Protokoll der Sitzung vom 07.03.2002

Da passt es nur ins Bild, dass die schon seit vielen Jahren eingestellten Kurse zur Qualifikation der Vorschulerziehung nicht wieder aufgenommen werden, die Fortbildung für die Vorschulerzieherinnen also nicht mehr erfolgen und damit auch einer Austrocknung dieses Bildungszweiges Vorschub geleistet wird.

[Beifall des Abg. Gram (CDU) – Frau Dr. Barth (PDS): So ein Quatsch!]

Das Berliner Schulsystem zeichnet sich Dank der erfolgreichen Bildungspolitik der CDU

[Gelächter bei der PDS und den Grünen]

durch eine starke Vielfalt aus.

[Beifall bei der CDU]

Es gibt ganz unterschiedliche Schulmodelle neben den Regelangeboten. Diese Schulmodelle sollen den unterschiedlichen Neigungen und Fähigkeiten der Schüler Rechnung tragen, Sportund Musikbetonung, Schnellläuferklassen, Europa-Schulen, bilinguale Züge und Integrationsklassen.

[Mutlu (Grüne): Integrationsklassen haben Sie erfunden, was?]

Die jetzt schon vorhandenen Plätze in diesen besonderen Klassen reichen aber leider nicht aus, um allen Schülern in der Stadt und ihren Bedürfnissen angemessen Rechnung zu tragen. Das ist eben auch ein Element sozialdemokratischer Bildungspolitik, diese gestiegene Nachfrage der Eltern- und Schülerschaft nicht zu befriedigen, diese Züge eben nicht auszubauen,

[Zuruf der Frau Abg. Schaub (PDS)]

sondern nach einem streng ideologisch ausgerichtetem Prinzip einseitig einzelne Schulformen zu bevorzugen.

[Brauer (PDS): Das hat auch etwas mit christdemokratischer Finanzpolitik zu tun!]

Oft waren wir von der CDU-Fraktion in der Vergangenheit froh, wenn wenigstens die eigentlich zu wenigen Schulplätze gegen den Widerstand der SPD-Fraktion als Modellversuche durchgesetzt werden konnten. Nun müssen wir befürchten, dass erfolgreiche Schulmodelle unter dem Vorwand der Haushaltslage abgeschafft werden. Wir werden in den Ausschussberatungen belegen können, um welche es sich dabei handelt.

Genauso war in der Vergangenheit auf Seiten des politisch eher linken Spektrums das dreigliedrige Schulsystem schon immer ein Dorn im Auge der Bildungspolitiker. Wenn es nach ihnen gegangen wäre, dann hätten wir flächendeckend Gesamtschulen bzw. Einheitsschulen nach dem Modell der Polytechnischen Oberschule.

[Gaebler (SPD): PISA-Studie!]

Ganz so offensichtlich wird das Schulsystem jetzt noch nicht geändert. Man wählt eine subtilere Variante: die neue Richtlinie für das Grundschulgutachten ist unter anderem auch so gestaltet, dass das dreigliedrige Schulsystem indirekt unterlaufen werden kann. Da der Hinweis „PISA“ immer wieder kommt: Wenn Sie sich einmal ganz genau anschauen, wie das von Ihnen immer wieder angeführte Beispiel der finnischen Schule denn tatsächlich ausgestaltet ist,

[Sen Böger: Es ist dreigliedrig!]

dann hat das so gut wie gar nichts mit den von Ihnen so favorisierten Gesamtschulen zu tun.

Eine wichtige Errungenschaft der Berliner Schulen war es auch, dass alle Schüler Berlins ein ganzes Schuljahr lang zwei Stunden in der Woche Schwimmunterricht hatten. Nun versagt der Senat bei der Erstellung eines tragfähigen Konzepts für die Berliner Bäder-Betriebe. Und wer muss es ausbaden? – Die Kinder! In der künftigen Stundentafel für das 3. Schuljahr wird schon einmal ganz unauffällig eine Schwimmstunde gestrichen, und schon reicht auch die Hälfte der Schwimmbadkapazitäten für den Schwimmunterricht aus. Das ist offensichtlich die Qualitätssteigerung, die hier immer wieder von Ihnen dargestellt wird, die sich aber wirklich nicht belegen lässt.

