Protokoll der Sitzung vom 09.12.2004

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Immerhin gehören die Schüler in Deutschland bei der Lösung von Problemen zur internationalen Spitzengruppe. Mit dem Herausfinden und Zusammenstellen einer zweckmäßigen Bahnverbindung war das nachzuweisen. Für die Berliner Schüler keine Hürde – BVG-geschult! Bemerkenswert an diesem Testergebnis ist, dass die Schüler ihre Problemlösungskompetenz wohl nicht in der Schule erworben haben. Auch immerhin sind wir an anderer Stelle – bei den Gymnasiasten – diesmal bis ins Mittelfeld gekommen. Ich will den Erfolg nicht klein reden, im Gegenteil sollte er lehrreich sein, denn das Mittelfeld ist mit einer deutlichen Leistungssteigerung der schwächeren Gymnasiasten erreicht worden. Leider sind die guten Nachrichten aus PISA 2003 für Deutschland damit schon zu Ende.

Die wirklich schlimme Nachricht haben wir für die im Schulsystem auf die unterste Stufe sortierten Schülerinnen und Schüler, die an den Hauptschulen, bekommen. Etwa 21 % erreichten in Deutschland die niedrigste Kompetenzstufe oder lagen sogar noch darunter. Diese Risiko

Herr Präsident! Meine Herren, meine Damen! Herr Böger! Sie haben sich eben über den grünen Klee gelobt. Ich muss darauf eingehen, denn ich wage zu bezweifeln, dass das alles so richtig ist. Ich fand es immer sehr gut, dass Sie in aller Deutlichkeit und Klarheit das Problem der Kinder nichtdeutscher Herkunft angesprochen haben, dass Sie angesprochen haben, dass da jahrelang viel verpennt wurde. Die Quittung haben wir nun. Jetzt müssen Sie sich auch andersherum die Frage gefallen lassen: Was tun Sie? Tun Sie das Ausreichende? – Ich will kurz sagen, was Sie hier machen: Es wird ein Test „Deutsch plus“ eingeführt. Wer diesen Test nicht besteht, der geht wieder zurück in die Kita, in der er schon seit zwei Jahren ist und wo er der Sprache offensichtlich nicht mächtig geworden ist. Jetzt soll die Erzieherin in dieser Kita ohne weitere Mittel das Wunder vollbringen, dem Kind in einem halben Jahr Deutsch beizubringen. Ich glaube nicht mehr an den Weihnachtsmann, Herr Böger! Und was passiert mit den anderen Kindern, die keine Bildungseinrichtung besucht haben? – Die gehen dann in die Schule. Frau Freundl hat es vorhin so schön gesagt: zwei Stunden. – Liebe Frau Freundl, das sind zwei Stunden pro Tag und das in der Woche fünfmal und das für ein halbes Jahr. Nun tun Sie mir einen Gefallen – ich weiß nicht, ob Sie Französisch sprechen –, lernen Sie einmal Französisch täglich zwei Stunden und das fünfmal in der Woche und das für ein halbes Jahr, und dann sollen Sie dem Unterricht folgen können. Ich bezweifle dieses als echte Maßnahme.

gruppe ist doppelt benachteiligt. Erstens haben ihre Eltern weniger Geld, weniger formale Bildung oder weniger Bücher im Haus, zweitens konzentriert sie das Schulsystem an Schulen mit ebenfalls benachteiligten Jugendlichen. Mit anderen Worten und noch einmal nach PISA 2000 zum Mitdenken für uns alle und weil es für Berlin, wo die Hauptschule zur Restschule geworden ist, besonders zutrifft: In der deutschen Schule werden soziale Benachteiligungen nicht ausgeglichen, sondern verstärkt. Es ist aber eine Voraussetzung der Zivilgesellschaft, die weniger Begüterten mit kulturellem und sozialem Kapital auszustatten. Deshalb ist es eine zentrale staatliche Aufgabe, die Vererbung von Armut über das Bildungswesen zu verhindern. Die Koalition stellt sich dieser Aufgabe.

[Beifall bei der PDS]

Rot-Rot hat wichtige Reformen im Berliner Bildungssystem eingeleitet, die von der großen Koalition versäumt worden waren. Frau Freundl hat für die PDS dazu gesprochen. Wir sind auf dem richtigen Weg. Sind wir auf dem richtigen Weg? – Das fragen wir uns im Hinblick auf die Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Reformen. Das fragen wir aber auch im Hinblick darauf, ob der eingeschlagene Weg zukunftsfähig ist oder womöglich in eine Sackgasse führen könnte. Ja, wir sind auf dem richtigen Weg, obwohl die Schwierigkeiten angesichts der Vielzahl und der Dimension der Veränderungen, der angespannten personellen, materiellen und finanziellen Situation, aber auch angesichts der mancherorts mangelnden Reformbereitschaft in der Berliner Schule groß sind. Haben wir nach 15 Jahren verschlafener Reformen die Wahl, unsere Jugendlichen von der internationalen Bildungsentwicklung abzukoppeln, ihre Lebensperspektiven mit zehn oder zwölf Jahren entscheiden zu lassen? – Für mich ist das eine rein rhetorische Frage. Soll der eingeschlagene Reformweg nicht in eine Sachgasse münden, müssen wir eine Schule entwickeln, in der Kinder und Jugendliche länger miteinander und voneinander lernen. Und das ist – noch einmal für alle, die offenbar vom selektiven Schulsystem so geprägt sind, dass sie nur noch selektiv wahrnehmen können – weder eine Gesamt- noch eine Einheitsschule.

