Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch daran, dass mehr und bessere Kinderbetreuung eine Jobmaschine
ist. Ich erinnere an das DIW-Gutachten, das gesagt hat, dass 430 000 Arbeitsplätze durch mehr und bessere Kinderbetreuung entstehen könnten. Ich persönlich finde es einen echten Fortschritt, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder heute gesagt hat, dass die Bundesregierung mehr für eine Erhöhung der Frauenerwerbsquote tun will. Es ist ein Fortschritt, dass er heute nicht mehr von Gedöns spricht, sondern von einer höheren Frauenerwerbsquote. An diesem Punkt sollten wir ihn unterstützen!
Aber auch Berlin braucht eine Haushaltssanierungsstrategie, die den Schwerpunkt auf Bildung, Wissen und Zukunft setzt und zwar in den Haushaltsplänen von Thilo Sarrazin genauso wie in den Sonntagsreden von Klaus Böger. Wir wollen die Erkenntnisse aus PISA nicht erst in fünf Jahren umsetzen, sondern wollen hier und heute damit anfangen.
Geld, das durch die rückläufigen Schülerzahlen frei wird, soll in eine bessere Qualität von Bildung fließen. Das letzte Kitajahr soll kostenfrei werden; Sprachunterricht, kleinere Klassen, mehr Autonomie. Ganztagsbetreuung soll so flexibel gestaltet werden, wie es moderne Arbeitszeiten erfordern, das muss die Richtung sein.
Wir möchten aber auch – die Zahlen sind genannt worden –, dass den 22 900 – das ist eine gigantisch hohe, nicht akzeptable Zahl – erwerbslosen Jugendlichen, die es hier und heute in Berlin gibt, von denen fast die Hälfte keinen Schulabschluss hat, geholfen wird. Es überzeugt mich nicht, wenn das Land Geld mit einem Qualifizierungsprogramm in die Hand nimmt und damit unter anderem „Kettensägescheine“ finanzieren will.
Die Bundesrepublik Deutschland hat – in diesem Punkt stimme ich Ihrer Analyse überhaupt nicht zu – nicht zuerst ein Angebotsproblem – dann wären wir nämlich nicht Exportweltmeister, dort werden wir unsere Produkte und Dienstleistungen gut los –, sondern es fehlt an Kaufkraft, in Berlin, aber auch der gesamten Bundesrepublik. Die einen können nicht, weil ihnen das Geld fehlt, die anderen wollen nicht, weil sie ihr Geld für schlechte Zeiten auf die hohe Kante legen.
Ich finde den Spruch Henry Fords „Autos kaufen keine Autos“ wunderbar. Herr Lindner, Autos kaufen keine Autos, oder in grüne Terminologie übersetzt: Brennstoffzellen kaufen keine Brennstoffzellen – auch dann nicht, wenn sie noch so kostengünstig produziert werden: ohne Gewerkschaften, ohne Jugendschutz, ohne Flächentarifverträge. Auch wenn dies alles wegfiele, gilt der schlichte Satz von Henry Ford „Autos kaufen keine Autos“ weiter. Deshalb mag Geiz für den Einzelnen notwendig oder – wie es in der Werbung einer bekannten Handelskette heißt – „geil“ sein, für die gesamte Volkswirtschaft ist Geiz ein Desaster, Herr Lindner.
Auch Ihre Behauptung, Deutschlands Chancen lägen im Niedriglohnsektor – ich weiß gar nicht mehr, wer von Ihnen beiden das war, Herr Lindner und Herr Zimmer –, trifft nicht zu. Die Chance Berlins liegt in den innovativen, wissensbasierten Sektoren und in der Arbeit am Menschen, wo die Arbeitsplätze der Zukunft entstehen. Hier kann menschliche Arbeitskraft nämlich nur sehr begrenzt von Technik ersetzt werden. Deshalb ist es für uns in Berlin, aber auch für die Bundesrepublik insgesamt, eine Überlebensfrage, ob es uns gelingt, Finanzmittel in wirklich nennenswertem Umfang in Bildung und Wissen zu lenken. Unserer Ansicht nach ist dies auch eine soziale Frage, denn der Zugang zu Bildung ist heute stärker denn je davon geprägt, aus welcher Familie jemand kommt. Das ist aus unserer Sicht abgrundtief ungerecht.
Wer nicht weiter in die Verschuldung gehen will – wir wollen das nach Möglichkeit nicht –, muss Geld anders mobilisieren, zum Beispiel über Subventionsabbau. Herr Zimmer, warum hat die CDU es auf Bundesebene verhindert, Subventionen im Umfang von 27 Milliarden € abzubauen und dieses Geld stattdessen in Bildung zu investieren? Oder nehmen wir die Eigenheimzulage. Allein die Halbierung der Eigenheimzulage würde ab 2005 200 Millionen € für Forschung und Entwicklung ermöglichen. Warum verzichten Sie darauf, wenn Sie wirklich etwas für den Standort tun wollen?
Zum Dritten verweise ich unter dem Stichwort Generationengerechtigkeit auch auf die Besteuerung von großen Erbschaften, wie sie in anderen Ländern absolut üblich ist.
