Der Bundeswirtschaftsminister Clement hat das im Übrigen auch so gesehen, und ich bin davon überzeugt, dass er angesichts Ihres Antrags einige Ängste hätte und diesem nicht zustimmen könnte. Selbst der Kanzler gehörte anfänglich zu den Befürwortern. Erst als der Druck aus der Partei und aus den Gewerkschaften so groß wurde, hat er sich anders positioniert.
Die Dienstleistungsrichtlinie ist das richtige Gesetzgebungsinstrument, um einen echten Binnenmarkt zu schaffen – darin sollten wir uns einig sein. Mit anderen Instrumentarien würden Sie kein entsprechendes Ergebnis erzielen. Daher kann es nicht angehen, diese Dienstleistungsrichtlinie zurückzuziehen. Es kann nur sein, dass sie überarbeitet und logischerweise verbessert wird. – Danke schön!
Sie übernehmen offensichtlich etwas, was vor fünf Jahren mal erklärt wurde, was manche Leute gebetsmühlenartig wiederholen und was sich doch in den letzten Jahren substantiell geändert hat: die Lissabon-Strategie von 2000. Im Jahre 2000 hat man in Lissabon gedacht, man könne beschließen, dass bis 2010 Europa die wettbewerbsfähigste und dynamischste sowie konkurrenzfähigste Region der Welt werde. Dieses Ziel ist nicht zu erreichen, das hat Baroso, das hat Wim Kok längst eingesehen, und dieses Ziel der Lissabon-Strategie wurde aufgegeben. Man hat festgestellt, dass wir das mit den bislang angewandten Instrumenten gar nicht erreichen werden. Die Philosophie der Dienstleistungsrichtlinie folgt noch genau diesen alten und unüberarbeiteten Zielen der Lissabon-Strategie. Schon deshalb muss sie einer grundlegenden Überprüfung unterzogen werden.
Ich komme zu einem dritten wichtigen Aspekt. Die Dienstleistungsrichtlinie weicht von dem ursprünglichen Vorhaben ab, bestimmte Sektoren zu beschreiben und eine Liberalisierung für den Markt zu erzeugen. Über alle
Dass sie wirtschaftlich nicht das bringt, was einige ihr zuschreiben, dafür ist neben der Daseinsvorsorgeproblematik – die hier schon eine Rolle gespielt hat – vor allem die Verankerung des Herkunftslandprinzips verantwortlich. Dies lohnt es, sich genauer anzuschauen: Gilt das Herkunftslandprinzip, dann gelten die Bestimmungen des Heimatlandes eines Unternehmens – nicht der Verbraucherinnen und Verbraucher –, wenn es in einem anderen Land eine Dienstleistung erbringt.
Danke schön! – Frau Kollegin! Welche Gründe von Baroso bis Clement führen Ihrer Ansicht nach dazu, dass man für eine solche Dienstleistungsrichtlinie ist? Sind Sie nicht auch der Meinung, dass gerade diese Leute überzeugt sind, dass es wirtschaftlich etwas bringt, was Sie nun gerade bezweifeln?
Dienstleistungsbereiche wird eine einheitliche Regelung versucht, und es wird nicht darauf geachtet, ob auch kommunale und öffentliche Aufgaben davon betroffen sind. Das ist unser wesentliches Anliegen. Wir können über europäisches Recht keine nationalen und kommunalen Aufgaben der Daseinsvorsorge aushebeln, weil die EU dafür auch keine Kompetenz hat. Sie kann sie sich über die Dienstleistungsrichtlinien auch nicht nebenbei verschaffen, sondern hier müssen wir aufpassen, dass wir als Kommune, als Land in der Kultur, in audiovisuellen Diensten, beim Rundfunk, bei sozialen Diensten, bei der Gesundheitsversorgung, beim Wasser – Frau Michels hat es angesprochen – die Regelungskompetenz behalten und selbst entscheiden, was zu tun und zu lassen ist. Dafür hat die EU keine Kompetenz.
