Auch den Ausschlusskatalog zu durchforsten sollte sich machen lassen. Da haben wir das bekannte Problem der haushaltsmäßigen Auswirkungen, um das wir jetzt so ein bisschen herumreden. Natürlich hat jedes Volksbegehren irgendwelche haushaltsmäßigen Auswirkungen. Und man wird die Fragen, die man wirklich ausnehmen will, weil sie das Budgetrecht des Parlaments betreffen, von all den vielen anderen Fragen scheiden müssen, bei denen das nicht der Fall ist, wo das Budgetrecht nicht verletzt ist, bei denen die Anliegen aber trotzdem kosten. Wir wollen, dass diese Fragen auch durch mehr direkte Demokratie entschieden werden können.
Wir müssen also diskutieren, wie wir es auf Bezirksebene getan haben, welche verfassungsrechtlich noch zulässige Partizipationsmöglichkeit geschaffen werden kann, und meine Fraktion ist dafür offen. Wir würden es begrüßen, wenn die anstehende Berlinwahl 2006 genutzt werden könnte, um den Berlinerinnen und Berlinern, wie es unsere Verfassung erfordert, ein solches Gesetz zur Abstimmung zu unterbreiten. Ein separates Votum der Berlinerinnen und Berliner wäre in der Durchführung wesentlich teurer, so dass hierfür Wahltermine genutzt werden sollten. Nach der Berlinwahl bietet sich als nächste Gelegenheit regulär erst wieder die Europawahl an. Dass es so schnell zu Bundestagswahlen kommt, darauf können wir nicht spekulieren.
Ich kenne die Bedenken der SPD-Fraktion, dass die Zeit für ein solches Vorhaben bis zum Ende der Legislaturperiode zu knapp sein könnte. Ich bitte Sie aber: Lassen Sie es uns doch wenigstens probieren!
Wir haben seinerzeit vor den Vertreterinnen und Vertretern der Bezirkspolitik betont, dass wir nicht nur dann die Möglichkeiten direkter Demokratie erweitern wollen, wenn es uns, also die Landesebene, nicht selbst betrifft. Da stehen wir auch in der Pflicht.
Zu den Details des vorliegenden Antrags will ich mich jetzt nicht äußern. Wer die Vorstellungen meiner Fraktion dazu kennen lernen will, der mag die entsprechende Drucksache aus dem Jahr 2001 anschauen. Das ist ausführlich gearbeitet und enthält Vorstellungen zu Quoren, Verfahren und Ausschlusskatalog, und es ist seinerzeit von uns schon ausführlich darüber diskutiert worden. – Herr Kollege Ratzmann, den Einwand kann ich mir nicht ersparen: Die Grünen haben 1995 der Verfassung von Berlin mit genau diesen Quoren zugestimmt, die Sie heute kritisiert haben, meine Fraktion damals genau aus diesem Grunde nicht. Das ist der Unterschied.
Ich muss ganz offen sagen: Wir gehen davon aus, dass wir uns mit unseren Vorstellungen nicht vollständig durchsetzen können, weil sich vier Fraktionen einigen
müssen. Das gilt für die Vorstellung der Grünen auch. Deswegen hat mich das von den Grünen gewählte Verfahren etwas überrascht. Bei den Veränderungen auf der Bezirksebene hat meine Fraktion Vorschläge an alle anderen Fraktionen des Hauses übermittelt mit dem Ziel, eine fraktionsübergreifende Gesetzesvorlage zu erarbeiten. Das hat zwar gedauert, aber am Ende war es erfolgreich. Keine Fraktion stand am Ende als Blockiererfraktion da. Wir haben Einwände intern diskutiert und sind dann mit dem gemeinsamen Ergebnis in die Öffentlichkeit gegangen.
Diesen Weg hatten wir auch für die Landesebene verabredet, soweit ich mich erinnere, und dass wir es so jetzt nicht machen, finde ich ziemlich schade. Es ist das gute Recht jeder Fraktion in diesem Haus, Anträge in das parlamentarische Verfahren einzuspeisen, das ist wohl wahr. Ob damit allerdings in jedem Einzelfall dem verfolgten Anliegen gedient wird, ist eine andere Frage. Ich kann an dieser Stelle für meine Fraktion nur festhalten: Wenn sich nicht vier Fraktionen einigen, inklusive unseres Koalitionspartners, dann wird meine Fraktion ungeachtet unserer Haltung zu direkter Demokratie Ihren eingebrachten und heute zu beratenden Antrag ablehnen. Der Koalitionsvertrag verpflichtet uns dazu, das wissen Sie auch. Deshalb ist mit der Einreichung des Grünen-Antrags ein Schritt dazu gegangen worden, die grundsätzlich starke Gruppe von Abgeordneten in diesem Haus, die sich für eine Erweiterung der Möglichkeiten direkter Demokratie einsetzen, in solche zu spalten, die aufrecht und konsequent sind, und solche, die es nicht sind. Das halte ich für ein Problem, und ich will dies für die Linksfraktion am Ende meines Beitrags festhalten. Denn das kann in der Tat dem Anliegen einen Bärendienst erweisen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Ritzmann! Das überrascht mich, das hätte ich jetzt auch erwartet, aber vielleicht können Sie dann gleich darauf reagieren. – Ich finde das schon ein bisschen merkwürdig, Herr Lederer, das muss ich sagen. Sie argumentieren mit Ihrem eigenen Koalitionsvertrag, der Sie nach innen bindet. Das mag ja so sein.
