Protokoll der Sitzung vom 23.03.2006

lfd. Nr. 52:

Antrag

Keine Schmalspurausbildung der Lehrer/-innen für den so genannten „Ethikunterricht“!

Antrag der Grünen Drs 15/4881

Zur Beratung steht eine Redezeit von bis zu zehn Minuten pro Fraktion zur Verfügung.

Den Antrag mit der Drucksachennummer 15/4881 habe ich bereits vorab an den Ausschuss für Jugend, Familie, Schule und Sport sowie an den Hauptausschuss überwiesen. Die nachträgliche Zustimmung zu dieser Vorabüberweisung stelle ich fest.

Der Dringlichkeit wird nicht widersprochen.

Vor Beginn der Aussprache weise ich darauf hin, dass zum Ersten Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes die namentliche Abstimmung beantragt worden ist.

Ich eröffne nun die II. Lesungen. Ich schlage vor, die Einzelberatungen des einen Paragraphen beziehungsweise der zwei Artikel miteinander zu verbinden. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch.

Ich rufe zu den II. Lesungen die Drucksachen 15/3698 und 15/4698 unter Berücksichtigung der Drucksache 15/4902 sowie die entsprechenden Überschriften und Einleitungen auf. In der Aussprache beginnt die Fraktion der SPD. Frau Dr. Tesch hat das Wort – bitte!

Danke schön, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Mit diesem Ersten Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes hat ein jahrzehntelanger Diskussionsprozess einen ersten Abschluss gefunden. Darauf kann die Koalition zu Recht stolz sein.

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Das hat keine Regierung in Berlin vorher geschafft. Sie, liebe CDU, hatten mindestens zwei Mal die Gelegenheit dazu. Von 1981 an gab es für zwei Jahre eine Alleinregierung der CDU, da hätten Sie alles beschließen können,

[Frau Schultze-Berndt (CDU): Aber mit Ihnen leider nicht!]

danach waren Sie sechs Jahre lang in einer Koalition mit der FDP. Da muss sich auch Frau Senftleben, die mir leider im Augenblick nicht zuhört, fragen lassen,

[Frau Senftleben (FDP): Ich höre Ihnen immer zu!]

weshalb Sie damals Ihr geliebtes Wahlpflichtfach nicht eingeführt haben. Genug Zeit dafür hätten Sie jedenfalls gehabt.

t um das Ob.

In der sechsjährigen Grundschule, in der 74 % der Schülerinnen und Schüler am Religionsunterricht teilnehmen, bleibt er weiterhin das einzige Angebot. Er bleibt in die Stundentafel integriert, wird in den Klassenräumen unterrichtet und weiterhin durch das Land finanziert. Wir geben dafür jährlich rund 50 Millionen € aus, das bitte ich zu bedenken!

Weiterhin zur Finanzierung: Die Finanzierung der Evangelischen Kirche ist im Kirchenstaatsvertrag festgeschrieben worden. Wir haben darüber bereits im letzten Plenum ausführlich diskutiert. Es ist richtig, dadurch sind die Kirchen privilegiert, aber das ist auch notwendig und so gewollt. Deshalb verstehe ich um so weniger, dass die Kirche behauptet, durch die Einführung dieses Faches würde sie aus der Schule gedrängt werden. Es ist erstaunlich wie wenig Zuversicht sie in ihre eigenen Botschaften hat.

[Beifall bei der SPD – Frau Senftleben (FDP): Hören Sie auf, Frau Dr. Tesch!]

Im Übrigen ist diese Debatte unter anderem auch von den Kirchen angestoßen worden, gemäß des Slogans: Religionsunterricht oder Freistunde. – Diesen Zustand haben alle Beteiligten als unbefriedigend empfunden. Es gibt mehrere Lösungen, diesen unbefriedigenden Zustand zu beenden. Ich betone hier erneut, dass die Lösung, die die Kirchen favorisieren, in unseren Augen nicht die beste ist, weil sie nicht alle Schülerinnen und Schüler in einem gemeinsamen Unterricht vereint.

Sie, Frau Schultze-Berndt, werden gleich wieder Ihre alt bekannten, aber widersprüchlichen Argumente vorbringen. Sie betonen immer, dass Sie einen Dialog zwischen den unterschiedlichen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften wollen.

[Beifall der Frau Abg. Schultze-Berndt (CDU)]

Das wollen wir auch. Ich frage Sie aber: Wie soll dieser Dialog aussehen? – Ich stelle es mir vor: In Raum A sitzen die Schülerinnen und Schüler, die evangelischen Religionsunterricht gewählt haben. Diese dialogisieren durch die Wand mit den Schülerinnen und Schülern in Raum B, die katholischen Religionsunterricht gewählt haben und wiederum mit denen in Raum C, die Lebenskundeunterricht erhalten, um nur einige Angebote zu nennen. Ihre so genannte Freiheit zur Wahl bedeutet eine Separierung der Schülerinnen und Schüler in Schächtelchen. Das ist schlicht absurd. Wir wollen die Diskussionen nicht in die Pausen, nicht auf den Schulhof verlagern, sondern wir streben einen gemeinsamen Dialog aller im Klassenraum an.

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

In der Sekundarstufe I, in der wir das neue Fach einführen, nehmen lediglich 26 % der Schülerinnen und Schüler am Religions- oder Lebenskundeunterricht teil. Für Dreiviertel der Schülerschaft ist dieses Fach deshalb eine noch größere Bereicherung, weil sie bislang überhaupt keinen Werte vermittelnden Unterricht erhalten haben.

