Protokoll der Sitzung vom 24.02.2005

Sind Sie dabei, Frau Senftleben? – Das wusste ich noch nicht. Wir werden auf dem Landesparteitag dazu beschließen.

Die CDU schlägt mit diesem Dringlichkeitsantrag ein klassisches Wahlpflichtfach vor, und das findet in der SPD keine Mehrheit. – Ich danke Ihnen!

Die Gleichberechtigung von Mann und Frau muss als eine Grundlage unserer Gesellschaft ausnahmslos von jedem anerkannt werden. Überkommene Rollenklischees müssen aus den Köpfen heraus. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, aber auch die Aufgabe der Schule. Die Schule muss – ich betone das immer wieder – Raum bieten, die Gleichberechtigung aller Menschen nicht nur

theoretisch zu reflektieren, sondern vor allem auch praktisch zu erfahren und vorzuleben. Wir haben die Verantwortung dafür, dass unsere Grundwerte nicht als gegenstandsloses Geschwätz erscheinen, sondern gerade auch Kindern und Jugendlichen in deren eigenen Lebensrealität erfahrbar werden.

Wir sind auch der Auffassung, dass in der Schule mehr Raum für die Vermittlung universeller Werte sein muss, mehr Raum für den Dialog, mehr Raum für den Austausch, mehr Raum für das Miteinander. Gerade die Schule muss jungen Männern vermitteln, dass Gleichberechtigung von Mann und Frau und das Recht der Frauen auf ein selbstbestimmtes Leben unverzichtbarer Bestandteil unserer demokratischen Verfassung sind.

Die Vermittlung von Werten ist Aufgabe der gesamten Schule und kann weder einer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft delegiert, noch auf die Einrichtung eines Faches reduziert werden. Das friedliche Zusammenleben in einer pluralistischen Gesellschaft ergibt sich eben nicht von allein. Es bedarf einer aktiven Erziehung und gegenseitigem Respekt und Anerkennung der Unterschiedlichkeit und der Vielfalt.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Danke schön, Frau Kollegin Dr. Tesch! – Das Wort für die Fraktion der Grünen hat nunmehr der Kollege Mutlu. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie wir alle zur Kenntnis nehmen mussten, wurde am 7. Februar dieses Jahres die gerade 23-jährige Hatun Sürücü ermordet. Es gibt nicht die geringste Rechtfertigung für Mord, aus welchen Gründen er auch immer begangen wurde.

[Beifall]

Hatun Sürücü hat angeblich die Ehre ihrer Familie befleckt und wurde Opfer eines mutmaßlichen Ehrenmordes. Unsere Gesellschaft hat Hatun Sürücü leider nicht schützen können. Nach wie vor gibt es in diesem Land Milieus, in denen die zwangsweise Verheiratung von Mädchen und Frauen für rechtens und normal gehalten wird. Wenn der Tod von Hatun Sürücü zudem von Schülerinnen und Schülern gut geheißen wird, sind wir alle gefordert – alle, die wir in diesem Haus sitzen, aber auch die ganze Gesellschaft.

[Beifall bei den Grünen und der FDP]

Wer aber vor dem Hintergrund des tragischen Todes einer jungen Frau sein parteipolitisches Süppchen kochen möchte, der verkennt den Ernst der Lage. Wer zudem die Einführung eines verpflichtenden christlichen Religionsunterrichts fordert, der hat nichts gelernt und muss sich dem Vorwurf der Instrumentalisierung gefallen lassen.

[Beifall bei den Grünen und der PDS – Frau Senftleben (FDP): Ist doch nicht nur christlich!]

Meine Damen und Herren von der CDU: So neu ist Ihr Antrag auch nicht:

[Henkel (CDU): Eben!]

Bei der Beratung des Schulgesetzes hatten wir das schon diskutiert. Damals hatten Sie den 11. September bemüht. Wer weiß, was Sie demnächst als Begründung anführen.

