Protokoll der Sitzung vom 14.04.2005

Nehmen Sie Abstand von der Einheitsschule! Sollten Sie das nicht tun, kann ich Ihnen eins versprechen: Die Berlinerinnen und Berliner werden sich spätestens zur Wahl 2006 entscheiden können, ob sie ihren Kindern eine Schule der Orientierungslosigkeit und Gleichmacherei zumuten wollen oder ob sie auf Wertevermittlung, Leistungsorientierung und individuelle Förderung setzen. – Letzteres gibt es nur mit der Berliner CDU! – Vielen Dank!

[Anhaltender Beifall bei der CDU – Gelächter bei der SPD und PDS]

Vielen Dank, Herr Kollege Zimmer! – Bevor ich die nächste Wortmeldung aufrufe, begrüße ich sehr herzlich auf der Tribüne den Herrn Altbischof Kruse. – Herzlich willkommen im Parlament, wir freuen uns, dass Sie da sind!

[Allgemeiner Beifall]

Nun hat das Wort Herr Kollege Müller von der Fraktion der SPD. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Vorsitzender der Berliner SPD freue ich mich, wie intensiv unser bildungspolitischer Parteitag beobachtet und diskutiert wird und welche bildungspolitischen Debatten es auf einmal in unserer Stadt gibt. Ich wundere mich aber über drei Dinge in dieser Diskussion.

Zum einen wundere ich mich sehr über die Schärfe in dieser Auseinandersetzung,

[Beifall bei der SPD und der PDS – Zurufe von der CDU – Gelächter bei der FDP]

ganz unabhängig davon, Herr Zimmer, wo man inhaltlich bei einigen bildungspolitischen Entscheidungen steht. Dass man für seine Sache wirbt, ist auch keine Frage.

[Zuruf der Frau Abg. Senftleben (FDP)]

Bei bildungspolitischen Entscheidungen verbietet sich aber für alle Beteiligten – seien es Landespolitiker, Bundespolitiker oder auch Kirchen – jeder Vergleich mit Zeiten des Nationalsozialismus oder anderen Diktaturen.

[Beifall bei der SPD und der FDP – Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]

Zum zweiten wundert mich, mit welchem billigen Populismus gestern die CDU-Bundestagsfraktion unsere bildungspolitischen Entscheidungen zum Thema in der Aktuellen Stunde im Bundestag gemacht hat. Wir alle, Herr Zimmer, haben noch sehr gut im Gedächtnis, woran die Föderalismuskommission gescheitert ist

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen – Beifall des Abg. Goetze (CDU)]

und dass CDU-Ministerpräsidenten gesagt haben, Bildungspolitik sei Landespolitik. Erinnern Sie sich daran?

Kollege Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schruoffeneger?

[Beifall bei der SPD und der PDS]

[Goetze (CDU): Einmalig schlecht! – Frau Senftleben (FDP): Das kippen Sie doch gerade!]

[Beifall bei der SPD]

[Frau Schultze-Berndt (CDU): Kommen Sie zum Punkt!]

Ein ganz wesentlicher Punkt – gerade für Unternehmen, für deren Ansiedlung, für junge Familien –, den Sie hätten aufführen können, Herr Zimmer, ist die Betreuungssituation in Berlin. Die ist bundesweit einmalig – auch so etwas muss man mal darstellen.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Wir haben ein hervorragendes Ganztagsschulangebot in unserer Stadt, im Übrigen auch mit Hilfe von Geldern der rot-grünen Bundesregierung finanziert. Wir haben flächendeckend die verlässliche Halbtagsschule eingeführt, bei der wir kostenfrei eine Betreuungszeit zwischen 7.30 Uhr und 13.30 Uhr garantieren. Wir werden sicherstellen, dass es an den Schulen ein Hortangebot gibt, bei dem über 90 % der Kinder entweder direkt in der Schule oder in unmittelbarer Nähe betreut sind. Das sind hervorragende bildungspolitische Leistungen, die man in der Debatte erwähnen muss!

[Beifall bei der SPD und der PDS – Zuruf des Abg. Goetze (CDU) – Henkel (CDU): Wann wachen Sie denn auf?]

Ich komme zur Gemeinschaftsschule, das war bei Ihnen ja auch ein Thema, Herr Zimmer. Auch hier kann es

Müller

Ich komme zum Thema Werteunterricht und bitte alle Beteiligten, vorneweg Folgendes zu bedenken: Was auch immer beschlossen wird – Wahlpflicht, verbindlich LER, Unterricht durch Pfarrer oder durch ausgebildete Lehrer –, es ist immer nur ein ergänzendes Angebot. Die beste Schule, das beste Lehrpersonal kann mit Unterricht nicht das ausgleichen, was an anderen Stellen – in der Familie und dem sozialen Umfeld – nicht geleistet wird.

Herr Zimmer, wenn Sie Bundespolitiker zitieren, die ihre jahrzehntelange Erfahrung in anderen Bundesländern deutlich machen, dann kann man auch einmal auf unsere Situation verweisen. Wir haben nun einmal eine andere Rechtslage und seit Jahrzehnten eine andere Erfahrung mit dem Religionsunterricht. Wir haben die Situation, dass von unseren 320 000 Schülerinnen und Schülern knapp 200 000 überhaupt keine Wertevermittlung in Anspruch nehmen. Diese Situation muss man verändern, Herr Zimmer. Damit kann man sich nicht abfinden.

