Protokoll der Sitzung vom 10.11.2005

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Heide! Sie haben schon umfangreiches Wissen offenbart, wie man die Vorschriften, die hier zur Diskussion stehen, wieder umgehen kann. Ich weiß nicht, ob das eine Bewerbungsrede als Berater für Firmen war, die in die Gefahr kommen, in dieses Register zu kommen, oder ob Sie bloß zeigen wollten, dass Sie uns mit Ihrem umfangreichen Wissen in den Ausschüssen zur Verfügung stehen. Ich kann nur raten, dass wir alle Ausschüsse auffordern, Herrn Heide zu holen, damit er uns gleich mit seinem Wissen zeigt, wo wir noch Lücken zu stopfen haben.

[Beifall des Abg. Dr. Lederer]

Aber Herr Heide, ich gebe Ihnen in einem Punkt Recht: Der rot-rote Antikorruptionsmotor hat etwas gestottert im letzten Jahr. Denn so meilensteinhaft, wie Sie es dargestellt haben, Herr Dr. Lederer, kann ich diesen Gesetzentwurf wirklich auch nicht finden. Ich muss schon sagen, es hat eine gewisse Zeit gedauert, bis nach der Aufforderung dieses Hauses dem Parlament vier dünne Blättchen vorgelegt wurden, die nun dazu dienen sollen, die Korruption in dieser Stadt zu bekämpfen. Ich habe da erst einmal meine großen Zweifel, ob das mit diesem Gesetzentwurf tatsächlich gelingen wird.

Ich glaube, wir haben Übereinstimmung in diesem Haus, dass Korruption ein Übel ist, dass sie gesellschaftliches Vermögen vernichtet, dass sie Steuergelder verschlingt und dass sie ein Standortnachteil ist, und deshalb sind wir grundsätzlich dafür, dass es so ein Korruptionsregister oder auch Vergaberegister oder beide Kreise miteinander gekoppelt endlich in Berlin gibt. Ein solches Register ist überfällig. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, Herr Dr. Lederer, wir wollten es gern auf Bundesebene einheitlich einführen. Leider sind wir im Bundesrat an diesem schwarz-gelben Block gescheitert.

Deshalb waren wir hier im Abgeordnetenhaus sofort tätig und haben im April 2004 bereits einen Antrag eingebracht. Vielleicht erinnern Sie sich. Denkwürdige Ereignisse gingen dem voraus. Wir haben unseren Antrag aus diesem Grund mit der Überschrift versehen: „Kehraus

nach Strieder – Berlin zur Antikorruptionsmodellstadt machen“. Aber diesem Antrag wollten Sie von der Regierungskoalition nicht folgen. Sie haben sich dann dazu bemüßigt gefühlt, einen eigenen Antrag einzubringen, der sehr lange gebraucht hat. Frau Schubert, Sie haben uns einmal mitgeteilt, Sie müssten noch so viele Mitzeichnungsverfahren durchlaufen. Man hat den Eindruck, dass sich dieser Antikorruptionsantrag ein stückweit im Mitzeichnungsdschungel verfangen hat und erst heute das Licht der Welt erblickt.

Wenn man sich den Antrag anschaut, dann stellt man fest, dass Sie sich leider nicht in anderen Bundesländern angeschaut haben, was dort bereits auf den Weg gebracht wurde. Wir haben nämlich einige Antikorruptionsregister, beispielsweise in Hamburg. In Nordrhein-Westfahlen gab es eins. Leider haben Sie versucht, das Rad neu zu erfinden. Aber Ihr Rad, das Sie auf den Weg geschickt haben, ist nicht besonders rund. Sie haben nämlich eine Reihe handwerklicher Fehler gemacht, die wir wahrscheinlich im Ausschuss noch ausbügeln müssen.

Sie haben beispielsweise versäumt, eine klare datenschutzrechtliche Regelung in dieses Gesetz zu schreiben. Sie werden personenbezogene Daten in Bezug auf natürliche und juristische Personen verarbeiten. Da erwarten wir, dass Sie datenschutzrechtlich so sauber arbeiten, dass eine klare Zweckbindung und -bestimmung und eine gesetzliche Ermächtigung ins Gesetz kommt. Das stand in den anderen Gesetzen drin. Ich weiß nicht, warum Sie dort nicht nachgeschaut und sich dort bedient haben.

