Protokoll der Sitzung vom 28.04.2005

Es gibt noch einen anderen Aspekt. Wenn gut ausge

bildete Mädchen und junge Frauen ihr Licht unter den Scheffel stellen und sich Berufe und Karrieren versagen, schadet es auch unserer Gesellschaft insgesamt. Deutschland ist Schlusslicht, wenn es um weibliche Führungspositionen im mittleren und oberen Management geht. 50 % der Studierenden sind weiblich, aber mit den guten Studienabschlüssen stellen sie nur ca. 10 % der Professuren. Die Steigerungsraten sind minimal, und wir müssten noch mehr als 100 Jahre auf die Gewährleistung der Gleichberechtigung warten, wenn es in diesem Tempo weitergeht.

Warum das immer noch so ist, hat natürlich viele Ur

sachen. Diese kann ich jetzt hier nicht ausführen, will sie aber wenigstens als Stichworte aufzählen: Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Übernahme von Erziehungs- und Familienpflichten durch Väter und Ehemänner, unsichtbare Netzwerke der Männer zur Karriereförderung, aber auch die heimlich weiter wirkenden historisch überkommenen Rollenmuster in Schule und Familie.

Bei unseren Veranstaltungen zum Girls’ Day verwei

sen wir auch immer darauf, dass die Mädchen bei ihrer Berufswahl sehr wohl an Verdienst- und Ausstiegsmöglichkeiten denken sollten, die in den typischen Frauenberufen beschränkt sind. Nur ein eigenständiges existenzsicherndes Einkommen ermöglicht die Gleichberechtigung von Frauen. Wer vom Einkommen des Partners abhängt, fühlt sich selten völlig gleichberechtigt.

Doch zurück zu den Jungen, für die FDP und die CDU

einen Boys’ Day haben möchten: Ich darf darauf verweisen, dass es Bestandteil der Girls’-Day-Kampagne ist, auch über die Berufswünsche der Jungen nachzudenken. Die Teilnahme der Mädchen an schulexternen Aktionen ermöglicht an diesem Tag eine gezielte Arbeit mit Jungen im Unterricht. Mit vielen Themen, insbesondere auch mit Fragen zur Berufs- und Lebensplanung setzen sich Jungen „unter sich" anders auseinander als in Gegenwart von Mädchen. Unterrichtstage oder Projekttage können neben einer Erweiterung des Berufswahlspektrums durch Einblicke in „männeruntypische Berufsfelder" auch den Erwerb von Alltagskompetenzen zum Beispiel in Haushalt und Kindererziehung beinhalten.

Der Girls’ Day ist ein geeigneter Anlass für Lehrkräfte, im Unterricht den Wandel des Verhältnisses der Geschlechter zu thematisieren. Fragen zu geschlechtsspezifischen Rollenerwartungen und Berufsperspektiven lassen sich anlässlich des Mädchen-Zukunftstages anschaulich bearbeiten. So lautet auch die ausdrückliche Empfehlung aus dem Koordinierungsbüro für den Girls’ Day.

Und hier erlaube ich mir zum Schluss noch einen

Hinweis an Herrn Senator Böger und die Schulverwaltung. Durch die Befragung unserer Gäste wissen wir, dass sie nicht über die Schule, sondern über Eltern und Bekannte und durch das Surfen im Internet auf die Girls’Day-Angebote gestoßen sind, nicht über die Schule. Hier haben wir noch Handlungsbedarf – und dann können sich die Jungen am Girls Day auch mit frauentypischen Berufen und geschlechterspezifischen Rollenverhalten beschäftigen. Dazu brauchen wir keinen Boys’ Day.

Seit fünf Jahren wird der Girls’ Day in Deutschland

breit durchgeführt. Der Girls’ Day soll eine Trendwende in der Berufswahl junger Frauen und Mädchen unterstützen. Indem Unternehmen und Organisationen ihre Türen öffnen und mit einem Aktionstag den Mädchen ihre Ideen, Aufgaben und Tätigkeitsbereiche vorstellen, soll Mädchen ein neuer Blick auf die Arbeitswelt eröffnet werden. Die Mädchen entdecken anhand praktischer Erfahrungen, wie interessant und spannend beispielsweise die Arbeit einer Ingenieurin, einer Programmiererin oder einer Politikerin sein kann. Unternehmen und Hochschulen, die erfolgreich spezielle „Mädchen-Tage“ durchgeführt haben, verzeichnen einen steigenden Anteil junger Frauen in „frauenuntypischen“ Berufen und Studiengängen. Senator Wolf hat dies bereits in der Fragestunde ausgeführt.

