Protokoll der Sitzung vom 07.03.2002

Herr Regierender Bürgermeister, ich fordere Sie auf – setzen Sie sich und hören Sie mir zu –: Privatisieren Sie einen Großteil der Wohnungsbaugesellschaften. Bei einem Leerstand von über 100 000 Wohnungen müsste Ihnen das auch als Sozialdemokrat möglich sein.

Sorgen Sie auch im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs für Wettbewerb, statt auf staatliche Monopole zu setzen, wie das geplante Transportkombinat aus BVG und S-Bahn.

[Beifall des Abg. Cramer (Grüne)]

Danke, Herr Cramer! – Privatisieren Sie! Privatisierungen sind in unserer Stadt nicht nur aus ordnungspolitischen Gründen zum Wohle unserer Bürgerinnen und Bürger erforderlich. Vermögensaktivierungen erschließen dem Land nicht nur dringend benötigte Einnahmen zum Tilgen der Altschulden. Veräußerungen von Landesbeteiligungen sorgen in vielen Bereichen auch für eine drastische Ersparnis.

Allein die Wohnungsbaugesellschaften haben im vergangenem Jahr einen Verlust von einer knappen Milliarde DM, auszugleichen durch die Landeskasse, verursacht. Von den Kosten der Bankgesellschaft, für die der Steuerzahler aufzukommen hat, brauchen wir erst gar nicht zu reden.

Aber auch ein neues Millionengrab tut sich auf. Nicht etwa im Hauptausschuss, sondern einmal wieder über die Medien haben wir erfahren, dass das neu geschaffene Gesundheitskombinat Vivantes einen Mittelbedarf von 230 Millionen § hat. Herr Senator Sarrazin möchte diesen Betrag durch eine teilweise Privatisierung des Vivantes-Konglomerats erlangen. Seine Kollegin Knake-Werner widerspricht dem – sie macht auch jetzt schon ein verkniffenes Gesicht, wenn sie das Wort Privatisierung hört – selbstverständlich, was in Anbetracht der Parteien, der seine Senatskollegin bislang angehörte und angehört, auch nicht sonderlich verwundert. Vielmehr soll hier wieder einmal der Steuerzahler heran, die ewige Melkkuh. An diesem Beispiel zeigt sich, dass auch der neue Senat, entgegen der vollmundigen Ankündigung seines Chefs, keinen Mentalitätswechsel vollzogen hat. Der rot-rote Senat steht vielmehr voll und ganz in der selber kritisierten Tradition der „Geht-nicht-Mentalität“.

[Beifall bei der FDP – Beifall des Abg. Gram (CDU)]

Gestern erhielten wir im Hauptausschuss einen Bericht des ehemaligen Senators Wieland. Hiernach ist es in dieser Stadt offensichtlich noch nicht einmal möglich, eine Gefängniswäscherei zu privatisieren.

[Wieland (Grüne): Weil keine Interessenten da waren!]

Wie wollen Sie denn da an die Bankgesellschaft herangehen? Die Namen der Senatoren, hier im Bereich der Justiz, sind freilich austauschbar, ob Körting, Diepgen, Wieland oder jetzt Schubert: Geht nicht, kann nicht, darf nicht. Das war der Geist vergangener Regierungen, und das ist auch der Geist dieser Regierung.

Dr. Lindner! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Benjamin Hoff?

Nein! – Wir, die liberale Opposition in diesem Hause, werden nicht nachlassen, bis aus diesen telefonbuchdicken Beteiligungsbericht ein dünnes Heftchen geworden ist.

Kommen wir nun zum Abbau staatlicher Vorschriften, kommen wir nun zum Bereich Aufgabenkritik: Auch hier ist, wie bei den Privatisierungen, nicht der Funke eines Mentalitätswechsels sichtbar. Wir begrüßen zwar die geplante Abschaffung der Fehlbelegungsabgabe ausdrücklich, können aber nicht erkennen, dass dies lediglich ein guter Anfang ist. Vielmehr dürfte es sich damit bei Ihnen bereits um den Höhepunkt Ihrer Aufgabenkritik handeln.

Ihnen fehlt der Mut, mit dem lieb gewonnenen Dschungel von kleinkarierten und teils lächerlichen Vorschriften aufzuräumen. So werden die Berlinerinnen und Berliner auch weiterhin nicht ohne staatliche Genehmigungen einen etwas dickeren Ast in ihrem Garten absägen können.

[Wolf, Harald (PDS): Ach so!]

Sie werden trotz der bereits erwähnten 100 000 leer stehenden Wohnungen weiterhin eine Zweckentfremdungsverbotsverordnung haben. Damit man sich das noch einmal vergegenwärtigt, darf dabei ein Bürger noch nicht einmal ein Zimmer fremd vermieten, um seine Kasse aufzubessern.

