Protokoll der Sitzung vom 23.09.2004

Meine Ausführungen belegen nachhaltig die Feststellung aus der Großen Anfrage, dass Berlin als Tanzstadt äußerst attraktiv ist. Kürzlich wurde in der „Berliner Zeitung“ Jochen Sandig sogar mit der Aussage zitiert, dass sich Berlin zum Tanzzentrum Europas entwickele. Es ist unser erklärtes kulturpolitisches Ziel, die Tanzstadt Berlin zu stärken und Perspektiven für ihre weitere Entwicklung zu gestalten. In Anbetracht des kulturpolitischen Stellenwerts, den der Senat dem Thema Tanz und dessen Entwicklung beimisst, aber auch um den detaillierten und ressortübergreifenden Fragestellungen gerecht zu werden, wird sich der Senat mit Ihrer Anfrage beschäftigen. Wir haben Ihnen das auch schriftlich zugesandt. Wir beabsichtigen, dass wir unser Programm zusammenfassen und als

Sen Dr. Flierl

Es stellt wirklich eine Provokation dar, weil wir uns in dem Bemühen einig sind, Tanz und Ballett in dieser Stadt

zu stärken. Doch schon in Ihrem Perspektivenpapier haben Sie es zu nicht mehr als einer Dreiviertelseite gebracht. Die haben Sie jetzt etwas ausgeführt, aber das kann es nicht sein, wenn man Perspektiven für diesen Bereich definieren will.

Der erste Fragenkomplex, den ich angesprochen habe, war die Frage nach der Zukunftskonzeption mit dem Blick auf Kultur als einem der wichtigsten Standortfaktoren. Was kann konkret getan werden, um die Arbeits- und Aufführungsbedingungen zu verbessern? – Natürlich ist es nötig, dass von Seiten der Senatskulturverwaltung Probenräume und Aufführungsorte für den Tanz vermittelt werden. Da müssten schon längst Kooperationen mit dem Liegenschaftsfonds stattfinden, mit den nicht genutzten Schulen, Herr Senator, mit den Turnhallen, die geeignet wären, damit dort Tanzproben stattfinden können.

Die allgemeine Aussage, der Hauptstadtkulturfonds, Herr Brauer,

Vorlage – zur Kenntnisnahme – zuleiten. Sie werden sich nicht nur auf diesen Debattenbeitrag beziehen müssen, sondern Sie können sich demnächst auf eine Senatsvorlage stützen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Wir treten jetzt in die Besprechung ein mit bis zu zehn Minuten pro Fraktion. – Zuerst, Frau Ströver, bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Senator! Es sollte um Spitzen-Tanz gehen, nicht um Lahme-Enten-Bewegungen, ja?

[Heiterkeit]

Ich bin frustriert, dass dieses Thema hier vom Senator so behandelt wurde.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf von der PDS]

Doch, doch, das muss ich einmal sagen, es ist vielleicht unkulturell, aber das nervt mich.

[Zuruf der Frau Abg. Simon (PDS)]

Ich, Herr Senator, habe eine schriftliche Stellungnahme für die zweite Runde vorbereitet gehabt. Die lege ich jetzt zur Seite, weil ich mit Ihnen umgehen sollte wie der Gesamtsenat mit Ihrem Perspektivenpapier: Vertagen auf Wiedervorlage bis zur Konkretion. – Also das, was Sie uns heute geboten haben, war einfach nur eine affirmative Beschreibung dessen, was ist. Das brauchen Sie mir und auch den Kollegen nicht zu erzählen, sondern Sie sollen auf die strukturellen Probleme im Tanz und beim Ballett eingehen, auf die Frage, wie sich das Staatsballett unter dem Dach der Opern tatsächlich etabliert, und auf die vielen konkreten Fragen, 19 insgesamt,

[Brauer (PDS): 29, ich habe sie gezählt!]

die ich Ihnen gestellt habe, und sie konkret beantworten. Das Prinzip einer Großen Anfrage bedeutet im Unterschied zu einer Besprechung gemäß § 21 Abs. 5 GO Abghs im Ausschuss: konkrete Fragen, konkrete Antworten, sonst brauchte man diese Große Anfrage nicht zu machen, dann könnte man einen beliebigen Besprechungspunkt dazu im Ausschuss machen.

