Protokoll der Sitzung vom 10.02.2005

Gesicht zeigen heißt für mich auch, den Innensenator dabei zu unterstützen, alle nur möglichen Maßnahmen zu ergreifen, den Nazis nicht unsere Plätze zu überlassen – und sei es am Brandenburger Tor oder in den Bezirken.

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Vielen Dank, Herr Kollege Müller! – Das Wort für die CDU-Fraktion erhält jetzt der Kollege Zimmer – bitte schön!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der PDS]

Deswegen gehört der Kampf gegen den Rechtsextremismus zur Hauptaufgabe aller demokratischen Parteien in unserem Land.

Wir Deutschen stehen in einer besonderen Verantwortung gegenüber den Opfern des Holocausts. Bundespräsident Köhler hat in seiner beeindruckenden Rede vor der Knesset vergangene Woche zu recht die Shoa als Teil der deutschen Identität bezeichnet. Wer dies in Frage stellt, spielt den Extremisten in die Hände und untergräbt einen Grundpfeiler unseres Staatsverständnisses und unserer Gesellschaft. Deswegen müssen wir gerade hier in Berlin, der Stadt, in der Massenmord und Zweiter Weltkrieg geplant wurden, den Rechtsextremismus als Gefahr für unsere Demokratie begreifen und ihm engagiert entgegentreten.

[Beifall]

Wir müssen die politische Auseinandersetzung mit diesen Parteien suchen, und wir müssen sie offensiv suchen. Gerade in Zeiten von wirtschaftlicher Rezession – Herr Müller, dies ist auch ein Teil der Wahrheit –, Perspektivlosigkeit und Millionen von Arbeitslosen haben Extremisten, besonders aber die Rattenfänger vom rechten Rand, Hochkonjunktur.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Zimmer

Das Brandenburger Tor hat eine wechselvolle Geschichte. Es hat sich von einem Ort, an dem die Nationalsozialisten ihre Fackelumzüge veranstaltet haben, zu einem Symbol der Freiheit entwickelt, als 1989 die Mauer fiel. Deshalb unterstütze ich auch ausdrücklich Vorschläge für eine Demonstration aller demokratischen Parteien am 8. Mai zum 60. Jahrestag des Kriegsendes am Brandenburger Tor. Damit setzen wir Deutschen im In- und Ausland ein Zeichen gegen Antisemitismus und Fremdenhass und überlassen den Platz an diesem wichtigen Tag nicht den Rechtsextremen. Daran sollen und müssen sich die Berlinerinnen und Berliner auch beteiligen.

Denn die Politik muss den Extremismus bekämpfen, aber sie kann es nicht alleine. Sie braucht jeden einzelnen Bürger, der für Freiheit und Demokratie eintritt, und zwar nicht nur am 8. Mai, sondern an jedem Tag des Jahres.

Ob ein neues Verbotsverfahren gegen die NPD das Problem des Rechtsextremismus lösen würde, ist fraglich. Zwar würden ihr damit Apparat und Öffentlichkeit entzogen, aber es wäre kurzsichtig, anzunehmen, dass damit auch die Strukturen zerschlagen würden. Und man darf eines nicht verkennen: Ist das Verfahren schlecht vorbereitet, scheitert wiederum das Verbot der NPD vor dem Bundesverfassungsgericht, dann wäre diese Partei fast endgültig von dem Makel reingewaschen.

Es gibt einen Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Niedergang und der Stärkung von Extremisten, im Übrigen rechts wie auch links.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Eine Politik, die mehr Arbeitsplätze kostet als sie schafft, meine Damen und Herren von der SPD, ist auch eine Ursache für die Erfolge von DVU und NPD.

[Frau Radziwill (SPD): Peinlich, peinlich!]

Auch Ihr jetziger Parteivorsitzender Müntefering hat dies noch im November 2000 so gesehen. Ich zitiere ihn:

Manche Wähler suchen ein Ventil für Enttäuschung, Wut und Ängste. Arbeitslosigkeit, fehlende Perspektiven treiben der extremen Rechten Proteststimmen zu.

Wenn Bundeskanzler Schröder heute versucht, dies zu vertuschen, kann man dies nur scheinheilig nennen.

[Beifall bei der CDU]

Auch der Berliner Senat muss sich die Frage gefallen lassen, was er außer Sonntagsreden zu tun gedenkt, denn die Menschen in diesem Land brauchen wieder eine Zukunftsperspektive. Die beste Politik gegen Extremisten ist ein Wirtschaftswachstum, das Arbeitsplätze schafft,

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

denn dies entzieht ihnen den Nährboden für ihre verworrene Ideologie. Aber auch bessere Bildung und das Vermitteln von Werten machen immun gegen die dumpfen Parolen der Radikalen. Wer den Wert von Freiheit, Demokratie und Menschenwürde begriffen hat, durchschaut das Spiel der Extremisten.