Wie ist die Situation jetzt in Berlin? – Wir haben einen freiwilligen Religionsunterricht an der Schule, der staatlich finanziert ist. Wie ist die Situation nach unserem Beschluss? – Wir haben nach wie vor einen freiwilligen Religionsunterricht an der Schule, der staatlich finanziert ist. Die Einschnitte, von denen immer gesprochen wird, gibt es nicht.

selbst für die CDU-Fraktion nicht schaden, von anderen zu lernen. Sprechen Sie doch mal mit Ihren Bildungspolitikern! Die waren gemeinsam mit allen anderen aus diesem Haus vor Ort und haben sich nach der Auswertung der PISA-Studie danach erkundigt, wie es in anderen Ländern aussieht

[Zimmer (CDU): Da sieht es anders aus! – Zurufe aus der CDU]

und wie man zu besseren Ergebnissen kommt. Man kommt unter anderem zu besseren Lernerfolgen, wenn man länger gemeinsam lernt. Das machen uns andere Länder vor, Herr Zimmer!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

An dieser Stelle muss man aber auch ehrlich bleiben, auch das berichten uns die Bildungspolitiker. Man kann ein anderes System nicht eins zu eins von heute auf morgen dem Berliner Bildungssystem überstülpen.

[Zuruf der Frau Abg. Senftleben (FDP)]

Dazu gehören Rahmenbedingungen, bessere Ausstattung an Lehrern, an flächendeckenden Ganztagsschulen und so weiter. Auch das muss man sicherstellen.

[Zurufe von der CDU]

Lesen Sie doch mal unsere bildungspolitischen Beschlüsse, dann wüssten Sie, dass wir das perspektivisch formuliert und gesagt haben, es ist wichtig und richtig, in diese Debatte einzutreten. Berlin hat auch hier keine Zeit zu vertun. Anders als Sie versprechen wir aber nicht allen alles, sondern wir haben den Dialog mit unserem Beschluss eröffnet, um mit den Eltern, mit den Betroffenen, mit den Schulen zu klären, wie wir zu besseren Ergebnissen in der Schule kommen, so, wie andere Länder es uns vormachen. Das ist der richtige Weg!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Es gibt natürlich auch andere Maßnahmen, die nicht perspektivisch zu formulieren sind, die man angehen muss, weil es eine konkrete Problemlage in der Stadt gibt. Wir werden sehen, dass wir das in dieser Legislaturperiode noch verbessern, beispielsweise das Angebot an Mütterkursen in den Bezirke, bei denen die Nachfrage wesentlich höher ist als das Angebot. Wir müssen noch einmal über den Einstellungskorridor für Lehrerinnen und Lehrer sprechen. Wir müssen Unterrichtsausfall verhindern und Fachlehrer an die Schulen bekommen. Das ist wichtig. Wir müssen es schaffen, dass wir, was der Bildungssenator eingeleitet hat, fortführen und die Klassenfrequenzen in sozialen Brennpunkten absenken, um die Lernerfolge der Kinder sicherzustellen bzw. zu verbessern. Auch diese Dinge werden wir jetzt ganz konkret angehen, auch wenn es finanziell schwer ist. Man muss ehrlicherweise sagen, dass man nicht alles von heute auf morgen machen kann. Aber wir werden in den anstehenden Haushaltsberatungen sicherstellen, dass solche Dinge nicht liegen bleiben.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

[Beifall bei der SPD und der PDS]

[Beifall bei der SPD und der PDS]

[Beifall bei der SPD und der PDS]

An der Grundschule soll sich ohnehin nichts ändern, und natürlich geht es nicht darum, den Religionsunterricht abzuschaffen.

Er gibt mehrere Wege, um die Situation, dass knapp 200 000 Schülerinnen und Schüler gar keine Wertevermittlung in Anspruch nehmen, aufzulösen. Dazu gehört auch die Möglichkeit, ein Wahlpflichtfach einzurichten. Das ist ein gangbarer Weg. Das bestreitet niemand. Aber aus meiner Sicht ist es der zweitbeste Weg.

Das Entscheidende ist, dass wir einen Ort haben müssen, an dem sich die Schülerinnen und Schüler gemeinsam im Klassenverband über Ziele und Werte auseinander setzen, die uns wichtig sind, und an dem die Schülerinnen und Schüler im Unterricht mit- und voneinander lernen.

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Gerade bei den unterschiedlichen Schülergruppen, Religionen, Herkunftsfamilien, Bildungs- und Sprachständen, die wir in Berlin haben, ist es wichtig, sich gemeinsam auf Toleranz, Gleichberechtigung, Gewaltfreiheit und Grundfragen der Demokratie zu verständigen. Uns geht es um den gemeinsamen Austausch. Diesen wollen wir sicherstellen. Wir werden das ab der 7. Klasse, ab dem Schuljahr 2006/2007 tun.

Eines ist mir ganz wichtig: Natürlich sollen die Kirchen auch in dem neuen Unterrichtsfach auftauchen. Natürlich wollen wir den Dialog führen. Die Kirchen müssen