Protokoll der Sitzung vom 10.02.2005

Replik von Herrn von Lüdeke. – Bitte schön!

An sich müsste man darauf gar nicht antworten.

[Doering (PDS): Müssen Sie doch auch nicht!]

Die Kurzintervention war in sich entlarvend. Aber ich betone es noch einmal: Bei allem, was Sie hier versprechen – es war heute deutlich zu erkennen, was Sie vorhaben: Sie wollen Ihre marode Verkehrspolitik auf dem Rücken der Hauseigentümer austragen. Aber das machen wir nicht mit.

[Beifall bei der FDP und der CDU – Ah! von der PDS]

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu beiden Anträgen gibt es Anträge. Die Antragsteller beantragen die sofortige Abstimmung, die CDU in Form einer namentlichen Abstimmung. Aber es gibt auch den Antrag auf Ausschussüberweisung. Nach der Geschäftsordnung müssen wir darüber zuerst abstimmen. Wer für die Überweisung an den Ausschuss ist, den bitte ich um das Zeichen. – Das sind die Regierungsfraktionen. Danke! Die Gegenprobe! – Das sind die Oppositionsfraktionen. Das Erstere war die Mehrheit. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Die andere Abstimmung entfällt.

Damit kommen wir zur

lfd. Nr. 4 b:

Antrag und dringliche Beschlussempfehlung

EU-Dienstleistungsrichtlinie grundlegend überarbeiten

Antrag der SPD und der PDS Drs 15/3579 Beschlussempfehlung EuroBundMedien Drs 15/3630

Der Antrag wurde vorab an den Ausschuss für Europa- und Bundesangelegenheiten und Medienpolitik überwiesen, wozu ich Ihre nachträgliche Zustimmung feststelle.

Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der PDS. Das Wort hat Frau Kollegin Michels. – Bitte schön!

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Der Bundesrat hat einhellig kritisch zum EU-Entwurf Stellung genommen. Darin waren die Vertreter Berlins aktiv beteiligt. Auch der Bundeskanzler hat sich nach langem Zögern in die Debatte eingemischt. Die EUKommission signalisiert inzwischen ihre Bereitschaft zur Überarbeitung. Von Entwarnung kann aber keinesfalls die Rede sein, wenn man neuerliche Meinungsäußerungen aus Brüssel, aber auch zum Beispiel von Wirtschaftsminister Clement verfolgt.

Welches sind die Kernpunkte unserer Kritik am Dienstleistungsrichtlinienentwurf? – Erstens: Er unterwirft wesentliche Leistungen der Daseinsvorsorge, wie beispielsweise Wasserwirtschaft, Abfallwirtschaft und andere, soziale Dienste und durch Sozialversicherungen geregelte Dienstleistungen, wie zum Beispiel Gesundheitsdienste und die Pflegedienste, einer allgemeinen Liberalisierung und greift damit tief in die Kompetenzen der Mitgliedsstaaten, ihrer regionalen Untergliederungen und Kommunen ein,

Frau Michels

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Ziel einer EU-Dienstleistungs

richtlinie ist der Abbau von Hindernissen, denen Dienstleistungserbringer in verschiedenen Staaten Europas ausgesetzt sind. Dies ist ein einmaliger und sehr mutiger Schritt zur Harmonisierung der Regeln für Dienstleistungen. Er ist gleichsam ein wichtiger Schritt zur Schaffung eines wirklichen europäischen Binnenmarktes, der nicht bei Lippenbekenntnissen stehen bleibt.

Die Folgen sind eindeutig: Verwaltungsvereinfachung – also die Verpflichtung zur Benennung einheitlicher Ansprechpartner für Verwaltungsformalitäten –, das Verbot restriktiver rechtlicher Anforderungen einzelner Mitgliedsstaaten oder die Harmonisierung durch Vereinheitlichung der Rechtsvorschriften. Wer Europa will, wer insbesondere den europäischen Binnenmarkt mit Leben erfüllen will, kommt an einer solchen Richtlinie nicht vorbei. Eine Alternative dazu gibt es nicht. Auch Ihr Vorschlag, die Richtlinie zurückzuziehen, wäre eine Absage an das sich vollendende Europa. Wir können nicht bei Sonntagsreden eine europäische Harmonisierung einklagen,

und wenn es ernst wird, bekommen wir kalte Füße. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn dies auch noch aus Deutschland kommt – der Vorwurf des Protektionismus steht ja bereits im Raum. Fragen Sie mal unsere Nachbarstaaten, fragen Sie in Mittelosteuropa, in Frankreich, Spanien oder Italien, wie sie darüber denken.