[Beifall des Abg. Dr. Heide (CDU)]

Ich habe mir einige Mühe mit der Großen Anfrage gegeben, bin aber jetzt ziemlich genervt, dass eine Anfrage, die am 19. Juli an diesen Senat gegangen ist, mit dem Hinweis endet, auf die konkreten Fragen werde irgendwann eine Mitteilung – zur Kenntnisnahme – kommen.

[Zuruf der Frau Abg. Grütters (CDU)]

Das finde ich gegenüber dem Parlament schon eine ziemliche Unmöglichkeit, das muss ich Ihnen sagen.

[Beifall bei den Grünen und der FDP]

[Brauer (PDS): Ja?]

sicherte den Schwerpunkt Tanz ab, ist problematisch.

[Brauer (PDS): So hat es niemand gesagt, und das wissen Sie auch!]

Sie wissen so gut wie ich, so ist der Hauptstadtkulturfonds nicht definiert. Der Hauptstadtkulturfonds soll Einzelprojekte finanzieren und fördern, aber er soll nicht die strukturellen Defizite finanziell ausgleichen, die wir bei der Finanzierung von Tanz und Ballett haben. Das kann es wohl nicht sein, da müssen Sie sich schon ein bisschen mehr überlegen.

Wir haben Sie konkret nach der Ausbildungssituation gefragt. Sie haben uns erzählt, wie die Struktur in den privaten Ausbildungsstätten des zeitgenössischen Tanzes und in der Staatlichen Ballettschule und in der Schule für Artistik ist. Das wissen wir, aber es gibt dort das Problem, dass die Tänzer, anders als Sie es hier geschildert haben, eben gerade keine mit den anderen Abschlüssen in der Bundesrepublik Deutschland vergleichbare Ausbildung haben. Sie wollen gerne neben dem allgemeinen Abschluss mit Abitur hin zu einem akademischen Abschluss für den Ballettbereich geführt werden. Dazu müssten Sie sich äußern, dazu sollen Sie sich verhalten.

[Anhaltende Unruhe]

Genauso ist es beim modernen zeitgenössischen Tanz. Wir wollen eine stärkere Anbindung der Ausbildung an die künstlerischen Hochschulen. Das gibt es nicht. Wir haben nur private Ausbildungsstätten. Danach haben wir Sie gefragt. Ich erwarte einfach, dass Sie dazu etwas sagen. Warum tun Sie das nicht? Haben Sie keine Antwort? – Es liegt doch in Ihrem Bereich Wissenschaft und Kultur. Dazu muss man sich doch irgendeine Meinung gebildet haben. Da muss doch die Verwaltung in der Lage sein zuzuarbeiten. – Ich verstehe das nicht, anscheinend scheint Ihre Verwaltung nicht zu arbeiten.

[Glocke des Präsidenten]

Auch die strukturelle Neuausrichtung vom Hebbel am Ufer und des Podewils führen zum Zurückdrängen des Tanzbereichs. Die Sophiensäle sind ebenfalls interdisziplinär und nicht nur für den Tanz da. Wir müssen uns überlegen: Reicht das, was jetzt noch an Restterminen für Aufführungen an diesen Einrichtungen da ist, um den Bedarf an Tanzaufführungsstätten zu sichern? – Viele Leute tragen an mich heran, dass es nicht reicht. Wir brauchen in diesem Bereich mehr Möglichkeiten, vielleicht müssen wir auch noch einmal kulturpolitisch umdenken. Ich war an der Umstrukturierung des Hebbel am Ufer beteiligt. Aber wenn wir das Podewil und die Sophiensäle in eine ziemlich andere Richtung geben, dann haben wir keinen Tanzschwerpunkt mehr in einem der drei Häuser.