[Zuruf von der CDU]

Die Achtung der Menschenwürde und der unteilbaren Menschenrechte ist unabdingbar. Sie zu schützen und durchzusetzen, ist die Aufgabe von uns allen. Es macht keinen Sinn, aus falsch verstandener politischer Korrektheit die Augen vor den Tatsachen, vor den Problemen zu verschließen und diese grausamen Taten und die Verrohung zu dulden. Genauso eine Tatsache ist es allerdings, dass der Koran Zwangsverheiratungen und Ehrenmorde nicht vorschreibt.

[Beifall bei den Grünen]

Nur so kann sich Veränderung in den Köpfen vollziehen. Gerade deshalb brauchen wir die Schulen, Schulen, die wir allerdings nicht allein lassen dürfen.

[Vereinzelter Beifall]

Deshalb ist die Einrichtung eines eigenständigen, bekenntnisfreien – und das unterstreiche ich – Faches, in dem sich die Schüler mit Werten und Sinnfragen auseinandersetzen können und ein breites Grundwissen über Religion und Weltanschauung vermittelt bekommen, wichtig und notwendig. Ein solches Fach dient dem gegenseitigen Verständnis von Schülern mit unterschiedlichem kulturellen und religiösen Hintergrund. Es kann helfen, eigene und fremde Weltdeutungen bewusst wahrzunehmen und sich mit Beweggründen menschlichen Handelns auseinanderzusetzen.

Voraussetzung – hier müssen Sie genau zuhören, liebe Kollegen von der CDU – für den pädagogischen Erfolg ist, dass die Schüler miteinander, voneinander und gemeinsam lernen und nicht nach Konfessionen getrennt werden und dadurch die Andersartigkeit manifestiert wird.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Ein Bekenntnisunterricht, wie ihn die CDU nun fordert, kann unserer Meinung nach auf Grund der Tatsache, dass die Schüler nach Glaubenszugehörigkeit aufgeteilt werden, keine integrative Wirkung entfalten.

[Hoffmann (CDU): Wir wollen keine Bekenntnisse. Wir wollen Wissen!]

Dieses würde nur die Abgrenzung weiter verstärken und die Andersartigkeit manifestieren.

Manchmal hilft ein wenig historischer Nachhilfeunterricht. Das ist eine klare Rechtslage und damit auch Grundlage für den Umgang miteinander. Hier ist auch schon auf den Artikel 141 GG, die Bremer Klausel, verwiesen worden, die klarstellt, dass Religionsunterricht in den Ländern kein ordentliches Unterrichtsfach ist, in denen 1949 eine andere Regelung bestand. Die CDU wollte das 1948 nicht. Bis heute bemüht sie sich, diese Rechtslage zu verändern.

Welche Probleme sollen und können damit gelöst werden, dass bekenntnisorientierter Religionsunterricht ein reguläres Unterrichtsfach ist, allein oder in einem Wahlpflichtbereich? – Die Hilfskonstruktion heißt, Wertevermittlung sei erforderlich. Die soll in einem wertevermittelnden Unterricht erfolgen. Der steht dann immer im Kontext mit Religionsunterricht. Diese Debatte nährt Illusionen.

Die Begründung für die Forderung nach einem wertevermittelnden Unterricht wiederholt sich. Es sind in aller Regel zwei Punkte. Wegen zunehmender Gewalt unter Jugendlichen und dem Verlust sogenannter traditioneller Wertvorstellungen sei werteorientierender, wertevermittelnder Unterricht insbesondere in Form von Religionsunterricht notwendig. Die zweite Begründungsstrecke verläuft gewöhnlich so: Der Gefahr, dass der Islamismus in Berliner Schulen Fuß fasst und dass sich Parallelgesellschaften durch staatlich verantworteten Religionsunterricht entwickeln, muss wirksam begegnet werden. Insbesondere die Islamische Föderation müsse als Anbieterin von Islamunterricht in Berliner Schulen rechtlich ausgeschlossen werden. Das haben wir heute Abend auch so wieder gehört.

