Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 76. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich.
1. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „ Desorganisation und Führungsschwäche bei der Justizsenatorin – die Berliner Justizpolitik in der Krise“,
2. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „PISA-E: Stagnation ist kein Erfolg – alle Begabungen fördern und Chancengleichheit herstellen“,
3. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „4 Jahre Wowereit und seine rot-rote Truppe: höchste Arbeitslosigkeit bundesweit und miese Ergebnisse bei PISA!“.
Im Ältestenrat konnten wir uns nicht auf ein gemeinsames Thema verständigen. Zur Begründung der Aktualität rufe ich für die CDU-Fraktion den Herrn Abgeordneten Gram auf. – Bitte, Sie haben das Wort!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Tagen lassen uns die Ihnen allen bekannten Vorkommnisse rund um die Justiz kaum Zeit zum Atemholen.
Da entfleucht ein fast 2 m großer, zu 12 Jahren Haft verurteilter Kokainhändler beim Kaffeeklatsch im „Kranzler“ seiner 1,65 m großen, ihn begleitenden Sozialarbeiterin, obwohl alle in solchen Fällen Beteiligten in der Anstalt vor einer Ausführung gewarnt hatten. Der Berliner Polizei gebührt ein lautes Dankeschön, dass sie ihn gefasst hat, bevor Schlimmeres passieren konnte.
Der Generalstaatsanwalt wird mal eben so von einem durchgeknallten Bürger in seinen Amtsräumen, nur geschützt durch seine Sekretärin, niedergeknüppelt,
und kaum ist die Tinte des Genesungswunschschreibens trocken, da räumen Hochkriminelle in den Räumen des Amtsgerichts Lichterfelde 120 000 € bei einer Immobilienversteigerung ab. Man muss dem Schöpfer dafür danken, dass sie nicht näher nachgesehen haben, sonst wären es 360 000 € Frührente geworden.
Die Einzige, die sich diese Frage offenbar nicht stellt, ist die Führung im Hause der Justizsenatorin. Aber, Frau Senatorin Schubert, Sie werden diese Frage zu beantworten haben. Wir werden Sie nicht aus Ihrer Verantwortung entlassen.
Sie ziehen sich wie selbstverständlich auf den Standpunkt zurück, die Verantwortung liege nicht bei Ihnen, sondern bei unfähigen Mitarbeitern.
Meine Fraktion hat in der Vergangenheit sehr viel Geduld bewiesen und Ihnen ausreichend Gelegenheit gegeben, Ihr Ressort sachgerecht zu führen.
Ich erinnere an eine Reihe von Ereignissen, die wir duldsam ertragen haben, ohne gleich die große Oppositionskeule zu schwingen.
Ich nenne einige Beispiele, und Kollege Gaebler ist schon ganz gespannt: Bis heute ist die drängende Frage der Überbelegung in Tegel unbeantwortet geblieben. Viel zu spät hat der Senat die Vorschläge unserer Fraktion aufgegriffen, eine neue Haftanstalt in Großbeeren zu bauen, obwohl wir jahrelang vor der Überbelegungssituation gewarnt hatten. Hoffen wir, dass bis zum Bau nicht weiteres Unheil droht. Weihnachtsamnestien allein helfen hier nicht. Bis heute ist dem Rechtsausschuss nicht hinreichend übermittelt worden, wie das Verhältnis zwischen Haftanstalt und Fachaufsicht geregelt ist und funktioniert. Meine Fraktion hat den Eindruck, dass dies sehr zu wünschen übrig lässt. Erinnern wir uns an Ihren kläglichen Versuch, Generalstaatsanwalt Karge aus seinem Amt zu entfernen, und daran, dass am Ende rechtliche Fehler dazu führten, dass Ihr Vorhaben gerichtlich gescheitert ist. Vergessen wir nicht den Überfall eines gestörten Täters auf das Sozialgericht mit einer Tellermine und Ihrem anschließenden Versprechen, Frau Schubert, eine Verbesserung der Sicherheitslage bei den Gerichten herbeizuführen. Bis heute ist die erforderliche Analyse nicht erarbeitet und in Ihrem Hause irgendwo versickert. Vergegenwärtigen wir uns Ihr – jede Bürgerbesorgnis missachtendes – Vorgehen bei der Einrichtung der so genannten Sexualstraftäterambulanz in Reinickendorf. Wir könnten noch weitere Vorkommnisse benennen, doch allein die genannten zeigen exemplarisch: Sie, Frau Senatorin, haben Ihr Haus nicht im Griff, und dafür haben Sie einzustehen.
Keiner in meiner Fraktion käme auf die Idee, zu sagen, dass die Senatorin in jedem Fall persönlich die Schuld trifft, wenn ihre Beamten oder Mitarbeiter Fehl
verhalten gezeigt haben. Deshalb haben wir auch nicht immer gleich remonstriert. – Ich sehe, der kunstbeflissene Dr. Felgentreu stimmt mir zu. – Bei Ihnen, Frau Senatorin, verläuft jedoch bei jedem der vielen Vorkommnisse die Verteidigung stets nach dem gleichen Muster: Schuld sind immer andere, bei Ihnen im Haus ist alles im Lot. – So geht es wirklich nicht!
