Christoph Stölzl

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob noch jemand im Raum mein Unbehagen teilt, dass wir eine solche Menschheitsfrage im Fünfminutentakt abhandeln sollen.
logisch konstanter Humanität in Frage stellt durch Forschung. Darf der Mensch alles, was er kann? – darum geht es doch. Die Geschichte lehrt, dass Wissenschaft, die auf keinem allgemeinen Konsens über das Humane beruht, überhaupt nicht gegen die unterschiedlichen Formen der Hybris gefeit ist. Die kennen wir aus der Geschichte.
Meine Fraktion ist nicht gewillt, diese Verkürzung der Debatte mitzumachen, und plädiert nachdrücklich dafür, bei einer solchen Debatte, wenn Sie als Berliner Liberale an einer solchen ernsthaft interessiert sind, die entsprechenden Akteure und wichtige Institutionen wie Forscherinnen und Forscher, unsere universitäre Medizin, die Kirchen, Frauenverbände etc. einzubeziehen.
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland regelt unmissverständlich die Unantastbarkeit der Würde jedes einzelnen Menschen. Das deutsche Embryonenschutzgesetz regelt zudem praktische Lösungswege im Hinblick auf die krankheitswertige Unfruchtbarkeit der Frau und die Verhinderung überzähliger Embryonen. Im FDP-Antrag wird darüber hinaus das deutsche Stammzellengesetz selbst zitiert. Solche Regelungen zur Begrenzung der Fortpflanzungsmedizin gibt es im angelsächsischen Raum nicht. Die FDP diskutiert das als Wettbewerbsnachteil. Ich sehe dies nicht so. Doch selbst, wenn man dem folgen würde, ginge es um mehr. Ich zitiere sinngemäß aus der Stammzellendebatte des Deutschen Bundestags vom 31. Januar 2002, und zwar die damalige grüne Bundestagsabgeordnete Monika Knoche:
Im zweiten Teil des „Faust“ bastelt dieser Famulus von Faust, Herr Wagner, einen Homunculus, sagt, der Mensch sei viel zu schade, natürlich reproduziert zu werden, „höhern, höhern Ursprung“ sollte er haben. Und genau 100 Jahre nach Goethes Tod hat Aldous Huxley – übrigens in Berlin spielen lassend – seine „Schöne neue Welt“ begonnen. Lesen Sie einmal nach, das beginnt 600 Jahre nach unserer Zeitrechnung in der „Brut- und Normzentrale, Berlin-Dahlem“. Dort werden Menschen geklont, sozial optimal verwertbar gemacht und für abgestufte Qualifizierung produziert. Das ist ein Horror, natürlich, aber 1949 hat Huxley Bilanz gezogen, wie weit wir schon sind, und sagte: 600 Jahre sind viel zu viel, in 100 Jahren sind wir schon so weit, dass wir Kinder in Flaschen machen können. – Wieder hat er sich geirrt, nach 50 Jahren war es schon so weit, dass die Wissenschaft das kann, was wir moralisch nicht wollen können.
Darum meine ich, es ist doch gut Zeit. Skeptiker sind keine Wissenschaftsfeinde. Und Nachdenken, Abwägen, mehr Wissen, die Forschung über die embryonale Frühstadien des menschlichen Lebens Anhören, das geht doch alles rapide voran. Ich finde nicht, dass wir etwas übers Knie brechen müssen. Es geht hier wirklich um den Kern des Selbstverständnisses der abendländische Kultur, die Einzigartigkeit und Unantastbarkeit des Individuums in allen Stadien seines Lebens, von der Wiege bis zu unserem Ende. Wenn wir uns über diesen Kern einig sind, dann wird auch die Anpassung aller von diesem moralischem Zentrum abgeleiteten Rechtsnormen an die Wissenschaftsentwicklung im Konsens möglich sein. Ich bitte doch darum, dass wir uns um diesen Konsens bemühen. Das ist ein Thema, das nun wirklich überhaupt nicht für parteipolische Konfrontation taugt. – Herzlichen Dank!
Danke schön, Frau Kollegin Grosse! – Jetzt folgt Bündnis 90/Die Grünen. Das Wort hat die Frau Kollegin Pop. – Bitte sehr!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man liest das Papier von Herrn Senator Flierl mit gemischten Gefühlen, wenn man selbst dort als handelnde Person historisch verarbeitet ist. Ich habe mich besonders in die Präambel vertieft. Man kann das so ausdrücken, dass die Berliner Mauer die „weltweite Blockkonfrontation“ symbolisiert und „strukturelle Schwächen“ zeigte. Man könnte es aber auch heftiger sagen: dass sie eine perverse Todeszone war, dass sie 28 Jahre die Privilegien der Diktatur der SED auf Kosten dessen gerettet hat, was seit den Morgenrötentagen der Freiheit eben „Life, Liberty and the pursuit of Happiness“ heißt.
Das sind aber Geschmackssachen. Ich sage das ganz bewusst. Auch das Papier von Herrn Flierl benennt die Dinge beim Namen.
Was mich aber doch verwundert, ist die Methode der Erarbeitung. Es sind hier vorrangig die Mitarbeiter der Senatsverwaltung und so weiter genannt. Das kann man so machen. Es ist aber eigentlich „State of the Art“ seit 20 oder 30 Jahren, dass man es anders macht. Die CDUFraktion hat am 20. November 2004 gefordert: Das Abgeordnetenhaus von Berlin setzt eine Kommission aus Historikern und Vertretern von Opferverbänden und Museumskostoden ein. Mit einem Wort: Die Wissenschaft soll beginnen. So hat es klugerweise die Bundesregierung bei allen großen Gedenkstätten und Geschichtsprojekten gehalten, beim Deutschen Historischen Museum, beim Alliiertenmuseum, bei der Neugestaltung von Sachsenhausen und von Buchenwald. Es war ein ungeschriebenes, aber selbstverständliches Gesetz der Regierung Kohl, dass dies überparteilich geschah. Bei unserer Gründung [des DHM!] 1987 hat die Festrede eben nicht ein CDUFunktionär, sondern das SPD-Urgestein Richard Löwenthal gehalten. Das finde ich gut. So muss es sein.
Ich stimme vollkommen zu, dass die Bernauer Straße als ein legendärer Ort erhalten werden muss. Ich bin absolut der Meinung, dass hier viel zu wenig geschehen ist. Man liest die Vorgeschichte des Versagens der großen Koalition. Das sage ich ganz offen, mit traurigen Gefühlen. Es fehlt darin aber der Aufschrei der PDS. Sie hat auch nicht protestiert gegen all dieses Wegdenken des Mauergedenkens. Dass damals – ich sage es, weil ich selbst dabei war – die Bundesregierung nur mit einer Art Machtwort, oder einem Verzweiflungsakt, den Kunstwettbewerb, nämlich überhaupt das Mauergedenken provisorisch gerettet hat, das sollten wir einmal anerkennen und dafür dankbar sein.
Die Bernauer Straße ist richtig. Sie hat aber einen entscheidenden Nachteil. Sie liegt nicht an der „Mall“. Alle großen Hauptstädte haben eine Geschichtsmeile, die entweder künstlich geplant ist wie in Washington, dieses große grüne Band, oder sich ergibt wie in London oder Paris. An Berlins „Meile“ liegt die Bernauer Straße nicht und wird nie dort liegen. Hingegen liegen dort etwas seitlich von der großen Mall Berlins – von Goldelse bis Museumsinsel – etwas seitlich die Orte, zu denen auch der Checkpoint Charlie gehört. Davon muss man ausgehen. Wenn man weiß, dass es so ist, muss man klug damit umgehen. Man muss die Installation, die „Volkskunst“ der Frau Hildebrandt nicht mögen, aber man kann nicht davon absehen, dass das, was Herr Flierl fordert, eine so genannte „sachgerechte“ Methode eben zwei Seiten hat.
Sachgerecht ist auch, dass dort, wo ein Erinnerungsort die Chance hat, gesehen zu werden, er errichtet werden muss. Da tut man sich am Besten weise zusammen und findet nicht, dass dort, auf diesem winzigen Platz, etwas Grosses zum „Kalten Krieg“ installiert werden muss. Dafür geht man besser ins National-Air-and-Space Museum nach Washington, wo die SS 20 steht und wo der große strategische Weltkonflikt gezeigt wird.