Meine Fraktion bejaht den Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche. Eine Verstärkung des Status des Bekenntnisunterrichts durch die Einführung eines Wahlpflichtfachs Religion lehnen wir ab. Wir sind der Meinung, dass das neue Fach LER für alle Schüler ohne Abmeldemöglichkeit verbindlich sein muss. Man muss aber dennoch sagen, dass Werteunterricht allein das Problem nicht löst. Wir sind alle gefordert, die Repräsentanten der Migrantencommunity sind aufgefordert, endlich Verantwortung zu übernehmen. Die Eltern sind aufgefordert. Sie müssen ebenso gebildet werden und unseren Wertekanon respektieren und verinnerlichen. Unser leidiges Ausländergesetz ist gefordert. Es muss schleunigst reformiert werden, damit Frauen, die keinen eigenständigen, festen Aufenthaltsstatus haben, vor ihren Männern, Brüdern und Vätern beschützt werden können. – Ich danke für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Danke schön, Herr Kollege Mutlu! – Für die Fraktion der PDS hat nunmehr Frau Schaub das Wort. – Bitte schön, Frau Schaub, ergreifen Sie es!

[Frau Senftleben (FDP): Jetzt höre ich ganz genau zu!]

Vielen Dank, Herr Präsident!– Meine Damen und Herren! Der Mord an einer jungen türkischstämmigen Frau, das vermutliche Motiv dafür, die Familienehre, und die Rechtfertigung zu Mord und Motiv durch muslimische Schüler haben berechtigt Entsetzen ausgelöst. Mein Kollege Mutlu hat darauf bereits verwiesen. Die öffentliche Auseinandersetzung darüber hat begonnen. Sie ist notwendig und muss auch an den Schulen geführt werden, am Besten unabhängig von direkter Betroffenheit.

Die Erwartungen, die dabei an einen Werteunterricht geknüpft werden, sind nicht erfüllbar. Werte werden weniger erlernt als erlebt. Schule als Ganzes bringt sie hervor. Das ist nicht einfach. Es ist das gute Recht der CDUFraktion, einen dringlichen Antrag zu stellen und diesen hier als Priorität zu behandeln.

[Frau Senftleben (FDP): Was wollt Ihr denn überhaupt? Ich verstehe es nicht!]

Die Absicht, einen Wahlpflichtbereich mit Religionsunterricht einzuführen, ist weder neu noch dringlich.

[Beifall bei der PDS – Beifall der Frau Abg. Dr. Tesch (SPD)]

Es ist schon gesagt worden, in einem von Inhalt und zum Teil im Wort gleichen Antrag haben Sie, Damen und Herren der CDU-Fraktion, im November 2003 in der parlamentarischen Beratung des Schulgesetzes einen solchen Antrag gestellt. Er ist abgelehnt worden. Das Schulgesetz ist ein Jahr in Kraft. Sie machen den gleichen Vorstoß erneut. Es ist absehbar, dass er erfolglos bleiben wird. Dabei ist die Rechtslage in der Stadt klar und ein politischer Mehrheitswille in der Stadt wohl auch gut erkennbar. Berlin hat mit dem Schulgesetz von 1948 die Trennung von

Staat und Kirche im Schulbereich vollzogen und den bekenntnisorientierten Religions- und Weltanschauungsunterricht zur Angelegenheit von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gemacht.

[Dr. Lindner (FDP): Ihr seid Kirchenfeinde und sonst gar nichts. Ihr ward Kirchenfeinde und bleibt Kirchenfeinde!]

Im öffentlichen Mainstream wird die Illusion immer wieder erzeugt, mit einem sogenannten Werteunterricht, mit Religionsunterricht und mit einer Veränderung der Berliner Rechtslage könnten die diesbezüglichen Probleme gelöst werden.

[Frau Senftleben (FDP): Das sagt kein Mensch! Da müssen Sie besser zuhören!]

Die immer gleichen Versuche, Religionsunterricht als ordentliches Unterrichtsfach in die Berliner Schule zu bekommen, offenbaren die Unfähigkeit, sich aus alten Denkstrukturen zu lösen und neue Antworten auf sich neu entwickelnde Herausforderungen zu finden.

[Dr. Lindner (FDP): Sie denken doch in alten Strukturen! Sie sind doch geistig noch in der DDR!]

Bei Ihnen ist ja wohl jegliche Werteerziehung vorbeigegangen, Herr Dr. Lindner!