Opposition fordert neue Sparrunden, CDU und FDP drohen mit Klage – welche Folgen hat das für Berlin?
Wir haben zwei Rednerrunden mit bis zu 10 Minuten je Fraktion bei freier Aufteilung. Als erster Redner hat der Kollege Wieland das Wort für die Fraktion der SPD. – Bitte schön, Herr Wieland!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „CDU und FDP klagen nicht erneut gegen den Berliner Haushalt“ – so die Überschrift der dpa-Meldung vor ca. 2 Stunden. Dass ich es einmal begrüßen würde,
dass Eberhard Diepgen und Frank Steffel noch Mehrheiten in der Union gestalten können, hätte ich mir vor wenigen Tagen auch nicht träumen lassen.
Die Berliner CDU will laut Agenturmeldung Veränderungen am Haushalt durch politische Auseinandersetzung erreichen. Herr Zimmer, weniger Gerichte, mehr politische Auseinandersetzung – dies wäre zu begrüßen. Ich habe allerdings ein paar Zweifel, wenn man auch heute wieder mitbekommt, dass die Lieblingsbeschäftigung der politischen Auseinandersetzung der Union nur noch darin besteht, gegen politische Mitbewerber Anzeigen zu erstatten.
Die FDP will klagen, aber doch nicht so richtig. Ihre endgültige Entscheidung machen die Liberalen davon abhängig, ob ihre wegweisenden Vorschläge für ein Sanierungskonzept der Berliner Staatsfinanzen umgesetzt werden. Herr Dr. Lindner, die Koalition wird Ihre Vorschläge mit der notwendigen Sorgfalt prüfen. Bei einer ersten Durchsicht fällt mir allerdings nicht auf, dass Sie mit neuen und vor allen Dingen Vorschlägen, die den sozialen Frieden sichern, aufwarten. Wenn man Ihren Forderungskatalog als Datei auf dem PC hätte, bin ich sicher, dass man bei der Suchfunktion die meisten Fundstellen unter dem Begriff Kündigung finden wird.
Ohne Prophet zu sein, bin ich sicher, die FDP wird in einigen Monaten feststellen, dass nicht alle oder vielleicht sogar nur wenige ihrer Vorschläge aufgegriffen werden können. Oder Sie werden erkennen müssen, dass davon bereits einiges auf den Weg gebracht wurde. Und dann? – Ich wage eine Prognose, Herr Dr. Lindner, Sie werden nicht klagen, Sie werden nicht klagen können. Warum haben CDU und FDP den geordneten Rückzug angetreten? – Bei der CDU war es vielleicht doch Eberhard Diepgen mit seiner Aussage, ich zitiere:
Aufgabe der Opposition ist es sicher nicht, eine erneute Verfassungsklage anzustreben. Die Berliner erwarten eine konstruktive Arbeit. Auch wenn der Begriff aus vergangenen Legislaturperioden stammt, aber Sparen und Gestalten – das heißt, bei striktem Sparkurs doch auch für Lebensqualität, Arbeitsplätze und Steuerkraft zu sorgen – muss im Vordergrund stehen.
Ich bin aber sicher, dass dies auch Wirkung bei Ihnen gezeigt hat und dass sich doch die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass es nicht hilft, ein Gericht anzurufen, um die Rechte und die Verantwortung des Parlaments in Haushaltsfragen weiter einschränken zu lassen. Und ich bin
sicher, dass es noch ein anderer Aspekt war, der Sie zur Vernunft gebracht hat: Was wäre die Botschaft gewesen gegenüber dem Bundesverfassungsgericht, wenn in Berlin die Opposition gegen den Haushalt klagt? – Die Botschaft wäre gewesen, Berlin unternimmt nicht genügend eigene Anstrengungen, um sich aus der finanziellen Misere zu befreien.