Das haben sich die Jungen jetzt fünf Jahre angeschaut.

Sie finden jetzt, es sei genug. Genug der Extraveranstaltung für Mädels, jetzt wollen sie auch endlich berücksichtigt werden.

Es ist aber nicht so, dass alle Gründe für den Girls’

Day sich plötzlich erledigt hätten. Noch immer entscheiden sich Mädchen und junge Frauen aus 300 Ausbildungsberufen für 10 frauentypische Berufe. Doch damit verbauen sich die Mädchen ihre Zukunftschancen, denn diese Jobs sind schlecht bezahlt, und Aufstiegschancen gibt es kaum. An dieser Tatsache hat sich leider relativ wenig geändert.

Bei den Jungen ist es anders, sie nutzen nämlich die

gesamte Palette der Berufe, allerdings meiden sie die schlecht bezahlten und mit wenig Karrierechancen behafteten Frauenberufe. Auch wenn ich mir wünsche, dass mehr Jungen erzieherische und pflegerische Berufe ausüben, besonders reizend sind diese nicht. Die Jungen verbauen sich nämlich gar nichts, wenn sie statt Erzieher „nur“ Informatiker werden. Das ist doch der Unterschied! Deswegen gibt es ein besonderes Angebot für Mädchen. Es gibt eben diesen einen Tag im Jahr, an dem sich Unternehmen und Organisationen direkt an Mädchen wenden und um sie werben. Indem die Mädchen im Mittelpunkt einer Kampagne stehen und sie von Unternehmen als zukünftige Arbeitskräfte hofiert werden, steigt ihr Selbstvertrauen. Genau das macht den Girls’ Day aus. Wenn wir noch einen Boys’ Day einführen und dann noch

Vizepräsidentin Michels

eine Aktion für Gymnasiasten und im Endeffekt einen allgemeinen Tag der Berufsorientierung daraus machen, geht der Sinn der ganzen Veranstaltung verloren.

Im Übrigen hindert niemand weder die Lehrer und

Lehrerinnen noch die Jungen daran, am Girls’ Day über Rollenbilder und Berufsorientierung auch für Jungen zu reden. Dafür muss man das Ganze doch nicht gleich in eine Kampagne verwandeln. Dass Sie dies dennoch fordern, sieht sehr danach aus, dass die Jungen nach fünf Jahren beim Girls’-Day-Zuschauen endlich einmal mitspielen wollen.

Frau Präsidentin! Meine Damen! meine Herren! Die

Familienministerin hat anlässlich des heutigen Girls’ Day eine Initiative gestartet, die da heißt: „Neue Wege für die Jungs!“ – Die FAZ am Sonntag beschäftigt sich mit dem Thema, in Aachen und Hamburg gibt es Projekte für einen „Tag für Jungs“, Brandenburg richtet einen „Zukunftstag für Mädchen und Jungs“ ein. Der Boys’ Day wird zum Thema. Nur die Berliner frauenbewegten Damen lehnen das Ansinnen ab. Aufwachen, meine Herren, damit Sie wissen, mit welchen Argumenten der FDPAntrag heute abgelehnt werden soll. Eine kurze Rückschau aus der Debatte im Ausschuss:

Frau Baba begründete ihre Ablehnung wie folgt: Die

Öffentlichkeit müsse darauf aufmerksam gemacht werden, dass die beruflichen Perspektiven für die Mädchen schwierig sind. – Meinen Sie die beruflichen Perspektiven oder die Karrierechancen? – Frau Grosse von der SPD sah sich als Retterin des Girls’ Day und rief aus: „Wir brauchen keinen Boys’ Day, nein, der soll den Mädchen vorbehalten sein.“ – Und Frau Pop, Sie als Grüne, sagten es dann ganz deutlich: „Wir wollen keine Extraveranstaltung für die Jungs.“ – Frau Pop, dass Sie hier ins gleiche Horn pusten wie Ihre Kolleginnen, enttäuscht mich. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die heutigen jungen Frauen inzwischen kein verqueres Verständnis von Emanzipation haben. Für die ist der Girls’ Day richtig, aber er ist kein Kampftag für die Rechte junger Mädchen!