Sie haben noch einen anderen wesentlichen Fehler gemacht, der in den anderen Gesetzen wesentlich besser geregelt ist. Sie haben nämlich in Ihr Gesetz geschrieben, dass die strafrechtliche Verurteilung zur Eintragung in dieses Register führen soll. Wie wollen Sie eine juristische Person strafrechtlich verurteilen? Nach meiner Kenntnis ist es immer noch so, dass natürliche Personen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Dazu, in welchem Verhältnis diese Personen zu den juristischen Personen, zu den Firmen stehen, die ins Register sollen, findet sich in Ihrem Gesetz nichts. Was bedeutet das? Reicht es aus, wenn der Hausmeister ein bisschen Geld nimmt, dafür die Telefonverzeichnisse weiterreicht und dann verurteilt wird? Wird dafür die entsprechende Firma ins Register eingetragen? Oder muss es mindestens ein leitender Angestellter gewesen sein oder jemand aus der Geschäftsführung? Das ist alles ungeregelt. Über diese Dinge müssen wir in den Ausschüssen diskutieren.

Ich kündige bereits jetzt an, dass wir darauf achten werden, dass der Datenschutzbeauftragte hinzugezogen wird. Ich vermute, dass er nicht in das Verfahren einbezogen war. Das ist im Land Berlin ja so üblich. Zudem werden wir Transparency International bemühen, damit sie uns im Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Immunität und Geschäftsordnung mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Besonders freue ich mich auf die Diskussion darüber, wer in dem Korruptionsregister den ersten Platz bekommt. Wenn man die von Ihnen beschriebenen Kriterien zu Grunde legt, tippe ich darauf, dass dieser prominente Platz von der Bankgesellschaft Berlin gehalten werden wird. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön! – Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Abgeordnete Meyer das Wort. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst ist festzuhalten, dass der Titel des Gesetzentwurfs irreführend ist. Über die reine Korruption hinaus werden nämlich gemäß § 3 des Gesetzentwurfs auch sämtliche sonstigen Rechtsverstöße im Geschäftsverkehr bzw. mit Bezug zum Geschäftsverkehr erfasst. Die aufgeführten Beispiele – illegale Beschäftigung, Steuerunehrlichkeit, wettbewerbswidrige Absprachen und sonstige Verstöße, die den freien Wettbewerb unterlaufen – lassen den Tatbestand sehr ausufern. Sie wollen mit diesem Antrag genau genommen ein Register über unzuverlässige Unternehmen einführen, und Sie nehmen in Ihrem Gesetzentwurf Bezug auf den gescheiterten rot-grünen Gesetzentwurf aus dem Jahr 2002. Deshalb ist das, was Herr Ratzmann gerade sagte, leider auch nicht ganz richtig, denn der rot-grüne Gesetzentwurf war mindestens genauso dünn wie der, der jetzt eingereicht wurde.

[Ratzmann (Grüne): Na, na!]

Ein Korruptionsregister ist sinnvoll, denn Korruption ist der Feind des Marktes und des Wettbewerbs. Aus Sicht von Investoren ist sie ein schwerer Nachteil für einen Wirtschaftsstandort.

[Beifall bei der FDP]

Sie muss allerdings wirksam bekämpft werden. Ein ausgewogen gestaltetes Register kann einen Beitrag dazu leisten – Herr Lederer sagte es bereits –, dass Betriebe in Berlin nicht von denjenigen vom Markt verdrängt werden, die sich an Recht und Gesetz nicht halten wollen.

Doch greift ein solches Register eben auch in erhebliche Rechtstatbestände ein – Herr Ratzmann hat darauf hingewiesen – und hat damit erhebliche Auswirkungen. Der Gesetzentwurf wirft viele brisante Fragen auf, die für die Existenz von Firmen und ihre Arbeitsplätze von entscheidender Bedeutung sein können. Was könnten die Folgen eines Gesetzes sein? Was passiert, wenn beispielsweise ein Abteilungsleiter von Siemens korrupt wird? Sollen dann keine Aufträge mehr an Siemens ergehen? Haftet eine Firma für alle ihre Mitarbeiter? Wen wollen Sie bei einer solchen Firma in ein Register eintragen, immer nur Unterabteilungen oder den ganzen Konzern? Hierzu bedarf es einer Klarstellung. Die Firmen dürfen meiner Ansicht nach nur dann eingestellt werden, wenn sie bei Fehlverhalten einzelner Mitarbeiter ihren Prüf- und Aufsichtpflichten nicht nachgekommen sind.