Genau da wäre doch der Widerspruch Ihrer Politik aufgetreten – einerseits die tägliche Kritik an der angeblich unsozialen Politik des Senats und der Koalition und auf der anderen Seite möglichst unkonkrete Forderungen zu mehr Sparwillen. Wir wissen alle, Berlin braucht die Hilfe des Bundes und der anderen Länder. Jenseits der Einsparungen im Doppelhaushalt haben wir uns in der Enquetekommission darauf verständigt, Ideen und Konzepte unter Mithilfe von kompetenten Menschen außerhalb der Politik zu entwickeln und die Zukunft Berlins zu sichern. Ohne politische Unterschiede zu leugnen, ist es doch auch entscheidend, was wir für die Zukunftsgestaltung im Konsens gegenüber anderen formulieren und vertreten. Es soll sich doch niemand etwas vormachen – was wir auch an Hilfe einfordern, einfordern müssen: Positive Wirkung werden wir nur erreichen, wenn Berlin bei den entscheidenden Punkten mit einer Zunge spricht.
[Beifall bei der SPD und der PDS – Zuruf des Abg. Schruoffeneger (Grüne) – Ritzmann (FDP): Da kommt die Dolchstoßlegende!]
Nur dann können wir es erreichen, dass die dramatische Situation Berlins auch als eine Aufgabe des Bundes und der Länder akzeptiert wird.
Wir werden heute über den GSW-Verkauf im Parlament zu entscheiden haben. Wenn ich mir die Diskussion im Unterausschuss Vermögen im Hauptausschuss sowie das Abstimmungsverhalten vor Augen führe, kann man prognostizieren, dass wir diese Entscheidung mit einer sehr breiten Mehrheit treffen können. Dies zeigt, dass wir schwer wiegende Entscheidungen auch gemeinsam treffen können. Es wäre sinnvoll, dies in unseren Parteien auf Bundesebene und gegenüber den anderen Ländern als etwas Positives zu kommunizieren. Damit wir uns richtig verstehen: Es geht nicht darum, die politischen Unterschiede zu verdecken. Aber wenn es uns gelingt, aus der Arbeit der Enquetekommission einige wenige, von allen Fraktionen getragenen Punkte zu erarbeiten und dies offensiv zu vertreten, dann haben wir eine Chance, dass andere bereit sind, uns zu helfen. Ein positives Urteil des Bundesverfassungsgerichts wäre ein erster wichtiger Schritt. Aber wir brauchen nicht nur ein Urteil. Wir brauchen ein Verständnis für die Hauptstadt, wir brauchen das Vertrauen in Berlin, und wir brauchen Zukunftswillen. Dafür lassen Sie uns politisch arbeiten, einerseits mit gemeinsamem Willen, andererseits im Wettbewerb. – Vielen Dank!
CDU geht, will ich noch einmal die Redezeiten deutlicher darstellen. Es sind zehn Minuten für die erste Runde, danach der Senat sowie fünf Minuten für die zweite Runde. Jetzt hat das Wort der Herr Kollege Zimmer für die Fraktion der CDU.
Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Herr Wieland! Ich bin ja recht froh darüber, dass Sie die Auseinandersetzung in einer sachlichen Form suchen. Nach dem absurden Theaterstück, das Herr Krüger bei der Begründung der Aktuellen Stunde aufgeführt hat, hatte ich schon große Sorge, dass Sie sich diesem wichtigen Thema auch nur im Klamauk stellen wollen.
Es kann für jeden, der halbwegs objektiv mit diesem Haushalt umgeht und das Urteil des Verfassungsgerichts gelesen hat, nur einen Schluss geben: Der Doppelhaushalt 2004/2005 ist objektiv verfassungswidrig. Sie haben das Urteil des Verfassungsgerichtshofes an verschiedenen Punkten missachtet. Sie haben die Reduzierung auf das Notwendige, also das, was das Verfassungsgericht Ihnen als Maßstab gesetzt hat, nicht befolgt. Sie haben ein Volumen von ungefähr 1 % bewegt. Das würde im Umkehrschluss bedeuten, dass 99 % von dem, was Sie in Ihrem Haushalt aufgestellt haben, unveränderlich und richtig ist. Das glauben Sie doch selbst nicht, dagegen spricht ja schon eine gewisse statistische Wahrscheinlichkeit. Sie haben sich zudem nicht der Begründungsnotwendigkeit gestellt, die das Verfassungsgericht Ihnen aufgegeben hat. Das Verfassungsgericht fordert, dass sich jeder darüber im Klaren sein muss, wofür wir das wenige Geld, das wir haben, sinnvoll und richtig verwenden. Auch diese Notwendigkeit haben Sie missachtet.