Der Checkpoint Charlie ist ein Ort, der die Freiheit Berlins symbolisiert und an dem die West- und Ostberliner inzwischen ganz genau wissen, welche Gefühle davon historisch ausgehen.
Ich bin einverstanden mit der touristischen Erschließung, einverstanden mit den Pfaden, einverstanden mit den Busmobilen und all dem, was man braucht. Aber das kommt nicht von selbst. In Washington fahren diese Mobile. Das macht die Regierung. Das wird bezahlt, damit die Geschichte auch erfahren wird. Berlin ist so groß wie das Ruhrgebiet. Das kann man nicht einfach dem freien Spiel der Kräfte überlassen. Darum ist 2010/2011 für mich überhaupt keine Perspektive. Wir müssen von Senator Flierl und vom Senat fordern, das alles auch zu finanzieren, die Erschließung der gewaltigen Geschichtslandschaft. Ich würde mich freuen, wenn Herr Flierl in der
Sen Dr. Flierl
Frage der Wissenschaftlichkeit über seinen Schatten spränge. Die Erinnerungen eines Volkes gehören nicht den Parteien, ob sie nun regieren oder nicht. Sie gehören allen Menschen, die den Mut haben, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Das tut man lieber oder weniger lieb, je nachdem, welche Vergangenheit man eben hat.
Im Parlament sind auch heftige Emotionen möglich. Herr Lehmann-Brauns ist Spezialist für heftige Emotionen. Das finde ich auch gut, weil es die Debatte heiß macht und zwingt, darauf zu antworten. Es gibt aber auch Konsens. Wir haben heute zum Eingang der Sitzung erlebt, dass Parteien und Fraktionen sich jenseits von Regierung und Opposition auf gemeinsame Geschichtstexte einigen können. Das wünsche ich mir für den Umgang mit der Mauer auch. Er muss dann auch die Normannenstraße und Hohenschönhausen einschließen, denn die Mauer hat sich nicht selbst erbaut. – Herzlichen Dank!
Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Zackenfels?
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Am Schluss von Lessings „Nathan der Weise“ heißt es, man solle eine Sache so anschauen, wie sie eben liegt. Wie liegt sie denn? – Hier ist eine Verwechslung vorgenommen worden. Diese Frau ist in der Hand gewissenloser Gruppen, denen man vielleicht schon zu viel Ehre damit antut, sie politisch einzuordnen. Sie soll freikommen. Alle Mittel, die dazu dienen, sind gut, alle, die darum herumreden, sind schlecht. Ich glaube nicht, dass es bis auf den Friedensnobelpreis jemals ein
Schruoffeneger
Kulturmittel gegeben hat, mit dessen Hilfe man Menschen aus den Händen von Gewalttätern freibekommen hat. Das hat bei Ossietzky funktioniert, darüber kann man reden, und das gab es im Fall von Nelson Mandela. Ich glaube, wir verzetteln uns hier. Ich habe Sympathie dafür, dass dieses Thema aufgegriffen wird, aber man verzettelt sich, wenn man sich damit an die falsche Adresse wendet.
Der Berliner Ehrenbürger muss zumindest innig mit dem Schicksal des Landes beziehungsweise der Stadt Berlin verbunden sein. Über alles andere kann man in der Tat reden, und das ist auch geschehen. An den Haaren aber eine Verbindung herbeizuziehen, die es nicht gibt, entwertet jede Chance, das Ehrenbürgerprinzip weiterzudenken. Solch ein Tun im Zusammenhang mit dem Ehrenbürgerrecht, das altmodisch ist, etwas von Bürgerkrone, Silberpokal, von Fontane-Zeit an sich hat, das ohnehin in einer anonymen Drei-Millionen-Stadt kaum mehr zu verwirklichen ist, entwertet die Chance, damit einmal zum Beispiel den Stillen im Land, die solch eine Stadt sozialpolitisch oder karitativ zusammenhalten, eine Ehrung zukommen zu lassen.
Die Grünen stellen den Außenminister. Dieser sollte über die Frage, ob es eine Weltinnenpolitik gibt, nachdenken.
Darüber ist diskutiert worden, als auf dem Balkan die Menschenrechtsverletzungen nach Intervention verlangten. Die Diskussion ist leider trotz Ruanda wieder versickert durch das, was der Irakkrieg insgesamt für die Meinungsbildung bedeutet. Aber es bleibt in der Tat zu diskutieren, ob nicht dort, wo Menschenrechte mit Füßen getreten werden, die Weltgemeinschaft intervenieren muss. Darum geht es und nicht darum, dass wir durch Deklarationen nichts anderes tun, als möglicherweise diese gewalttätigen Gruppen noch zu bestärken in der Frage, was diese Geisel bedeutet. Ich fordere alle auf, auf ihren Ebenen – Stiftungen, die Botschaften – das Nötige zu tun. Die Frau muss freikommen, um nichts anderes geht es hier. – Herzlichen Dank!
Herr Steuer, darf ich Sie kurz unterbrechen? – Auf der linken Seite des Hauses gibt es nicht nur Grummeln, sondern zu viel Gespräch. Das Thema ist wichtig, ich bitte um Aufmerksamkeit! – Bitte fahren Sie fort!
Wir fordern Sie auf, diese Kürzungen in den laufenden Beratungen so nicht umzusetzen. Wir fordern auch die Koalition auf, mit uns gemeinsam dafür zu streiten, dass wir Anpassungen an Bundesgesetze und Veränderungen der Rahmenbedingungen vornehmen, aber nicht einfach die Leistungen wegfallen lassen. Wir fordern Sie auch auf, möglicherweise in einer anderen Form das Berichtswesen zu straffen, aber weiterhin einen Kinder- und Jugendbericht und eine Gesamtjugendhilfeplanung vorzulegen. – Danke schön!
Vielen Dank, Frau Kollegin Neumann! – Es folgt die Fraktion der CDU. Das Wort hat der Kollege Wilke. – Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor sieben Jahren bin ich an den Genfer See gefahren, um eine Zeitzeugin des Jahrhunderts zu interviewen: Sonja Gaze. Ob sie 90 Jahre alt war, 95 oder 100 Jahre, das konnte ich nicht genau sehen. Im Dämmerlicht empfing mich diese Frau und erzählte mir, dass sie als Kind und als junges Mädchen 1911 in Deutschland und Amerika in der legendären Truppe von Isadora Duncan mitgetanzt habe. Dann folgte ein Leben, das – man kann es in ihrer Autobiographie nachlesen – ungeheuer abenteuerlich ist: Kind eines russisch-jüdischen Malers und Plastikers; die wilden Zwanziger Jahre; die Demütigungen in der Nazizeit im Untergrund verbracht; das Durcheinander der Nachkriegszeit. Dann – nach einer Stunde war sie schon sehr müde – sagte sie, die Kraft das alles zu überstehen, sei aus diesem frühen Erlebnis des freien, des entgrenzenden, des unglaublich anderen Tanzes gekommen.
Daran habe ich bei dieser Diskussion gedacht. Ich möchte nicht den vielen Einzelheiten, die ausgebreitet worden sind und die dem alten Satz folgen, dass man das Glas Wasser als halb voll oder als halb leer bezeichnen kann, noch mehr Details hinzufügen, sondern daran erinnern, dass trotz aller hier gelingenden, dort weniger gelingenden Details schon ein Missverhältnis zwischen dem enormen Aufstieg in der Kunstform, die uralt ist, weil sie vor aller Zivilisation da war – es ist ein Urbedürfnis des Menschen, sich gestisch auszudrücken – und dem, was wir an verfasster Kultur haben, besteht: das Sprechtheater, die symphonische Musik, die das Musiktheater mit seinen Planstellen-Himalayas bei weitem übertreffen, was selbst großzügige Tanzförderung in Deutschland oder Europa auf die Beine bringt.