All diese Fragen wollen wir geklärt wissen. Deswegen reichen kosmetische Änderungen nicht aus. Es muss eine grundlegende Überarbeitung geben. Es gibt gute Anzeichen, und wir haben Hoffnung, dass dies geschehen kann, aber dafür brauchen wir auch noch Druck. Wir brauchen Meinungsbildung. Wir brauchen auch die Position des Abgeordnetenhauses. Dazu würden wir Sie gern aufrufen. – Danke schön!
Vielen Dank, Herr Kollege Zimmermann! – Die Grünen folgen, und die Frau Kollegin Paus hat das Wort. – Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 70 % der deutschen Wirtschaftsleistung entstehen heute schon aus Dienstleistungen. Das heißt, diese EU-Dienstleistungsrichtlinie, über die wir heute sprechen, die noch nicht viele kennen, die sich aber zurzeit rapide in der Wirtschaft herumspricht, betrifft praktisch die gesamte Wirtschaft, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa.
Deswegen, Herr Apelt, ist es völlig klar: Eine gelungene europäische Richtlinie hätte das Potential, Europa wirtschaftlich, ökologisch, sozial und als dynamische Wissensregion voranzubringen – im Sinne der LissabonStrategie. Nur – Herr Zimmermann hat es soeben deutlich ausgeführt – das, was uns Herr Bolkestein aus dem letzten Jahr hinterlassen hat, taugt dazu eben nicht. Aus diesem Grund lehnen auch wir Grünen diese Dienstleistungsrichtlinie ab.
Sie bedroht nicht nur den sozialen Zusammenhalt in Europa und verstößt damit im Übrigen auch gegen den vorliegenden Verfassungsvertrag, sie ruiniert nicht nur auch ökologische Standards, sondern ich bin der festen Überzeugung, dass diese Bolkestein-Richtlinie wirtschaftlich das Gegenteil von dem bewirken würde, was Herr Bolkestein verkündet hat. Deswegen begrüßen wir eindeutig, dass in der vergangenen Woche – nachdem andere Länder bereits ihre Kritik geäußert hatten – auch Chirac und Schröder gemeinsam erklärt haben, dass sie eine deutliche und substantielle Nachbesserung dieser Dienstleistungsrichtlinie fordern.
Natürlich brauchen wir einen europäischen Raum, der freizügig ist für Dienstleistungen. Auch wir sehen hier deutlichen Reformbedarf. Auch wir sind für eine europäische Dienstleistungsrichtlinie. Auch Herr Zimmermann ist dafür. Ich nehme auch an, dass Frau Michels dafür ist. Wir sind dafür, weil wir gerade wollen, dass es gleiche Wettbewerbsbedingungen und einen freizügigen Dienstleistungsmarkt innerhalb Europas gibt, aber eben gleiche Wettbewerbsbedingungen!
Leider erfüllt die Dienstleistungsrichtlinie dies nicht. Statt gleicher Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen oder zumindest eine Vereinbarung über Mindeststandards von Wettbewerbsbedingungen im Dienstleistungsbereich sagt diese Richtlinie, dass nur die Rechtsordnungen des jeweiligen Herkunftslandes, aus dem das Unternehmen kommt, gelten. Und deshalb reicht es nicht, einfach nur die Ausnahmeregelungen zu erweitern, wie die CDU und die FDP dies wollen, indem sie weitere Berufsgruppen, die ihnen lieb sind, aufnehmen – die FDP stärker die freien Berufe, vielleicht auch die Architekten und die Ingenieure, während sich die CDU voraussichtlich für Ausnahmen bei den Handwerksgruppen und weitere Rechte für die Kommunen einsetzen wird.