[Hahn (FDP): Das stimmt doch gar nicht!]

diese Leistung in eigener Verantwortung zu regeln.

Zweitens: Er schafft mit der breiten Verankerung des Herkunftslandsprinzips ungleiche Wettbewerbsbedingungen für Dienstleistungen im europäischen Binnenmarkt, durchlöchert das einheitliche Recht der Mitgliedsstaaten und organisiert so einen Wettlauf der mitgliedsstaatlichen Rechtssysteme um niedrige Qualitäts-, Arbeits-, Sozial-, Verbraucherschutz- und Umweltstandards.

Drittens: Er verzichtet auf eine sozialpolitische Regulierung des Dienstleistungsbinnenmarktes und macht so eine effektive Kontrolle der Einhaltung des geltenden deutschen und EU-Rechts zur Arbeitnehmerentsendung unmöglich.

Viertens: Er erschwert eine effektive Wirtschafts- und Unternehmensaufsicht und bietet unzureichende Vorkehrungen zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität.

An die Adresse von FDP und CDU sage ich: Diese Kritikpunkte sind keine Nebelbomben oder Panikmache, wie Sie uns in der Ausschussdebatte oder in Pressemiteilungen einreden wollten. Das ist nicht das Europa, wie wir es uns vorstellen. Wir wollen ein anderes Herangehen. [Beifall bei der PDS und der SPD – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Wir wollen ausdrücklich die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und die Schaffung eines einheitlichen Wirtschaftsrechts und Sozialraumes. Wir begrüßen die Absicht der EU-Kommission, den Binnenmarkt für Dienstleistungen zu verbessern, die Niederlassungsfreiheit einfacher zu gestalten und die Rechte der Verbraucher zu erhöhen. Aber im Ergebnis darf kein Lohn- und Sozialdumpingmarkt entstehen und keine Angleichung auf niedrigem Niveau stattfinden. Am Ende dieses Prozesses müssen entsprechend den EUZielen aus der Lissabonner Strategie verbesserte Arbeits- und Lebensbedingungen, eine verringerte Arbeitslosigkeit, Nachhaltigkeit im Wirtschaften und eine erhöhte soziale Kohärenz stehen. Die Öffnung des Binnenmarktes darf nicht bedingungslos geschehen. Wir wollen ein Europa mit effizienten Wirtschaftstrukturen und ein sozial gerechtes Europa. Das ist unser Ziel. Deshalb muss die Kommission diesen Entwurf zurückziehen und grundlegend überarbeiten. Deshalb fordern wir die Abgeordneten des Europaparlaments auf, diesem Antrag so, wie der Entwurf jetzt in der Fassung der Kommission vorliegt, die Zustimmung zu verweigern. Deshalb bitten wir um Zustimmung zu unserem Antrag.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Vielen Dank, Frau Kollegin Michels! – Es folgt die Fraktion der CDU. Das Wort hat der Kollege Apelt. – Bitte schön!

[Zuruf der Frau Abg. Paus (Grüne)]

Der vorliegende Entwurf ist ein wichtiger Ansatz, wenn man Handelshemmnisse beseitigen und grenzüberschreitende Dienstleistungen liberalisieren will. Er ist aber noch lange nicht der Weisheit letzter Schluss, darin sind wir uns, glaube ich, alle in diesem Haus einig. Wir brauchen eine sachgerechte Diskussion mit dem Ziel, das Herkunftslandprinzip zu überarbeiten und Arbeits- und Sozialstandards zu erhalten.

[Beifall bei der CDU – Frau Michels (PDS): Genau das steht in dem Antrag!]