Wir sollen darüber nachdenken, ob dieses Missverhältnis nicht aus grundsätzlichen, hochpolitischen Gründen verändert werden sollte. Nicht aus dem Grund, dass immer mehr Leute Lust haben, etwas anzuschauen, was auch ein bisschen verrückt ist. Nicht deshalb, weil es immer noch Leute gibt, welche die Girls-Reihe lieben und andere, die sich den schweren seelischen Problemen widmen, die da getanzt werden. Sondern wegen der Frage, ob die Wort- und Sprachlosigkeit – im Sinne der grammatikalischen Sprache! – des Tanzes in einem Zeitalter der Globalisierung, der Migration, der Mischung von Ethnien und Kulturen nicht eine absolut aktuelle Bedeutung hat. In Berlin werden 183 Sprachen gesprochen, und wir wissen alle, dass die Menschen, die diese Sprachen sprechen, sich auf den ersten Blick nicht lieben, sondern ihre Sprache auch als einen Gartenzaun, um noch das
Wenigste zu sagen, benutzen. Das heißt, diese Ubiquität, das Transnationale des Tanzes ist einer genauen kulturpolitischen Beobachtung wert.
Ich bin mit Frau Ströver der Meinung, dass der Hauptstadtkulturfonds – ich darf daran erinnern, dass er eingerichtet wurde in Zeiten, als die Union hier Verantwortung trug – nicht dafür gedacht war, feste Strukturen zu ersetzen, sondern dem Genie, das durch die Tür hereintritt und sagt: da ist mein Projekt! – das nötige Geld in die Hand zu drücken und schnell zu reagieren. Das kann nur ein Notbehelf sein, dass wir mit dem Hauptstadtkulturfonds Löcher für Institutionen und Projekte stopfen, die eigentlich permanente Sicherheit haben müssten.
Ich möchte an etwas erinnern, was in der Berliner Kulturgeschichte immer wieder stattgefunden hat. Es hat immer wieder Situationen gegeben, wo die kritische Masse von großer Kunst beieinander war und man in Berlin von staatlicher Seite aus genial zugegriffen hat. Berlin hat mit dem Kronprinzenpalais das erste Museum moderner Kunst gehabt, lange vor den Franzosen, das Vorbild für das MoMA, was in letzter Zeit oftmals dargestellt wurde. Warum? – Weil kluge Preußen sagten: Da ist etwas da, da greifen wir zu, kritische Masse, das wird jetzt Berlin.
Mit den Philharmonikern war es ähnlich. Die Philharmoniker haben als ein Privatorchester angefangen, und dann
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Noch kurioser wird es – jetzt müssen wir etwas genauer hinschauen –, wenn man die grundsätzlichen Äußerungen der kulturpolitischen Sprecherin der Grünen, die sie innerhalb sehr kurzer Zeit von sich gab, abgleicht. Im August überraschten Sie Berlin mit der Mitteilung, dass der Tanz, insbesondere der freie Tanz in der Stadt, ich zitiere, „in die Mittelmäßigkeit abzustürzen“ drohe. 14 Tage zuvor schrieben Sie noch im Begründungstext der heute zu verhandelnden Anfrage, dass in Berlin
die innovative Tanzszene in besonderem Maße konzentriert und Berlin als Tanzstadt sehr attraktiv
sei – auch dieses ein Zitat. Aber gleich fünf Zeilen weiter – wir haben die Vorlage heute hier liegen – konstatieren Sie im Bereich der frei produzierenden Choreographen und ihrer Gruppen – jetzt möchte ich wirklich wortwörtlich und langsam zitieren – „weitgehend provinzielle Zustände“. Das sitzt, und das kommt einem Todesurteil gleich.
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Schürfen wir etwas tiefer. Sasha Waltz können Sie nicht meinen, die Compagnie von Waltz ist keine im klassischen Sinne freie Gruppe mehr, sondern integrativer Bestandteil der im besten Sinne kreativen künstlerischen Doppelstruktur der Schaubühne am Lehniner Platz. Deren Arbeit wurde durch die aktuellen Haushaltsentscheidungen der Koalition und verschiedener Förderstrukturen eher gestärkt als geschwächt. Mehr ist sicherlich wünschenswert. Wen können Sie sonst meinen? – Schauen wir uns die Landschaft genauer an. An freien Choreographen und Gruppen wirken in Berlin unter anderem Xavier Le Roy, Constanza Macras, Christoph Winkler, Anna Huber, Jo Fabian, Reinhild Hoffmann, Susanne Linke – die Liste ist unvollständig. Es sind alles in Szene und interessierter Öffentlichkeit hoch geschätzte und auf dem internationalen Parkett begehrte Namen. Wir wissen sehr wohl, was Berlin vom Wirken dieser herausragenden Künstlerinnen und Künstler hat. Wir unterstützen ihre Arbeit auch unter den Bedingungen eines Haushaltsnotlagelandes nachhaltig. 3,3 Millionen € sind kein Pappenstiel. Hier Provinzialität zu unterstellen, Frau Kollegin, zeugt entweder von vollkommener Unkenntnis oder von einem Grad von Schamlosigkeit, dem das Beschwören vermeintlichen Niedergangs wichtiger ist als die Kenntnisnahme einer zutiefst kreativen und springlebendigen Landschaft. Provinz, liebe Frau Kollegin, findet hauptsächlich im Kopf statt. Dazu hat sich Fontane hinreichend geäußert. Ich empfehle Ihnen sehr die Lektüre seiner diversen Schriften. Gehen Sie anschließend in sich und unterziehen Sie bitte künftig Ihre Manuskripte einer gründlicheren Prüfung, ehe Sie mit diesem Wirrwarr in der Öffentlichkeit Schaden anrichten. Das ist für uns keine Handlungsgrundlage.
hat die öffentliche Hand erkannt: Dieses Juwel sichern und nehmen wir. – Mit Peter Steins Schaubühne am Halleschen Ufer war es genauso. Aus einem revolutionären Studententheater wurde eine Staatsbühne, und eigentlich sind alle sehr zufrieden damit. Ich meine, dass Senator Flierl und der Senat diese Exempel bedenken sollten. Der Mantel der Kunstgeschichte fliegt nicht dauernd vorbei. So wie in der bildenden Kunst alle das Gefühl haben, jetzt hebt dieses Raumschiff Berlin ab, da packen wir noch etwas hinein, jetzt oder nie, so sollten wir beim Tanz dieses Jetzt oder Nie auch wahrnehmen und handeln und in Gottes Namen über den Schatten springen, was als Metapher an diesem heutigen Tag vielleicht erlaubt ist. Ich mag dieses „Wir haben kein Geld“ eigentlich nicht hören, denn für das Notwendige gibt es Geld und Strukturen. Immobilienbesitz, Gehäuse, Räume kann man benutzen. Damit muss man anfangen.
Ich will mit einem Zuruf zu Herrn Flierl aufhören. Auch der Friedrichstadtpalast ist aus dem Katzenjammer des Untergangs der DDR gerettet worden, weil die Besucher von der Girls-Reihe nicht Abschied nehmen wollten. Sie taten gut daran. Es ist auch ein Blick ins Paradies der Körperseeligkeit. Herr Flierl, wir alle, die wir in den 60er Jahren Karl Marx gelesen haben, lesen mussten oder freiwillig gelesen haben, wissen, dass dort das Wort steht, dass man die Verhältnisse zum Tanzen bringen muss.
Also wir fordern Sie auf: Bringen Sie den Tanz in Berlin zum Tanzen, dann werden wir Ihnen auch applaudieren, wenn es gelingt. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Die Grünen, jahrzehntelange Speerspitze des Spontanismus mit dem Ehrenkleid des handgestrickten Pullovers angetan, auf dem man protokollgerecht sehr schwer einen Orden platzieren konnte, machen sich Sorgen um ernste Missstände im Land Berlin, das bekanntlich notorisch respektlos ist. Theodor Fontane lässt in Frau Jenny Treibel über eine Romanfigur sagen, der hätte so etwas Rotes, eine Nelke, im Knopfloch, „ganz wie Ehrenlegion oder ein ähnlicher Unsinn“. Ich habe mich sachkundig zu machen versucht, im Berlin-Handbuch, diesem blauen, zentnerschweren Ding, unter „Verdienste“. Dort findet sich ein Pfeil: „siehe Einkommen“. So prosaisch ist Berlin. interjection: [Beifall bei der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei den Grünen, bei der SPD und bei der PDS]
Die Begründungen sind in der Tat schwierig. Manches Urälteste ist da, wie die Ehrenbürgerschaft, und manches Neues. Sie schreiben in Ihrer Begründung:
Heißt das, es sind Krawattenträger gemeint? Was machen wir mit den anarchischen Künstlern, die sich dieser allgemeinen Lebensführung entziehen?
