Protokoll der Sitzung vom 21.03.2002

[Beifall bei der CDU – Frau Pop (Grüne): Wollen Sie noch Geld für die Junge Union herausschlagen?]

Glaubt der Senat, dass der Bruch von Wahlversprechen im Jugend- und Bildungsbereich junge Menschen von der Demokratie überzeugt und zur Teilnahme animiert? Ich kann mir das nicht vorstellen. Deshalb sollte bei den verdrießlichen Antworten auf die eben gestellten Fragen das Abgeordnetenhaus hier genauer hinschauen und die politische Beteiligung Jugendlicher in diesen Bereichen unterstützen. Lenken wir also nicht mit dieser pseudodemokratischen Forderung von den tatsächlichen Versäumnissen des Senats ab. Fordern wir vielmehr den Senat auf, die Interessen der jungen Berlinerinnen und Berliner ernst zu nehmen und zu vertreten.

[Beifall bei der CDU]

Danke schön! – Das Wort für eine Kurzintervention hat nunmehr der Abgeordnete Benjamin Hoff.

Lieber Kollege! Ich wollte mich zu zwei Punkten melden, und zwar zum Punkt der Schülerinnen- und Schülervertretungsarbeit und der Finanzierung von parteipolitischen Jugendverbänden. Meine Frage ist, ob Ihnen bekannt ist, dass in der Koalitionsvereinbarung gerade die institutionelle Anerkennung der Landesschülerinnen- und -schülervertretung vorgesehen ist, die vor einigen Jahren in Berlin wiedergegründet wurde, die es bis Ende der achtziger Jahre gegeben hat und die institutionelle Förderung bekommen hat, dann aber insbesondere unter der Ägide des Schulsenators Klemann ihre Arbeit faktisch eingestellt hat, auch durch das dann gegründete Landesschulamt so gut wie keine Unterstützung erhalten hat. Mit der LSV-Passage in der Koalitionsvereinbarung sollen auch Mitbestimmungswege in der Landesschülerinnen- und -schülervertretung verkürzt werden. Ist Ihnen das bekannt, und wie finden Sie das? Das widerspricht dem Vorwurf, den Sie erhoben haben, dass Schülerinnen- und Schülervertretungsarbeit in den Berliner Schulen quasi nicht stattfände. Es ist vielmehr so, dass über Jahre hinweg eine selbstorganisierte Schülerinnen- und Schülerarbeit stattgefunden hat und diese nun auch institutionell anerkannt wird und damit ein Umstand, den es so eigentlich nur noch in Bayern gibt, in Berlin beendet wird

[Beifall bei der PDS]

und es in der Anerkennung von selbstorganisierter Schülerinnenund Schülervertretungsarbeit zu bundesdeutscher Normalität kommt.

Was die politische Bildungsarbeit von Jugendverbänden betrifft, gibt es einen Senatsbeschluss, das ist richtig, aber man muss trennen zwischen der institutionellen Arbeit, wie sie beispielsweise für Geschäftsstellen und politisches Personal geleistet wird – das können auch Parteien machen, das ist genau der Punkt, den die verschiedenen Parteienfinanzierungskommissionen immer in der Gefahr einer illegalen Parteienfinanzierung gesehen haben – , und dem Geld für politische Bildungsarbeit, das nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz und den Richtlinien in Bund und Ländern nicht für parteipolitische Werbung zur Verfügung gestellt werden darf. Die wird es nach dem Senatsbeschluss auch weiterhin geben. Aus diesem Grund ist die Kritik nicht ganz nachvollziehbar.

[Beifall bei der PDS]

Die Grüne Jugend auf Bundesebene hat beispielsweise bislang kein Personal über den Bundesjugendplan abgerechnet, sondern finanziert das über die Partei. Damit hat sie – wie andere auch – eine Normalität geschaffen.

Danke schön, Herr Hoff! – Herr Steuer, Sie können darauf antworten. Sie wissen, dass Sie dafür 3 Minuten haben. – Bitte!

[Dr. Lindner (FDP): Nicht 10 Minuten wie Herr Hoff?]

Danke schön, Frau Präsidentin! – Herr Kollege Hoff, wenn Sie mir genau zugehört hätten: Ich habe gerade nicht für institutionelle Einrichtungen gesprochen, sondern von der Praxis. Da ist zu beobachten, dass der Schulsenator, der auch schon einige Jahre im Amt ist, dies in der Vergangenheit eben nicht nach Kräften unterstützt hat. Ich bin nicht der Auffassung, dass nur eine Veränderung und eine institutionelle Förderung das unterstützt, sondern eine praktische Unterstützung der Arbeit der Schülergremien nötig ist, um den demokratischen Mitbestimmungsprozess sicherzustellen.