Der Girls’ Day – also das eintägige Schnuppern für

Mädchen in männerdominierten Berufen, steht für eine Vielzahl von Vorsätzen: Erstens für die berufliche Gleichberechtigung, zweitens für ein verkrampftes Rollenverständnis und drittens für qualifizierten Nachwuchs. Wie auch immer die Details bewertet werden können, der Girls’ Day ist ein Berufsorientierungstag. Er ist kein verkappter Frauentag für Minderjährige. Denn 80 % der weiblichen Azubis verteilen sich nach wie vor auf nur 10 Berufe, keiner davon ist naturwissenschaftlich–technisch. Dies hat Senator Wolf im Übrigen vorhin bestätigt.

Die FDP unterstützt das Anliegen des Girls’ Day. Da

her hat auch unsere Fraktion heute 26 Mädchen der 9. und 10. Klassen in ihren Räumen zu Gast gehabt.

Der Girls’ Day ist ein Tag der Orientierung. Aber

glauben Sie denn wirklich, dass heutzutage nur die Mädchen Orientierung brauchen? – Die Region BerlinBrandenburg hat sich seit der Wende strukturell drastisch verändert. Industrieansiedlung finden Sie kaum noch. Gerade Berlin entwickelt sich zu einer Dienstleistungsmetropole. Es sind eben nicht nur die Mädchen noch strukturell benachteiligt. Die Jungen müssen sich neu orientieren und sich fragen, welche Perspektiven habe ich in dieser Stadt? Muss es immer der Schlosser oder Maler sein? Kann es nicht auch Pfleger oder Erzieher sein?

Bei diesen Fragen kommen wir ganz schnell zum ei

genen Rollenverständnis der Jungen, zum Aufbrechen von Klischees und Vorurteilen. Natürlich ist es „cool“, wenn Mädchen am Schweißbrenner stehen. Ist es aber auch „cool“, wenn Jungen Erzieher werden wollen? – Eher nicht.

Wir haben einen Mangel an männlichem Personal in

den sozialen Berufen, vor allem in der Pflege und Erziehung. Kinder und Schüler brauchen auch männliche Vorbilder. Doch diese Berufe sind heutzutage für die Jungen nicht attraktiv. Deswegen wäre ein Boys’ Day geeignet, die Jungen aus ihrem begrenzten Denken herauszuholen.

Liebe Frau Pop, wenn Sie dann entgegnen, man könne

30 lärmende Jungen nicht in eine Kita stecken, dann irritiert mich ihre vorurteilsbeladene Einstellung, außerdem zeigt die Aachener Initiative, von der ich eingangs sprach, dass Sie hier auf dem Holzweg sind.

Die Ignoranz und Arroganz, die SPD, PDS und Grüne

unisono einem Boys’ Day entgegen bringen, zeigt wieder einmal, wie Ihre eigenen ideologische Vorstellungen Ihnen die Sicht auf die Realität versperren. Offensichtlich hört bei Ihnen das Gleichstellungs- und Gerechtigkeitsdenken bei Mädchen auf!

Abschließend: SPD, CDU und Grüne in der BVV

Charlottenburg-Wilmersdorf haben die Einrichtung eines Boys’ Day geprüft und im März 2005 dazu berichtet:

Das Jugendamt begrüßt die Initiative zur Entwicklung eines Boys’ Day und wird sich gemeinsam mit dem Schulamt bei der Senatsverwaltung für Bildung für den Ausbau entsprechender Strukturen einsetzen.

Unterzeichnet von Frau Thiemen, SPD, Bezirksbürgermeisterin, und Frau Schniedhofer, Grüne, Stadträtin.

Ich fordere Sie auf: Stimmen Sie unserem Antrag zu,

machen Sie sich nicht lächerlich! Mit der Ablehnung dieses Antrages dokumentieren Sie lediglich, dass Sie in Gleichstellungsfragen auf Vergangenheit setzen. Wachen Sie auf, noch ist es Zeit!

Der Ausschuss empfiehlt mehrheitlich, und zwar gegen die Stimmen von CDU und FDP, die Ablehnung des

Vizepräsidentin Michels

Antrags. Wer jedoch dem Antrag, Drucksache 15/3340, zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön! Das sind FDP und CDU. Die Gegenprobe! – Das sind alle anderen. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Lfd. Nr. 30: