Protokoll der Sitzung vom 10.02.2005

Ich freue mich sehr, dass Frau Kollegin Senftleben nun endlich eine Frage stellt – das Beste kommt ja immer zum Schluss.

In Ihrer Frage haben Sie etwas unterstellt, das ich nie gesagt habe: Ich habe den Stadträten für Volksbildung gegenüber gesagt und angeordnet, dass die ersten – nicht die ersten beiden – Klassen mit einer Größe von 20 Kindern eingerichtet werden sollen bei jenen Klassen, die mehr als 40 % Kinder nichtdeutscher Herkunft haben. Das sind also kleinere Klassen, und daraus ergibt sich eine geringere Bandbreite. Das musste ich anordnen, damit diese Regelung zum Schulanfang umgesetzt werden kann.

Die Aussagen meiner Verwaltung sind immer auch meine Aussagen, und sie zählen nicht als Aussagen der Verwaltung – ich muss ja auch für alles geradestehen.

[Frau Senftleben (FDP): Ja, allerdings!]

Ja, das tu ich ja auch. – Sie können davon ausgehen, dass meine Aussagen – anders als bei Parlamentariern und Professoren – durch entsprechende Haushaltsstellen gedeckt sind. Wie diese Deckung vorgenommen wird, erfährt das Parlament dann, wenn es so weit ist, wenn wir die Organisationsrichtlinien und den Haushalt vorlegen. Ich bitte Sie also, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich diese Maßnahme für pädagogisch sinnvoll halte und dass wir sie finanzieren können und finanzieren werden.

Danke schön! – Frau Senftleben!

Wie ist Ihre Aussage mit der Tatsache zu vereinbaren, dass wir gerade in den kommenden sechs Schuljahren eine akute Raumnot an den Schulen haben? Wissen Sie, dass es in einzelnen Bezirken und Schulen eng wird? Was tun Sie dagegen?

Herr Senator Böger – bitte!

[Zuruf des Abg. Czaja (CDU)]

– Das ist immer gut, Herr Kollege Czaja, darin sind Sie ja Meister! – Frau Kollegin Senftleben! Wir haben zunächst einen umgekehrten Sachverhalt zur Kenntnis zu nehmen. Das Problem in Berlin ist nicht, dass die Schülerzahl explosionsartig zunimmt, sondern das Problem für Berlin und Deutschland ist, dass wir zu wenig Kinder und Schüler haben.

[Zuruf der Frau Abg. Senftleben (FDP)]

Es gibt aber noch andere, regionale Probleme. In der Region Nord-Neukölln gibt es gegenwärtig – ganz unabhängig von der Frage, wie ich die Zielgröße für Klasseneinrichtungen gestalte – Probleme, weil in dieser Region eine sehr kinderfreudige Bevölkerungsschicht wohnt.

[Frau Senftleben (FDP): Nicht nur in Neukölln!]

Wir kommen zu

lfd. Nr. 3:

Aktuelle Stunde

Gemeinsam gegen Rechtsextremismus – Politik und Gesellschaft sind gefordert

Antrag der SPD und der PDS

Gemäß der Änderung unserer Geschäftsordnung steht jeder Fraktion eine Redezeit von bis zu 10 Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redner oder Rednerinnen aufgeteilt werden kann. Wir beginnen in der ersten Rederunde mit der Fraktion der SPD – das Wort hat der Abgeordnete Herr Müller. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor wenigen Tagen – am 27. Januar – haben wir der über 6 Millionen Juden und der vielen anderen Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft gedacht. Am 27. Januar 1945 erreichten sowjetische Truppen das Konzentrationslager Auschwitz. 1 689 Tage lang sind dort Menschen gefoltert, gequält und ermordet worden. Nach der Befreiung der Konzentrationslager gingen grauenvolle Bilder um die Welt. Sie legten endgültig offen, was damals – und leider auch heute – so viele nicht wissen und nicht wahrhaben wollten. Am 8. Mai war schließlich die Schreckensherrschaft der Nazis endgültig beendet. – Das ist der Hintergrund, vor dem wir heute diskutieren.

Diese Interpretation der deutschen Geschichte durch ein Berliner Bezirksparlament schadet dem Ansehen Berlins, und ich erwarte immer noch – wie ich es schon vor einigen Tagen deutlich gemacht habe – von dem Landes- und Fraktionsvorsitzenden der Berliner CDU und der FDP, dass sie sich in ihrer Verantwortung bewusst sind und im Dialog mit ihren Parteifreunden diesen Beschluss korrigieren.

