sie uns wunderbar aufgefächert –, und zwar angefangen beim Quartiersmanagement, was immer wieder kritisiert wird, über die bezirklichen Beschäftigungsbündnisse, das lokale soziale Kapital der Stadtteilzentren – ja, ich zähle sie alle auf –, die lokale Agenda bis hin zur So

zialraumorientierung. Diese vielen Programme und Projekte wurden von verschiedenen Verwaltungen initiiert und laufen nebeneinander her, werden aber kaum miteinander in Einklang gebracht.

Frau Kollegin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Liebich?

Zu den Ursachen der sozialen Misere ist schon einiges gesagt worden. Auf den Zusammenhang zwischen Armut und wachsender Arbeitslosigkeit ist oft hingewiesen worden, aber es ist mir zu einfach, wenn an dieser Stelle nur gesagt wird: Es ist überall so und deshalb in Berlin auch so. – Ich möchte darauf hinweisen, dass die anderen Großstädte in Deutschland eine entgegengesetzte Entwicklung durchmachen. In Köln, Stuttgart und Hamburg sinkt die Arbeitslosigkeit, und es werden Arbeitsplätze geschaffen. Berlin ist dabei hingegen wieder einmal im Minus und auf der schlechten Seite.

Ich komme sofort zum Ende! – Das passiert z. B. in Marzahn-Hellersdorf auch nicht. Hier muss der Senat aktiv werden, denn wenn die Rahmenbedingungen nicht gesetzt sind, dann wird alles scheitern, was an politischen Absichtserklärungen abgegeben wird. Hierbei hat der Senat bisher versagt und müsste dringend aktiv werden. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP – Lehmann (FDP): Bravo!]

Das Wort hat Frau Kollegin Pop. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das war bislang eine absolute Fachdiskussion. Von Betroffenheit bis Schönreden war wieder einmal alles dabei, und über Statistik haben wir auch viel gelernt. Aber Fakt ist: Unter Rot-Rot – und das hat noch keiner so deutlich ausgesprochen – entwickelt sich Berlin wieder zu einer geteilten Stadt. Diesmal ist es Geld und kein Beton, was die Menschen in der Stadt trennt. Im Gegensatz zum letzten Sozialatlas 1999 geht es den Berlinerinnen und Berlinern im Durchschnitt aller Werte schlechter. Das ist eine verheerende Entwicklung gerade unter einer rot-roten Regierung, die sich – wie kaum eine andere Regierung – soziale Gerechtigkeit auf die Fahnen geschrieben hat.

[Liebich (PDS): Mit der Bundesregierung haben wir nichts zu tun! Alles Rot-Rot!]

Da kommt schon die Reaktion. Wunderbar!

[Liebich (PDS): Das ist Ironie!]

In Ihrer Regierungszeit, Herr Liebich, ist die soziale Spaltung der Stadt noch größer geworden.

[Beifall des Abg. Hoffmann (CDU)]

Neben den bekannten Problemkiezen Wedding, Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg rutschen immer mehr Kieze im Osten der Stadt nach unten. Jetzt sollten Sie vielleicht einmal zuhören, Herr Liebich, denn das sollte gerade der PDS zu denken geben.

[Beifall bei den Grünen – Beifall des Abg. Hoffmann (CDU) – Doering (PDS): Haben Sie gesehen, von wann diese Daten sind? – 1998 bis 2002! – Weitere Zurufe von der PDS]

Ingesamt leben über eine halbe Million Menschen in Berlin von weniger als 600 € im Monat. Die Realität vieler Berliner findet weniger auf dem roten Teppich statt, Herr Wowereit, sondern zwischen Arbeitsamt, Schuldnerberatung und der Trinkhalle – leider.

[Pewestorff (PDS): Sie lässt keine Plattheit aus!]

[Beifall bei den Grünen und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Abg. Liebich (PDS) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Statt Steuerungsrunden und Arbeitskreisen, die Sie immer wieder gern einrichten, brauchten Sie eine klare Bündelung dieser Programme und der Gelder.

Nein! Ich habe dafür leider keine Zeit.