Politisch verantwortlich sind Sie. Bekennen Sie sich zu Ihrer Verantwortung, und ziehen Sie die erforderlichen Schlüsse! Handeln Sie nicht erst, wenn es zu spät ist, und sorgen Sie für Sicherheit in der Justiz! Lassen Sie z. B. nie wieder zu, dass die Anordnung, einer Frau zu untersagen, einen männlichen Häftling auf die Toilette zu folgen, als angebliche Diskriminierung nicht umgesetzt wird – mit der Folge der Fluchterleichterung! Haben Sie den Mut, Ihrer Partei und der Linkspartei zu zeigen, dass Sie über die klassisch linke Position – Justiz ist für den Täter da – hinausgehen und wieder Verantwortung für die Sicherheit der Bürger dieser Stadt tragen! Niemand im Hause will die notwendige Resozialisierung in Frage stellen, da bin ich der Letzte.
Haben Sie den Mut, Frau Senatorin Schubert, Ihrem Finanzsenator bei weiterem Personalabbau die Stirn zu bieten! Machen Sie ihm klar, dass die Justiz ein Teil der inneren Sicherheit ist und weitere Personalverknappung die Bürger dieser Stadt unmittelbar bedroht! Beenden Sie endlich die Serie von Pleiten und Pannen!
Viel Zeit ist nicht mehr gegeben. Seien Sie sich bewusst, dass die nächste Schlamperei die letzte unter Ihrer Verantwortung gewesen sein kann! – Ich danke Ihnen!
Meine Damen und Herren! Jetzt habe ich die Gelegenheit, die für Frau Grütters nachgerückte Abgeordnete Frau Teuerle-Lange herzlich in unserem Saal und unserer Mitte zu begrüßen. – Auf gute Zusammenarbeit, alles Gute! Herzlich willkommen!
Jetzt geht es weiter mit den Grünen. Frau Dr. Klotz begründet die Aktualität des Antrags. – Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was haben die zentralen Befunde von PISA – nämlich: die soziale Herkunft entscheidet über den Bildungserfolg, und: die fehlende Sprachkompetenz macht es vor allem, aber nicht nur Kindern von Migrantinnen und Migranten schwer – mit der Debatte über brennende Vorstädte in Paris zu tun?
Platte Parallelen sollten sich von selbst verbieten, das war in den letzten Tagen nicht immer der Fall. Aber ich finde, beide Ereignisse machen die Dringlichkeit verstärkter Integrationsbemühungen mehr als deutlich, deren Schlüssel nun einmal der Zugang zu Bildung und die Sprachfähigkeit sind. Deswegen hat beides doch etwas miteinander zu tun, bei allen Unterschieden zwischen Paris und Berlin. Keine demokratische Gesellschaft kann und darf auf Dauer ganze Bevölkerungsgruppen ohne Perspektive lassen. Das ist die größte soziale Ungerechtigkeit in Deutschland, und diese gehört abgeschafft.
So richtig es ist, dass die leichten Verbesserungen nach der ersten PISA-Studie zur Kenntnis genommen werden müssen, so richtig ist es auch, gerade hier in Berlin, dass wir die Realitäten zur Kenntnis nehmen und sie uns nicht schön reden. Berlin ist nach wie vor ganz weit hinten – bei der Mathematik und den Naturwissenschaften, auch bei der Lesekompetenz. Wenn es bei der Problemlösungskompetenz von Schülerinnen und Schülern in Berlin ganz gut aussieht, so könnte es sein, dass Berliner Schülerinnen gut im Erfinden von Ausreden sind – von Ausreden für das Zuspätkommen; darin sind sie nämlich bundesweit auch wiederum Spitze.
Besonders dramatisch sind die Befunde für die Hauptschulen. Auch für uns unerwartet schlecht sind die Befunde über das Niveau der Berliner Gymnasien. Deshalb, meine Damen und Herren von SPD und PDS und Herr Schulsenator Böger, reicht es nicht aus, zum PISALändervergleich und zur Teilnahme Berlins an diesem Ländervergleich zu stehen. Das ist ja wohl selbstverständlich.
Es reicht eben auch nicht aus, vor „operativer Hektik bei pädagogischer Windstille“ zu warnen und es bei halbherzigen und falschen Weichenstellungen zu belassen, welche die Reformen, die Sie in Gang gesetzt haben und die von uns Grünen immer unterstützt wurden, noch konterkarieren. Deswegen sagen wir, es reicht nicht aus, auf das Greifen der Reformen zu warten. Berlin könnte heute schon viel weiter sein. Deswegen lautet unser Thema für diese Aktuelle Stunde: PISA-E: Stagnation ist kein Erfolg – alle Begabungen fördern und Chancengleichheit herstellen.