Orden sind in unseren Augen Zeichen der Dankbarkeit der staatlichen Gemeinschaft für das Ungeplante, Unerwartete, Herausragende, das nicht Administrierte, eben nicht Dienst nach Vorschrift, das Freiwillige. Am Besten kann man das an der Lebensrettungsmedaille sagen. Wie wollen Sie diese denn proportional auf die Bevölkerungsgruppen verteilen? Müssen die dann alle in die Spree springen, damit sie wirklich sozial gerecht verteilt wird? – Das kann nicht sein.
Ein Wort möchte ich noch zum Professor h. c. verlieren. Es wurde kritisch angemerkt, die Verleihenden schmückten sich mit denen, denen sie etwas verleihen. Na klar, selbstverständlich schmückt sich die englische Königin mit Sir Paul McCartney und Sir Ralph Dahrendorf. Die öffentlichen Gemeinschaften schmücken sich mit diesen „Paten“, zu denen sie – ich würde sagen – poetische, magische Beziehungen herstellen, indem sie sie hereinnehmen in diese Preise. Es gibt eine Standortkonkurrenz gerade bei den großen Mäzenen, Stiftern, eben diesen Vermittlerpersönlichkeiten wie beispielsweise Heinz Berggruen, wo das kleine Land Berlin gegenüber den großen Ländern in der Tat mit diesem bizarren Professor h. c. etwas tun kann, nämlich Menschen an Berlin binden.
Vielen Dank! – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine Liebesheirat war hier bereits angekündigt – den Polterabend haben wir jetzt.
Wenn Sie mich fragen, bin ich eher für eine offene Dreierbeziehung,
und zwar zwischen dem Senat, den Parteien und der Kultur, die feste Bindungen ohnehin nicht so gern mag.
Zu einer offenen Dreierbeziehung, Herr Senator Flierl, gehören auch Klarheit, Wahrheit und Verzicht auf Polemik. Jeder weiß, dass die Frühgeschichte der Systemisierung der Verhältnisse zwischen Bund und Berlin alle Parteien seit 1990 beschäftigt hat, besonders die CDU, aber auch den Rat für die Künste, in dem alle vertreten waren, der Sozialdemokrat Weingarten und der Nochnicht-Christdemokrat Christoph Stölzl. Das heißt, Hauptstadtkulturfonds, Jüdisches Museum, Gropiusbau, dieses Ringen um diesen unwilligen Bund, der keine Lust hatte, diese Nation, die etwas eifersüchtig nach Berlin schaute – das geht tief zurück in die 90er Jahre. Dass Sie es fortsetzen, ist richtig, und was Sie tun, ist nicht falsch, bloß weil es eine neue Regierung tut.
Ich bin trotzdem enttäuscht von Senator Flierl, weil er ein Philosoph ist. Ich hatte mir gedacht: Schlimm genug! Rot-Rot kommt, aber immerhin, jetzt gibt es eine heiße Theoriediskussion um die Rolle der Kultur in Berlin. –
Aber ungeachtet des Bannfluches von Theodor Adorno, dass es keine schlimmere Wortverbindung gebe als „Kulturverwaltung“, hat Senator Flierl die Kultur verwaltet
und sich an Herrn Sarrazin emporgerankt mit dem: „Spare in der Not, da hast du Zeit dazu.“
Liebesheirat wünschen wir uns in dieser Stadt Berlin, gerüttelt und geschüttelt von der Geschichte, nicht mehr preußische Residenzstadt, nicht mehr outpost of freedom, nicht mehr Hauptstadt von Sowjetdeutschland, sondern eben etwas, wovon wir gar nicht wissen, was es ist. Es ist eine Stadt des Möglichkeitssinnes; wir müssen sie erfinden. Wenn in diesen Tagen über den Sozialstaat diskutiert wird, über die Werte, die dieses Land zusammenhalten, bewohnt von 80 Millionen Deutschen und Zugewanderten, dann können wir genauso millimetergenau über die Rolle von Kultur diskutieren und die Rolle, die Berlin hat – schon aus Verantwortung, weil es die größte Kulturlandschaft in diesem Land ist, das heißt, einer der großen global landscapes der Kultur auf der ganzen Welt mit einer gewaltigen Verantwortung, die weit darüber hinaus geht, dass wir mit den Betriebsräten einen kleinen Frieden aushandeln.
Berlin ist auch in der Pflicht. Wer, wenn nicht Berlin, sollte Anwalt Preußens sein, dieses untergegangenen Staates? – Ich danke Frau Ströver sehr, dass sie das noch einmal in aller Deutlichkeit gesagt hat. Den Grünen war dies vielleicht nicht an der Wiege gesungen,
aber man geht nicht nach Berlin, ohne ein bisschen prussifiziert zu werden im guten Sinne. Darum halte ich es für falsch, dass wir diesen Hauptstadtkulturvertrag einfach so hinnehmen; denn er ist in Wahrheit eine Abbildung des Verhältnisses von Berlin zum Rest der Nation, die diesen alten Zustand nicht mehr mag, dass Westberlin die Mätresse der Bundesrepublik war,
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Frau Ströver! Es ist merkwürdig, was Sie vorhin sagten. Ich muss Sie zitieren. Sie erklärten uns: „Es muss gut begründet werden, weshalb der Bund in Berlin ein Filmmuseum betreibt.“ – Herr Kollege Ratzmann, bereiten Sie jetzt die Verfassungsklage gegen den Bundeshaushalt vor? Ich verstehe das nicht. – Gut! Es ist in Ordnung.
Ihre Auslassung, Frau Kollegin, gegen die vom Bund übernommenen oder zu übernehmenden Einrichtungen sprechen eigentlich für sich, aber auch gegen Sie. Allerdings haben Sie völlig Recht: Solch wirres Handeln muss ein Ende haben.
Hinsichtlich einer optionalen Trägerschaft ehemaliger Einrichtungen des Königreichs Preußen, respektive der DDR, ist allerdings zu bemerken – hier muss man etwas vorsichtiger argumentieren und auch die Folgen bedenken –, dass mit einer einzigen Ausnahme alle Ostberliner Bühnen vom Ministerium für Kultur der Deutschen Demokratischen Republik und nicht vom Magistrat der Stadt Berlin, Ost in diesem Fall, finanziert worden sind. Es waren Staatstheater.
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Insofern ist es äußerst halbherzig, wenn Sie versuchen, uns hier zwei Stiftungen gewissermaßen aufzuschwatzen. Die FDP ist konsequenter. Das muss man wirklich feststellen. Sie ist konsequenter und fordert drei Betriebe, drei Institute, die allerdings den einen Nachteil haben, Frau Kollegin Meister, dass sie quasi durch Verbrauch öffentlicher Mittel in eine gegenseitige Konkurrenzsituation geraten. Es ist toll, dass dies aus Richtung der FDP kommt. Sie sind aber ohnehin für eine Überraschung gut. Wenigstens Kollege Thiel – das muss ich feststellen – wirft sich sehr nachhaltig gegen die beabsichtigten Kündigungsorgien eines Abgeordneten Lindner. Das ist respektabel!
die auch noch in die Hand gebissen hat, die das Geld herüberreichte. Ich wünsche mir dringend, dass der Regierende Bürgermeister – heute in anderen Pflichten unterwegs – sein gewaltiges in der Glamourszene erworbenes Prestige – so nenne ich es mal –, in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden, sehr viel deutlicher in den Verhandlungen mit dem Bund einbringt, um die Rolle der Kultur zu verdeutlichen.
Dazu kommt, dass wir in Berlin eine Theoriedebatte über das Verhältnis der Künste untereinander brauchen. Wir schreiben fort, was „immer so war“. Die Aufteilung des Kuchens war so, und jetzt wird er eben um 10 % reduziert. – Das kann es nicht sein. Die Künste ändern sich, sie sind virtuell, sie sind global geworden.
Ich zähle noch ein paar Stichworte auf. Wir haben – Gott sei Dank – billige Wohnungen, aber keine Kunsthalle für die Stadt.