Mit Verlaub, die Herren Abgeordneten Steffel, Gram, Lindner! Ich habe eine ganze Weile nichts gesagt, aber Sie übertönen momentan schon langsam die Rednerin. Ich bitte, die Ruhe wiederherzustellen. – Das Wort hat Frau Ströver und niemand anders!

[Beifall bei der SPD]

Von Herrn Steffel und Herrn Lindner habe ich nicht gerade das große kulturpolitische Interesse erwartet, insofern wundert mich das nicht.

[Dr. Lindner (FDP): Wir diskutieren über Ihre Rede! – Brauer (PDS): Steffels „Bild-Zeitung“ ist alle! – Zuruf des Abg. Dr. Steffel (CDU)]

Ich komme zum dritten Punkt unseres Fragekomplexes. Wir haben zur Situation des Balletts unter dem Dach der Opernstiftung gefragt. Zu sagen, ein aus ehemals fast 130 Tänzern auf 88 Tänzer geschrumpftes Ballett sei der große innovative Schritt, das erfordert schon ein gehöriges Maß an Chuzpe, das muss ich schon sagen. Immerhin: Vladimir Malakhov ist langfristig an das Haus gebunden, aber Sie können uns doch nicht erzählen, das Staatsballett sei ein eigenständiger Betrieb, Herr Senator. Bisher ist es eine Kostenstelle unter dem Dach der Opernstiftung, eigenverantwortlich zwar, hat aber nicht einmal Mittel für Marketing. Sie haben gerade gelesen, wie in der „Berliner Zeitung“ darüber gesprochen worden ist, dass der Start dieses Staatsballetts in der Deutschen Oper mit einer Auslastung von ungefähr 40 Prozent begonnen hat. Warum? – Weil kein Mensch gemerkt hat, dass Vladimir Malakhov mit seiner Truppe da künstlerisch hinüber gezogen ist. Das kann es doch nicht sein. Hier müssten Sie uns doch mehr Antworten bieten, damit es tatsächlich zu einer Zukunft für das Staatsballett unter dem Dach der Opernstiftung kommt.

Sie müssen uns auch antworten, wie viele Spielabende Sie mit 88 Tänzerstellen realisieren können und wie Sie die Lücken in den Opernhäusern, die dadurch entstehen, dass wir nicht mehr drei Ballettkompanien haben, ausfüllen wollen.

Ein weiterer Punkt: Im Frühjahr 2001 ist dem Land Berlin eine Summe Geldes, deren Größenordnung wir nicht wissen, aus dem Vermächtnis einer ehemaligen Hoftänzerin der Staatsoper zugeflossen. Dieses Geld sollte zur Förderung des Tanzes in Berlin vom Land Berlin in einer Stiftung angelegt werden. Wir haben Sie konkret dazu gefragt, nichts in Ihrer Antwort! Ich muss schon sagen, wir könnten wenigstens ein Signal erhalten, ob die Stiftung nun gegründet wird, ob sie von der Opernstiftung oder vom Senat gegründet wird, wie viel Geld da ist. Das haben wir alles gefragt, haben aber keine Antwort bekommen.

Vierter und letzter Punkt: Tanzzentrum der Moderne. Sprechen Sie einmal mit Sasha Waltz und mit Jochen Sandig von der Schaubühne. Es ist nicht so, dass sich die beiden in der Schaubühne langfristig gesichert sehen. Sie fühlen sich immer noch in einer Bittstellersituation und

haben nach wie vor nicht im entferntesten die Mittel für die Aufstockung ihrer Tanzstellen, die sie brauchen. Die Kollegen, die sich auskennen, wissen, was das Problem ist: die absolute Selbstausbeutung von Körper, Geist für die Arbeit von Sasha Waltz in der Schaubühne. Da muss es zu weiteren Umstrukturierungen der Mittel kommen, die für die Schaubühnenarbeit zur Verfügung stehen.

