Protokoll der Sitzung vom 24.02.2005

Vizepräsidentin Michels

Deshalb haben wir hier einen Antrag eingebracht, der im Ausschuss einstimmig beschlossen wurde. Es geht darum, ein Internetportal einzurichten, in dem sich jeder, die gesamte Öffentlichkeit an der Entbürokratisierung beteiligen kann. Meine Damen und Herren vom Senat! Ich bedauere ausdrücklich, dass die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen – wohl wissend, dass ein solcher Antrag in Vorbereitung ist – nun einen eigenen, solitären Weg geht. Nicht nur die Wirtschaft ist von Bürokratie betroffen, sondern alle in dieser Stadt. Die Auseinandersetzung, was geregelt werden muss oder soll, ist nicht Angelegenheit einer einzigen Interessengruppe, der Wirtschaft. Meine Fraktion erwartet vom Senat, dass die Entscheidung der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen mit dem Beschluss, den wir heute hier fassen, verbunden wird und wir ein gemeinsames Internetportal für alle Bürgerinnen und Bürger schaffen.

Über das Thema Entbürokratisierung könnte man Bände schreiben. Wir bemühen uns gemeinsam mit dem Senat, im Interesse der Berlinerinnen und Berliner um eine vernünftige Reduzierung öffentlichen Handelns. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

Wir kommen zur Beratung, für die uns fünf Minuten pro Fraktion zur Verfügung stehen. Es beginnt die SPD. – Bitte, Frau Abgeordnete Flesch!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Deregulierung ist der am meisten überschätzte Vorgang im Rahmen der Verwaltungsmodernisierung. Gleich dem Stein der Weisen glaubt man, er verwandele die Bürokratie über Nacht in eine effiziente Dienstleistungsverwaltung, und das nur durch den Wegfall von Vorschriften. Ich garantiere Ihnen: Wenn wir heute beschließen, alle Gesetze, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften außer Kraft treten zu lassen, ändert sich morgen an der Bürokratie nichts.

Deregulierung ist kein Selbstzweck. Sie ist ein Unterfall der Rechtsvereinbarung, die wiederum ein Unterfall von Entbürokratisierung ist. Und da sind sich alle einig: Entbürokratisierung ist eines der wichtigen Ziele. Und obwohl sich alle Verwaltungsreformer in diesem Ziel einig sind, trennen uns doch die Wege. Opposition und Teile der öffentlichen Meinung sind der Auffassung, man müsse nur ausreichend Vorschriften wegfallen lassen, um mit Masse Klasse zu machen. Das ist ein Weg, der bezüglich der Masse auf wesentlich geringerem Niveau von anderen Bundesländern werbewirksam verkauft wird. Bei den Inhalten dessen, was dort weggefallen ist, sträuben sich einem schon einmal die Haare. Aber das ist ein anderer Punkt. Dieser Massenideologie folgend und gegen einen Senat polemisierend, der angeblich überhaupt nichts getan hat, propagiert die CDU mit ihren Anträgen etwas, das in Berlin rechtlich gar nicht möglich ist, weil schon längst geschehen. In der 13. Wahlperiode haben wir die Befristung aller Rechtsvorschriften eingeführt. Es ist keine der heute und damals handelnden Personen anwesend – aber es ist ein bisschen peinlich, dass Ihnen das durchgerutscht ist. Mit dem 2. Verwaltungsreform-GrundsätzeGesetz haben wir das bereits alles erledigt.

Die SPD- und PDS-Fraktion und der Senat verfolgen einen anderen Weg. Er ist Erfolg versprechend, wenn man das Thema Entbürokratisierung wirklich ernsthaft angehen will. Wir wollen nicht schauen, was in 56 Jahren Bundesrepublik Deutschland an Vorschriften entstanden ist, sondern wir schauen dahin, wo wir hinwollen. Wir müssen klären, was Berlin in seiner Landeskompetenz noch regeln will, in welcher Form und in welchem Ausmaß. Das ist der richtige Weg.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Gemeinsam arbeiten wir an ganz konkreten Lebenslagen, prüfen, wie sie geregelt sind, ändern Vorschriften und heben sie auf, und zwar so, dass es die Bürgerinnen und Bürger auch tatsächlich spüren können. Das zweite Gesetz zur Rechtsvereinfachung, das dem Haus derzeit vorliegt, ist ein gutes Beispiel dafür.