Wir haben kein Konzept für die Kultur mit den Migrantinnen und Migranten in dieser Stadt, kein Konzept für das Dezentrale. Ich zähle die anderen Pannen gar nicht auf; heute soll nicht polemisiert werden.
Ich schließe mit einem Zitat. Es ist auf das Jahr genau 160 Jahre alt. Da hat einer gesagt: „Berlin ist eine Konglomeration aller Weltexistenzen.“ – F. Gustav Kühne – Das ist wahr, und es lädt uns eine große Verantwortung auf, die wir gemeinsam nur tragen können. Ich appelliere sehr an den Senat, dass er alles, was in unseren Köpfen steckt, in Fairness und Offenheit mitdenkt. – Danke schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich springe ein für den Kollegen Braun. Aber ich tue es mit gutem Gewissen, weil ich in der ganzen Vorgeschichte der Verteilung der Lasten und Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern in der Frage der historischen Gedenkstätten vor langer Zeit als Bürger und Museumsmensch eine Rolle gespielt habe.
Ich darf daran erinnern, dass nach 1990, nach der deutschen Einigung, es im Deutschen Bundestag eine Debatte gegeben hat, ob das Institut der Zentralen Mahn- und Gedenkstätten der DDR fortzuführen sei, weil es in der Tat da war und die Gedenkstätten – jenseits einmal der ideologischen Betrachtung – organisiert und verwaltet hat. Damals haben die Föderalisten gesagt, das kann nicht sein. Geschichte ist Teil der Kultur, Kultur gehört den Ländern, also auch Geschichte der NS-Zeit, so wenig sie aus föderalen Wurzeln von Fall zu Fall erwachsen war. Sie ist deshalb ausschließlich in die Verantwortung der Länder zu geben. Nun ist das trotzdem dadurch konterkariert worden, dass der sich der Bund in einer Kommission und dann auch mit Geldmitteln doch bereit gefunden hat, Verantwortung zu übernehmen. Zunächst einmal deswegen, weil die neuen Bundesländer sagten: „Föderalismus ist gut, aber wir sind arm, wir können das gar nicht selbst leisten.“ Dadurch engagierte sich der Bund ausschließlich für den Bereich der neuen Länder. Inzwischen ist die Diskussion auch durch unsere Berliner Verhandlungen mit dem Bund so vorangeschritten, dass man das kühl und gelassen sehen kann, ohne dem Prinzip des Kulturföderalismus nahe zu treten.
Die CDU hat sich immer zu einer nationalen Verantwortung in Sachen der Kultur insgesamt bekannt, weil das kein Gegensatz ist und weil die Staatsrechtler, die darüber lange diskutiert haben, uns auch gesagt haben, dass das, was man zwischen Gebietskörperschaften und dem Bund will, man auch machen kann. Das ist keine Souveränität wie die Außenpolitik oder das Militär, sondern der Begriff der Kultursouveränität ist ein – ich will nicht Herrn Naumann zitieren –, ich würde sagen, diskutables Axiom, aber nichts, was die Alltagspraxis behindern würde.
Fazit: Wir sind dafür, den Bund energisch in die Pflicht zu nehmen, auch besonders dort, wo ganz eindeutig in den Gedenkstätten der NS-Zeit und der zweiten deutschen Diktatur alle Deutschen im gleichen Maß betroffen sind und auch von Rostock bis Rosenheim gemeinsame historische Verantwortung tragen. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hoffe, dass wir trotz der Siedehitze des vorangegangenen Tagesordnungspunktes einige Kühle bei der Betrachtung des Problems, das wir haben, einkehren lassen. Darum will ich gleich sagen, worum es nicht geht. Es geht nicht um Zensur, selbstverständlich. Es geht auch nicht um politischen Eingriff in die Autonomie der Künste. Es geht nicht darum, dass Parlamente mit dem goldenen Griffel die Programme von Kunstanstalten schreiben dürfen. Der Artikel 5 des Grundgesetzes breitet einen riesig weiten Mantel aus über das wissenschaftlich-kulturell Notwendige, über das Überflüssige, über das Ärgerliche, über das Anstößige, ja sogar über das Skandalöse. Jeder kann Bücher schreiben, Filme machen, Reden halten über die Themen, die ihm oder ihr am Herzen liegen. Wir werden aus Parlamentskreisen aus gutem Grunde privat eine Meinung dazu haben, sie aber nicht hier von diesem Pult aus äußern.
Hier ist etwas anderes der Fall. Die Demokratie, die öffentliche Hand, die Kultur und Kunst fördert, muss nicht alles fördern. Im Kampf um die kargen Mittel sind wir gehalten, das Notwendige, das Großartige und das Wichtige zu tun und das Missratene, Ungeratene, Ungegorene, Anstößige eben nicht zu fördern. Das ist hier der Fall. Darüber wollen wir reden.
Was ist hier passiert? – Es geht um eine Geschichtsausstellung. Die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, damals Alternative Liste, erinnern sich an die heftigen Kämpfe der 80er Jahre über die Frage, wie darf man Geschichte ausstellen, wie muss das geschehen,
gibt es da ein Staatsverständnis oder nicht, oder machen das nur die Geschichtswerkstätten oder die Initiativen ganz von unten. Diese damals heftige Diskussion, in der wir an vielen Podien saßen, hat ein Gutes hervorgebracht, nämlich dass Geschichte auszustellen eben doch etwas anderes ist, als diese oder jene bemalte Leinwand im Museum aufzuhängen, weil der ideologische Anteil, der Schauwert, das Ästhetische, das Überwältigende, das Missverständliche an den Geschichtsobjekten dringend danach ruft, dass vor jeder Geschichtsausstellung die Wissenschaft das Wort erhält. Berlin ist vorbildlich bei der Topographie des Terrors und beim Deutschen Historischen Museum. All dies ist nach schwerem Ringen errungen, dass die Wissenschaft das erste Wort hat.
Was war die RAF? Eine Mörderbande, die sich aus der Wirklichkeit von Rechtsstaat, Demokratie, Sozialstaat verabschiedet hatte in ein menschenfeindliches Wahnsystem und die sozialliberale Bundesrepublik mit einem präfaschistischen südamerikanischen Staat, Diktatur zumindest, verwechselt hat. Nichts und nichts an der Diskussion wird das Übergewicht an Mord, Totschlag und Leid, das verursacht ist, für die Opfer irgendwie in Balance bringen zu dem jammervollen, wirklich zu vernachlässigenden so genannten Beitrag zur politischen Diskussion der Bundesrepublik.
Das Ganze ist deswegen so ärgerlich, denn Verbrechen ist – da sind wir uns einig – zunächst auch eine Sache des Blicks auf die Opfer. Das ist hier unterblieben. Deswegen kann an diesem Konzept einfach nichts daran gewesen sein.
Ich beklage, dass der Hauptstadtkulturfonds, den ich einst als postillon d’amour der Berliner Kunstszene der damaligen Bundesregierung herausgelockt habe, hier so schlecht kontrolliert hat. Und ich sage: Noch mal an
Reden wir über diese Ausstellung. Sie wird Bilder vermitteln, auch Bilder. Und, da knüpfe ich an das an, Herr Stölzl, was Sie im „Tagesspiegel“ gesagt haben: Dürfen wir es uns in Deutschland nicht erlauben, Bilder von Tätern zu zeigen, weil sie – das war Ihre Argumentation – den Opfern nicht zuzumuten sind? – Ich habe mit meinen Kindern über die RAF gesprochen. Der Begriff sagte ihnen nichts, obwohl sie politisch sehr interessiert sind. Ich weiß, wie schwierig es für die Angehörigen der Opfer ist, den Tätern ins Gesicht zu sehen, und ich komme da auf Ihr Bild zurück. Es wäre auch vermessen, die Angehörigen der Opfer dazu einzuladen. Aber sowohl die Unkenntnis der jungen Generation wie auch – das zeigt gerade die Debatte der letzten Wochen – die nicht ausge
tragene Kontroverse um die RAF, die heute noch die Wogen hoch schlagen lässt, zwingen uns, uns offensiv dieser Geschichte zu stellen. Ich war für die Wehrmachtsausstellung genauso, wie ich für eine Ausstellung über die RAF bin.