[Frau Jantzen (Grüne): Was ist denn der normale Unterricht?]

Bitte, was? Stellen Sie eine Zwischenfrage!

[Frau Jantzen (Grüne): Werden im Unterricht sonst keine Werte vermittelt?]

Sie haben völlig Recht, Frau Kollegin! Auch wir sind der Meinung, dass die Einführung eines neuen Faches nicht sämtliche Probleme der Berliner Schule löst. Aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung. In § 1 SchulG steht, dass alle Lehrkräfte an den Berliner Schulen Werte vermitteln sollen. Das ist richtig so.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Ich möchte nochmals und wiederholt klarstellen, weil es immer wieder und leider auch in der veröffentlichten

Meinung falsch dargestellt wird: Auch nach Einführung des Werteunterrichts bleibt der freiwillige Religionsunterricht an der Berliner Schule bestehen.

[Frau Senftleben (FDP): Aber nicht gleichberechtigt!]

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS – Zuruf der Frau Abg. Senftleben (FDP)]

[Beifall der Frau Abg. Dr. Hiller (Linkspartei.PDS)]

Ich bin jedenfalls nicht der Meinung, dass Schülerinnen und Schüler, die einen bekenntnisorientierten Unterricht wünschen, und denen ein solcher auch ansprechend und interessant angeboten wird, diesem Unterricht fernbleiben, nur weil wir ein neues Fach Ethik einführen.

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Wir, die Berliner SPD, wollen dieses gemeinsame Fach. Es soll bekenntnisneutral vermittelt werden und basiert auf gemeinsamen Werten wie Menschenrechten und dem Grundgesetz. Wir wollen auch die Kooperation mit allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Das haben wir abermals auf unserem Landesparteitag am 9. April 2005 bekräftigt. Leider hat die Kirche bisher die Mitarbeit verweigert, obwohl wir dafür gesorgt haben, dass bei der Gesetzesänderung und im Staatsvertrag festgeschrieben wird, dass die Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften bei gewissen Themenbereichen mit dem Ethikunterricht kooperieren sollen. Über diesen Punkt hatten wir lange Diskussionen mit unserem Koalitionspartner.

[Frau Dr. Hiller (Linkspartei.PDS): Und das ist auch gut so!]

Wir sind aber der Meinung, dass über die Art und Weise der Kooperation vor Ort entschieden werden soll. Ganz im Sinne der Eigenverantwortung der einzelnen Schulen sollen sie bestimmen, wie diese Kooperation aussehen soll.

[Beifall der Frau Abg. Dr. Hiller (Linkspartei.PDS)]

Danke schön, Frau Hiller! – Deshalb diese Beschlussempfehlung des Schulausschusses. Ich wiederhole: Es geht hierbei um das Wie und nich

Ein glücklicher Tag für Islamlehrer der Islamischen Föderation: Sie können auch weiterhin unkontrolliert und unwidersprochen fundamentalistische, undemokratische Lehren verbreiten, die Gleichberechtigung von Mann und Frau wird weiterhin in Frage gestellt. Ein aufgeklärter, staatlich kontrollierter Islamunterricht findet nicht statt.

Ein glücklicher Tag für jene Vertreter der SPD, die Angst haben, durch Religionsunterricht gelange gelebter Glaube in die Schulen – so drückte sich Frau Buttgereit aus. Vielleicht hätten Sie den Religionsunterricht besuchen sollen, um zu lernen: Ein Christ, ein Jude, ein Muslim ist jederzeit und überall bemüht, seinen Glauben zu leben. 20 Jahre lang hat die SPD Religion und Ethik / Philosophie in den Schulen blockiert. Nun kommt ein Ethikunterricht in einer derart entstellten Art und Weise, dass er von gutem Ethikunterricht bis zu beliebiger Lebenskunde alles zulässt. Und darum ist heute kein glücklicher Tag.

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Lassen Sie mich zum Ende noch eine Anmerkung zu dem Antrag der Grünen machen, der mitbehandelt werden soll und sich auf die Lehrer/Lehrerinnenausbildung für dieses Fach bezieht. Dieser Antrag soll in den Schulausschuss überwiesen und dort beraten werden. Ich bin zwar nach wie vor der Meinung, dass wir uns nicht in inhaltliche Belange des Faches einmischen sollten, finde aber die Hinweise auf eine Weiterbildung der Lehrerinnen und Lehrer über die Fortbildung hinaus und auch auf die gute wissenschaftliche Ausbildung in Potsdam diskussionswürdig.

Lassen Sie mich abschließend noch einmal betonen, dass wir dieses gemeinsame Fach wollen. Wir hatten eine große Anhörung im Schulausschuss, in der alle Argumente ausgetauscht wurden. Wir wissen auch – das habe ich vorhin schon betont –, dass ein neues Wertefach allein nicht sämtliche Probleme in der Stadt lösen kann. Aber wir wollen, dass alle Schülerinnen und Schüler gemeinsam in einen integrativen Dialog treten können. Und wir laden alle ein, konstruktiv an dem Fach mitzuarbeiten, um es zu einer Bereicherung der Berliner Schule werden zu lassen. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Vielen Dank, Frau Dr. Tesch! – Nun hat für die Fraktion der CDU Frau Schultze-Berndt das Wort. – Bitte sehr!