Protokoll der Sitzung vom 13.05.2004

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu guter Letzt am Abend noch einmal ein wenig Ideologie. Man kann über die Frage der Bedeutung von Ehrungen und Orden im Land Berlin geteilter Meinung sein. Man kann auch durchaus sagen: Wir halten es gut hanseatisch: Ehrungen und Orden sind überflüssig. – Aber auch wir würden gar nicht so weit gehen. Der heute zur Beschlussfassung anstehende Antrag unserer Fraktion war ein Reformantrag zur Veränderung und Demokratisierung des Verfahrens zur Vergabe von Ehrungen und Orden im Land Berlin. In meiner inzwischen recht langen parlamentarischen Arbeit wundere ich mich immer wieder, wie unterschiedlich die Sichtweisen auf diese Fragen sind gerade auch auf die Frage der Vergabe von Ehrungen und Orden.

Dass die CDU-Fraktion unseren Antrag ablehnen würde, hat mich nicht verwundert, denn sie hat sich über Jahrzehnte nicht an dem bestehenden Vergabeverfahren für Ehrungen gestört. Es hat uns gefreut, dass die Fraktion der FDP unserem Antrag zugestimmt hat. Was mich aber sehr verwundert hat – und da hat es mir während der Diskussion im Ausschuss ein wenig die Sprache verschlagen –, das ist die Art und Weise, wie die Koalitionsfraktionen mit unserem Anliegen umgegangen sind.

Selbstverständlich kann man sagen, es gebe wichtigere Themen als die Vergabe von Ehrungen und Orden. Aber in dieser Legislaturperiode habe wir uns in vielfacher Weise damit befasst – z. B. mit Bersarin, mit Marlene Dietrich, mit der Ehrenbürgeraberkennung für Hindenburg, mit Ernst Reuter und anderen mehr. Daraufhin haben wir uns die Unterlagen angeschaut. Diese Unterlagen weisen eine verheerende Entwicklung aus, und das muss man einfach einmal sagen: Das Verfahren zur Vergabe ist völlig intransparent. Es interessiert einfach niemanden, wie demokratisch diese Vorschlagsregelungen sind. Alles liegt auf der Ebene der Exekutive, beim Volk bzw. beim Parlament liegen keine Rechte.

Die Kriterien zur Vergabe von Orden und Ehrungen sind nicht klar definiert. Man weiß gar nicht genau, für welche Leistungen jemand diesen Orden oder jene Ehrung bekommt. Dabei leistet sich Berlin eine einmalige

10 % bei den Stadtältesten, 10 % bei den Ehrenbürgern, 10 % bei diesen Professuren h. c. – nur ein klein wenig besser sieht es beim Verdienstorden des Landes aus. Warum können wir das nicht verbessern? Warum können wir nicht zu Regelungen kommen, dass jetzt vorrangig Frauen bei der Vergabe von Orden und Ehrungen berücksichtigt

werden? Warum können wir nicht darauf achten, dass mehr Menschen mit einer ostdeutschen Biografie berücksichtigt werden? – Dazu wurde uns klammheimlich gesagt: Wissen Sie, bei all dem, das möchte der Regierende Bürgermeister nicht! – Weil der Regierende Bürgermeister gern weiter seine Bonbons verteilen möchte und die Senatsstellungnahme zum Antrag der Grünen uns als Parlament leider dazu nötigt, hierbei nichts zu ändern, bleibt alles beim Alten.

Ich wollte Ihnen das erzählen, weil ich finde, dass das ziemlich peinlich ist. Es ist schade, dass dieser Antrag, der nur ein wenig Transparenz und ein wenig Demokratie in die Vergabestrukturen bringen wollte, von Ihnen in dieser Weise abgelehnt worden ist. Das ist kein gutes Zeichen für die Arbeit der rot-roten Koalition.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ströver! Unterschiedliche Sichtweisen gehören zum Wesen der Demokratie. Darin sind wir uns doch einig. Diejenigen, die geehrt werden sollen, werden aus der Mitte der Berliner Bevölkerung vorgeschlagen, und es liegt an uns und an Ihnen, die zu Ehrenden vorzuschlagen. Zu sagen, der Regierende Bürgermeister wähle hierbei aus, das weise ich energisch zurück.

Kuriosität. Als einziges Bundesland verleiht es den „Professor ehrenhalber“, einen wissenschaftlichen Titel, der bei uns auf Vorschlag und durch den Regierenden Bürgermeister verliehen wird.

[Dr. Lindner (FDP): Die Österreicher machen das auch!]

Wir meinen, dass wissenschaftliche Titel, auch wenn sie ehrenhalber vergeben werden, von wissenschaftlichen Einrichtungen vergeben werden sollten, aber nicht vom Regierenden Bürgermeister.

[Beifall bei den Grünen und der FDP – Hahn (FDP): Das ist kein Titel, sondern eine Berufsbezeichnung!]