Wir sagen, dass Schulabschlüsse und Berufsbildungsabschlüsse finanziert werden sollen, wenn das Land Geld in die Hand nimmt, Herr Wolf. Diese sind nachhaltig und nicht solche Module, die die Arbeitsagenturen ohnehin mit dem Geld finanzieren, das sie jetzt schon zur Verfügung haben.
Gerhard Schröder hat heute angekündigt, dass das CO2-Gebäudesanierungsprogramm bis zum Jahr 2007 verlängert wird. Das freut uns natürlich als Grüne, weil es umweltverträgliche Investitionen von bis zu 5 Milliarden € sind, die 60 000 Arbeitsplätze schaffen. Auch Berlin muss die öffentliche Investitionsquote anheben. An diesem Punkt sage ich zu Ihnen, Herr Kollege Hoff, dass nicht nur Sie ein diskurspolitisches Problem mit den Grünen haben.
Auch ich habe ein diskurspolitisches Problem mit Ihnen. Wenn Sie nämlich fordern, dass mehr investiert und mehr Nachfrage geschaffen wird, dürfen Sie nicht zulassen, dass diese Forderung nur an die Bundesebene geht. Sie müssen vielmehr hier, wo Sie mitregieren, dieser Forderung auch in Berlin zur Wirklichkeit und Realisierung verhelfen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass die Zahl der Arbeitslosen bundesweit auf über 5 Millionen gestiegen ist, nachdem Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengelegt worden ist und damit auch die arbeitslosen Sozialhilfe Empfangenden in der
Statistik erfasst sind, war ein heilsamer Schock. Diese Zahl ist brutal, aber ehrlich. Sie vermittelt den wahren Umfang des gesellschaftlichen Problems, des Hauptproblems Arbeitslosigkeit in unserem Land.
Es hat dazu geführt, dass wir erneut eine bundesweite Diskussion über Wege aus der Wachstumsschwäche und über Wege zur Schaffung von mehr Beschäftigung in der Bundesrepublik haben. Das eine Indiz ist die Rede des Bundespräsidenten in dieser Woche, heute die Regierungserklärung des Bundeskanzlers und der Jobgipfel, bei dem alle mit großer Hoffnung darauf setzen, dass hier Reformen eingeleitet werden, die zu mehr Wachstum und Beschäftigung führen.
Die Tatsache, dass über Hartz IV die Beschäftigungsprobleme und die Wachstumsprobleme in der Bundesrepublik Deutschland nicht gelöst werden, dass unser Problem nicht über schnellere Vermittlung – was an sich sinnvoll ist – und über die Erhöhung des Drucks auf die Arbeitlosen gelöst werden kann, war bekannt. Unser Problem kann nur gelöst werden, indem wir auch positive Auswege zeigen für diejenigen, die heute erwerbslos sind, indem wir Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt schaffen. Das war allen vorher schon klar. Es hätte intensiver daran gearbeitet werden können.
Das ist genau der Punkt. Ich schaue mir beispielsweise einmal an, wie es mit der Investitionsquote aussieht. Ihr Wirtschaftsstaatssekretär Strauch bezeichnet sie inzwischen als „nicht stadtverträglich“. Ihr eigener Wirtschaftsstaatssekretär! Mittlerweile übersteigen die Abschreibungen für den Verschleiß von Straßenkläranlagen und öffentlichen Gebäuden die Investitionen in Berlin. Sie haben trotzdem unseren Vorschlag abgelehnt, mehr Geld in energetische Sanierung zu stecken bzw. das Sonderprogramm des Bundes in einer Größenordnung von 300 Millionen € abzuschöpfen. Dem haben Sie hier im Abgeordnetenhaus nicht zugestimmt. Damit haben Sie den Verzicht auf die Schaffung von Arbeitsplätzen realisiert. Was sagen Sie denn dazu, Herr Hoff?
Sie können sich mit einer Kurzintervention äußern, Herr Hoff. Dann kann ich noch einmal antworten. – Ich muss nun zum Schluss kommen.
Vielleicht können wir in der zweiten Runde noch über die Umsetzung von Hartz hier in Berlin reden, weil ich den Eindruck habe, dass das, was Herr Wolf und Frau Knake-Werner hier abliefern, nicht das ist, was wir in dieser Stadt wirklich brauchen. Das ist schon von einem großen Desinteresse geprägt.
Zum Schluss möchte ich noch einen Satz zu den CDU-Anträgen sagen, die uns gerade auf den Tisch geflattert sind: Gerade bei dem Antrag zum Arbeitsmarkt, Herr Zimmer, finde ich manches gar nicht verkehrt.
Ich finde es jedoch regelrecht verlogen – das muss ich Ihnen wirklich sagen –, wenn Sie hier und heute so tun, als seien die niedrigen Zuverdienste im Bundesrat an uns gescheitert und es nun der CDU zu verdanken ist, wenn diese verändert werden. Wenn Sie diesbezüglich einen Erkenntnisprozess hatten, sagen Sie es auch. Tun Sie aber nicht so, als hätten Sie mit Ihrer Bundesebene nichts zu tun.