Ich sage, das reicht nicht aus, denn der zentrale Geburtsfehler ist das Herkunftslandprinzip. Mit dem Herkunftslandprinzip werden die Rechte und positiven Wirkungen 100 % auf die Seite der Unternehmen gegeben, während die Risiken und die Probleme der Informationsbeschaffung 100 % zu Lasten der Verbraucher gehen. Es wurde nämlich so argumentiert, dass den Unternehmen nicht zugemutet werden könne, sich mit 25 unerschiedlichen Rechtsordnungen auseinander setzen zu müssen. Diskriminierung war gar nicht der entscheidende
Aber diese Revolution, von der ich spreche, ist vor Jahren begonnen worden. Sie begann, als wir uns entschlossen, in Europa einen gemeinsamen Binnenmarkt einzuführen – übrigens unter dem Jubel aller Parteien. Wir wollten die Vollendung des Binnenmarkts auch für die Dienstleistungen und nicht nur für die Güter. Wir wissen, dass 70 % der Wertschöpfung in Europa über Dienstleistungen erwirtschaftet wird. Also sind diese ein zentraler Punkt bei der Vollendung des Binnenmarkts.
Nun stellt die Richtlinie auf das Herkunftslandprinzip ab, und das wirft viele ernsthafte Fragen auf. Das ist wahr: Dass dieses die Anbieterinteressen über die Nachfragerinteressen stellt, kritisieren auch wir. Wir wissen, dass dadurch viele deutsche Regelungen insbesondere des Verbraucherschutzes möglicherweise zur Disposition stehen. Ich will die Kritikpunkte im einzelnen gar nicht aufzählen – das haben wir im Ausschuss getan –, sondern bei dem zentralen Vorwurf bleiben, die Richtlinie sei ein gewaltiger Hebel zur Deregulierung. Durch diesen wird vieles auf den Prüfstand gestellt, in der Tat, aber das ist heilsam. Der Abbau von Vorschriften kommt doch gerade bei uns viel zu langsam voran. Wir können das Land Berlin als Beispiel nehmen: Da kommt auf dem normalen Weg nichts heraus. Wir streichen nur Vorschriften, die tatsächlich überflüssig sind und niemanden stören. Die Deregulierung durch die EU-Kommission ist dagegen sehr viel umfassender und radikaler und hat deshalb grundsätzlich unsere Sympathien.
Punkt, sondern die Ansicht, den Unternehmen sei es nicht zumutbar, sich in den verschiedenen Rechtsordnungen der Länder zu bewegen und entsprechend Vertragsverhandlungen zu führen. Genau dies wird aber gleichzeitig mit entsprechend drastischen Konsequenzen den Verbraucherinnen und Verbrauchern zugemutet. Gesetzt den Fall, ich wollte ein schlüsselfertiges Haus kaufen, wäre dies eine Dienstleistung, bei der ich mitnichten wüsste, welche rechtlichen Regelungen diesem Kauf zu Grunde liegen, handelte es sich um einen Dienstleister aus Luxemburg, Zypern oder Estland. Hier sähe ich mich in der Tat überfordert, komplett nachzuzeichnen, welche Regelungen damit verbunden sind. Deswegen bin ich der Auffassung, dass es auch wirtschaftlich nicht funktioniert. Ich würde nämlich genau aus diesem Grund das nicht tun, was die Richtlinie gerade intendiert. Ich würde davon absehen, diese Dienstleistung von einem Anbieter aus Luxemburg, Zypern oder Estland zu kaufen, weil ich nicht wüsste, was ich mir damit einkaufe. Im Zweifel müsste ich dann noch vor den Gerichten in den entsprechenden Ländern klagen und Sorge haben, gegenüber den Unternehmen drastisch unterprivilegiert zu sein. Deswegen würde es nicht funktionieren und den gemeinsamen Dienstleistungsmarkt innerhalb Europas nicht geben. Deswegen muss diese Dienstleistungsrichtlinie mit dem Herkunftslandprinzip in der Form vom Tisch. Deswegen unterstützen wir den vorliegenden Antrag und die Initiative des Bundeskanzlers in dieser Angelegenheit.
Danke schön, Frau Kollegin Paus! – Die Rednerliste beschließt zunächst Herr Hahn von der FDP – bitte schön!
Danke schön, Herr Präsident! – Ich hätte eigentlich erwartet, dass bei dieser Debatte der Regierende Bürgermeister anwesend ist. Ich habe erfahren, dass er für diese Stunde noch nicht entschuldigt ist. Immerhin geht es der Koalition um eine zentrale Angelegenheit, und da sollte sie ihren Bürgermeister doch dabei haben.