Die Privatschulen sind heute in der Debatte bereits angesprochen worden – meist konfessionelle, aber auch an bestimmten pädagogischen Konzepten orientierte Schulen. Die leisten eine hervorragende Arbeit in der Stadt.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Sie erfreuen sich deshalb einer so großen Beliebtheit und führen folglich zu langen Wartelisten. Selbst die Zahlung von Schulgeld wirkt da nicht abschreckend. Das Land Berlin übernimmt nur einen Teil der Kosten. Jetzt sollen die Zuschüsse gekürzt werden, das führt regelmäßig zur Erhöhung des Schulgeldes, teilweise über die Maßgaben hinaus, die die Verfassungsgerichte gesetzt haben. Dennoch wird an diesem Ansatz weiter festgehalten.

(A) (C)

(B) (D)

Das Lehrerpersonal an den staatlichen Schulen ist nicht in der angekündigten Art und Weise auf 105 Prozent aufgestockt worden, manche Schulen verfügen nur über 100 Prozent, so dass es bei Unterrichtsausfall keinen Ersatz geben kann. Schauen Sie sich einmal wahllos über die Stadt die Mitteilungshefte der Grundschüler an und sehen Sie, was dort an Stundenausfällen zusammenkommt.

All das zeigt, dass wir bei den vielfältigen Diskussionen in der Bildungspolitik,

[Zurufe von der PDS und den Grünen: Redezeit!]

die wir allesamt hochgradig intellektuell führen können, bis jetzt nicht in der Lage waren und in den letzten Jahren unter Führung des Schulsenators nicht in der Lage gewesen sind, die Pflicht, nämlich der Erteilung des Unterrichts und die qualitative Ausrichtung dieses Unterrichts, zu gewährleisten. Wir sollten uns vielleicht darauf konzentrieren, dieser Pflicht, der der Schulsenator nicht nachgekommen ist, zunächst einmal zu erfüllen. In einem zweiten Schritt können wir uns über die vielfältigen Aufsattelungen unterhalten. Aber die Pflicht kommt vor der Kür. Daran ist diese Schulpolitik zu messen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Danke schön, Herr Kollege Goetze! Ich bedanke mich immer bei allen Kolleginnen und Kollegen, wenn sie hier mitarbeiten. Aber richtig gehende Uhren muss man haben. Das waren nämlich genau, amtlich gemessen 10 Minuten und 54 Sekunden. War doch in Ordnung, oder? – Wir lassen doch immer alle Kollegen ausreden.

[Frau Jantzen (Grüne): Nein, das wird sehr unterschiedlich gehandhabt, Herr Momper!]

Jetzt hat Frau Schaub das Wort – bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! Ich hoffe, denn auch in diesen Genuss zu kommen, vielleicht habe ich es nötig, was die Zeit betrifft.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Goetze insbesondere! Unter konstruktiver Opposition hatte ich mir etwas anderes vorgestellt.

[Oh! bei der CDU]

Einen Vorschlag, wie denn der so wortreich beschriebenen schwierigen Situation beizukommen wäre, habe ich nicht gehört. Ansonsten, was die Koalitionsvereinbarung betrifft, Herr Goetze, Kompetenzstufe maximal 2, gemessen an PISA.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Noch einmal, auch wenn wir es heute Abend bereits mehrfach gehört haben: Es bleibt dabei, Bildung hat Priorität. Es bleibt dabei, obwohl wir heute wissen, dass die Rahmenbedingungen, die uns die Berliner Finanzsituation liefert, weitaus schlechter sind als das, was wir im Herbst und während der Koalitionsverhandlungen davon wussten – und wissen konnten.

[Czaja (CDU): Ist ja unerhört, Frau Schaub!]

