Protokoll der Sitzung vom 29.09.2005

Danke schön, Herr Regierender Bürgermeister! – Wir fahren fort in der Rednerliste. Das Wort für die Linkspartei.PDS hat jetzt der Kollege Doering! – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von Samsung! Herr Zimmer! Nach Ihrer Rede habe ich gedacht: Wo bin ich eigentlich? Wer war es eigentlich, der in den 90er Jahren die Förderverträge mit Samsung abgeschlossen hat? Stellten Sie nicht in dieser Zeit den Wirtschaftssenator? Bevor Sie das nächste Mal solche Äußerungen loslassen wie „oberflächlich“ und so weiter, denken Sie nach! Ihre eigenen Wirtschaftssenatoren waren dafür verantwortlich.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Zu der Frage Kapitulation vor Schwierigkeiten komme ich gleich noch. Das Thema der Aktuellen Stunde ist die beabsichtigte Standortschließung von Samsung in Oberschöneweide sowie der angekündigte Abbau beziehungsweise die Verlagerung von Arbeitsplätzen bei anderen bedeutenden Industrieunternehmen in der Stadt. Die aktuellen Meldungen zeigen: Berlin befindet sich weiterhin in einem strukturellen Wandel von der Industrie- zu einer Dienstleistungsgesellschaft. Seit 1991 – und vor uns gab es mindestens 10 Jahre lang eine große Koalition – wurden in dieser Stadt insgesamt 180 000 industrielle Arbeitsplätze abgebaut. Die Ursachen sind bekannt: Seit Anfang der 90er Jahre wurden im Westteil der Stadt die Subventionen abgebaut. Die Unternehmen mussten sich neu aufstellen. Im Ostteil der Stadt wurden die planwirtschaftlichen Strukturen überwunden. Die Betriebe dort

standen von heute auf morgen vor dem Problem, mit einer Konkurrenz aus dem Westen konfrontiert zu werden, die ihnen an Produktivität überlegen ist. Hinzu kam in der Nachwendezeit eine – nach meiner Auffassung – völlig verfehlte Politik der damaligen Treuhandgesellschaft. Ergebnis dieser Entwicklung war, dass Berlin Anfang des Jahres 2002, also vor Rot-Rot, nur noch 32,8 Beschäftigte im verarbeitenden Gewerbe je 1 000 Einwohner hatte. Zum Vergleich: Das Flächenland Sachsen hatte 49,1 und die Stadt Hamburg 57,5 Beschäftigte. Das war die Ausgangssituation für den rot-roten Senat. Daran sollte man noch einmal erinnern.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Betrachten wir im Rahmen dieser Aktuellen Stunde die angesprochenen Unternehmen im Einzelnen, vor allem im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Opposition, der Senat habe versagt oder kapituliere vor den Problemen. Kommen wir einmal zu Siemens. Ihre Behauptung ist ungeheuerlich! Wir erinnern uns alle, wer im Kompetenzteam von Frau Merkel beratungsmäßig aktiv war. Der kam auch von Siemens. Einen Tag nach der Bundestagswahl kündigt die Siemens-Zentrale in München den Abbau von Tausenden von Arbeitsplätzen an deutschen Standorten an. Bisher war von Berlin nicht die Rede, nur so weit zu Ihrer Feststellung.

[Frau Paus (Grüne): Stimmt doch nicht!]

Ich möchte aber daran erinnern, dass Siemens im Fall Bosch und Siemens Hausgeräte den Standort schließen wollte und der Wirtschaftssenator in Zusammenarbeit mit den Beschäftigten und den Gewerkschaften gemeinsam diesen Standort sichern konnte.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Kommen wir zu Reemtsma: Reemtsma begründet den Abbau von rund 200 Arbeitsplätzen am Berliner Standort mit mehreren aufeinander folgenden Steuererhöhungen, für die wir nun wahrlich nicht verantwortlich sind. Reemtsma weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Markt für in Deutschland hergestellte und versteuerte Zigaretten zurückgeht. Das wollen Sie dem rotroten Senat anlasten, Herr Lindner?