Der Rechtsextremismus ist eine Herausforderung, die wir alle annehmen müssen. Wir müssen den Rechtsextremismus in allen seinen Ausformungen offensiv bekämpfen, und das schaffen wir nur gemeinsam. Das heißt aber auch, dass die Auseinandersetzung demokratischer Parteien nicht so geführt werden darf, dass die NPD zum Schluss der lachende Dritte ist. Diese Gefahr sehe ich jedoch bei der gegenwärtigen Debatte, Herr Henkel und meine Kollegen von der CDU.

Die Äußerungen von Herrn Stoiber dienen dazu, dass wir einen Grundkonsens verlassen, den wir über Jahrzehnte zwischen den demokratischen Parteien gepflegt haben, nämlich dass wir bei aller parteipolitischer Auseinandersetzung in dieser zentralen Frage gegen NPD und andere rechtsextreme Organisationen zusammenstehen. Sie dividieren diese Haltung auseinander, und deswegen muss man an dieser Stelle sensibel sein und ganz genau auf die Formulierungen achten.

Wenige Tage nach diesem Gedenktag erleben wir – ausgelöst durch das unerträgliche Auftreten der NPD im sächsischen Landtag und die Diskussionen über die bevorstehenden Gedenkveranstaltungen zum 60. Jahrestag der Befreiung – eine breite Debatte zum Umgang mit dem neu organisierten Rechtsextremismus in unserem Land. In dieser öffentlichen Debatte werden immer noch Ursache und Wirkung der Geschichte des Zweiten Weltkriegs miteinander vermischt und damit ein Zerrbild des 8. Mai 1945 erzeugt.

[Beifall bei der SPD, der PDS, der FDP und den Grünen]

Für mich ist es ganz klar: Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung – der Befreiung von einem Regime, das Deutschland und Europa in eine bis dahin unvorstellbare Katastrophe gestürzt hat. Noch heute treffen die Worte von Richard von Weizsäcker zu, die er 1985 in seiner Ansprache zum 40. Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkriegs gefunden hat:

Der 8. Mai hat uns alle befreit von dem Menschen verachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen; die liegt vielmehr im Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte. Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen.

[Allgemeiner Beifall]

In diesem Sinne sollten wir alle gemeinsam den 60. Jahrestag des Kriegsendes begehen. Diesen Konsens brauchen wir, wenn wir im Kampf gegen den Rechtsextremismus erfolgreich sein wollen.

Es ist für mich völlig unverständlich, wenn Edmund Stoiber dem Bundeskanzler wider besseres Wissen nicht nur die Schuld an der hohen Arbeitslosigkeit, sondern damit gleichzeitig die Schuld am Erstarken der NPD gibt und so eine Parallele zum Ende der Weimarer Republik herstellt. Eine derartig vergiftete und historisch bodenlose Attacke gegen einen demokratischen Gegner eignet sich nicht zum Stimmenfang vor Landtagswahlen.

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Ohne es gleichsetzen zu wollen: Es ist für mich ebenso unverständlich, dass die Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf mit der Mehrheit von CDU und FDP – im Übrigen in einer unrühmlichen Tradition – beschlossen hat, dass das Bezirksamt zum Gedenken an den 8. Mai nicht nur an die Befreiung von den Nationalsozialisten und deren Opfer erinnern soll. Damit werden die Verbrechen der Nationalsozialisten relativiert. Das darf man nicht zulassen.

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen – Henkel (CDU): Völliger Quatsch! Miese Polemik!]

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen – Henkel (CDU): Da können Sie lange warten!]

Bei Ihnen wundert es mich nicht, Herr Henkel!

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Ich sage aber auch, es müssen alle Mittel des Rechtsstaates und der wehrhaften Demokratie eingesetzt werden. Dazu gehört ebenfalls die sorgfältige Prüfung der Chancen eines NPD-Verbotes durch das Bundesverfassungsgericht.

[Dr. Lindner (FDP): Das ist Quatsch!]

Schon bei halbwegs günstigen Erfolgsaussichten sollten wir nach meiner Ansicht einen solchen Schritt mutig wagen. Es ist doch ein unerträglicher Gedanke, dass mit Steuermitteln nazistische Strukturen und Propaganda, auch in Landesparlamenten, finanziert werden. Ein NPDVerbot wäre im Übrigen auch ein wichtiges Signal für das Ausland.