Hier geht es, das ist heute Abend schon in anderer Form gesagt worden, nicht um deine Kinder – meine Kinder, sondern es geht schlicht und ergreifend um unsere Kinder in der Stadt. An dieser Aufgabe sind alle Politiker in diesem Haus beteiligt und auch alle gefordert, egal, ob Regierungsfraktion oder Opposition. Gleichermaßen tragen wir eine große Verantwortung, der wir auch nur gemeinsam gerecht werden können. Das Wort, der Satz von der Zukunft unserer Stadt ist heute Abend mehrfach genannt worden, den will ich hier aufrufen.

Die von der Fraktion der Grünen gestellte Große Anfrage gibt die Gelegenheit, über grundsätzliche Vorstellungen neuer Bildungspolitik zu diskutieren. Das ist Ihnen zu danken. Wir teilen die vorliegenden Anträge und auch die in der Großen Anfrage gesetzten Schwerpunkte. Dennoch umfassen sie nur Teilbereiche der Bildungspolitik und schließen aus unserer Sicht auch noch einen Diskussionsbedarf mit Expertinnen und Experten wie

mit den Beteiligten ein, zum Beispiel was die unbestritten notwendige Umgestaltung der vorschulischen Förderung und die Flexibilisierung der Schuleingangsphase angeht. Es ist aus unserer Sicht kontraproduktiv, hier bereits die Abschaffung der Vorklassen beschließen zu wollen, denn trotz Zeitdrucks brauchen wir gerade in diesem Fall den Dialog mit der Wissenschaft, der Fachöffentlichkeit und den Eltern, bevor wir so weitreichende Beschlüsse fassen.

[Zuruf des Abg. Gram (CDU)]

Sie müssen gefehlt haben in den letzten zehn Jahren. Wer hat denn regiert in der Stadt?

[Beifall bei der PDS und den Grünen – Zuruf des Abg. Gram (CDU)]

Schlafen Sie weiter, wir beschäftigen uns derweil mit Bildungspolitik.

Trotz Zeitdrucks brauchen wir den Dialog. Wir wollen übrigens – das ist Stil in der PDS – selbstverständlich nicht nur neue bildungspolitische Akzepte setzen, sondern auch einen neuen Politikstil.

[Rabbach (CDU): Ach, was Neues!]

Dazu gehört es, Schnellschüsse zu vermeiden und den Dialog, vor allen mit Betroffenen, zu führen. Die vorschulische Förderung ist für uns eine Schlüsselstelle, auch wenn das manche Herren in der CDU-Fraktion, die aus dem Alter heraus sind, noch nicht begriffen haben, es ist einfach so. Es geht darum, dass Kitas als Bildungseinrichtungen auch wirklich anerkannt werden und dort die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Bildungsprozess in frühester Kindheit gelegt werden können. Sie können mir glauben, dass die Entscheidung, gerade an der Stelle zu kürzen, gerade bei denen zu kürzen, die den Prozess der Veränderung in den Kitas organisieren und steuern müssen, nämlich den Leitungen, ungeheuer schwer war. Dies ist eine fiskalische Entscheidung, die im Übrigen bei den Koalitionsverhandlungen zwischen der SPD, den Grünen und der FDP ebenfalls eine Rolle gespielt hat. – Ich sage vorsichtig „Brandenburger Modell“ und führe das hier nicht weiter aus. – Auch die anderen Personalkürzungen waren schwer zu akzeptieren, und es ist kein Trost, festzustellen, dass sich Berlin bei einem bundesdeutschen Vergleich immer gerade noch sehen lassen kann.

Zur Gleichbehandlung von Hortkindern in Kita und Grundschulhort: Das war überfällig. Freilich hatten wir uns diese Angleichung umgekehrt vorgestellt. Das ist nicht möglich. Aber ich will doch erwähnen, dass der Personalschlüssel im offenen Ganztagsbetrieb – das ist wieder für diejenigen, die nicht so richtig wissen, wo das stattfindet – im Ostteil der Stadt seit Jahren bei 21 Kindern pro Vollzeitkraft liegt und dass ich bisher noch keinen Protest dagegen gehört habe.

[Beifall bei der PDS]