Der uns vorliegende Antrag wirft zwei Fragen auf: zum einen die nach dem inhaltlichen Anliegen der Koalitionsfraktionen, zum anderen die nach der Behandlung eines politischen Problems hier in diesem Haus.
Zunächst möchte ich auf Ihr Anliegen eingehen. Sie möchten die EU-Dienstleistungsrichtlinie grundlegend überarbeitet wissen. Ich will Ihnen dabei eine gewisse Berechtigung gar nicht absprechen. Diese Richtlinie in der bisherigen Form – die Kommission hat inzwischen schon angekündigt, dass sie sie überarbeiten wird – ist nichts weniger als revolutionär – das müssen wir sehen –, und
Sie schlagen in dem Antrag den gängigen Weg der Harmonisierung der nationalen Vorschriften vor und argumentieren, es dürfe keine Aushebelung deutscher Standards geben. Damit heißt für Sie „Harmonisierung“ offenbar: „Angleichung Europas an die deutschen Standards“, und zwar aller an alle deutschen Standards. Das wird nicht kommen. Das muss Ihnen doch klar sein. Das ist eine Illusion. So wird es in Europa nicht sein. Auch wir werden Abstriche von unseren Regelungen machen müssen. Wenn Sie das nicht wollen und als Vorbedingung für den Binnenmarkt die schrittweise Harmonisierung der Standards verkünden – wie Sie das jetzt tun –, dann wollen Sie nie zur Vollendung des Binnenmarkts für die Dienstleistungen kommen.
Sie sind ja in Ihrem Antrag sogar noch weiter gegangen. Sie schreiben darin, dass Sie die Vereinbarkeit der Schaffung des Binnenmarktes mit anderen „gleichberechtigten“ politischen Zielen wollen. Das bedeutet doch, dass Sie das Ziel der Schaffung des Binnenmarkts aufgeben. Was sagt eigentlich Wirtschaftsminister Clement dazu? – Wenn die EU-Kommission in der Verfolgung des Ziels Binnenmarkt revolutionär ist, dann sind Sie hier in Wahrheit konterrevolutionär!
Sie schütten – mit Ihrem Antrag – gewissermaßen das Kind mit dem Bade aus. – Ja, so ist es! – Und Sie werden
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, so dass wir zur Abstimmung kommen können. Der Ausschuss empfiehlt mehrheitlich gegen CDU und FDP die Annahme des Antrags mit Änderungen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Regierungsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen. Gegenstimmen? – Das sind CDU und FDP. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so angenommen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viele Fahrgäste sind sauer. Sie ärgern sich über das Metrolinienkonzept, weil es Haltestellen und Buslinien nicht mehr gibt, weil Busse und Bahnen überfüllt sind, weil sie häufiger und viel beschwerlicher als früher umsteigen müssen – und das, obwohl die BVGWerbung ein schnelles und poppiges Liniennetz – quasi ein Formel-1-Netz – versprochen hatte. Von den Auswirkungen der Angebotskürzung ist auch der Einzelhandel betroffen. Das ist ganz klar: Wenn Einkaufsstraßen vom Busverkehr abgehängt werden, geht die Kundschaft verloren. Das Ladensterben wird beschleunigt.
so am Ende – Herr Zimmermann, das war vielleicht ein freudscher Versprecher – zur Konkurrenzunfähigkeit Deutschlands mit beitragen. Dabei ist die Panikmache durch Desinformation, die noch nebenbei betrieben wird, ganz unangebracht. Frau Michels, Sie irren sich schlicht, wenn Sie sagen, dass von der Richtlinie Dienstleistungen des Staates – Daseinsfürsorge – betroffen sind. Sie sind es nicht.
Und das ist der Punkt, den ich zum Schluss noch ansprechen will: Es offenbart sich bei der Behandlung dieses Themas ein Problem in diesem Parlament. Das Thema ist hochkomplex. Kaum jemand in diesem Saal überschaut es in allen seinen Verästelungen.