[Beifall bei der CDU]

Zu Ihrem Hinweis, was alles in der Koalitionsvereinbarung steht: Es ist nett, dass Sie uns das noch einmal erläutern, weil man beizeiten vergisst, was darin alles aufgeführt wurde – nachdem Sie fast jeden Tag Ihre eigenen Vereinbarungen brechen.

[Beifall bei der CDU]

Danke schön! – Herr Senator Böger hat ums Wort gebeten. Das kann der Senat jederzeit tun. – Bitte signalisieren Sie mir, ob noch bei weiteren Fraktionen, die bereits geredet haben, der Wunsch besteht, weitere 2 Minuten zu sprechen. – Zunächst haben Sie das Wort, Herr Senator!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn der Senat um Anwesenheit gebeten wird, dann hört er aktiv zu. Ich habe die Rede des Abgeordneten Steuer zweimal gehört. Beim ersten Mal dachte ich: Du hörst darüber hinweg. – Ich will etwas deutlich und in aller Form zurückweisen: Ich kann es nicht akzeptieren, dass ein Abgeordneter – gleich welchen Alters und welcher Fraktion – hier ans Podium tritt und erzählt, im Bereich der Berliner Schule herrschten Chaos und Manipulation bei der Frage der Schülermitvertretung.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS und den Grünen]

Das ist nicht akzeptabel. Wenn Sie so etwas glauben, dann belegen Sie es Punkt für Punkt und stellen keine Pauschalurteile mit flotter Zunge über die Schülerinnen und Schüler und ihre Mitbestimmung in die Welt.

Der Senat nimmt Beteiligungsmöglichkeiten und -formen von jungen Menschen sehr wohl sehr ernst. Bitte sagen Sie nicht flapsig, das interessiere uns nicht. Das tut es sehr wohl. Wahr ist aber, dass sich eventuell bei manchen Förderungsbereichen im Jugendbereich Förderstrukturen gebildet haben, in denen der sog. Berufsjugendliche eher gefördert wird als die aktive Arbeit. Dabei geht es in der Frage der Neuorientierung von Jugendarbeit. Aber es geht nicht um Kahlschläge oder gar Beleidigungen oder darum, Mitwirkung und Mitbestimmung wegzuschieben. Ich freue mich über jeden Schüler und jede Schülerin, die sich als Klassensprecher einbringen und aktiv in der Schule mitarbeiten. Das sollten wir unterstützen und nicht diffamieren.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Danke schön! – Für die PDSFraktion hat nun der Abgeordnete Dr. Nelken das Wort. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Pop, Sie sagten, es sei höchste Zeit für eine Initiative. Ich lobe lieber die Beharrlichkeit der grünen Fraktion, denn den wortgleichen Gesetzesantrag haben Sie schon vor fünf Jahren, nämlich in der 13. Legislaturperiode eingebracht. Insofern mögen Sie es mir nachsehen, wenn ich einige der Argu

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mente, die ich damals in der II. Lesung angeführt habe, heute wiederhole, zumal eine Reihe der heutigen Abgeordneten damals dem Haus noch nicht angehörten.

[Pewestorff (PDS): Man muss sich auch mal selbst zitieren können!]

Bürgerrechte sind weit gehend formalisiert auszugestalten, allerdings haben mit dem Rechtsformalismus auch gestandene und geborene Rechtsstaatler ihre Probleme, wie auch die Debatte um das Wahlalter immer wieder offenbart, denn dabei werden Erwägungen über die individuelle qualitative Eignung eingeführt und die Frage gestellt: Wer darf eigentlich wählen? – Dazu haben wir heute schon einiges gehört.

Die Bindung des aktiven und passiven Wahlrechts an das Lebensalter ist eine solche Formalisierung. Nicht intellektuelle Fähigkeiten oder sittliche Qualitäten bilden generell die Voraussetzung für das Wahlrecht eines Staatsbürgers, sondern allein das Lebensalter, Herr Steuer. Richtig ist, dass auch formalisierte Altersgrenzen auf eine qualitative Bewertung abheben. Diese Altersgrenzen sind nicht naturgegeben, sondern sind gesellschaftliche Konventionen. Sie sind gesellschaftliche Übereinkünfte über die Notwendigkeit, die Sinnhaftigkeit und die Nützlichkeit der Mitwirkung von Jugendlichen an der politischen Willensbildung. Will man das Wahlgesetz in dieser Hinsicht ändern, so bedarf es einer neuen gesellschaftlichen Übereinkunft. Bei der Bestimmung der Altersgrenze kann man Bezüge zu anderen Lebensbereichen herstellen, in denen auch Altersgrenzen vorkommen. Herr Steuer hat dies in die Richtung getan, Frau Pop in die andere.