Was sind die zentralen Probleme, was sind die zentralen Aufgabenstellungen, vor denen wir in der Bundesrepublik stehen? – Der erste Punkt ist in der Diskussion schon von Herrn Hoff und von Frau Dr. Klotz genannt worden. Das Problem, das wir in der Bundesrepublik Deutschland haben, ist nicht, dass der Standort international nicht konkurrenzfähig ist. Wir sind Exportweltmeister. Die Exportkonjunktur läuft auch gut. Die Unternehmen, die exportorientiert sind, schreiben schwarze Zahlen und haben im letzten Jahr Rekordgewinne gehabt. Der Bundespräsident hat in seiner Rede noch einmal darauf hingewiesen.
Das Problem, das wir in der Bundesrepublik Deutschland haben, ist, dass die Binnenkonjunktur nicht mit der Exportkonjunktur Schritt hält.
Der zentrale Punkt ist, dass 70 % der Produktion für den Binnenmarkt sind und nur 30 % Produktion für den Export und den Weltmarkt. Wenn nichts für die Stärkung der Binnennachfrage getan wird, gibt es auch keine ausreichenden Wachstumsimpulse, wo sich die gute Wettbewerbsposition der Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland auch in Wachstum und in Aufbau von Beschäftigung auswirkt.
Der zweite Punkt ist, dass es eine völlig ideologisierte Diskussion über die Steuersätze gibt. Herr Sarrazin hat
darauf hingewiesen. Das, was real an Steuern gezahlt wird, ist im internationalen Vergleich niedrig. Wir brauchen die Diskussion darüber, wie das, was real gezahlt wird, stärker an die Norm angenähert wird, das heißt, die Bemessungsgrundlage, die Sondertatbestände, die Steuerschlupflöcher wegkommen. Dann kann man auch über eine Senkung von Steuersätzen diskutieren.
Es ist auch eine Ungerechtigkeit in der Unternehmensbesteuerung, dass Konzerne und große Unternehmen die Möglichkeit haben, sich über Verbuchungen im Konzern und Verlustvorträge der Steuerschuld zu entziehen oder sie zu reduzieren, während kleine und mittelständische Unternehmen diese Möglichkeit nicht haben. An dieser Stelle muss auch eine Änderung vorgenommen werden.
Der dritte Punkt – das ist die eigentliche Belastung, die wir haben – ist die Höhe der Lohnnebenkosten. Da müssen wir in der Tat zu einschneidenden Reformen kommen, weil das eine Besteuerung von Arbeit ist und dazu führt, dass arbeitsintensive Produktionen in der Bundesrepublik Deutschland immer weniger wettbewerbsfähig sind nicht nur im Verhältnis zu Billiglohnstandorten, sondern auch zur Schwarzarbeit, das heißt, Jobs in diesen Bereichen häufig gar nicht mehr entstehen. Da müssen wir den Mut zu einer Umfinanzierung von der arbeitslohnbezogenen Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen zu Steuerfinanzierung haben, so wie die skandinavischen Länder es mit positiven Beschäftigungseffekten gemacht haben. Auch auf diesen Punkt hat der Bundespräsident in seiner Rede hingewiesen. Das verlangt allerdings mehr Mut zu Reformen, als er zur Zeit in der Diskussion des Deutschen Bundestages, von dem, was ich über die Pressemeldungen mitbekommen habe, zu erkennen war.
Wir haben bei der Diskussion über die Arbeitslosigkeit und die Bekämpfung der Wachstumsschwäche eine bundesweite Reformdiskussion. Vor diesem Hintergrund rate ich davon ab, dass wir in den Länderparlamenten ein billiges parteipolitisches Geplänkel veranstalten, wo Sie von Seiten der Opposition von einem Offenbarungseid der rot-roten Regierung sprechen. Ich gehe einmal davon aus, dass irgendwo eine sozialdemokratische Oppositionsfraktion, dort, wo CDU und FDP regieren, ähnliche Anträge stellt und dass auch möglicherweise die PDSFraktion in einem Landtag ähnliche Positionen formuliert. Ich glaube, wir kommen auf diese Weise nicht weiter. Wir brauchen sachorientierte und realitätsbezogene Vorschläge zur Verbesserung der Situation in den einzelnen Bundesländern und in der Bundesrepublik insgesamt. Ich glaube, die Bürgerinnen und Bürger, die Menschen in dieser Stadt haben keine Lust darauf, dass wir dieses Thema für kleinliches parteipolitisches Geplänkel nutzen.
Insofern, Herr Zimmer, ist es schön, wenn Sie von Ihrer Seite aus sagen: Lassen Sie uns doch eine gemeinsame Initiative machen! – Jetzt haben Sie noch einen Jobgipfel vorgeschlagen. Bedauerlich ist nur, dass die Vorschläge fehlen, über die man reden könnte. Ich will jetzt gar nicht darüber sprechen, dass Sie vergessen haben, Ihren Vorschlag auch an den Regierenden Bürgermeister abzuschicken, sondern ihn nur über die Presse mitgeteilt haben.