Dieses Ziel wollen wir nicht allein verfolgen, nicht nur aus der Binnensicht des Parlaments als Gesetzgeber, der Verwaltung als Verordnungsschafferin und -anwende

rin, sondern wir wollen es mit den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt verfolgen.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Danke schön! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt der Abgeordnete Henkel das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Flesch! Wenn das alles so einfach wäre und so funktionieren würde, wie Sie es gesagt haben, dann würden wir heute hier gar nichts beschließen. Weil es aber eben nicht so ist, diskutieren wir im Ausschuss und heute im Plenum darüber. Nach wie vor sind Überbürokratisierung und Überreglementierung Wachstumsbremsen und in der Folge verantwortlich für Beschäftigungsverluste. Bürokratie und Arbeitslosigkeit sind zwei Seiten einer Medaille. Damit sich staatliches Handeln nicht weiterhin wachstumshemmend, sondern wachstumsfördernd auswirkt, bedarf es einer umfassenden Initiative zur Deregulierung, Entbürokratisierung und Modernisierung der Verwaltung.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Frau Flesch, über diesen Befund besteht, wenn ich die Diskussion hier im Haus richtig einschätze, weitestgehend Einigkeit. Unterschiede gibt es nach den neuesten Äußerungen der rot-roten Koalition im Ausschuss für Verwaltungsreform und Kommunikations- und Informationstechnik und woanders hinsichtlich der Vorgehensweise. Der Senat – Sie sagten das bereits – vertritt die Auffassung, dass nicht die Menge der abgeschafften Vorschriften zählt, sondern dass Entbürokratisierung als konkrete Aufgabe mit dem Ziel der substantiellen Vereinfachung von Verwaltungshandeln für den Bürger angegangen

Kurzum: Das Thema bleibt in jedem Fall auf der politischen Agenda, vollkommen unabhängig davon, wie über die Anträge heute abgestimmt wird. Sie können sicher sein, die CDU-Fraktion wird diesen Prozess wie immer konstruktiv begleiten. – Herzlichen Dank!

Herr Kollege Henkel! Ein dringender Rat: Versichern Sie sich juristischer Hilfe! Ein Blick ins Gesetz erleichtert manchmal die Rechtsfindung. Gucken Sie sich § 6 Abs. 5 AZG an. Da werden Sie eine Menge lernen. Das haben wir damals gemeinsam gemacht. Ich traue mich fast nicht, Sie zu erinnern.

Dann bitte ich Sie, mir und dem Hohen Hause doch einmal zu erläutern, mit welcher Logik sich Ihre Worte zum Thema Deregulierung – das heißt, weg von bürokratischen Eingriffen in die Freiheit der Wirtschaft – und ein Standortsicherungsgesetz vereinbaren lassen. – Vielen Dank!

werden muss. Allein dieser Satz zeigt, dass Sie zur Deregulierung vollkommen unfähig sind. Ich zitiere noch einmal:

Entbürokratisierung soll als konkrete Aufgabe mit dem Ziel der substantiellen Vereinfachung von Verwaltungshandeln für den Bürger angegangen werden.

Das ist Ihr neuer Erkenntnisstand nach einem langen Lernprozess. Wie soll das weitergehen? Was soll das heißen? – Wenn das alles ist, was Ihnen zu diesem Thema einfällt, dann sollten Sie noch weiterlernen. Wenn das Ihre Antwort ist auf die drängenden Fragen der Entbürokratisierung und Deregulierung, dann haben Sie noch eine Menge zu lernen.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Flesch?

Nein, das tue ich nicht. Frau Flesch hatte ihre Gelegenheit, und ich nutze jetzt meine. – Frau Flesch, Ihre Sprache allein zeigt, dass das mit der Entbürokratisierung nichts werden wird, solange Sie hier regieren.

Sie setzen noch einen drauf: In Zukunft soll für die Koalition der qualitative Weg gewählt werden statt des quantitativen. Wenn es nach Ihnen geht, meine Damen und Herren von der Koalition, dann dürfe man nicht fragen, was nicht gewollt sei, sondern man müsse von dem ausgehen, was gewollt sei. Was Sie fordern, ist das, was seit Jahren gemacht werden sollte, aber nicht gemacht wurde. Das hat zu den Bedingungen geführt, die wir heute vorfinden: Überregulierung, Bürokratie, Behinderung wirtschaftlicher Aktivitäten, wohin man schaut. Die Bürger verzweifeln, und der Amtsschimmel wiehert fröhlich weiter. Der Ansatz anderer Bundesländer, z. B. des Saarlandes, erst einmal alles radikal in Frage zu stellen und aufzuheben und dann zu sehen, was unverzichtbar ist, wurde doch deshalb gewählt, weil es umgekehrt eben nicht funktionierte, Frau Kollegin! Schauen Sie sich Ihre Bilanz der quantitativen Abschaffung von Vorschriften an: Wie viele Verwaltungsvorschriften haben Sie abgeschafft? 20, 30? Und wie viele wurden in der Zwischenzeit von Ihnen neu erlassen?