Das führt mich zum letzten Aspekt: Ich glaube, wir müssen sehr konkret an einem choreographischen Zentrum arbeiten. Das kann auch ein Provisorium sein, Herr Senator. Die Mehrheit der Tanzszene will das unbedingt, und nicht, indem man die anderen Orte des Tanzes platt- oder kaputtmacht, sondern indem man sie erhält und als selbständige Satelliten um ein Tanzzentrum herumgruppiert. Nur dann, glaube ich, ist Berlin als Tanzstadt attraktiv. Aber mit der Antwort, die Sie uns heute gegeben haben, kommt Berlin nicht auf die Tanzspitze!

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Frau Ströver! – Für die SPD-Fraktion hat Frau Abgeordnete Lange das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Spitzentanz oder lahme Ente? – Frau Ströver! Nicht jeder hat Ihr Temperament, ich denke, das sollten wir einfach akzeptieren. Ich stelle noch einmal fest, dass wir heute zum Spitzentanz in Berlin reden.

Vorweg habe ich mir aus Ihrer Begründung einen Satz gemerkt, in dem Sie gesagt haben, dass zu weiteren Kürzungen im Kulturbereich aufgerufen werde. Uns ist außerhalb der mittelfristigen Finanzplanung nichts bekannt, das möchte ich feststellen. Wir reden zum Spitzentanz in Berlin. Dabei sollten wir uns nicht gegenseitig auf der Nase herumtanzen, sondern die Fakten klarstellen, und zwar ohne Schnörkel und Tütü. Ich hätte es besser gefunden, wenn wir uns zunächst im Ausschuss mit einer Anhörung ein Bild zur Situation des zeitgenössischen Tanzes hätten machen können. Wir haben dazu mehrere Besprechungspunkte angemeldet. Dieses nur vorweg, das finde ich schade.

Dafür sind drei Punkte wesentlich: Die Präsenz auf der Bühne muss gewährleistet sein; das Tanzstudio muss zur Verfügung stehen, und es werden einige artists’ and residents’ rooms gebraucht. Der „Tanz im August“ als Berlins größtes Tanzfestival bringt viel Publikum ins Haus. Um die Qualität dieses Festivals halten zu können, reicht es meiner Meinung nach nicht aus, dem „Tanz im August“ nur im Monat August einen festen Aufführungsort zu geben. Beide Partner im Podewil müssen jetzt miteinander darüber reden, wie sich das Verhältnis untereinander klären lässt. Das Podewil bekommt ein neues Profil, daran müssen beide Partner arbeiten, die Tanzwerkstatt

und die neuen Betreiber. Es wird übrigens manchmal berichtet, dass sich die Szene nicht einig wäre. Ich kann das nicht bestätigen. Zum Beispiel war dieses Jahr der „Tanz im August“ nicht zuletzt deswegen ein großer Erfolg, weil die Tanzwerkstatt und das Haus sehr gut zusammengearbeitet haben.

Ansonsten hört man jedoch immer wieder, dass insgesamt Proben- und Produktionsräume fehlen. Die Gruppen bekommen für das Einstudieren von Stücken zwar Fördermittel, aber sie müssen viel Zeit aufwenden, um Probenräume zu finden. Das hat der Herr Senator bestätigt, das bestätigen Sie, Frau Ströver. Es gibt vielfach temporäre Angebote für die Dauer von einigen Stunden in Turnhallen oder in leerstehenden Fabrikräumen. Das ist gut, aber das reicht nicht. Mitunter müssen die Künstlerinnen und Künstler sich täglich neue Probenräume suchen. Manchmal ließ sich kein Probenraum finden, so dass die Fördersumme zurückgegeben werden musste. Der zeitgenössische Tanz interessiert sich gerade für außergewöhnliche Aufführungsorte. Eine gewöhnliche GuckkastenLösung wird nicht mehr bevorzugt. Vielleicht kann der Liegenschaftsfonds mit seinen vielen leerstehenden Gebäuden eine Lösung anbieten.