Darüber hinaus muss die Zielsetzung, vor allem der Entscheidungsspielraum bei der Auftragsvergabe an registrierte Unternehmen klarer definiert werden. Welche Folgen hat ein Eintrag für ein Unternehmen? Was geschieht bei Bußgeldverfahren der Kartellbehörden oder der Europäischen Kommission bei Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht? Wir erinnern uns an die EU-Verfahren gegen Volkswagen und Microsoft. Die gegen Microsoft verhängte Geldbuße wegen Missbrauchs seiner marktbeherrschenden Stellung wäre ein Bußgeldbescheid im Sinn des § 3 Abs. 2 Nr. 2 Ihres Gesetzentwurfs. Heißt das jetzt: keine Produkte mehr von Microsoft für die Berliner Verwaltung?

Ein weiteres Problem aus unserer Sicht: Der Verweis auf die Möglichkeit der Eintragungstilgung auf Antrag reicht nicht aus. Sind Unternehmen erst einmal erfasst, sind sie für eine gewisse Zeit wettbewerbsunfähig. Selbst kurze Zeiträume können in der heutigen Wirtschaftlage die Insolvenz bedeuten.

Zusammenfassend ist daher zu sagen, dass mit besonderer Sorgfalt – da bin ich mit Herrn Ratzmann einer Meinung – über die Folgen des Gesetzes in der Ausschussberatung informiert werden muss. Wir beabsichtigen, dies in einer Sachverständigenanhörung zu gewährleisten.

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank, Herr Kollege Meyer! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung der Gesetzesvorlage federführend an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Immunität und Geschäftsordnung sowie mitberatend an den Ausschuss für Bauen, Wohnen und Verkehr. – Ich höre dazu keinen Widerspruch.

Ich rufe als Priorität der Fraktion der Grünen auf

lfd. Nr. 4 e:

a) Beschlussempfehlung

Kinderschutz verbessern – Gewalt gegen Kinder entgegenwirken

Beschlussempfehlung JugFamSchulSport Drs 15/4368 Antrag der SPD und der PDS Drs 15/4035

b) Beschlussempfehlung

Mädchennotdienst muss bleiben!

Beschlussempfehlung JugFamSchulSport Drs 15/4369 Antrag der Grünen Drs 15/4179

c) Beschlussempfehlung

Qualität und Arbeit der Not- und Krisendienste in der Berliner Jugendhilfe sichern!

Beschlussempfehlung JugFamSchulSport Drs 15/4370 Antrag der CDU Drs 15/4281

Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt

die Fraktion der Grünen. Das Wort hat die Kollegin Pop. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute das Thema „Gewalt gegen Kinder“ bzw. „Kinder vor Gewalt und Misshandlungen schützen“ als Priorität angemeldet. Im letzten Jahrhundert und noch in den 70er Jahren galt Gewalt gegen Kinder als angeblich gutes Elternrecht. In dieser Zeit ist Generalstaatsanwalt Karge ganz offensichtlich mental stecken geblieben. Er sagte letzte Woche öffentlich, der Klaps sei als Erziehungsmittel erlaubt; ein bisschen Gewalt gegen Kinder sei schon in Ordnung. Diese Botschaft ist schockierend, erst recht von einem Hüter des Rechts in Berlin.

[Beifall der Frau Abg. Jantzen (Grüne)]

Während sich Öffentlichkeit und Politik seit Monaten fragen, wie wir Kinder besser schützen können, während die Anzahl der Misshandlungen und Vernachlässigungen in Berlin im letzten Jahr auf über 650 Fälle angestiegen ist, stellt sich der Berliner Generalstaatsanwalt hin und findet, ein bisschen Bewalt gegen Kinder sei erlaubt. Das ist richtig daneben.

[Beifall bei den Grünen, der Linkspartei.PDS und der FDP]

Gewalt gegen Kinder ist ein ernstes Thema, das niemand kalt lassen sollte. In den letzten Monaten haben dramatische Fälle von vernachlässigten und misshandelten Kindern immer wieder Schlagzeilen gemacht. Viel früher könnte man helfen, wenn Freunde oder Nachbarn, Kitas oder Jugendämter genauer hinsehen würden. Denn häusliche Gewalt ist strafbar. Die Zeiten, in denen Eltern sich auf ein so genanntes Züchtigungsrecht berufen konnten, sind vorbei. In den 80er Jahren wurden zwar entwürdigende Erziehungsmethoden verboten, die „gelegentliche wohlverdiente Tracht Prügel“ – das ist ein Zitat aus einem Gerichtsurteil aus den 80er Jahren – blieb aber erlaubt.