Ich habe den Koalitionsvertrag aber auch in einer anderen Passage gelesen, und da steht etwas anderes drin, Herr Doering. – Wir hatten in der Tat auch etwas anderes verabredet, Herr Lederer. Wir haben die ganze Zeit darauf gewartet, dass etwas von Ihnen kommt. Wir haben dann über Dritte von außen zur Kenntnis nehmen müssen, dass das Verfahren stockt, dass da nichts ist. Sollen wir jetzt auf Sie zugehen und sagen: Brecht euren Koalitionsver
trag, bringt mit uns zusammen etwas ein, damit euer Koalitionspartner sich vielleicht in irgendeiner Art und Weise bewegt? – Das kann es doch wirklich nicht sein. Wir haben Ihnen klar gesagt: Wir wollen die verbleibende Zeit bis zur Wahl am 17. September – das Datum steht jetzt fest – nutzen, um den Prozess zu beschleunigen und das, was wir versprochen haben, umzusetzen.
Wir haben Ihnen klar gesagt und ich habe das heute noch einmal sehr deutlich gemacht: Die Punkte, die wir vorgeschlagen haben, sind Vorschläge, umreißen die Themenkreise, zu denen wir uns zusammensetzen müssen und in denen wir etwas zusammenbringen müssen, und sie machen Vorschläge, wie wir damit umgehen können. Ich kann Ihnen nur sagen, ich bin sehr erstaunt, dass Sie als Regierungsfraktion gerade bei diesem Thema plötzlich die Gemeinsamkeit der Fraktionen innerhalb des Hauses einfordern. Sie sind in anderen Bereichen so was von unkollegial in Ihrem Umgang, das schlägt dem Fass den Boden aus. Ich denke, dass es wirklich das gute Recht einer jeden Fraktion ist, einen politischen Prozess zu befördern. Wir machen das Angebot, wir sagen es ganz klar. Das soll die Grundlage sein. Wir wollen dieses Anliegen nach vorne betreiben. Es kann ja sein, dass Sie 1995 der Verfassung so nicht zugestimmt haben. Wenn das alle gemacht hätten, dann hätten wir nicht einmal die paar Dinge in der Verfassung, die jetzt drin stehen. Deswegen lassen Sie sie uns weiterentwickeln, dann tun wir der Sache einen Dienst. – Danke!
Geschätzter Kollege Ratzmann! Ich habe mich verdammt bemüht, vorhin freundlich zu sein in der Reaktion auf Ihren Beitrag,
und zwar aus folgendem Grund: die Sache nicht noch mehr zu verfahren. Der Kollege Ritzmann hat etwas von Profilneurose gesagt. Ich glaube, ich habe dieses Wort vorhin nicht benutzt. Ich habe es ganz bewusst nicht benutzt, weil ich dem Anliegen dienen will. Aber das ist schon ein gerüttelt Maß an Heuchelei und ärgert mich auch sehr, denn natürlich hätten Sie ohne jedes Problem an die Fraktion herantreten und sagen können: Hier sind Vorschläge, lasst uns darüber reden. – Was hat Sie eigentlich daran gehindert?
Jetzt will ich Ihnen einmal etwas sagen: Mit dem damaligen Vorhaben zur bezirklichen Ebene sind hier in Sachen politische Kultur und eines Projektes für das ganze Haus Maßstäbe gesetzt worden. Das war die Garantie dafür, dass es gelungen ist: dass alle Fraktionen an einem Strang gezogen haben, die es wollten. Eine wollte es nicht, das ist okay. Das sind Maßstäbe gewesen. Deswegen kann ich nicht anders als Ihnen genau das jetzt um die Ohren zu hauen. Sie profilieren sich auf Kosten eines Projekts, das
man als überfraktionelle Runde miteinander hätte machen können. Ihr Vorgehen ist unnötig gewesen, und das ist ein Rückschritt in Sachen politische Kultur. Hätten Sie nicht Ihre Kurzintervention gemacht, hätte ich mich dazu nicht geäußert. Aber es ist das, was ich Ihnen jetzt mit auf den Weg geben muss. Das ist eine ziemlich unseriöse und unredliche Sache.