Der Antrag der Grünen ist aus unserer Sicht schon eher geeignet, den richtigen Weg zu beschreiten: Rechtsverordnungen abschaffen und dann schauen, was notwendig ist. Allerdings drückt sich der Antrag um die bei unseren Vorschlägen so heftig kritisierte Deregulierungskommission herum und sagt lieber gar nichts dazu, wer was beurteilen soll. Auch die Idee des Bestandsverzeichnisses – übrigens vom Saarland übernommen – ist gut und geht in eine ähnliche Richtung wie unser Antrag.

Die Koalition hat ebenfalls ein Stück bei erfolgreichen CDU-Landesregierungen abgekupfert. Das allerdings macht ihren Antrag nicht besser. Die Initiative mit den Wirtschaftsverbänden ist gut, weil sie die Betroffenen allesamt an den Tisch holt. Ob die Ergebnisse dann aller

dings auch gut sein werden, bleibt abzuwarten. Beispiele aus der Vergangenheit waren eher ernüchternd.

[Beifall bei der CDU – Beifall des Abg. Dr. Lindner (FDP)]

Danke schön! – Das Wort zu einer Kurzintervention erhält jetzt Frau Abgeordnete Flesch. – Bitte schön!

[Beifall bei der SPD und der PDS – Brauer (PDS): Aber nicht jetzt!]

Danke schön! – Herr Henkel, möchten Sie erwidern? – Nein! Dann hat als nächster Redner Herr Dr. Zotl das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema Deregulierung – das ist schon gesagt worden – haben wir bereits mehrmals und ausführlich in diesem Hause debattiert. Ich will mich daher nur auf zwei Anmerkungen konzentrieren.

Erste Anmerkung: Das Thema Deregulierung ist wie kein zweites geeignet, den krassen Gegensatz zu verdeutlichen, den es mitunter zwischen einem gefühlten Missstand und einem realen Missstand gibt. Wir alle machen immer wieder die Erfahrung – Herr Henkel hat es gerade demonstriert –, dass gefordert wird, endlich die Vorschriftenflut der Verwaltung ganz radikal abzubauen. Wenn es aber um konkrete Vorschläge – auch der Betroffenen – geht, dann mangelt es. Häufig kommen gar keine. Das heißt, der reale Missstand und der gefühlte Missstand stimmen auf keinen Fall überein. Oder es kommen Vorschläge, die nichts anderes sind als pure Eigeninteressen. Politik kann diesen Weg nicht gehen. Sie kann nicht Eigeninteressen bedienen. Sie muss einen Ausgleich der Interessen durchsetzen.

[Beifall bei der SPD]

Deshalb müssen wir gerade bei der Deregulierung umdenken. Es darf nicht vordergründig um das gehen – Herr Henkel, weil Sie das Bild erwähnten –, was wir nicht wol

Zweite Anmerkung: Ich möchte Sie kurz daran erinnern, dass wir in Berlin bereits einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung einer entbürokratisierten, aber gestaltungspolitisch sinnvollen Regelung gegangen sind. Genau da passen sich unser Antrag und auch der eine Antrag der Opposition ein, wo es um die Befristung von weiteren Vorschriften geht, den wir in veränderter Fassung angenommen haben. Ich erinnere daran, dass wir nachher das Siebente Rechtsvereinfachungsgesetz beschließen

werden. Dort sind z. B. Genehmigungsverfahren durch Anzeigeverfahren ersetzt worden. Ich erinnere daran, dass der Senat bereits vor zwei Jahren Grundsätze der Gesetzesfolgenabschätzung beschlossen hat, die systematisch praktiziert werden. Es ist vor zwei Jahren eine Normenprüfungskommission eingesetzt worden, die aus ehrenamtlichen unabhängigen Sachverständigen besteht und die alle Gesetze vor der Verabschiedung im Senat prüft. Inzwischen haben wir auch vereinbart, dass in geeigneter Weise eine Information über die Überlegungen der Normenprüfungskommission an das Abgeordnetenhaus erfolgt. Es gibt einen Senatsbeschluss. Den haben wir in der letzten Sitzung unseres Ausschusses – daran haben Sie teilgenommen, Herr Henkel – als Mitteilung – zur Kenntnisnahme – besprochen. Da sind klare Verfahrensregelungen festgelegt. Da ist auch festgelegt – und das wird praktiziert –, auf welchen Schwerpunktgebieten, wo es die Leute und die Wirtschaft besonders spüren, die Deregulierung vorfristig und vorrangig stattfinden s

