Protokoll der Sitzung vom 10.02.2005

Herr Ratzmann, was Sie betrifft: Sie missbrauchen dieses wichtige und sensible Thema für eine kleinteilige und parteipolitische Profilierung, und das nur um des kurzfristigen politischen Erfolges willen.

[Rabbach (CDU): Sehr richtig! Pfui!]

Ihr Vorgehen schadet dem gemeinsamen Anliegen der Demokraten beim Eintreten gegen den Extremismus.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Ratzmann (Grüne)]

Gegen den infamen Versuch, die Union in die Nähe der NPD zu rücken, verwahre ich mich ausdrücklich.

[Beifall bei der CDU]

Herr Ratzmann! Das, was Sie getan haben, ist eine politische Entgleisung, die ihresgleichen sucht, aber auch die SPD ist an der Stelle nicht viel besser. Ich habe auch die Presseerklärung von Herrn Arndt, dem Kreisvorsitzenden der SPD, gelesen. Herr Müller versucht ebenfalls unterschwellig, in die eine Richtung zu weisen. Mit dieser Argumentation sind Sie diejenigen, die den Konsens zwischen den demokratischen Parteien gefährden, indem Sie uns bewusst falsch interpretieren.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Henkel (CDU): Sehr richtig! – Weitere Zurufe]

[Dr. Lindner (FDP): Und Herr Ratzmann!]

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Das Wort für die PDSFraktion erhält nun Kollege Liebich. – Bitte schön!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

So der Auschwitz-Häftling Nr. 58866, Kurt Goldstein, bei der diesjährigen Gedenkfeier anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz im Deutschen Theater in Berlin.

Abgeordnete der NPD im sächsischen Landtag haben den Saal verlassen, als ihr Landtagspräsident zu einer Gedenkminute aufrief. Wenig später bezeichnete ein NPDAbgeordneter die Fliegerangriffe auf Dresden als Bomben-Holocaust. Es ist erschütternd, dass 60 Jahre nach der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus Menschen, die so reden und handeln, in Landtage gewählt werden. Es gibt kein Argument – keines, auch nicht die hohe Arbeitslosigkeit, Herr Zimmer! –, dass bei mir Verständnis dafür auslösen könnte. Keinen Job zu haben ist kein Grund, Nazis zu wählen.

[Beifall bei der PDS, der SPD und den Grünen – Wegner (CDU): Das hat er auch nicht gesagt!]

Nazis raus aus den Köpfen! – Das ist notwendig, und das wird man durch Verbote allein nicht erreichen können. Hier sind langfristige Gegenstrategien statt kurzfristiger Lösungsversprechen gefragt. Projekte, die die Zivilgesellschaft stärken, müssen unterstützt werden. In der Kommune beginnend, wie in einigen Berliner Bezirken geschehen, muss über rechtsextreme Strukturen aufgeklärt werden. Der Berliner Verfassungsschutz tut gut daran, dies mit eigenen Materialien zu unterstützen. Diese Strategie wirkt. In Treptow-Köpenick, wo die Bundeszentrale der NPD steht, kann sich der Protest gegen Nazis auf breite Unterstützung verlassen. Es gibt dort die mobile Beratung in den Schulen und Jugendklubs, und es gibt die Unterstützung der Opfer von rechtsradikalen und ausländerfeindlichen Übergriffen.

Der Regierende Bürgermeister und der Fraktionsvorsitzende der SPD, Michael Müller, vertreten die Auffassung, wenn es eine Chance gebe, vor dem Bundesverfassungsgericht ein erfolgreiches Verbotsverfahren gegen die NPD zu führen, sollte Berlin sich daran beteiligen. Ich kann diese Haltung verstehen. Es fällt schwer zu erklären, dass in dem Land, in dem der Nationalsozialismus so viele Verbrechen begangen hat, unter dem Schutz des Parteienprivilegs und mit Unterstützung von Steuergeldern eine Partei wie die NPD ihr Unwesen treiben darf. Einig sind wir uns aber auch darin – das hat Herr Müller gerade noch