[Beifall bei der PDS – Beifall der Frau Abg. Dr. Tesch (SPD) – Beifall des Abg. Mutlu (Grüne)]

Mit dieser Forderung nach einer Schule, in der Kinder und Jugendliche länger miteinander und voneinander lernen, standen wir vor drei Jahren noch ziemlich allein. Inzwischen stellt sich nicht die Frage, ob, sondern wie das gegliederte Schulsystem zu überwinden ist. Wie wir zu einem längeren gemeinsamen Lernen in der Berliner Schule kommen, bedarf einer Debatte in der Stadt. Da wiederhole ich mich vom Januar dieses Jahres angesichts der Verabschiedung des Schulgesetzes. Es bedarf gewissermaßen einer Bürgerinitiative. Es ist gut zu wissen, dass wir mit unserer Forderung inzwischen längst nicht mehr allein sind. Es stünde uns allen gut an, nicht zu vergessen: Beim Lösen von Problemen waren deutsche Schülerinnen und Schüler in der Spitzengruppe. Dahinter sollten wir als Teil der Zivilgesellschaft nicht zurückfallen. Nach PISA

ist vor PISA 2006. Es ist Zeit, die begonnenen Reformen umzusetzen und die Strukturdebatte zu führen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der PDS]

Danke schön, Frau Kollegin Schaub! – Die FDP schließt die Rederunde vorerst. Frau Senftleben hat das Wort. – Bitte schön!

[Beifall bei der FDP]

Und es muss gesagt werden, Herr Böger, wider besseres Wissen, weil gerade Sie die Tatsachen immer benennen, ich betone das noch einmal, wider besseres Wissen gehen Sie diese Sache halbherzig an. Den Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen: Ich halte das nicht für sehr verantwortungsbewusst, denn da sind wir uns doch alle einig, Sprache lernen, Sprachverständnis ist das A und O für den Beginn einer jeden Bildungslaufbahn. Vielleicht sollte auch der Finanzsenator – schade, er ist nicht da – ein bisschen zuhören, denn da hat er natürlich auch ein Wörtchen mitzureden.

Sie haben vorhin das schöne Beispiel Sinus genannt. Sinus ist prima, ein Konzept zur Verbesserung des Mathematikunterrichts, eingeführt 1999, nach dem TIMSSDesaster. Wunderbar! Es ist auch ein Erfolg. 44 Schulen in dieser Stadt verwenden es. Nun höre ich – es ist in allen Zeitungen zu lesen –: 60 weitere sollen dazukommen. Wer legt diese Zahl fest? Können es 61 sein? Können es 59 sein? – Das zeigt mir deutlich die „Denke“ in der Berliner Verwaltung: Von oben wird gesagt, wir brauchen

Frau Senftleben

Ich eröffne die II. Lesung und schlage vor, die Einzelberatung der zwei Artikel miteinander zu verbinden. – Hierzu höre ich keinen Widerspruch.

Ich rufe also auf die Überschrift und die Einleitung sowie Artikel I und II, Drucksache 15/3346, sowie die Neufassung des zweiten Artikels gemäß Beschlussempfehlung Drucksache 15/3461. Eine Beratung ist nicht vorgesehen. Der Ausschuss empfiehlt einstimmig die Annahme des Dritten Gesetzes zur Änderung des Fraktionsgesetzes, Drucksache 15/3346, unter Berücksichtigung der Neufassung des Artikels II der Beschlussempfehlung. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön! Das sind alle Fraktionen. Sicherheitshalber die Gegenprobe! – Niemand! Enthaltung? – Niemand. Dann ist das einstimmig so beschlossen.

soundso viele Schulen, die machen jetzt Sinus, dann haben wir ein Drittel. – Nein! Bieten Sie dieses Programm doch allen Schulen an, wenn es sich bewährt hat: Auch wenn nicht alle mitmachen wollen, das ist dann deren Entscheidung. Hier geht es doch darum, dieses Programm, das sich bewährt hat, allen Schulen anzubieten. Ich verstehe diesen Mechanismus nicht, genauso wenig wie den folgenden: 31 Schulen arbeiten in eigener Verantwortung, da klappt es wunderbar, sie sind alle begeistert. Und die Verwaltung verhindert offensichtlich, dass dieses Projekt sich weiter ausbreitet. 31 Schulen, und vielleicht haben wir in zwei, drei Jahren, wenn wir das Ganze evaluiert haben, noch weitere. – Nein! Es geht nicht darum, das Konzept von heute auf morgen überzustülpen, es geht darum, dass wir es peu à peu umsetzen, und zwar, wenn sich ein solches Konzept als positiv herausgestellt hat – eben jetzt!