Herr Abgeordneter, achten Sie bitte auf die Redezeit! Kommen Sie bitte zum Schluss!

Ich will nur noch an das erinnern, was Frau Flesch gesagt hat. Wir wollen das jetzt durch eine Beteiligung der Öffentlichkeit ergänzen. Und ich will daran erinnern, dass wir in Abänderung Ihres Antrags – ein Änderungsantrag, den wir gemeinsam angenommen haben – wollen, dass wir bis zum Sommer eine Übersicht über sämtliche Vorschriften und Regelungen bekommen, die es in den einzelnen Verwaltungen gibt und nach denen sie arbeiten. Das ist alles entwicklungsfähig. Das ist alles verbesserungswürdig, aber –

len, sondern wir müssen klar bestimmen, was wir wollen und was dann – freilich möglichst sparsam – durch Gesetze, Verordnungen und Vorschriften sinnvoll geregelt werden muss bzw. was auch wegfallen kann. Was wir wollen, das ist die eigentliche Frage. Das hat die Kollegin Flesch schon deutlich gemacht.

Genau einem solchen Ansatz widersprechen die Anträge der CDU und der Grünen. Sie wollen einen jährlichen Bericht zur Entwicklung der Anzahl der Gesetze, Rechtsvorordnungen und Verwaltungsvorschriften und zu ihrem Wegfall. In einem anderen Antrag fordern Sie etwas – Kollegin Flesch hat es gesagt –, was wir längst machen, nämlich Vorschriften zeitlich zu befristen. Die Grünen wollen in ihrem Antrag einen zeitlich gestaffelten Generalabbau aller Rechtsvorschriften nach lediglich – wie dort steht – formaler Prüfung. Das sind drei formale Kriterien. Das fordern Sie von der CDU auch in einem Antrag, der noch nicht auf dem Tisch liegt. Solche rein formalen und quantitativen Ansätze wären vielleicht noch zu akzeptieren, wenn Gesetze, Verordnungen und Vorschriften per se etwas Negatives wären. Aber das sind sie nicht. Um gestaltungspolitische Schwerpunkte durchzusetzen, um die Interessen in Übereinstimmung zu bringen, um das Gemeinwohl zu organisieren, um Schaden zu minimieren, dafür brauchen wir Gesetze, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften. Weil Sie das aber völlig außer Acht lassen, können wir diese grundlegenden Ansätze der CDU und der Grünen nicht teilen.

Es gibt auch keine Parallele zwischen dem GrünenAntrag, ähnlich gelagerten CDU-Aktivitäten und einer Idee, die ich z. B. vor zwei Jahren einmal vorgetragen habe. Die Idee war, zu einem bestimmten Zeitpunkt alle Verordnungen und Vorschriften außer Kraft und nur noch die in Kraft zu setzen, die nachweisbar unbedingt erforderlich sind. Aber selbst diese Überlegung, die wir damals anstellten, ging klar von inhaltlichen und gestaltungspolitischen Prioritäten aus. Wir haben gesagt: Regelungen müssen grundsätzlich der Förderung des zivilgesellschaftlichen Engagements dienen. Sie müssen der Erleichterung von Wirtschaftsansiedlungen dienen. Sie müssen ergebnis- und nicht instrumentalorientiert sein. Soziale, ökologische, gleichstellungspolitische Orientierungen sollen gefördert und auch vor Deregulierung geschützt sein. Aber selbst ein solcher Ansatz, der sich grundsätzlich von Ihrem unterscheidet, das haben viele Erfahrungen auch in anderen Ländern und auf Bundesebene gezeigt, die wir inzwischen gesammelt haben, ist kein sinnvoller gestaltungspolitischer Ansatz.

Ich bitte Sie jetzt wirklich um den Schlusssatz!

– das bessere Gesamtkonzept. – Schönen Dank!

[Beifall bei der PDS und der SPD]