einmal deutlich gemacht –, dass dies nicht die alleinige Antwort gegen Rechtsextremismus sein kann. Es hilft vielleicht gegen eine Parteienstruktur, andere werden sich aber schnell als Sammelbecken anbieten, und die rechtsextremen Kameradschaften können weiter ihr Unwesen treiben. Wenn ein erneutes Verfahren gegen die NPD tatsächlich zum Erfolg führen soll, ist noch eine Menge zu tun. Herr Müller! Eine Prüfung, die nur halbwegs Aussicht auf Erfolg verspricht, reicht nicht. Eine erneute Niederlage wäre aus meiner Sicht eine Katastrophe. Das können wir uns nicht erlauben. Ich erinnere daran, dass das Bundesverfassungsgericht den letzten Anlauf nicht allein deshalb zurückgewiesen hat, weil angesichts der Vielzahl von Mitarbeitern des Verfassungsschutzes in den Gremien der NPD kaum noch sichtbar gewesen ist, wer dort abschöpft und wer dort rechtsextreme Politik macht. Diese Praxis hat die NPD vor Gericht und im Alltag gestärkt. Die Position der PDS dazu ist eindeutig: V-Leute in der NPD sind vom Staat gekaufte Informanten und Täter zugleich. Diese Praxis lehnen wir ab.

Das Thema darf aber nicht nur dann auf der Tagesordnung stehen, wenn die Nazis durch das Brandenburger Tor marschieren wollen. Übergriffe auf Ausländer und Menschen mit Behinderungen und andere rechtsextreme Aktivitäten gibt es leider auch in Berlin viel zu häufig. Manches passiert wenig spektakulär und schleichend. Wenn die NPD die Lufthoheit an einigen Hellersdorfer Schulen erringt, wenn es in ist, rechts zu sein und man als Linker bestimmte Stadtteile lieber meidet, dann muss die Gesellschaft aktiv werden. Dort, wo der Staat sich klar dagegen positioniert, ist der Rückhalt durch Politik und Gesellschaft gefragt. Ein engagierter Polizist wie Michael Knape, der von Rechtsradikalen bedroht wird, hat unseren Dank und unsere Anerkennung verdient.

[Beifall bei der PDS, der SPD, den Grünen und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Der Kampf gegen Rechtsextremismus muss ständiger Tagesordnungspunkt auf unserer Agenda sein. Deshalb ist es richtig, dass die Bundesregierung entschieden hat, die Mittel für die Projekte, die sich dem täglich widmen, nicht zu kürzen. Das Land Berlin wird seinen Finanzierungsanteil hierzu in voller Höhe leisten.

Man spielt den Rechtsextremen in die Hände, wenn man sich ihrer Erklärungsmuster bedient. Es ist verantwortungslos die Grenze zwischen Tätern und Opfern zu verwischen. Die Entscheidung der BVV SteglitzZehlendorf – ich muss es hier noch einmal ansprechen –,

[Hahn (FDP): Wer ist denn da Täter?]

einen Antrag der PDS zum Tag der Befreiung in sein Gegenteil zu verkehren

[Dr. Lindner (FDP): Stimmt doch gar nicht!]

diese Entscheidung tat genau dies.

[Beifall bei der PDS, der SPD und den Grünen – Zuruf des Abg. Wellmann (CDU)]

Herr Zimmer! Ich setze weder die CDU noch die FDP mit der NPD gleich. Aber ihre Argumentation ist nicht plausibel. Ich fordere Sie, Herr Zimmer, und Sie, Herr Lindner, auf, über Ihren Schatten zu springen und diesen Beschluss zu korrigieren.

[Beifall bei der PDS, der SPD und den Grünen – Dr. Lindner (FDP): Ich habe doch gar keinen Beschluss dazu gefasst!]

[Beifall bei der PDS – Frau Herrmann (CDU): Ach! – Henkel (CDU): Sieht der Innensenator das auch so?]

Ich kann nur hoffen, dass in all den Ländern, die ein neues Verbotsverfahren anstreben, dieser Fehler inzwischen korrigiert worden ist.

Noch wichtiger als Verbotsdebatten ist aber wirkliches Handeln gegen Rechts. Am vergangenen Montag hat sich hier im Berliner Abgeordnetenhaus auf Einladung von Sibyll Klotz von den Grünen und Marion Seelig von der PDS die Initiative Europa ohne Rassismus getroffen. Mehr als 30 Vertreter von SPD, PDS, Grünen, FDP, Gewerkschaften, Kirchen und Initiativen aus Berlin und Brandenburg sind zusammengekommen. Wir sind uns einig darin gewesen, des 60. Jahrestages der Befreiung zu gedenken und sich der von der NPD angekündigten Beleidigung der Opfer entgegenzustellen. Ich bin mir sicher, dass es die Berlinerinnen und Berliner nicht hinnehmen werden, dass Neonazis in Berlin aufmarschieren.