[Beifall bei der FDP]

Jetzt zu dieser „Großbaustelle“ – das ist es in der Tat, da haben Sie Recht, Frau Freundl, Herr Böger. Im nächsten Jahr kommen Umwälzungen auf die Schulen zu, die nicht immer zu Ende gedacht wurden. Die Liaison von vorgezogenem Schulstart und flexibler Schuleingangsphase trifft mit weitreichenden Veränderungen in der Betreuung zusammen. Ich bleibe einmal bei der flexiblen Schuleingangsphase. Am Dienstag war ich zusammen mit Herrn Staatssekretär Härtel auf der denkwürdigen GEWVeranstaltung. Ich werde den Eindruck nicht los, dass bei den Betroffenen noch eine große Unklarheit besteht – nicht bei allen, auch das sage ich deutlich; einige sind durchaus dabei, das ganze Konzept mit Verve an ihrer Schule umsetzen zu wollen. Aber, Herr Böger, Reformen müssen gelingen – eine der Grundvoraussetzungen, damit das ganze Konzept Erfolg hat. Sie sollten es sich überlegen, freizustellen, ob im nächsten oder im übernächsten Jahr mit der flexiblen Schuleingangsphase zu beginnen ist. Auf diesem Weg würde ein Wettbewerb implementiert. Das könnte im Land Berlin nicht schaden.

[Beifall bei der FDP]

Abschließend: Die flexible Schuleingangsphase ist vernünftig, kann aber nur dann gelingen, wenn genügend Personal vorhanden ist, das Raumangebot stimmt und das Personal sich engagiert auf den Weg macht. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Senftleben! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aktuelle Stunde hat damit ihre Erledigung gefunden.

Wir kommen zur

lfd. Nr. 2A:

Dringliche II. Lesung

Drittes Gesetz zur Änderung des Fraktionsgesetzes

Beschlussempfehlung Recht Drs 15/3461 Antrag der SPD, der CDU, der PDS, der Grünen und der FDP, Drucksache 15/3346

Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall.

Wir kommen zur

lfd. Nr. 2B:

Dringliche II. Lesung

Gesetz über den Einsatz elektronischer Medien im Vermessungswesen

Beschlussempfehlung BauWohnV Drs 15/3468 Vorlage – zur Beschlussfassung – Drs 15/3081

Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall.

Ich eröffne die II. Lesung und schlage vor, die Einzelberatung der acht Artikel miteinander zu verbinden. – Hierzu höre ich keinen Widerspruch.

Ich rufe also auf die Überschrift und die Einleitung sowie die Artikel I bis VIII, Drucksache 15/3081, sowie die Änderungen gemäß Beschlussempfehlung Drucksache 15/3468.

Eine Beratung ist nicht vorgesehen. Der Ausschuss empfiehlt einstimmig bei Enthaltung der Grünen und der FDP die Annahme der Vorlage Drucksache 15/3081 unter Berücksichtigung der Beschlussempfehlung Drucksache 15/3468. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön! Das sind die Koalitionsfraktionen und die CDU. Die Gegenprobe! – Enthaltung? – Dann ist das bei Enthaltung der Grünen und der FDP mehrheitlich so beschlossen.

Wir kommen zu

lfd. Nr. 2C:

a) Dringliche II. Lesung

Vizepräsident Dr. Stölzl

Nun lasse ich über die Vorlage – zur Beschlussfassung – Drucksache 15/3251 abstimmen, und zwar unter Berücksichtigung der Änderungen durch den Fachausschuss unter zusätzlichen Änderungen des Hauptausschusses Drucksache 15/3479. Im Fachausschuss erfolgte die Annahme gegen die Stimmen der Grünen und der FDP bei Enthaltung der CDU, im Hauptausschuss gegen alle Stimmen der Oppositionsfraktionen. Wer also der

Drucksache 15/3251 unter Berücksichtigung der Beschlussempfehlung Drucksache 15/3479 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Regierungsfraktionen. Danke schön! – Die Gegenprobe! Die Grünen und die FDP. Enthaltung? – Die CDU. Dann ist das bei Enthaltung der CDU und den Gegenstimmen der anderen Oppositionsfraktionen so durch die Regierungsfraktionen angenommen.

Gesetz zur Neufassung des Studentenwerksgesetzes (StudWG)

Beschlussempfehlungen WissForsch und Haupt Drs 15/3477 Antrag der Grünen Drs 15/3186

b) Dringliche Beschlussempfehlung

Studierendenwerk in Studierendenhand – die Studentenwerksreform ist nur der erste Schritt!

Beschlussempfehlung WissForsch Drs 15/3478 Antrag der Grünen Drs 15/3187

c) Dringliche II. Lesung