So werden wir weiter einen Wust von Verkehrsschildern haben und ein Nachbarrecht, das haargenau regelt, dass eine Weißbirke und eine Douglasfichte 3 m und sonstige Bäume

1,50 m und Sträucher 0,50 m von der Nachbargrenze liegen müssen. So lange solche Vorschriften existieren, muss es auch weiter Beamte geben, die deren Einhaltung überwachen. Hier fordern wir endlich eine radikale Umkehr im wahrsten Sinne des Wortes, ein an die Wurzel dieses Verwaltungsgestrüpps gehendes Handeln der Regierung.

[Beifall bei der FDP]

Wir sind überzeugt, dass nur ein drastisches Reduzieren der Aufgaben auch zu einem drastischen Senken der staatlichen Ausgaben führen kann. Und nur ein drastisches Senken der Ausgaben, zumindest auf das Niveau von Geberländern wie Hamburg, erlaubt es uns, an die Hilfsbereitschaft des Bundes und auch der Länder zu appellieren. Diese Solidarität des Bundes und der Länder bei der Bewältigung unserer Altschulden kann auch nicht durch einen Gang nach Karlsruhe ersetzt werden, wie auch offensichtlich in diesem Raum immer mehr meinen. Die Solidarität der anderen bekommen wir nicht, wenn wir für die Reduzierung unserer Aufgaben zu wenig und im Bereich der Vermögensaktivierungen nichts tun.

Grotesk wird dieser Appell an die Geberländer, wenn der Senat sie auch noch verhöhnt. Und nichts anderes ist es, wenn der Finanzsenator wenige Tage nach seinem Amtsantritt erklärt, Berlin habe keine Einnahmeprobleme, Berlin habe vielmehr die höchsten Pro-Kopf-Einnahmen aller Bundesländer. Herr Senator Sarrazin, dies ist aus der Sicht eines Buchhalters so weit richtig, als es die Einnahmensituation nach Inanspruchnahme des Länderfinanzausgleiches betrachtet.

[Wolf, Harald (PDS): Etwas anderes hat er auch nicht gemeint!]

Im Klartext: Sie rühmen sich damit, trotz der Schwäche eigener Wirtschafts- und Finanzkraft am Ende des Tages mehr zu haben als diejenigen Länder, denen man vorher beim Länderfinanzausgleich in die Tasche gegriffen hat. Sollen sich doch Länder wie Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Hamburg und Hessen um eigene Wirtschafts- und Finanzkraft sorgen, Berlin greift ab und steht am Ende noch besser da. Dies war Ihre Botschaft. Damit, Herr Sarrazin, haben Sie die Unlust und den Widerwillen des Bundes und der Länder, uns zu helfen, noch ein weiteres Stück nach unten befördert.

[Beifall bei der FDP – Beifall des Abg. Dr. Steffel (CDU)]

Einer Stadt, die sich weigert, wenigstens sichtbare Anstrengungen zu unternehmen, auf eigenen Beinen zu stehen, selbst einmal ein Geberland werden zu können, mag man nicht helfen. Ist das so schwer nachzuvollziehen, Herr Sarrazin? Aber machen Sie sich nicht viel daraus: Mit Ihren Bemerkungen zu den Einnahmen stehen Sie in guter Tradition zu dem Koalitionspapier. Im Koalitionspapier von Rot-Rot steht unter der Überschrift „Die Einnahmen stärken“ lediglich das Folgende – ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten:

Die Berliner Finanzämter weisen insgesamt einen guten Leistungsstandard auf. Im Interesse der konsequenten Einnahmestärkung und der Bekämpfung der Steuerverkürzungen werden die Finanzämter vom Personalabbau freigestellt. Durch Rationalisierungen in der Oberfinanzdirektion frei werdende personelle Ressourcen werden in die Finanzämter gelenkt.

Das sind in einem 166-seitigem Papier ganze 5 Zeilen zur Stärkung der Einnahmen. Das ist eine Glanzleistung! Das ist wirklich der erhoffte Mentalitätswechsel.

[Beifall bei der FDP]

Hier offenbart sich in sehr anschaulicher Weise, was Sozialdemokraten und auch Sozialisten unter Erhöhung der Einnahmen verstehen: ein paar Steuerfahnder mehr einstellen. Und was Sie noch unter Einnahmenverstärkung verstehen, findet sich versteckt an einer anderen Stelle, wo es systematisch gar nicht hingehört; der Anlage 3 des Koalitionsvertrages mit dem schönen Titel „Strukturelle Sparmaßnahmen“ kann der geneigte Leser entnehmen, dass Rot-Rot die Grundsteuer um weitere 10 % erhöht, obwohl Berlin ohnehin schon den höchsten Satz aller deutschen Städte hat. Strukturelle Sparmaßnahme!