Im Übrigen bleibt die Entsenderichtlinie ja unverändert. Wir sollten aber auch ehrlich sein, Frau Michels, und uns die Frage stellen, ob unsere Verbraucherschutz-, Um- welt-, Sozial- und Arbeitsstandards immer zu halten sind. Auch wenn es schmerzlich sein kann: Wir sind nun mal nicht allein in Europa, und daher müssen wir uns aufeinander zu bewegen.

Die Richtlinie bietet Chancen: Wachstumsschub, Europa wird wettbewerbsfähiger – davon würden vor allen Dingen der Mittelstand und die Kleinunternehmen profitieren. Die Exporte würden sich – so sagen es Fachleute – bis zu einem Drittel erhöhen. Das kann allerdings nicht um jeden Preis passieren. Wir müssen darauf achten, nicht nur an deutsche Interessen zu denken. Wir müssen Europa zu einem dynamischen Wirtschaftsraum und eben nicht in eine lahme Ente verwandeln.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Michels hat die wesentlichen Inhalte unseres Antrags erläutert. Dem kann ich mich inhaltlich voll anschließen, deswegen will ich auch nicht alles wiederholen.

Ich nehme jedoch zu einigen Aspekten, die Herr Apelt aufgeworfen hat, Stellung. Es ist ein grundlegendes Missverständnis, dass wir aus protektionistischen Gründen Änderungen verlangen. Es ist gerade keine protektionistische Attitüde, sondern es ist der Versuch, in diesen schwierigen Bereichen eine echte Harmonisierung europäischen Rechts herzustellen. Dieser Versuch ist von der Kommission nicht unternommen worden, und das ist die eigentliche Krux dieser Richtlinie. Wir wollen einen vernünftigen vereinheitlichten Binnenmarkt für die Dienstleistungen, wir wollen einen einheitlichen Wirtschafts-, Rechts- und Sozialraum in Europa, um die Wettbewerbsfähigkeit und die Wirtschaftskraft zu erhöhen. Die Kommission hat mit diesem Richtlinienentwurf den Pfad der Harmonisierung verlassen, weil sie dachte, sie schaffe die Harmonisierung nicht. Sie hat daraufhin vorgeschlagen, das Herkunftslandprinzip in weiten Bereichen des Dienstleistungssektors gelten zu lassen und damit das aufzugeben, was der EG-Vertrag vorschreibt, dies nämlich über gemeinsame Rechtsvorschriften zu erreichen. Das ist der eigentliche Grund unserer Kritik, und nicht, wie Sie meinen, Herr Apelt, Protektionismus.

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Michels?

Bitte schön!

Sie halten die Rede offensichtlich an Stelle Ihres Kollegen aus dem Ausschuss, der nicht anwesend ist, daher verzeihe ich Ihnen. Ist Ihnen aber bekannt, dass im Bundesrat auch die CDU-geführten Länder genau unserer Argumentation folgen und eine kritische Stellungnahme zur Überarbeitung vorgelegt haben? Ist es Ihnen bekannt, dass es europaweit eine große Protestbewegung dazu gibt, die es so ähnlich sieht, wie es in unserem Antrag formuliert ist?

[Hahn (FDP): Das sagt er doch die ganze Zeit!]

Ja, Frau Kollegin, das ist mir sehr wohl bekannt. Wenn Sie der Rede richtig gefolgt sind, werden Sie bemerkt haben, dass ich genau dies gesagt habe,

[Frau Michels (PDS): Nee!]

dass man an verschiedenen Stellen die bisherige Diskussion aufnehmen und zu sachgerechten Lösungen kommen soll, insbesondere mit dem Ziel, Arbeits- und Sozialstandards zu erhalten oder das Herkunftslandprinzip zu überarbeiten. Das habe ich bereits erwähnt,

[Frau Michels (PDS): Das ist der Antrag!]

und die Bundesländer sind sich einig, wenn es darum geht, Nachteile für die Bundesländer oder für die Bundesrepublik insgesamt abzuweisen. Ich habe aber zugleich darauf hingewiesen, dass wir nicht einerseits die Vollendung des Binnenmarktes in all seinen Formen fordern und andererseits protektionistisch handeln können im Sinne von: Jetzt denken wir mal an unsere Arbeitnehmer,

[Zuruf der Frau Abg. Jantzen (Grüne)]

und was woanders passiert, ist zweitrangig.