Wir sehen, dass es ein Diskussions- und Abwägungsprozess ist. Aber in der Abwägung sollte nicht entschieden werden, ob heutige Jugendliche früher altern. Viel hängt von den Lebensumständen ab und den Lebenslagen, mit denen Jugendliche konfrontiert werden. Früher gab es sicher Jugendliche, die auch vor dem 14. Lebensjahr lebenswichtige Entscheidungen treffen mussten. Es handelt sich eher um eine Frage gesamtgesellschaftlicher Umstände als um eine historische Entwicklung.

Die PDS hat diese Frage – bei allen unterschiedlichen Auffassungen, die es dazu auch in ihren Reihen gibt – in den letzten Jahren stets so beantwortet: 1. sind wir für eine Gleichstellung von aktivem und passivem Wahlalter.

[Beifall des Abg. Dr. Zotl (PDS)]

Es ist nicht einzusehen, warum man mit 16 wählen gehen soll, aber nicht gewählt werden darf. 2. haben wir uns für die generelle Festlegung des aktiven und passiven Wahlalters auf 16 Jahre verständigt. Das bedeutet, dass wir der Auffassung sind, dass heute 16-Jährige für gewöhnlich – nicht individuell – in der Lage sind, an der politischen Meinungs- und Willensbildung über die Fragen der Gestaltung der Gesellschaft auf allen Ebenen – nicht nur der kommunalen – qualifiziert teilzunehmen.

[Beifall bei der PDS – Zuruf von der CDU: Siehe freie Schulen!]

Hinsichtlich des aktiven Wahlalters sehen es die Kollegen von den Grünen zumindest bei BVV-Wahlen anders. Sie machen allerdings – es wurde schon angesprochen – eine nicht begründete Unterscheidung zwischen BVV-Wahlen und Abgeordnetenhauswahlen. Man muss aber darüber diskutieren; da schließe ich mich dem Kollegen Benneter an.

Vorausgesetzt, dass es dabei nicht um die individuelle Befähigung gehen kann, denke ich, dass die Teilhabe am gesellschaftlichen Meinungs- und Willensbildungsprozess ein kollektiver gesellschaftlicher Lernprozess ist, in dem der Gesamtheit eine Verantwortung für die Befähigung aller Teile des Gemeinwesens zukommt. Rechte sind nicht nur zu gewähren, sondern sie sind mit Leben zu erfüllen. Das gilt auch für das Wahlrecht von Jugendlichen. Wenn also die Feststellung der Altersgrenze für das aktive und passive Wahlrecht bei der Mitwirkung von Jugendlichen an der Willensbildung durch Wahlen eine gesellschaftliche Übereinkunft darstellt, dann muss der gesetzlichen

Kodifizierung eine Verständigung unter uns und in der Gesellschaft vorausgehen. Das gilt auch für das politische Wirken der Parteien in diesem Parlament.

Wieweit sich die Koalitionsparteien verständigt haben, können Sie in der heute schon oft zitierten Koalitionsvereinbarung nachlesen. Für die PDS ist das nicht das Ende des Verständigungsprozesses. Wenn wir uns also im weiteren Gesetzgebungsverfahren mit einer großen Mehrheit wenigstens auf die Absenkung des aktiven Wahlalters für BVV-Wahlen auf 16 Jahre verständigen könnten, dann wäre das ein Schritt in die richtige Richtung. Er wäre nicht sonderlich mutig, denn andere Bundesländer haben ihn schon vor uns vollzogen, aber es wäre immerhin ein erster Schritt. – Ich danke!

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Dr. Augstin das Wort. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich vorausschicken, dass ich Herrn Nelken sehr dankbar bin, denn er hat weitgehend – nicht ganz – zumindest meine Position zum Ausdruck gebracht, die Grundlage einer Entscheidung über die Frage des Wahlalters ist.