Mit dem Gesetz zur Ächtung der Gewalt gegen Kinder hat die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2000 diese Lücke im Kinderschutz endlich geschlossen. Jetzt heißt es im Bürgerlichen Gesetzbuch:

Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.

Mit der Reform des Kinder- und Jugendhilfegesetzes wurde der Schutzauftrag nicht nur als Aufgabe des Jugendamtes, sondern auch der freien Jugendhilfe verankert. Das alles ist dem Herrn Generalstaatsanwalt offensichtlich nicht bekannt; genau so wenig wie die Auswirkungen von Gewalt gegen Kinder. Körperliche und seelische Gewalt gegen Kinder ist nicht nur inhuman, sondern sie schlägt irgendwann auch auf uns alle zurück. Die meisten Gewalt- und Sexualverbrecher waren in ihrer Kindheit zu Hause Opfer brutalster Gewalt. Das entschuldigt zwar kein einziges begangenes Verbrechen, dieser schreckliche Kreislauf, dass Täter Opfer waren und später andere zu ihren Opfern machen, muss aber durchbrochen werden.

Was tun? – Gewalt gegen Kinder geht in den Ländern zurück, in denen die Stellung der Kinder aufgewertet worden ist, öffentliche Kampagnen zum Kinderschutz durchgeführt werden und auch Aufklärung stattfindet. Dies alles soll jetzt auch in Berlin zum besseren Schutz der Kinder geschehen. Dafür hat der Ausschuss einstimmig votiert. Wir wollen, dass früher hingeschaut wird, dass Jugendämter ihre Pflicht kennen und mit der Polizei zusammenarbeiten, was bislang eher selten der Fall ist. Die Berliner Polizei hat sowohl für ihre bundesweit einzigartige Arbeit im Kommissariat für Delikte an Schutzbefohlenen wie auch für die sehr harten, aber notwendigen Aufklärungsplakate, die Sie vielleicht alle aus der Stadt kennen, viel Lob verdient. Die bekannten Fälle – ich habe die Zahlen bereits genannt – von Vernachlässigungen und Misshandlungen sind in Berlin sehr hoch. Die Zahl ist in den letzten Jahren leider stetig gestiegen. Auch wenn dies hauptsächlich darauf zurückzuführen ist, dass das so genannte Dunkelfeld zunehmend erhellt wird, darf das niemanden beruhigen. Das bedeutet nämlich, dass die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher ist.

Gewalt, Misshandlungen und Vernachlässigungen gehören zusammen. Zwar ist in den vergangenen Jahren die körperliche Gewalt gegen Kinder zurückgegangen, die Anzahl der verwahrlosten und vernachlässigten Kinder steigt jedoch. Platt gesagt heißt das: Die Prügelorgie weicht dem Desinteresse. Zu häufig fallen die Misshandlungen hinter den Wohnungstüren durch alle Behördenraster. Deshalb ist der Schutz von Kindern überall von Bedeutung: in der Kita, in den Schulen und Jugendämtern, wie auch im Gesundheitswesen, denn viele Ärzte erkennen Gewalt gegen Kinder schlichtweg nicht. Die Schuleingangsuntersuchung – jetzt sollte die CDU zuhören – ist bisher die einzig verpflichtende Untersuchung für Kinder. Wenn man jedoch weiß, dass die meisten Kindesmisshandlungen an Kindern unter vier Jahren begangen werden, reicht diese Untersuchung nicht aus. Hier müssen wir uns fragen, wie wir die Vorsorgeuntersuchungen verbindlicher gestalten können. Doch das bedarf leider einer bundesgesetzlichen Regelung.

[Frau Richter-Kotowski (CDU): Gute Idee!]

Im Sinne der Prävention müssen wir frühzeitig Hilfen für Familien entwickelt, damit es erst gar nicht so weit kommt und Kinder leiden müssen. Das ist eine Frage der Hilfen zur Erziehung. Daran sollten wir denken, wenn wir 33 Millionen € oder besser gesagt, wenn Sie dort diese Summe sparen wollen, dass die Prävention und die Hilfe für Familien in Not dabei zu kurz kommt. – Danke!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Kollegin Pop! – Es folgt die SPD. Das Wort hat Frau Kollegin Müller. – Bitte schön!