Ich bin aber auch der festen Überzeugung, dass so ein Verbot allein nicht genügt. Denn Ideologie und Ziele dieser Partei werden dadurch nicht aus den Köpfen verbannt. Ein Verbot kann nur ein Baustein einer konsequenten Strategie gegen Rechtsextremismus sein. Aber auch diesen Weg sollten wir engagiert verfolgen, um rechtsextremen Parteien organisatorisch die Grundlage zu entziehen. Wir brauchen den breiten öffentlichen Diskurs über das ganze Spektrum rechtsextremistischen Unwesens. Politik, Medien, Schulen und Elternhäuser müssen dem Thema den Stellenwert gebe, den es verdient hat. Immer wieder muss die Entwicklung hin zu einer Diktatur, die den Ho

Ich rufe abschließend die Berlinerinnen und Berliner auf, sich an den Demonstrationen der Parteien, Gewerkschaften und Kirchen in den Tagen um den 8. Mai zu beteiligen. Es muss zum 60. Jahrestag des Kriegsendes eine breite bürgerschaftliche Mobilisierung gegen Rechts in unserer Stadt geben. Wir dürfen nicht vergessen, gerade in dieser Stadt, in der das Grauen seinen Anfang nahm. Lassen Sie uns alle gemeinsam dazu beitragen! – Vielen Dank!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Wahlerfolge der DVU und der NPD in Brandenburg und Sachsen erfüllen uns mit großer Sorge. Insbesondere der Eklat im sächsischen Landtag Ende Januar hat uns vor Augen geführt, dass diese Parteien immer unverhohlener den Nationalsozialismus in unverantwortlicher Weise verherrlichen und den Holocaust sowie die Schuld von Hitlerdeutschland am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verleugnen. Solche Tatsachenverdrehungen verurteilen wir auf das Schärfste. Das werden wir nicht akzeptieren. Diese Parteien bekämpfen unseren Rechtsstaat, schüren Hass und schaden damit auch dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland.

locaust zu verantworten hat, aufgezeigt, erzählt und gelernt werden.

Wir machen an dieser Stelle auch schon viel. Wir reden nicht nur darüber. In den Berliner Schulen mit vielen Projekten wie „denk!MAL“, „Pädagogen gegen Rechtsextremismus“ und Schülerprojekte, die gemeinsam mit dem American Jewish Committee an den Berliner Schulen durchgeführt werden. Auch die Projekte und Initiativen wie CIVITAS, entimon und XENOS sind wichtige Bestandteile der Arbeit gegen Rechtsextremismus, und diese Bestandteile müssen gesichert und fortgesetzt werden.

Demokratische Parteien müssen bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus vorangehen. Auch unsere Sprache, die der Politikerinnen und Politiker, hat in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung. In Zukunft muss präziser formuliert und müssen kurzschlüssige Parallelen und Vergleiche vermieden werden. Denn der Politik kommt eine Mitverantwortung zu, wenn sie mit ihrer Sprache und den teilweise zu kurz greifenden Argumenten etwa zu Ausländer- und Zuwanderungspolitik teilweise das Denken bedient, das dem Rechtsextremismus Vorschub leistet.

Gerade hier in Berlin, dem Ort, an dem die erste demokratische Republik zerschlagen wurde, dem Ort, von dem der Holocaust geplant und organisiert wurde, dem Ort, an dem die deutsche Teilung am deutlichsten in Erscheinung trat, hier in Berlin ist es gesellschaftlicher Auftrag, die Auseinandersetzung mit der Geschichte lebendig zu halten. Wir werden bei den bevorstehenden Demonstrationen gegen Rechts dazu Gelegenheit haben. Wir müssen Gesicht zeigen und zusammenstehen gegen Leute, die unsere Verfassung mit Füßen treten.

Ich will an dieser Stelle deutlich machen, welche Qualität die Auseinandersetzung hat. Wir hatten am Dienstag in unserer Fraktionssitzung in Vorbereitung dieses Tagesordnungspunktes eine sehr engagierte Debatte. Mich hat besonders beeindruckt, als mein Kollege Zimmermann in der Aussprache an ein Zitat erinnert hat, das einige von Ihnen vielleicht kennen. Es ist von dem NPD-Vorsitzenden Voigt, der gesagt hat, er habe gar kein Problem mit dem Holocaust-Mahnmal in Berlin, denn die Stelen des Holocaust-Mahnmals würden die Fundamente für die neue Reichskanzlei in Berlin sein. Das macht deutlich, dass es an dieser Stelle kein Zagen und Zaudern geben kann und zeigt, welche Auseinandersetzung wir zu führen haben. Jeder, der NPD wählt und unterstützt, muss wissen, dass er nicht Protest wählt und nicht Aufschwung, Perspektive und Arbeitsplätze, sondern er wählt Neonazis mit der Ideologie, die dahinter steht – nichts anderes, und deshalb müssen wir zusammenstehen.

[Beifall]

Gesicht zeigen heißt für mich auch, den Innensenator dabei zu unterstützen, alle nur möglichen Maßnahmen zu ergreifen, den Nazis nicht unsere Plätze zu überlassen – und sei es am Brandenburger Tor oder in den Bezirken.