Lassen Sie mich an dieser Stelle einen Vorschlag unterbreiten: Ich hielte es für ein richtiges und gutes Zeichen, den 8. Mai im Land Berlin zum Gedenktag zu machen. Ich bitte Sie deshalb, darüber in Ihren Fraktionen zu beraten.

[Beifall bei der PDS – Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]

Kurt Goldstein, der Ehrenpräsident des Internationalen Auschwitzkomitees, sagte einmal: Wir haben Auschwitz verlassen, aber Auschwitz hat uns nie verlassen. – Auch deshalb haben wir, die Bürgerinnen und Bürger der Hauptstadt des neuen Deutschlands, die Verantwortung, den alten und neuen Nazis entgegenzutreten. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der PDS, der SPD und den Grünen]

Die Äußerungen von ihm sind nicht nur eine Unverschämtheit gegenüber denjenigen, die Verantwortung für Arbeitsmarktpolitik tragen – und ich füge hinzu, dass sind

auch einige Minister in CDU-regierten Ländern und das war auch 16 Jahre lang die Regierung Kohl –, sie sind auch eine Beleidigung für alle Arbeitslosen und für alle Unternehmer.

Wollen Sie tatsächlich jedem, der demnächst Menschen entlässt, sagen, er stärke damit die NPD? Wollen Sie Herrn Ackermann nach seiner Ankündigung, 6 000 Arbeitsplätze abzubauen, sagen, er sei Kostgänger der NPD geworden? – Das kann nicht wahr sein. Niemand hat Herrn Stoiber für 20 % NPD-Wähler in Rosenheim verantwortlich gemacht. Und die gab es, obwohl dieser Ort in der Arbeitslosenstatistik weit unten rangiert. Nicht jeder Arbeitslose ist ein Nazi, nicht jeder Nazi ist arbeitslos. Das ist immer noch eine Frage der Gesinnung.

Vielen Dank, Herr Kollege Liebich! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält das Wort jetzt der Kollege Ratzmann – bitte schön!

[Braun (CDU): Zunächst erwarten wir eine Entschuldigung! – Henkel (CDU): Eine Entschuldigung, bevor Sie anfangen, Sie Saubermann!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Berlin darf es keinen Platz für Nazis geben, nicht für alte und nicht für neue.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Das müssen wir jetzt und hier deutlich machen, und zwar über das bloße Bekenntnis in parlamentarischen Reden hinaus. Wir wollen das tun, und wir wollen dies zusammen mit allen Parteien dieses Hauses tun. Wir werden nicht zulassen, dass die NPD in Berlin unbehelligt marschiert, nicht in Marzahn, nicht in Spandau, nicht am 1. Mai und nicht am 7. Mai.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS – Beifall des Abg. Kurth (CDU)]

Ganz sicher werden wir nicht dulden, dass das braune Pack am 8. Mai am Mahnmal für die ermordeten Juden Europas vorbei marodiert und sich am Brandenburger Tor aufstellt. Ihr Motto „Schluss mit dem Schuldkult“ an diesem Tag, an diesem Ort besudelt das Andenken von Millionen Menschen, die unter den Gräueln der Nazis um das Leben gekommen sind. Wir sind uns alle einig: Nicht mit uns!

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP]

Herr Körting! Sie haben angekündigt, alle Register zu ziehen, um das zu verhindern. Sie haben hierfür die Unterstützung des ganzen Hauses. Der Aufzug kann verhindert werden, auch ohne neues Versammlungsrecht und ohne neue Bannmeile. So etwas brauchen wir nicht. Opfern wir nicht den Feinden der Demokratie unsere elementarsten Sicherheitsrechte, lernen wir auch hier aus der Vergangenheit.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Wir alle sind entsetzt bei dem Gedanken, dass sich rechtes Gedankengut verfestigen, zum Bestandteil unserer Parlamente werden könnte. Dabei geht es nicht darum, dass sich demokratische Parteien, aus welchen Gründen auch immer, zu Ablegern der NPD entwickeln, geistig in ihre Nähe geraten. Bisher ging es auch nicht darum, andere Parteien direkt für das Erstarken der Rechten verantwortlich zu machen, das hat bislang niemand gewagt. Bisher waren wir uns alle in der Ablehnung einig. Herr Stoiber hat jetzt allerdings diesen Konsens verlassen.

[Niedergesäß (CDU): Na, na!]