Gerade Sie Herr Stölzl als Historiker sollten wissen, dass das Thema RAF nicht erledigt ist und dass es auf absehbare Zeit auch nicht erledigt sein wird. Ich halte eine Unterstützung des Kampfes gegen den Terrorismus und eine Auseinandersetzung mit seinem Umfeld für dringend geboten. Die RAF war eine Terrororganisation, die geraubt, erpresst und gemordet hat. Ihre Mitglieder waren Verbrecher, die sich zu Herren und Frauen über Leben und Tod aufgeschwungen haben, die meinten, das Recht zu haben zu definieren, wer leben darf und wer nicht. Ist deshalb, weil wir dieses wissen, alles über die RAF gesagt? Haben Sie Recht, Herr Stölzl, dass alles Nachfragen überflüssig ist? – Ich bin erstaunt über dieses Geschichtsverständnis. Auch wenn, wie Sie es richtig formuliert haben, der Anteil des schieren Verbrechens überwältigend war, sind die gesellschaftlichen und die historischen Zusammenhänge wichtig. Terror lässt sich nachhaltig nur bekämpfen, wenn man sich mit seinen Ursachen auseinander setzt. In der Bundesrepublik haben wir gelernt, dass Schlussstrich ziehen, schweigen, verdrängen nicht der richtige Umgang mit historischen und gesellschaftlichen Fragen ist.
schauen, ab mit dem Ding in den Papierkorb, ein überflüssiges Ereignis. Wir wollen da auch nicht nachtreten. Die Kunstwerke sollen sich da rühren, wo sie sich auskennen. Und ich finde dieses rituelle Trotzverhalten einen Skandal. Eine Überflüssigkeit nun parteipolitisch im Pingpong aufzublasen, sollte hier unterbleiben. Warum? – Weil uns eines eint: In einer solchen entsetzlichen, grässlichen Geschichte sind wir den Opfern verpflichtet und sonst gar niemand anderem. Es gibt auch die Tugend des Schweigens. Baader und Meinhof, diese ganze psychotische, schreckliche Bande, gehört dorthin, wo sie hingehört: ins Kriminalmuseum der Bundesrepublik und was davon bleibt.
Sonst soll die Wissenschaft tun, aber nicht mit sehr viel Berliner Steuergeld, das sehr viel besseren Zwecken zugewendet werden könnte. Es ist auch Berliner Steuergeld, denn es wird aus dem Bundeshaushalt in unsere Verantwortung überwiesen. Appell an den Kultursenator, hier strenge Wissenschaftlichkeit walten zu lassen und das Unternehmen dorthin zu tun, wo es hingehört: als Sommerepisode ins Jahr 2003. – Herzlichen Dank!
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Frau Fugmann-Heesing hat mich gefragt, was ich meine. Ich sage es ganz klar: Ich halte dieses Konzept von diesen Trägern für vollkommen überflüssig und finde, dass sie überfordert sind. Es ist bisher hier keines der in der kulturellen Gewaltenteilung an sich dafür vorgesehenen und von unserer Republik mit gewaltigen Summen erhaltenen Institute eingeschaltet, weder das Institut für Zeitgeschichte in München – ein öffentliches im Gegensatz zum Hamburger, das, wie wir wissen, einen anderen Hintergrund hat – noch das Haus der Geschichte in Bonn, das die RAF in seiner Dauerausstellung durchaus würdigt – so, wie sie eben gewürdigt werden muss –, noch das um die Ecke liegende Deutsche Historische Museum. Das ist keine Kleinkrämerei. Wenn wir uns nicht darauf verständigen, dass schwierigste Themen von denen gemacht werden, die darauf Jahre lang hinarbeiten, Kompetenz sammeln, sich vernetzen, und stattdessen sagen: Jeder stellt einen Antrag beim Hauptstadtkulturfonds, das gibt Lärm und Krach – Selbstverständlich hat es Lärm und Krach gegeben; das ist dann Kultur. –, dann halte ich das für dilettantisch. Dieser Hauptstadtkulturfonds hat seine Statuten. Darin steht, dass die junge, die revolutionäre, die unbekannte Kunst, das Bedeutende, gefördert werden soll, das sonst keine Chancen hat bei den großen Institutionen. Daran gemessen sind die Kunstwerke mit ihrem Einehalbe-Million-€-Etat eine sehr große Institution. Und bisher habe ich nicht herausfinden können, was dafür spricht, warum ausgerechnet die Kunstwerke jenseits ihrer eigenen Zweckbestimmung sich in die politische Didaktik hineinfügen wollen. Dabei muss ich deutlich sagen, das ist nachgeschoben. Erst als der Krach da war,
kamen diese Nebelkerzen, die sagen: Wir wollen nur die Jugend immunisieren gegen das Poprecyceln dieser Dinge.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Form unseres Kopfes ist zum Zeichen dafür, dass unser Denken seiner Richtung ändern kann, rund. An dieses geflügelte Wort erinnere ich, weil wir heute darüber diskutieren, ob die Berliner Wissenschaftspolitik nicht dringend ihre Richtung ändern sollte.
Die dürren Fakten zuerst: Der Doppelhaushalt 2002/2003 und der Nachtragshaushalt 2003 sind verabschiedet. In keinem der Zahlenwerke neigt sich die Waage zu Gunsten von Bildung und Wissen. Sie sind das, was man fälschlicherweise Sparhaushalte nennt, obwohl Sparen, wenn ich meinem „Grimms Wörterbuch“ trauen darf, eigentlich heißt, für die Zukunft zu sorgen, indem ich fruchtbares Kapital ansammle, das Zinsen bringt.
Es ist in Berlin sehr viel die Rede davon, dass Finanzpolitik keine Tabus kennen dürfe. Das größte Tabu aber beansprucht diese Finanzpolitik für sich selbst. Niemand soll kritisch nachfragen, ob der Satz: „Politik heißt, ausschließlich in Zahlen denken“ nicht von Anbeginn grundfalsch ist und daraus folgender Satz: „Weniger für alle ist a priori gut“ nicht richtig sein kann und eine Milchmädchenrechnung ist, schlimmer noch, ein Abschied von der Politik als Kunst des Möglichen, die konstruktive Phantasie und Zukunftslust walten lassen muss.
Dieses „Ich kürze, darum bin ich“ des Finanzsenators, der hier leider nicht zuhört, ist in Wahrheit ein Abwehrzauber, der lästige Frager verscheuchen soll. Die könnten nämlich wissen wollen, wo denn eigentlich die Dauererfolge der Rasenmäherkürzungen geblieben sind. Wir stellen die Große Anfrage, weil wir wissen möchten, welcher Ratio es folgt, dass ausgerechnet in der Wissenschaft außerordentliche Opfer gebracht werden sollen, die den auf Regierungsglanzbroschüren gebetsmühlenhaft wiederholten Lippenbekenntnissen Hohn sprechen. Bei
der rot-roten Koalition kommen – man möchte es nach dem gründlichen Katzenjammer der linken Hochschulpolitik seit den sechziger Jahren nicht glauben – die Wiedergängergespenster der Ideologie hinzu mit ihrer unverdrossenen Freude, Hochschulen wieder ans Gängelband zu legen.
Wenn wir uns für einen Moment nach draußen begeben und die anderen, ob in Deutschland oder fern in der Welt, nach Berlins Wissenschaften fragen, was hören wir da? – Immer noch Bewunderung für Reichtum und Exzellenz der Forschungsansätze, aber auch ungläubiges Erstaunen über eine Situation, wo sich die Wissenschaft für ihre Existenz, die es eben nicht umsonst gibt, auf ermüdende, auf quälende Weise rechtfertigen muss
und wo zurzeit geschieht, was nicht geschehen darf – der Bruch des alle staatliche Gesittung begründenden Satzes: Pacta sunt servanda.