Herlitz ist vor drei Jahren in die Insolvenz geraten. Wir erinnern uns, dass die Insolvenz mit Hilfe der Banken und des damaligen Wirtschaftssenators Gysi abgewendet werden konnte. Nun schließt Herlitz auf Grund eines dramatischen Preiswettbewerbs einen Personalabbau nicht aus; „schließt nicht aus“, das ist keine Ankündigung. Sie kündigen aber zugleich an, dass der Umsatz in Deutschland gesteigert werden soll. In diesem Zusammenhang sollen in der Region die Fertigungsstrukturen verbessert werden, inklusive möglicher Neueinstellungen.

Kommen wir zu Samsung: Trotz satter Gewinne – das ist hier gesagt worden –, trotz Lohneinbußen für die Belegschaft, trotz erhaltener Fördergelder hat Samsung für Bildröhren eine zweite Fertigungslinie in Ungarn aufgemacht. Obwohl Samsung bei der Entwicklung und dem Absatz von Flachbildschirmen weltweit führend ist, wo

von sich jeder bei der Funkausstellung überzeugen konnte, haben die Samsung-Manager die Dreistigkeit,

[Beifall der Frau Abg. Grosse (SPD)]

die Schließung des Werkes mit der technologischen Entwicklung bei den Bildschirmen zu begründen, auf die sich Samsung angeblich nicht eingestellt hat. Die Wahrheit ist offenkundig: Samsung wollte gar keine neue, zukunftsfähige Produktion in Oberschöneweide etablieren.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Bleibt unter dem Strich die Frage: Was ist dem Senat in den genannten Fällen vorzuwerfen? – Bei der Gelegenheit, liebe Kollegen von der CDU und FDP: Wer stellt eigentlich die Landesregierung in Baden-Württemberg?

[Heiterkeit der Frau Abg. Michels (Linkspartei.PDS)]

Haben Sie vernommen, dass Daimler-Benz gerade dieser Tage einen Abbau von 8 000 Arbeitsplätzen hauptsächlich in Baden-Württemberg ankündigt? Hat deswegen gerade Ihre Landesregierung versagt? – Auf diese Idee kommt keiner. Das wäre in derselben Logik, mit der Sie uns das vorwerfen.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD – Beifall des Abg. Ratzmann (Grüne) – Dr. Lindner (FDP): Und wie hoch ist die Arbeitslosigkeit in Baden-Württemberg?]

In Baden-Württemberg werden 8 000 Arbeitsplätze abgebaut, trotz der „Wirtschaftskompetenz“ der FDP, Herr Dr. Lindner!

[Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]

Festzuhalten ist aber, technologische Entwicklung und Rationalisierungen erzeugen Überkapazitäten in der Produktion, denen die Unternehmen in der Regel mit Personal- und Arbeitsplatzabbau begegnen. Was ist aber zu tun? – Da sage ich mit Blick auf den vorliegenden FDPAntrag: Billiglohn ist keine Antwort.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD – Beifall der Frau Abg. Paus (Grüne)]

Gute Arbeitskräfte gehen dorthin, wo es gute Löhne gibt. Billiglohn senkt die Kaufkraft und somit die Binnennachfrage, Herr Dr. Lindner. Die Beschneidung von Mitbestimmungs- und Schutzrechten der Beschäftigten kann nur jemand fordern, der verdrängt oder nicht zur Kenntnis nimmt, welchen Beitrag Beschäftigte und ihre Interessenvertretungen in vielen Fällen geleistet haben,

[Beifall der Frau Abg. Grosse (SPD)]

um Produktion oder Fertigungsstandorte zu sichern, wie auch bei Samsung.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Oft waren es die Betriebsräte und Gewerkschaften, die Alternativen und Fertigungslinien aufgezeigt haben. Richtig ist, dass die Politik Rahmenbedingungen stellt, die aber angesichts der Globalisierung von Märkten und Geldverkehr Entwicklungen nur begrenzt steuern und be

einflussen können. Studien des DIW wie auch der FHTW kommen zu den Schlussfolgerungen, dass die Berliner Industrie eine Zukunft hat. In der Studie der FHTW vom Dezember 2004 wird festgestellt, dass sich die Berliner Industrie seit der Wiedervereinigung trotz aller Umbrüche nicht nur erneuert, sondern auch gleichzeitig verjüngt hat. Die neuen, meist kleinen Unternehmen – so die FHTW – brauchen jedoch noch Zeit zur Reife und Festigung ihrer Wettbewerbsposition.