Und nun kommen wir zu einem dritten bedeutsamen Punkt, der auch noch eine Rolle spielen wird, zumal Herr Wieland richtigerweise auf die Enquetekommission hingewiesen hat: Wachstumorientierung. Die Notwendigkeit, sich darum zu kümmern, dass wir in unserer Stadt etwas zum Positiven bewegen, ist in Ihrem Haushalt gar nicht zu erkennen. Das wundert auch nicht weiter, Herr Sarrazin, der Freund der Ausgabenreduzierung, der jede Einnahme für einen Fehler hält, hat hier seine deutliche Handschrift hinterlassen. Sie aber haben mitgestimmt, und deswegen muss man sich nicht die Frage stellen, ob die Opposition vielleicht Schuld daran ist, wenn wir feststellen, dass der Haushalt verfassungswidrig ist. Nein, Sie sind Schuld daran, dass Sie einen verfassungswidrigen Haushalt aufgestellt und beschlossen haben.
Das ist so klar und augenscheinlich, dass Sie noch nicht einmal in der Lage sind, einen vernünftigen Widerspruch zu formulieren. Jeder von Ihnen weiß es, Sie müssen sich das nicht schön reden. Hören Sie besser zu, Sie können an der Stelle offenbar noch etwas Zuhören gebrauchen.
Nun kommen wir mal zu Karlsruhe und zu der Dolchstoßlegende, die von der Regierungskoalition formuliert wird, denn anders kann man es ja wohl kaum bezeichnen. Ihre eigene Unfähigkeit, einen verfassungskonformen Haushalt aufzustellen, kaschieren Sie mit der Behauptung, dass diejenigen, die sagen, der Haushalt ist verfassungswidrig, das Risiko provozieren, in Karlsruhe zu unterliegen. Sie haben ihn trotz aller Warnungen, die in diesem Hause sehr zahlreich waren, beschlossen. Meinen Sie ernsthaft, das Bundesverfassungsgericht prüft nicht von sich aus die Frage, ob Sie einen verfassungskonformen Haushalt aufgestellt haben? Meinen Sie nicht, dass das Verfassungsgericht diese Fragestellung zum Maßstab machen wird? Ein Land, das von anderen Ländern und vom Bund Solidarität erwartet, ist nicht einmal in der Lage einen eigenen verfassungskonformen Haushalt aufzustellen. Meinen Sie, dass Ihnen das Pluspunkte bringt? – Ich glaube das nicht.
[Beifall bei der CDU und der FDP – Pewestorff (PDS): Ihre Rede ist eine Zeugenaussage gegen Berlin! – Klemm (PDS): Barer Unsinn!]
Sie von der Regierungskoalition und vom Senat, Sie allein gefährden mit Ihrem Haushalt den Erfolg der Klage in Karlsruhe.
Nun stellt sich die Frage, wie man mit so einem Haushalt umgeht. Wir haben uns die Antwort darauf wahrlich nicht leicht gemacht, das war ein schwieriger Abwägungsprozess, der auch in den langen Diskussionen, die wir in unserer Fraktion gehabt haben, deutlich geworden ist. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir als Parlament, als das Haus, das mit Ihrer Mehrheit diesen Haushalt beschlossen hat, versuchen müssen, das von Ihnen geschaffene Problem zu lösen und aus der Welt zu schaffen.