Eingedenk sind wir auch der glorreichen Vergangenheit der Berliner Wissenschaften, denn in ihnen steckt so etwas wie Prophetie. In Thomas Manns Novelle „Tod in Venedig“ hält die Hauptperson in einer existentiellen Krise plötzlich inne und fragt sich: „Wie weiter?“ – Und die Gedanken wandern zurück zu den Vorfahren. „Was hätten sie getan an meiner Stelle?“, fragt die innere Stimme. Dieses „Was hätten sie getan?“ müsste auch die innere Stimme Berlins fragen. Denn was haben sie getan, die preußischen Politiker in den legendären Gründungszeiten, da Berlin zum El Dorado der Forschung wurde, von der Philosophie bis zur Technik? Aber was haben auch sie getan, die Neubegründer nach dem Zweiten Weltkrieg? – Sie haben ohne Zögern Prioritäten gesetzt. Sie haben in Zeiten, wo die Kassenlage genauso angespannt war wie heute, ohne Zögern entschieden, dass die Wissenschaften Vorfahrt haben müssen, und zwar nicht, weil sie den Sirenenklängen der so genannten Umwegrentabilität folgten, sondern weil sie wussten, dass in der Weltkonkurrenz nur Gesellschaften bestehen können, die das Beste im
Aber Besitzstand ist nicht gleich Besitzstand. Berlin hat Ausstattungsvorsprünge, die das Zukunftspotential der Stadt und des Landes bilden. Dazu zählen – das ist unbestritten – in besonderer Weise Wissenschaft, Forschung und Kultur. Dass Berlin nur als wissensbasierte Dienstleistungsmetropole, als Forschungs- und Kulturstandort eine Zukunft hat, ist die Basis unserer Politik. Auch deshalb strebt der Senat an, 85 000 ausfinanzierte Studienplätze in Berlin zu erhalten. Wir möchten diese nicht zur Debatte stellen. Wenn wir also 50 % mehr für unsere Universitäten ausgeben als andere Länder wie z. B. Hamburg, dann heißt das nicht, dass die Zukunft der Stadt darin besteht, sich auf dieses Niveau hinunterzusparen. Bei aller Kritik und allem Reformbedarf, der unbestritten ist, wir dürfen unsere Unis nicht schlecht reden. Berlin ist ein Topstandort in der deutschen Wissenschaftslandschaft, auch weil wir mehr ausgeben als andere.
Bei entsprechenden Umstrukturierungen, denen sich niemand verschließt – und ich zuletzt –, können wir zu einer der besten Adressen in Europa werden. Das meint Zukunftsfähigkeit. Die Frage ist also einzig und allein, welche Umstrukturierungen sinnvoll sind, auch unter dem Gesichtspunkt notwendiger Haushaltskonsolidierung. An dieser Stelle teile ich die Auffassung des Präsidenten der Humboldt-Universität, Professor Mlynek, dass eine zukunftsfähige Wissensgesellschaft Offenheit und Vielfalt braucht, dass die Attraktivität Berlins als Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort aus der Vielfalt des Wissens, der Kulturen und der Unternehmen in dieser Stadt erwächst. Natürlich muss Hochschul- und Wissenschaftspolitik Schwerpunkte setzen. Aber eine Steuerung, die meint, zwischen produktiven Natur- und Ingenieurwissenschaften einerseits und angeblich unproduktiven Geistes- und Sozialwissenschaften andererseits unterscheiden zu wollen, geht gleich mehrfach an der Wirklichkeit vorbei:
Menschen mobilisieren, Wissbegierde und den Drang zum Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit.
Ich komme zum Schluss: Niemand wird mir als Historiker widersprechen, wenn ich sage, die Wissenschaften haben Berlin groß gemacht, haben ihm seine moderne Seele gegeben. Die Wissenschaft ist deshalb nicht ein allzu hungriger Gast, dem am Tisch des Herrn Senators Armenspeisung zusteht, sondern symbiotisches Organ des Gesamtkunstwerks Berlin. Tun wir alles, dass diese einzigartige Symbiose nicht verdorrt, sondern neu erblüht. – Herzlichen Dank!
Vielen Dank! – Jetzt hat Herr Braun aber das Wort. – Bitte!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An diesem scheinbar großen Tag der Sozialdemokratie, den wir noch gekannt haben, als er ganz klein angefangen hat, mit Wortbruch und Wankelmut, an diesem Tag, den wir einmal wiedersehen werden, wenn er wieder ganz klein ist – wonach fragen wir heute? – Wir fragen nicht nach den Winkelzügen der Tagespolitik. Wir fragen nicht nach der allzu menschlichen Dialektik von Ethik und Ehrgeiz, von Leichtsinn und Versorgungsdenken bei den Akteuren. Uns ist es heute wie gestern gleichgültig, ob die Spielmacher aus Damen- oder Herrenschuhen trinken, wenn sie einmal über die Stränge schlagen. Wir fragen nicht einmal nach den Namen, weil das Auge der Geschichte, das auf Berlin blickt, in anderen Dimensionen misst als aufgeregte Zeitungsleser. Wonach wir fragen, das ist der
historische Sinn des Moments. Was geschieht heute? – Die Zuschauer aus aller Welt antworten: Heute sperrt die Sozialdemokratie dem Kommunismus die Tür zur Macht in Deutschland wieder auf.
Aber was heißt das? Ist der Kommunismus als historische Bewegung nicht längst tot, untergegangen mit der Roten Armee, zahnlos, ungefährlich, ein Kindergespenst? – An diesem Tag, der in seiner Bedeutung schillernd ist wie noch jeder Schicksalstag, sagen wir: Mag vielleicht alles sein. Aber demokratische Politik, die den Namen verdient, fragt zuerst nach Glaubwürdigkeit und historischer Moral. Die Bewusstlosigkeit der Spaßgesellschaft ist der Tod von verantwortlicher Politik.
Und darum gilt: Solange sich Menschen mit aufrechtem Gang in Berlin erinnern, werden sie beim Wort „Kommunismus“ im Zorn zurückblicken, denn die große Erzählung von der Stadt Berlin hat ein einziges Thema, es heißt „Freiheit“. Es ist der Pulsschlag der Freiheit, es sind ihre Atemzüge, die Berlin machen. Kampfplatz der Freiheit gewesen zu sein, stellvertretend für Deutschland, das ist der Ehrentitel unserer Stadt.
Heute wählen die Sozialdemokraten eine Partei zurück an die Macht, die vor der großen Sturmflut der europäischen Freiheit im Jahr 1989 ein Bollwerk der Unfreiheit gewesen ist. Die Partei trug damals einen anderen Namen, und das Handbuch des Abgeordnetenhauses legt nahe, sich mit dem Kürzel „PDS“ zu begnügen. Aber eine Bewegung, die als Kommunismus Weltgeschichte gemacht hat, sollte eigentlich stolz darauf sein, mit dem Jahrhundertbegriff angeredet zu werden, der ihr früher heilig war. Hüten werde ich mich, die heutige Partei mit der damaligen einfach gleichzusetzen, auch wenn sie von sich selbst sagt, dass 94 % ihrer heutigen Mitglieder auch damals dabei waren. Am demokratischen Bekenntnis meiner Parlamentskollegen zu zweifeln, liegt mir fern. Aber eine große historische Partei ist viel mehr als die Summe ihrer Individuen. Sie ist kein harmloses Etikett. Sie ist ein Symbol. Sie transportiert eine tief verwurzelte Tradition. Sie wirft einen Schatten, dem niemand entrinnt, solange er nicht mit der Partei bricht.
In diesen Tagen geben Sozialdemokraten nach Jahrzehnten der Mitgliedschaft ihr Parteibuch zurück, weil ihre Partei heute mit dem Kommunismus paktiert. Vor zwölf Jahren – damals, als die deutsche Revolution binnen Wochen die Totenstarre des Sozialismus aufbrach – wäre man verlacht worden, hätte man dergleichen prophezeit.
Aber nun ist es geschehen. Wirklich erklären kann man es niemandem. Oder nur Menschen mit Kurzzeitgedächtnis, die bei den Buchstaben SPD nur an einen roten Schirm auf der Straße denken und nichts von der ehrwürdigen und ältesten deutschen Partei wissen, die mit ihrem Herzblut an unserer gemeinsamen Geschichte von Einigkeit und Recht und Freiheit mitgeschrieben hat.
Warum tun die das, ruft man uns aus Deutschland überall fassungslos zu. Und erntet Rauchzeichen aus dem politischen Kiez: Mit diesem CDU-Kopf geht es nicht, mit jenem FDP-Programm nicht, mit diesem grünen Starrsinn erst recht nicht. – Rauchzeichen, morgen verweht, gewichtslos auf der Waage der Geschichte! Steckt denn vielleicht ein heimlicher Traum vom gemeinsamen Sozialismus dahinter, die Berliner SPD als Avantgarde einer Versöhnung der seit 1919 tödlich verfeindeten Geschwister der Arbeiterbewegung? – Ach was! Gemessen am theorielosen anything goes der Berliner SPD wundert man sich fast darüber, wie viel Begründungsmühe sich die Sozialdemokratie 1987 mit ihrem SED-Annäherungspapier gemacht hat.