[Beifall bei der CDU]

Es reicht deshalb eben nicht aus, bunte Plakate gegen Rechts drucken zu lassen, solange die zentralen Prinzipien unseres Zusammenlebens nicht ausreichend vermittelt werden. Die Einführung eines verpflichtenden Werteunterrichts, die von Herrn Böger immer wieder laut angedacht, aber bis heute nicht umgesetzt wurde, spielt dabei auch eine zentrale Rolle.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Wir müssen den Extremisten entschlossen entgegentreten. Wir müssen auch in Zukunft verhindern, dass NPD und DVU am Brandenburger Tor oder am HolocaustMahnmal präsent sind. Der Staat muss seine Mittel entschlossen und mit gebotener Härte einsetzen, wo das Versammlungsrecht dies zulässt.

[Beifall bei der CDU – Beifall des Abg. Dr. Lindner (FDP)]

Es wäre eine völlig falsch verstandene Toleranz, wenn sich der demokratische Rechtsstaat nicht gegen diejenigen wehren würde, die ihn abschaffen wollen.

Die Vorstellung, Rechtsextremisten durch das Brandenburger Tor ziehen zu sehen, löst in mir Ekel und Abscheu aus.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Der Kampf gegen den Extremismus kann nur erfolgreich sein, wenn wir uns aktiv mit ihm auseinandersetzen. Denn unsere Aufgabe besteht mehr denn je darin, die kommenden Generationen über den Nationalsozialismus, seine Verbrechen und das unvergleichliche Grauen des Holocaust aufzuklären. Denn nur, wer seine Geschichte begreift – und zwar die ganze Geschichte –, kann auch verantwortungsbewusst mit seiner Zukunft umgehen.

Der 8. Mai 1945 ist ein sensibles Thema, das viele Menschen berührt. Deswegen stellt sich die Frage, ob wir nicht auch aller unschuldigen Opfer gedenken dürfen. Die Reaktionen auf den Beschluss der BVV SteglitzZehlendorf zeigen, wie schwierig dieses Thema ist. Es ist eine historische Tatsache, dass der Holocaust ein einmaliges Verbrechen in der Geschichte der Menschheit darstellt, das sich jeder Relativierung entzieht. Es ist ebenso eine Tatsache, dass die Ursachen für die Folgen des Zweiten Weltkriegs im deutschen Nationalsozialismus liegen. Aber gerade deswegen sagen wir: Ja, man darf und muss aller unschuldigen Opfer gedenken.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Zimmer

Die Union steht zu Rechtsstaat und Demokratie, und wir werden unsere Gesellschaftsordnung gegen Angriffe von jeder Seite verteidigen. Deswegen treten wir den Rechtsextremisten entgegen. Wir brauchen einen Dialog über konkrete Maßnahmen anstatt billige Polemik. Deswegen müssen wir auch der Realität des Jahres 2005 ins Gesicht sehen. Wir brauchen Perspektiven für die Menschen in unserem Land, mehr Arbeitsplätze und eine bes

sere Bildung. Das sollten vor allem Sie, meine Damen und Herren vom Senat, sich endlich zu Herzen nehmen.

Und eines ist mir besonders wichtig: Wir brauchen eine ehrliche Politik, die Sorgen, Ängste und Gefühle ernst nimmt, denn nur so werden die Menschen auch an den Wert der Demokratie glauben können. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

In Gedanken sind wir in diesen Tagen bei den Frauen, Männern und Kindern, die für ewig in Auschwitz geblieben sind. Auschwitz mit seinen mehr als eineinhalb Millionen Toten ist der größte Friedhof in der ganzen Welt. Dort liegen Juden, Sinti und Roma, Polen, Russen, Frauen und Männer des Widerstandes aus allen Ländern Europas. Keiner hat einen Stein des Gedenkens. Die Nazis wollten, dass sie vergessen werden. Wir haben die Pflicht, ihrer zu gedenken.

Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat in seiner Rede anlässlich des 40. Jahrestages des Kriegsendes, die auch Kollege Müller zitiert hat, gesagt:

Wir brauchen und wir haben die Kraft, der Wahrheit so gut, wie wir es können, ins Auge zu sehen, ohne Beschönigung und Einseitigkeit.

Und weiter sagte er:

Niemand wird vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten.

Deshalb ist es völlig unredlich, die BVV-Fraktionen von CDU und FDP in die rechte Ecke stellen zu wollen.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Die CDU braucht keine Nachhilfe in Sachen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Wir Christdemokraten haben eine jahrzehntelange demokratische Tradition, und wir sind stolz auf unsere Gründungsmitglieder, die im Widerstand gegen den Nationalsozialismus gestanden und gekämpft haben.

[Beifall bei der CDU]

Herr Ratzmann, was Sie betrifft: Sie missbrauchen dieses wichtige und sensible Thema für eine kleinteilige und parteipolitische Profilierung, und das nur um des kurzfristigen politischen Erfolges willen.