Steuern erhöhen, das ist das zweite, was Sie im Bereich Einnahmen zu leisten im Stande sind. Aber immerhin: Von der Einführung einer Getränkesteuer und einer Motorbootsteuer sind sogar Sie abgerückt. Ich gratuliere! In den Ampelgesprächen haben uns Herr Wowereit und Herr Strieder noch zu verkaufen versucht, dass Getränke- und Motorbootsteuer für das Heil dieser Stadt unverzichtbar seien und die FDP hier springen müsse. Springen müssen Sie, Herr Regierender Bürgermeister! – Und Herr Wirtschafts- und Frauensenator: Verzichten Sie auf die unsinnigen Steuererhöhungen. Steuererhöhungen haben noch nie und nirgends einen Haushalt saniert.

[Zuruf des Abg. Wolf, Harald (PDS)]

Steuererhöhungen beschleunigen den wirtschaftlichen Niedergang und verhindern eine nachhaltige Wiederbelebung der Konjunktur nach einer Rezession.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Senken Sie die Steuern! Halbieren Sie den Gewerbesteuersatz fürs Erste, bis die Regierung Westerwelle ihn dann ganz abschafft.

[Gelächter des RBm Wowereit – Wegner (CDU): Stoiber-Westerwelle!]

Zeigen Sie, dass Berlin den Kopf oben behält, dass Berlin auch und gerade in der Krise, der Haushaltskrise, die richtigen Instrumente spielt, Unternehmen in Berlin zu halten und neue nach Berlin zu holen. Nicht Steuererhöhungen, sondern Steuersenkungen erhöhen die Einnahmen.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Zur Steigerung eigener Einnahmen ist freilich mehr zu tun als die Gewerbesteuer, das ist richtig. Neben dem Abschaffen und Vereinfachen überflüssiger Vorschriften muss dringend die Wirtschaftsverwaltung verschlankt werden. Gerade für Gründer ist es nicht möglich, sich einen Stab von Beratern zu leisten, die helfen, Anliegen auch durchzusetzen. Eine One-Stop-Agency als Anlaufstelle für Unternehmen und Unternehmer zu schaffen, ist der richtige Weg. Wie bei Ihren beabsichtigten Einsparungen bei den Personalkosten gilt aber hier genau dasselbe. Mit einer Ankündigung wird es dieses Mal nicht getan sein. Wir werden sehr genau darauf achten, wie schnell und wie effizient Sie beim Schaffen dieser One-Stop-Agency vorgehen.

Neben den notwendigen Aufgaben Vereinfachen der Wirtschaftsverwaltung und Senken der Steuern müssen wir überlegen, was gute Köpfe und Unternehmen noch motivieren könnte, nach Berlin zu kommen. Eine der wesentlichen Auszeichnungen Berlins waren immer hervorragende Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen. Auch hier kann und muss es zu Strukturanpassungen und Modernisierungen kommen, wohl wahr. Aber insgesamt muss Berlin in Wissenschaft und Forschung investieren, wenn es eine Zukunft haben will.

[Beifall bei der FDP und der CDU – Niedergesäß (CDU): Richtig!]

Wer in der Humboldt-Universität die fast endlose Reihe von Nobelpreisträgern – vorwiegend aus dem ersten Drittel des vergangenen Jahrhunderts – betrachtet, erhält einen Eindruck, welch ungeheuere Kapazitäten an unseren Universitäten versammelt waren.

[Pewestorff (PDS): Ach, daher kannte man die DDR?]

Diese Männer und Frauen haben durch ihre wissenschaftlichen Leistungen die Grundlage für das wirtschaftliche Aufblühen des Landes gelegt und nicht etwa Politiker oder Militärs.

[Beifall bei der FDP und der CDU – Pewestorff (PDS): Und berühmt ist, wenn man sich selbst zitiert!]

Die damalige Geisteselite unseres Landes, unserer Stadt weist uns heute den Weg, den wir zu gehen haben. Und wem dieser Blick in unsere eigene Vergangenheit nicht genügt, der wende ihn beispielsweise nach Kalifornien. Das Silicon Valley ist nicht etwa durch ein feinmaschiges Netz von Förderprogram

men, ABM- und SAM-Stellen entstanden. Das Silicon Valley ist das wirtschaftliche Netzwerk um Stanford, eine der besten Universitäten der Vereinigten Staaten von Amerika und weltweit.