[Doering (PDS): Warum nicht?]

Eine aktive Arbeitsmarktpolitik und die Förderung von Ausbildung müssen daher an vorderster Stelle stehen und sind dringende Aufgaben, die Sie erfüllen müssen. Dass Sie die Arbeitsmarktpolitik bei diesem Haushalt zum Sparschwein machen, ist ein Skandal. Ab dem Jahr 2005 sparen Sie dort zweistellige Millionensummen ein, und begründet wird das mit der Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe. Man wisse schließlich nicht, was dann komme, heißt es. – Dann muss man sich eben Gedanken machen, kann ich Ihnen dazu nur sagen.

[Beifall bei den Grünen – Doering (PDS): Was macht denn Ihre Bundesregierung? – Bei Rot-Grün ist nichts klar!]

Das Land Berlin muss auch in Zukunft aktiv Arbeitslosigkeit bekämpfen, und zwar nicht nur, um die riesige Arbeitsplatzlücke in dieser Stadt zu schließen, sondern auch, um dringend nötige soziale und infrastrukturelle Aufgaben zu erfüllen. Das muss Ihre Maxime sein. Danach müssen Sie sich richten. Sie können sich doch nicht einfach vor den Problemen wegducken und den Bund für alles verantwortlich machen.

[Beifall bei den Grünen und der FDP – Beifall des Abg. Hoffmann (CDU)]

Alle Experten betonen es – und Ihr Sozialatlas zeigt es ebenfalls: Niedrige Bildung bedeutet ein lebenslanges Armutsrisiko.

Der Regierende Bürgermeister teilte mir in seinem Schreiben vom 27. April 2004 folgendes mit:

[Frau Senftleben (FDP): Richtig!]

Ich möchte nicht auf die gesamte Debatte um Bildung, Integrationschancen und Lebenschancen eingehen, aber einen Punkt aufgreifen, der mich sehr ärgert: Wenn die Lebenschancen der Kinder und Jugendlichen verbessert werden sollen, dann sind Investitionen in die Bildung wichtig. Sie hätten das Ganztagsschulprojekt dazu nutzen können, soziale Schieflagen auszugleichen. Sie hätten die Ganztagsschulen verstärkt in den Problemkiezen ausbauen müssen und ausbauen können. Doch inzwischen steht der Großteil der Ganztagsschulen fest. Sie brüsten sich gern damit, dass Sie jetzt die Erleuchtung hatten und nun die Ganztagsschulen speziell in den sozialen Brennpunkten aufbauen wollen. Ich kann Ihnen dazu nur sagen, dass der Großteil dieser Ganztagsschulen von der Schulverwaltung schon längst festgelegt wurde. Da gibt es kaum noch Spielraum, um sie in sozialen Brennpunkten auszubauen. Ich glaube, dass Sie sich und vor allen Dingen der Öffentlichkeit etwas vormachen. Wir haben in Haushaltsberatungen immer wieder darauf hingewiesen, dass es dort eine Schieflage gibt, dass Neukölln und Wedding nicht genügend mit Ganztagsschulen ausgestattet sind, weil sie eben nicht die Ersten sind, die brüllen: „Her mit dem Geld, wir haben die Konzepte!“ – Es sind die Bezirke und die Schulen, an die man noch herantreten muss, die man noch überzeugen muss. Das haben Sie nicht getan. Sie werden es offensichtlich auch nicht mehr hinbekommen. Jetzt, wo die meisten Ganztagsschulen bereits vergeben sind, kommen Sie auf die grandiose Idee, dass man dies alles ganz anders tun könne. Mit welchem Geld wollen Sie das tun? – Das hätte Ihnen früher einfallen sollen. Dann hätten die Kinder etwas davon gehabt, und die Zukunft der Stadt sähe ebenfalls etwas besser aus. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Frau Kollegin Pop! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aktuelle Stunde hat damit ihre Erledigung gefunden.

Wir kommen nun zu

lfd. Nr. 4:

Wahl

Ein Senator bzw. eine Senatorin für die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung

in Verbindung mit:

a) Antrag