Haushalt ist ein Versprechen auf die Zukunft, und die Zukunft liegt im Augenblick in Ihren Händen, den Händen der rot-roten Regierungskoalition und des Senats. Sind das gute Hände, in denen dieser Haushalt liegt? – Mit Sicherheit nicht. Wir haben den Regierenden Bürgermeister, der eher durch seine Eitelkeit und seine Pflichtvergessenheit auffällt. Wir haben Herrn Sarrazin, der sich – bei allem fachlichen Verständnis, das er besitzt und das ich ihm überhaupt nicht absprechen möchte – an vielen Stellen durch Hochmut in der Diskussion und durch Kurzfristigkeit in der Politik auszeichnet. Dann haben wir noch Herrn Krüger, der heute einen eindrucksvollen Beleg über die haushaltspolitische Kompetenz der PDS geliefert hat. Es verbietet sich eigentlich, dies weiter zu kommentieren. Deswegen, Herr Wieland, fällt es so schwer, gemeinsam mit Ihnen mit einer Stimme zu sprechen.
Kann es jedoch die Antwort sein, dass wir diesen Haushalt, die Zukunft Berlins wiederum in die Hände des Verfassungsgerichtshofs legen? – Viele Menschen haben heutzutage Zweifel daran, dass Politik in der Lage ist, die Probleme zu lösen, und ich kann es verstehen. Ich kann es
verstehen, wenn man einen Blick auf die Art von Diskussion wirft, die wir führen, die häufig effekthascherisch ist, machtversessen ist, wenn es um den Erhalt der eigenen Posten geht, und die auch fern von den Menschen ist, für die wir eigentlich Politik machen sollten.
Aber auf der anderen Seite: Wir sind die Volksvertreter. Wir sind dafür gewählt worden, unsere Bürgerinnen und Bürger zu vertreten, ihre Geschicke zu lenken. Deswegen kann es nicht richtig sein, diese Verantwortung leichtfertig aus der Hand zu geben,
auch wenn dies im Hinblick auf die vergangenen Diskussionen, die wir in diesem Haus geführt haben, schwer fällt.
Damit hier kein falscher Zungenschlag aufkommt, will ich an dieser Stelle aber auch eines ganz deutlich sagen: Ich glaube nicht – das sage ich sehr deutlich in Richtung derjenigen, die außerhalb des Hauses so diskutieren –, dass es so kommen kann und kommen wird, dass wir wieder den wohligen Mantel der Barmherzigkeit über Berlin ausbreiten, wie wir dies in der Vergangenheit schon getan haben.
Dieser Mantel hängt inzwischen nur noch in Fetzen, und wenn wir tatsächlich etwas für unsere Zukunft erreichen wollen, dann müssen wir etwas Neues, eine Alternative finden. Es ist schon richtig: Die Weisheiten von gestern sind häufig die Dummheiten von heute.
Was müssen wir nun tun? – Ja, wir haben eine Enquetekommission. In dieser Enquetekommission diskutieren wir tatsächlich darüber, wie wir für Berlin eine Zukunft schaffen können. Jedem, der an dieser Enquetekommission teilnimmt, ist deutlich geworden, dass der Weg, den Sie beschritten haben, nicht der richtige ist. Herr Müller, der beispielsweise in der Enquetekommission sitzt, hat es doch gehört. Sie haben es von den von Ihnen benannten Sachverständigen gehört, dass es nicht genügt, Ausgaben zu reduzieren, dass es nicht reicht, vom Sparen zu reden, ein paar Symbole herauszugreifen und dort auf anderer Leute Kosten ein Opfer zu bringen und ansonsten an anderen Stellen das Geld so auszugeben wie bisher und sich nicht darum zu kümmern, dass wir mehr Geld einnehmen.
Deswegen haben wir eine Chance, und zwar mit einem Nachtragshaushalt. Dieser Nachtragshaushalt wird meines Erachtens sehr sicher auf uns zukommen. Er muss deshalb auf uns zukommen, weil wir eine Steuerschätzung bekommen werden, weil wir Hartz IV berücksichtigen müssen und weil wir uns mit der Enquetekommission den Auftrag gegeben haben, die von der Kommission erarbeiteten Vorschläge darin auch zu berücksichtigen.