Genau darum geht es: unternehmerische Initiative mit wirtschaftspolitischer Unterstützung verknüpfen. Der Senat hat gute Voraussetzungen für wirtschaftliche Rahmenbedingungen geschaffen.

[Dr. Lindner (FDP): Ha! Lächerlich!]

In Stichpunkten möchte ich hier einige aufzählen – mitschreiben, Dr. Lindner, falls Sie das noch nicht mitbekommen haben:

[Beifall der Frau Abg. Schaub (Linkspartei.PDS)]

die Einrichtung einer Zentralen Anlauf- und Koordinierungsstelle für Unternehmen – ZAK – und die Zusammenfassung der Marketinggesellschaften, die Bildung von Clustern und die Konzentration der Förderung auf Cluster, die Bildung von Netzwerken in den jeweiligen Kompetenzfeldern sowie die rechtliche Verselbständigung der IBB als eigenständige Strukturbank.

[Dr. Lindner (FDP): Größenwahnsinn à la Schröder!]

Der Senat ist also trotz einiger Rückschläge auf einem guten Weg. So weist z. B. der „Tagesspiegel“ in einem Artikel vom 17. Februar 2005 darauf hin, dass es in Berlin Leuchttürme bei der Entwicklung des industriellen Aufschwungs gibt. Berlin-Chemie will die Zahl seiner Beschäftigen in Berlin bis 2008 verdoppeln. DaimlerChrysler will bis Ende dieses Jahres die Motorenproduktion ausbauen und zusätzliche Beschäftigte einstellen. Bei der Stadler Pankow GmbH sollen Einstellungen vorgenommen werden. Bei Alsthom Marienfelde, der Laden, aus dem ich komme, gab es zu Anfang des Jahres so viele Auftragsbücher, dass zum Abbau der Produktionsspitzen Teile der Aufträge an lokale Partnerunternehmen weitergegeben werden mussten. Sprich das alles für eine schlechte Wirtschaftspolitik?

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD – Ja! von der CDU]

Sowohl für den Senat als auch für die Koalition gilt: Berlin kann ohne ein modernes, leistungsfähiges und wachsendes verarbeitendes Gewerbe und ohne wachsende Industrie das Ziel Wachstum nicht erreichen. Darum und in diesem Wissen unterstützt meine Fraktion die Beschäftigten von Samsung im Kampf um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze und des Standorts Oberschöneweide.

[von Lüdeke (FDP): Wie machen Sie das denn? – Dr. Lindner (FDP): Ja, wie denn? Sagen Sie doch einmal etwas!]

Indem ich die Kollegen unterstütze, mit ihnen zusammenarbeite, da werden wir von Ihnen ja gleich etwas hören, Herr Dr. Lindner! Bisher habe ich von Ihnen nur „Pünktchen, Pünktchen“ gehört.

In dem Wissen, dass die Kollegen unsere Unterstützung brauchen, erklären wir uns solidarisch mit den Kolleginnen und Kollegen

[Dr. Lindner (FDP): Na super, was nützt das?]

und versichern ihnen, dass wir bei ihrem Kampf an ihrer Seite stehen werden.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD – Olé, olé! von der CDU]

Jetzt kommen wir zum eigentlichen Punkt. Wir wissen, Herr Dr. Lindner, dass nur großer öffentlicher Druck, der bis nach Südkorea zu spüren ist, bei den SamsungVerantwortlichen Bewegung bringen kann. Deswegen rufe ich den Kollegen von Samsung zu: Haltet durch, bleibt standhaft, unsere Solidarität habt ihr!

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD – von Lüdeke (FDP): Aber wie macht ihr das? – Dr. Lindner (FDP): Nichts als Sprüche!]

Danke schön, Herr Kollege Doering! – Es folgt Bündnis 90/Die Grünen. Das Wort hat die Frau Kollegin Paus. – Bitte schön!

[Zuruf von der PDS: Von welcher Firma ist das Handy?]