Ja, es ist eine Berufsbezeichnung. Aber schauen Sie sich einmal die Vergaberegelung an! Dort wird es als Ehrung verstanden und als sonst nichts, Herr Hahn!

[Zurufe von der FDP: Ja! – Matz (FDP): Wir haben ja geklatscht, Frau Ströver!]

Wir wollen diesem Unfug ein Ende bereiten und die Vergabe der Professur ausschließlich an die Hochschulen im Land Berlin zurückgeben.

[Beifall bei den Grünen und der FDP – Dr. Lindner (FDP): Bravo!]

Völlig absonderlich wird es, wenn man sieht, wer in diesem Land bestimmte Orden und Ehrungen bekommt. Wenn man sich die betreffenden Listen anschaut, muss man erkennen, dass mehr politische Kumpanei als echte Leistung für die Gesellschaft Vergabekriterium für den einen Orden oder die andere Auszeichnung ist.

[Beifall bei den Grünen]

Auch die Art und Weise, wie manche Menschen dabei behandelt werden, gibt zu denken. Ich möchte nur darauf hinweisen, wie die jüngste Liste zur Vergabe der Stadtältesten würde zu Stande gekommen ist. Bei diesen Vorschlägen darf das Parlament zustimmen. Da findet sich eine Persönlichkeit wie Jutta Limbach neben dem einen oder anderen Bezirkspolitiker, bei dem die Begründung für die Vergabe darin besteht, dass er einen parteiinternen Arbeitskreis geleitet hat. Meine Damen und Herren! Halten Sie das für ein transparentes Verfahren? – Wir jedenfalls nicht.

[Beifall bei den Grünen – Dr. Lindner (FDP): Transparent schon!]

Schamrot haben die Damen von PDS und SPD im Ausschuss nach unten geschaut, als sie bemerkt haben, wie hoch der Anteil der Frauen bei all diesen Ehrungen ist. Summa summarum liegt er bei 10 %.

[Frau Senftleben (FDP): Immerhin!]

[Beifall bei den Grünen und der FDP – Beifall des Abg. Reppert (CDU)]

Das Wort für die SPD-Fraktion hat Frau Lange. – Bitte sehr!

[Frau Ströver (Grüne): Das steht in den Regelungen! – Wieland (Grüne): Das tut er doch! – Pewestorff (PDS): Das gehört zu seinen Aufgaben! – Weitere Zurufe]

Grundsätzlich finden wir es richtig, sich mit dem Thema Orden und Ehrungen zu befassen, denn eines unserer Ziele ist es, den Bereich bürgerschaftliches Engagement zu stärken. Dabei ist es wichtig, die Bürgerinnen und Bürger für diese meist ehrenamtlichen Tätigkeiten und Arbeiten zu ehren. So kommen bereits jetzt schon zahlreiche Anregungen und Vorschläge für Ehrungen aus den gesellschaftlichen Bereichen von allen Berliner Bürgerinnen und Bürgern. Es gibt sechs sehr bekannte Ehrungen, Auszeichnungen und Orden: Verdienstorden des Landes Berlin, Ernst-Reuter-Plakette, Stadtältestenwürde, Ehrenbürger von Berlin, Professor h. c. und LouiseSchroeder-Medaille. – Daneben gibt es weitere Auszeichnungen wie z. B. den Kunstpreis Berlin, den HannahHöch-Preis sowie Medaillen für die Rettung von Menschen.

Was den Anteil der Frauen an den Ehrungen angeht, so liegen wir im Ländervergleich der Verdienstorden der Bundesrepublik mit Platz 3 – gleich 29,17 % Frauenanteil – gar nicht so schlecht. Der prozentuale Anteil der Frauen an den mit dem Berliner Landesorden Ausgezeichneten beträgt 36,2 %. Dennoch trifft es zu, dass der Durchschnitt der Ehrungen von Frauen bei 10 % liegt. Und Sie haben Recht: 10 % sind zu wenig!

Frau Lange

Orden und Ehrenzeichen kommen aus alten Zeiten. Sie stammen aus der Vormoderne, aus der Zeit, als der Eintritt in den Orden das Gelübde von Armut, Keuschheit und Gehorsam in sich barg. Das ist heutzutage nicht mehr so schwer. Fossilien sind das. Ich möchte nun einmal auf die Semantik kommen, Frau Ströver. Orden werden „verliehen“, nicht „vergeben“ wie eine Tiefbauleistung in Reinickendorf. Mit Preisen wird man „gekrönt“. Das ist in unserer Zeit vormodern und unsystematisch. Es gab im Mittelalter Proporz. Den Hosenbandorden und das Goldene Fließ bekamen Sie nur als Angehörige des Hochadels. Damals wurde in der Tat proportional verteilt.