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Was niemand versteht, legitimiert sich am besten durch Phrasen: Schlussstrich, Schwamm drüber, Tür zu, das Leben geht weiter. – Manchen Sozialdemokraten ist solche Amnesie peinlich, sie glauben dafür allen Ernstes an Entschuldigungsformulare, wo der Schlussstrich von moralischen Schnörkeln umrahmt wird.
An diesem Tag der großen Selbstbeschwichtigung sage ich: Der Geist der Geschichte pfeift auf Papiere und Entschuldigungen.
Er vergisst nichts. Kein „Schwamm drüber!“ wischt das an der Mauer vergossene Blut der Unschuldigen ab.
Kein Schlüssel sperrt die Stimmen der Erinnerung weg, die tausendfältig gegen enteignetes Leben protestieren. Ich sage: Der Mensch wird geboren, um die Schwingen auszubreiten und fliegen zu lernen über das Enge und Kleine hinaus. Dass der deutsche Kommunismus dies vor allem anderen den Menschen auszutreiben getrachtet hat, bleibt seine Hauptsünde. Kein Kalter Krieger, sondern Deutschlands bedeutendster Lyriker der Gegenwart, Durs Grünbein, hat jüngst seine Jugend in der DDR mit einer vernichtenden Bilanz beschrieben:
Alle schlechten Eigenschaften des modernen Menschen fanden sich hier kollektiviert und in den Rang gesellschaftlicher Notwendigkeiten erhoben, die geistige Ignoranz... die Denunziation des Nächsten, das dumme Geschwätz... die Borniertheit [und der] Kadavergehorsam.
Ist das nun Schwarzmalerei? – Natürlich gelang auch etwas in der DDR. Natürlich haben Millionen von Menschen ein Leben in Würde und Anstand gelebt, nur waren es Würde und Anstand t r o t z und g e g e n SED und Staatssicherheit. Was in Leben, Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft Positives geschaffen wurde, war in Leidenschaft und List dem Staatssozialismus abgerungen. D i e s sind die Biographien, vor denen wir uns in Hochachtung verneigen. Wir sagen zur Präambel der Koalitionsvereinbarung: Die PDS hat nicht das geringste Recht, sich zur Anwältin dieser Lebensgeschichten zu ernennen.
An diesem Tag, der ein einziges Fragezeichen über Berlin ist, fragen wir noch einmal: Wohin platziert sich die Sozialdemokratie in der deutschen Geschichte? – Es ist enthüllend, dass die Bündnispapiere ein Denkmal für Rosa Luxemburg beschließen. Kann es im Ernst solche historische Legasthenie geben?
Die große Sozialistin ist keine Schutzpatronin der Demokratie. Sie hat Klassenkampf, Diktatur des Proletariats und Bürgerkrieg propagiert. Mit dem Spartakusaufstand gegen die demokratische Vernunft Friedrich Eberts begann der Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt, der am Ende die erste deutsche Republik zerstörte. Golo Mann hat der verblendeten Republikfeindschaft der deutschen Kommunisten ein gerüttelt Maß Mitschuld an der deutschen Katastrophe zugemessen.
Und weiter: Als das Nazi-Reich 1945 in Schande untergegangen war, wer hinderte eigentlich Walter Ulbricht daran, sich in der Sowjetzone einem echten demokratischen Votum zu stellen, anstatt das Wort „Freiheit“ ständig zu missbrauchen? – Die Frage ist rhetorisch, das weiß ich, aber man braucht sie, um den Schleier, den die heutige Berliner SPD und die PDS mit den Schlagworten vom „Kalten Krieg“ und vom „Ost-West-Konflikt“ vor die Schuldfrage spannen, einmal wegzureißen. Dass der deutsche Kommunismus seinen Staat auf Unfreiheit baute, dass er zuerst die Sozialdemokratie, dann das ganze Land in Ketten schlug und bespitzelte, einsperrte und aus dem Land jagte, wer die Ketten nicht tragen mochte, d a s hat unser Land gespalten.
Es hat alles brüderliche Streben nach Gleichheit und Gerechtigkeit, das es im östlichen Deutschland selbstverständlich ebenso gab wie im freiheitlichen Sozialstaat des Westens, vom ersten Tag an mit Zwang und Verlogenheit vergiftet. Freiheit ist nicht alles, das weiß ich, aber ohne Freiheit ist alles nichts.
Das Jahr 1989 kam endlich, nach dem 17. Juni 1953, nach dem 13. August 1961, wo historischer Appell genug schon gewesen wäre zur Einsicht und Umkehr für den Kommunismus. Aber was geschah im Winter 1989? – Noch einmal verweigerte sich der deutsche Kommunismus der Forderung des Tages. Süchtig nach der Droge der Macht, war ihm alles verhasst, was Machtverlust verhieß. Am Ende eines jahrzehntelangen Niedergangs, nach ökonomischem wie moralischem Bankrott, wäre die Umwidmung der Parteimilliarden für die Diktaturopfer und die Selbstauflösung der Partei ein Akt von jener welthistorischen Größe gewesen, wie sie die Sozialisten immer für sich beansprucht hatten.
Einzelne sind diesen Weg einer echten geistigen Umkehr gegangen. Denen gilt meine ganze Sympathie.
Die Präambel der Koalitionsvereinbarung, etwa am 4. November 1989 am Alexanderplatz verlesen, hätte dem Sozialismus vielleicht einen Rest von Glaubwürdigkeit gerettet. Nach 12 Jahren Schweigen aber ist sie nur ein Zeugnis eiskalter Berechnung zur Betäubung des schlechten Gewissens der Sozialdemokratie.
Der Stein, den die PDS 1989/90 vergeblich der Wiedervereinigung in den Weg wälzte, wurde danach geschickt zermahlen und zum Sand im Getriebe.
„Desinformation“ hat eine große Tradition im Kommunismus. Geschickter hat wohl nie jemand „Haltet den Dieb!“ gerufen. Von denen, die doch ganz still hätten sein müssen über all dem Elend, das sie verantworteten, kamen zum Wiederaufbau vor allem Hohn und Häme und agitatorische Maximalforderungen.
Die von der CDU geführte große Koalition beschloss: Aufbau Ost kommt vor Aufbau West. Ist die PDS ein einziges Mal darauf positiv eingegangen? – Ich wüsste nicht. In Berlin hat die PDS die Stadt gepalten. Sie s e l b s t ist das Problem, für dessen Lösung sie sich jetzt großzügig anbietet.
Welche Kompetenz bringt sie mit? – Das Parteiprogramm der PDS ist buchstäblich nicht von dieser Welt. Viel wichtiger ist etwas anderes: Die Partei hat die Erinnerung, wie süß die Macht schmeckt. Und sie schickt Persönlichkeiten in den Senat, die vor allem eine Qualifikation haben: Sie sind mit allen Wassern des Klassenkampfes gewaschen.
Sogar die DKP darf mit ihrer in Moskau ausgebildeten Sozialsenatorin einen unerwarteten, späten Erfolg feiern.
Und wir, das bürgerliche Berlin? – Auch an diesem Tag, der grau, nicht groß ist, verhüllt die Stadt der Freiheit nicht ihr Haupt. Sie braucht ihre offenen Augen mehr denn je. Und sie weiß: „Lachen hat seine Zeit, Weinen hat seine Zeit.“ Das hat das bürgerliche Berlin im letzten Jahr schmerzhaft erfahren. Auch die Sozialdemokratie, die heute einen großen Tag zu haben glaubt, wird die Wahrheit des biblischen Satzes bald erleben. Die leichtfertige „Liaison dangereuse“ von heute wird sie ihre Seele kosten.
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Darüber freut sich niemand, dem unsere Demokratie am Herzen liegt. Klaus Wowereit, Peter Strieder, Klaus Böger! Um nichts in der Welt möchte ich heute in Ihrer Haut stecken! – Vielen Dank!
Herr Präsident! Ich nehme die Wahl an.