Danke schön, Herr Dr. Lederer! – Nun folgt die FDP. Das Wort hat der Kollege Ritzmann. – Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zuerst zur Sache und dann zum Verfahren. – Wir wollen und müssen mehr Demokratie – Demokratie heißt übrigens Volksherrschaft – wagen. Wir wollen und müssen weg vom Parteienstaat und hin zur Bürgerdemokratie, weil die wachsende Distanz zwischen Politik im Sinne von Parteien und Bürgern nur durch größere Teilhabe, durch mehr Mitbestimmung überbrückt werden kann. Warum soll sich denn ein Bürger überhaupt fundiert mit Politik auseinander setzen? – Er muss alle paar Jahre ein paar Volksvertreter wählen. Ansonsten kann er meckern oder jubeln, aber Relevanz hat das überhaupt keine. Deswegen haben wir hier auf jeden Fall eine große Baustelle, an der wir arbeiten müssen. Wir müssen das Interesse, das Verständnis und das Engagement bei der Bevölkerung für politische Entscheidungen steigern.
Und so ist es natürlich – das steigt, je mehr Bürger mit politischen Inhalten befasst werden und je öfter sie selbst eine Entscheidung treffen können. Wer sich dem verweigert, der spricht den Bürgerinnen und Bürgern die Fähigkeit ab, politische Entscheidungen zu treffen, und – das sage ich in Richtung der Union – ich finde es schon recht bedenklich, Kollege Braun, wenn Sie sagen, Sie glauben nicht, dass das eine richtig gute Idee ist, außer vielleicht beim Ethikunterricht. Man kann nicht Volksentscheide begrüßen, wenn sie einem politisch gefallen, und ansonsten das Ganze eher sehr kritisch bewerten. Da müssen wir, glaube ich, ein bisschen mutiger werden.
Und auch was Lobbying, Einflussnahme angeht: Das hatten wir auf der Bezirksebene schon, diese absurde Argumentation, dass irgendjemand 20 000 oder 30 000 Bürger bestechen sollte, wenn er es mit einer Hand voll Abgeordneten viel billiger haben kann.
Das ist doch auch logisch. Je breiter eine demokratische Entscheidung aufgehängt ist, desto schwerer ist es, Manipulationen vorzunehmen und Einfluss auszuüben. Deswegen ist es nicht mehr Einfluss für Lobby-Gruppen, sondern am Ende weniger. Die FDP hat keine Angst vor dem Bürger. Wir haben sogar Vertrauen in den Bürger, und deswegen muss dieses Projekt gelingen.
In Berlin gibt es seit 1995 Volksentscheide. Zur Ausgestaltung ist bereits Einiges gesagt worden. Sie waren damals von Angst vor dem Bürger geprägt – offenkundig. Die Hürden waren zu hoch, und der Themenausschluss ist viel zu weitgehend. Über die Details werden wir uns sicher noch streiten. Das ist richtig, denn wir können dem Antrag der Grünen nicht in jedem Punkt folgen.
Herr Ratzmann, die aus meiner Sicht etwas irre Idee, die in dieser Frage mehr als wankende SPD jetzt pro Volksentscheide prügeln zu können, indem man im Alleingang einen Gesetzentwurf einbringt, wird am Ende bedeuten, dass Sie den ersten Sargnagel in dieses Projekt geschlagen haben.
Der Kollege Lederer hat dies richtig gesagt: Wir haben hier eine Atmosphäre, eine Arbeitsebene, in der sich fraktionsübergreifend fast zwei Jahre lang Strukturen etabliert haben, die am Ende ein Ergebnis zeigten – eine Verfassungsänderung. Darauf können wir aufbauen. Es gab keine Notwendigkeit, dass Sie voranreiten, nur um sich in der „taz“ oder anderen Zeitungen wichtig zu tun. Das muss doch der einzige Grund gewesen sein. Haben Sie einen Terminvorschlag für das Treffen der Arbeitsgruppen gemacht? Haben Sie den Entwurf vorher den Fraktionen zur Verfügung gestellt? Haben Sie irgendetwas gemacht, um das Projekt zum Erfolg zu bringen?
Ich habe davon nichts mitbekommen. Ich habe nur gelesen: Grüne wollen mehr Volksentscheide. Die Zeitungsüberschrift haben Sie bekommen, das Projekt ist in Gefahr.
Was machen wir daraus? – Wir versuchen das Beste daraus zu machen, und wir werden uns dafür einsetzen, dass die Berlinerinnen und Berliner das bekommen, was sie verdienen, nämlich mehr Mitverantwortung, mehr Mitentscheidung und am Ende mehr Macht. – Vielen Dank!
Danke schön! – Das Wort zu einer Kurzintervention hat jetzt der Kollege Michael Braun. – Bitte schön!
Herr Ritzmann! Eigentlich schätze ich Sie und hätten Ihnen etwas mehr intellektuelle Schärfe zugetraut,
zwischen Lobbyismus und der Wahrnehmung von Partikularinteressen, wie es üblicherweise von Bürgerinitiativen wahrgenommen wird, einerseits und dem öffentlichen
Interesse, das wir in diesem Haus zu vertreten haben, zu unterscheiden. Wir können uns aber auch gern außerhalb des Parlaments darüber unterhalten. Das lernt man eigentlich in der politischen Grundschule.