Die Demokratisierung der Orden und Ehrenzeichen ist mit traurigen Ereignissen verbunden – jeder weiß das –, beispielsweise das Schinkelsche Eiserne Kreuz in den Kriegen von 1813 bis 1945. Ich habe ein Misstrauen gegen die Systematik von Vergaben. Das erinnert mich an die DDR, wo Medaillen und Anhänger für alles und jeden systematisch vorhanden waren.

Der Verdienstorden des Landes Berlin wird an Personen verliehen, die sich durch eine würdige „allgemeine Lebensführung“ auszeichnen.

[Frau Abg. Ströver (Grüne) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Der „Ehrenbürger“ ist in der Tat auch männlich. Damit dies keine Männersache bleibt, kann ich an dieser Stelle nur alle Berliner Bürgerinnen und Bürger auffordern, Frauen für Ehrungen vorzuschlagen. Die Hälfte der Stadt ist weiblich, und das soll man hören und sehen.

[Beifall bei der SPD]

Frau Kollegin Lange! Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Ströver?

Nein, jetzt nicht!

Dann fahren Sie bitte fort!

Viele Frauen haben diese Stadt mitgeprägt, haben herausgehobene Leistungen in der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und geistigen Arbeit erbracht und sich besondere Verdienste um Berlin erworben. Eine Möglichkeit für die Ehrung von Frauen besteht z. B. in der Benennung von Straßen und Plätzen in Berlin. Aber auch hierbei sind Frauen im Stadtbild unterrepräsentiert, und auch hier gilt es zu handeln.

[Zuruf der Frau Abg. Ströver (Grüne)]

Das Gleiche gilt auch für die Berlinerinnen und Berliner, die nicht aus Deutschland stammen oder die im Ostteil der Stadt aufgewachsen sind. Aber auch hier liegt es an uns, Vorschläge und entsprechende Anregungen zu unterbreiten. Insgesamt jedoch sehen wir keinen Bedarf für Verwaltungshandeln. Ich meine, die Senatskanzlei hat in der Tat wichtigere Dinge zu erledigen. Darin sind wir uns in der Koalition einig.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Zuruf der Frau Abg. Ströver (Grüne)]

Das Wort für die Fraktion der CDU hat nunmehr Kollege Dr. Stölzl. – Bitte schön!

[Dr. Lindner (FDP): Keine Frau bei der CDU?]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Die Grünen, jahrzehntelange Speerspitze des Spontanismus mit dem Ehrenkleid des handgestrickten Pullovers angetan, auf dem man protokollgerecht sehr schwer einen Orden platzieren konnte, machen sich Sorgen um ernste Missstände im Land Berlin, das bekanntlich notorisch respektlos ist. Theodor Fontane lässt in Frau Jenny Treibel über eine Romanfigur sagen, der hätte so etwas Rotes, eine Nelke, im Knopfloch, „ganz wie Ehrenlegion oder ein ähnlicher Unsinn“. Ich habe mich sachkundig zu machen versucht, im Berlin-Handbuch, diesem blauen, zentnerschweren Ding, unter „Verdienste“. Dort findet sich ein Pfeil: „siehe Einkommen“. So prosaisch ist Berlin. interjection: [Beifall bei der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei den Grünen, bei der SPD und bei der PDS]

Die Begründungen sind in der Tat schwierig. Manches Urälteste ist da, wie die Ehrenbürgerschaft, und manches Neues. Sie schreiben in Ihrer Begründung:

Heißt das, es sind Krawattenträger gemeint? Was machen wir mit den anarchischen Künstlern, die sich dieser allgemeinen Lebensführung entziehen?

Orden sind in unseren Augen Zeichen der Dankbarkeit der staatlichen Gemeinschaft für das Ungeplante, Unerwartete, Herausragende, das nicht Administrierte, eben nicht Dienst nach Vorschrift, das Freiwillige. Am Besten kann man das an der Lebensrettungsmedaille sagen. Wie wollen Sie diese denn proportional auf die Bevölkerungsgruppen verteilen? Müssen die dann alle in die Spree springen, damit sie wirklich sozial gerecht verteilt wird? – Das kann nicht sein.

[Beifall bei der CDU, der SPD und den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Ein Wort möchte ich noch zum Professor h. c. verlieren. Es wurde kritisch angemerkt, die Verleihenden schmückten sich mit denen, denen sie etwas verleihen. Na klar, selbstverständlich schmückt sich die englische Königin mit Sir Paul McCartney und Sir Ralph Dahrendorf. Die öffentlichen Gemeinschaften schmücken sich mit diesen „Paten“, zu denen sie – ich würde sagen – poetische, magische Beziehungen herstellen, indem sie sie hereinnehmen in diese Preise. Es gibt eine Standortkonkurrenz gerade bei den großen Mäzenen, Stiftern, eben diesen Vermittlerpersönlichkeiten wie beispielsweise Heinz Berggruen, wo das kleine Land Berlin gegenüber den großen Ländern in der Tat mit diesem bizarren Professor h. c. etwas tun kann, nämlich Menschen an Berlin binden.