Bevor ich zu den einzelnen Fragen komme, möchte ich noch Folgendes feststellen: Es kann bei unserer heutigen Beurteilung nicht um allgemeine Beteiligungsrechte gehen. Es kann nicht um die Wahlbeteiligung, die Schülervertretungen, die Politikverdrossenheit oder sonstiges Wahlverhalten – ob eine Partei mehr oder weniger gewählt wird – gehen. All das – wie auch die Frage der politischen Bildung – gehört zwar zum Hintergrund der Gesamtdiskussion, aber an dieser Stelle geht es erst einmal um die Frage: Ab wann soll man wählen dürfen?

Deutsche Staatsbürger dürfen von der Wahl nur ausgeschlossen werden, wenn es zwingende Gründe dafür gibt. Diese zwingenden Gründe wurden bisher so formuliert, dass der Ausschluss der Kinder und der Jugendlichen als historisch erhärtet gilt. Dieses Argument führt dazu – das muss man immerhin sehen –, dass 16 Millionen Menschen vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. Die Begründung, dass das immer so war, kann da wohl nicht ausreichen. Sollen nun aber auch Säuglinge ein Wahlrecht haben? – In Artikel 36 Abs. 2 GG steht ein Wahlalter von 18 Jahren, auf der anderer Seite gilt nach Artikel 20 GG der Gleichheitsgrundsatz. Da fragt man sich dann, ob Säuglinge gleiche Wähler sind. Der Gleichheitsgrundsatz ist zudem höherrangig. Zumindest das ist fast unumstritten.

Insofern muss man sich ernsthaft die Frage stellen, warum Kinder und Jugendliche nicht wählen sollen. Sind Kinder vielleicht zu unreif zum Wählen? – Es geht beim Wählen meines Erachtens nicht um Reife. Die meisten glauben, dass man zum Wählen befähigt sein muss. Es ist wichtiger, sich klar zu machen, was Demokratie eigentlich bedeutet. Wenn sich Menschen oder Parteien nicht einigen können, dann wird abgestimmt. Dem geht in der Regel der Austausch von Argumenten voraus. Wahlen setzen ein Recht voraus. Die Ausübung eines Rechts setzt aber immer auch eine Verantwortung voraus – eine Verantwortung gegenüber Dritten, aber zumindest sich selbst gegenüber. Verantwortungsfähigkeit setzt einen Entwicklungsprozess voraus. Ich betone: Verantwortungsfähigkeit, nicht Verantwortung. – Der Hinweis, dass auch Erwachsene oft mangelnde politische Verantwortung zeigen, rechtfertigt die Forderung nach Einführung eines allgemeinen Wahlrechts gar für 14-jährige nicht.

Säuglinge, Kinder, Jugendliche unterliegen einem Reifeprozess. Entscheidend ist die Fähigkeit zur Verantwortung bei der Einforderung von Verantwortung vor sich selbst oder Dritten durch die Gesellschaft im Rahmen des Wahlrechts. Der Reifeprozess führt über Erfahrung zur Identität, zum Ich. Die Ichfindung im Entwicklungsprozess des Kindes und der Jugendlichen läuft in aller Regel erst in einem Alter von 10 bis 16 Jahren. Erst dann ist die Frage nach der Verantwortung bzw. der Verantwortungsfähigkeit und der damit verbundenen Freiheit relevant.

Daher haben äußere Einflüsse einen bestimmenden Einfluss, wie man deutlich im Alter von 12 oder 13 Jahren feststellen kann, wenn der Konformitätsdruck bei den Kindern – etwa durch Medieneinfluss oder Gruppenzwang – so stark ist, dass dem nachgegeben wird und die Eigenbestimmung dadurch erheblich eingeschränkt ist.

Es mag sein, dass im Einzelfall – und da ist auch schon die Frage gewesen: Was sage ich meinem Kinde? – auch Jugendliche unter 18 Jahren bereits einen Reifegrad erreicht haben, wo es zu einer Ichfindung mit erheblicher Verantwortungsfähigkeit gekommen ist. Aber es ist genauso davon auszugehen, dass Jugendliche über 18 Jahren auch diese Verantwortungsfähigkeit nicht hinreichend erreicht haben. Daher hat der Gesetzgeber zu entscheiden, welches Kriterium als Maßstab für ein Wahlrecht gelten soll. Das ist gesellschaftliche Konvention.

In der Verfassung haben sich die Verfassungsgeber auf das Kriterium Alter geeinigt. Somit sind vor dem Gesetz alle mit gleichem Alter gleich. Wir haben nach der Verfassung zu entscheiden, ob das Kriterium 18 Jahre als Wahlrechtsalter weiter gelten soll oder nicht. Vor dieser Frage stehen wir.