Protokoll der Sitzung vom 23.03.2006

Für die Grünen hat nun der Abgeordnete Ratzmann das Wort. – Bitte sehr!

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linkspartei.PDS]

[Beifall bei den Grünen]

Natürlich wissen auch wir, dass die Fliegerei sich in den vergangenen 50 Jahren – und wir reden in der Zukunft über so lange Zeiträume – explosionsartig gesteigert hat. 1953 gab es in der Bundesrepublik 70 000 Flüge. 2003 waren es 2,5 Millionen Flüge, und für 2013 rechnet man mit 4 Millionen; daran kann auch in Berlin niemand vorbeigehen. Berlin hat zwar kein riesiges Einzugsgebiet. Aber Berlin hat eine riesige Anziehungskraft. Darauf setze ich. Und diese Anziehungskraft braucht Mobilität, die müssen wir gewährleisten, zwar nicht um jeden Preis, aber so umweltschonend, wie es nur geht.

Aber trotz des Erfolges sage ich: Wir haben nach wie vor etwas gegen die Stinker, die in riesigen Mengen Rohstoffe verbrennen und die Umwelt verpesten. Die Zukunft wird darin liegen, die Umweltverträglichkeit dieser Rohstoffvernichtungsmaschinen zu erhöhen, die Risiken zu minimieren und die Belastungen für die Ballungsräume herunterzuschrauben. Da muss man die Nase vorn haben. Das sind die Herausforderungen, darin liegt die Zukunft, das ist auch gut für Berlin, das wollen wir fördern.

[Beifall bei den Grünen]

Wir müssen diesen Vorteil als Stadt nutzen. Wir müssen uns dieser Verantwortung stellen, die damit zusammenhängt. Wir alle wissen, Herr Wowereit, diese Jobmaschine, die immer vermutet wird, wird nicht von alleine

zum Laufen kommen an dem Flughafen, und sie wird vielleicht auch keine 40 000 Arbeitsplätze bringen. Aber sie wird ein paar Arbeitsplätze bringen oder auch ein paar mehr Arbeitsplätze. Die wollen wir haben, und wir müssen alles dafür tun, dass sie in dieser Region bleiben.

Wir wollen diesen Flughafen auch, um das einmal ganz deutlich in Ihre Richtung zu sagen, Herr Dr. Lindner, um den Flughafen Tempelhof binnen Jahresfrist endlich zu schließen

und um auch spätestens bei der Eröffnung des BBI den Flughafen Tegel loszuwerden. Es ist doch abenteuerlich, wie Sie mit Ihrer Affenliebe zu den Privatfliegern die Steuerzahler melken wollen. Sie wollen ein Relikt des Kalten Krieges erhalten, nur weil ein paar aerophile Geschäftsflieger mit ihren Pipers und Gulf Streams zu faul sind, 20 Minuten mit der S-Bahn zu fahren. Dafür sollen wir alle, ohne etwas davon zu haben, ein paar Milliönchen im Land hinblättern. Keine der großen Städte, die Sie so gern als Vorbild im Mund führen, leistet sich das. In Paris fahren Sie eine Stunde zum Flughafen, in London auch, und selbst in Ihrem geliebten München fährt man 50 Minuten mit der S-Bahn durch die Gegend, bis man vom Flughafen in der Stadt ist. Und auch Amsterdam, lieber Herr Lindner, hat seinen Flughafen nicht mitten in die Grachten gebaut. Und die wussten auch, warum sie das getan haben, und wir wollen hier auch nicht erleben, dass einer von diesen Fliegern mitten in die Stadt herunterkracht. Sie mögen das mit Ihren Freunden ganz schön finden, wenn Sie beim Einschweben über Berlin ein bisschen Sightseeing über dem Brandenburger Tor bis nach Prenzlauer Berg geboten kriegen. Aber ich sage Ihnen: Die Leute, die da wohnen,

Die Zukunft liegt nicht darin – um das einmal deutlich zu sagen –, jetzt schon für die Fluggesellschaften das Nachtflugverbot aufzuweichen. Dieses Flugverbot wird sich wirtschaftlich nicht negativ auswirken. Wir sind kein Drehkreuz, Herr Lindner. Wir haben nicht den internationalen Flugverkehr, der auf die Kernzeiten angewiesen ist. Deshalb brauchen wir jetzt auch nicht schon die Versprechen, für diese Zeiten Ausnahmegenehmigungen zu verteilen. Wir müssen sie auch nicht schon für die Randzeiten verteilen, bloß weil die Airlines meinen, nur wo rund um die Uhr geflogen werden kann, wird gut geflogen, und die Anwohner können gefälligst auf ihre Nachtruhe verzichten. Das kann nicht die Politik einer Stadt in einem Ballungsraum Berlin sein.

[Beifall bei den Grünen]

Natürlich muss das Ganze wirtschaftlich sein. Das wissen wir auch, und das ist klar. Aber was in Frankfurt, in München, in Düsseldorf geht, das muss doch auch hier gehen. Da gönnt man den Menschen die Nachtruhe. Ich finde, wir tun gut daran, uns daran ein Beispiel zu nehmen und zu sagen: Das muss auch hier klappen.

Ich appelliere an die Verantwortung der Fluggesellschaften. Es muss auch in deren Interesse liegen, Berlin zu einem Standort aufzubauen, in dem moderner Fluggastverkehr möglich ist, in dem die berechtigten Interessen der Anwohner und Anwohnerinnen in einem Ballungsgebiet in Einklang gebracht werden mit dem, was moderner Fluggastverkehr erfordert, dass sie in der Lage sind, Mobilität und Umweltschutz miteinander zu verbinden. Im Übrigen glaube ich, dass ein Name Air Berlin sich besser anhört als Air Leipzig oder Air Pirna. Deshalb wird auch Air Berlin hier in Berlin bleiben und nicht dieser Stadt den Rücken kehren. Die LTU hat das bereits erkannt und klar gemacht: Für sie ist es unmöglich, an diesem Standort Berlin vorbeizugehen. Diese Erkenntnis wird sich auch bei den anderen durchsetzen.

Für uns ist klar, das Bundesverwaltungsgerichtsurteil muss nach Geist und Buchstabe umgesetzt werden. Wir brauchen jetzt Verlässlichkeit. Wir brauchen sie sowohl gegenüber den Anwohnerinnen und Anwohnern betreffend Nachtruhe und Randzeiten; das sind wir ihnen schuldig. Wir brauchen sie natürlich auch in Richtung Fluggesellschaften. Das muss man auch in die andere Richtung ganz klar sagen: Wer meint, über das Urteil des Flughafenausbaus in dem neuen Feststellungsverfahren, dem Fehlerbehebungsverfahren, dazu zu kommen, den Flughafen noch zum Kippen zu bringen, der wird sich getäuscht sehen. Der Flughafen ist eines der wichtigsten Infrastrukturprojekte dieser Region. Wir haben in Berlin davon profitiert. Es sind viele Menschen als Touristen in diese Stadt gekommen, das war gut für sie. Die wollen wir hier haben, und das soll auch so bleiben.

[Beifall bei den Grünen]

[Beifall bei den Grünen und der Linkspartei.PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Ich zum Beispiel!]

die finden das nicht so lustig. In der Einflugschneise können Sie kein Stück Wäsche auf die Leine hängen, das ist schwarz vom Ruß und von den Abgasen dieser Stinker. Aber ich gehe davon aus, dass die Möchtegern-Schampusfraktion das ohnehin nicht interessiert, weil Sie ja waschen lassen.

[Beifall bei den Grünen]

Aber wir waschen nicht nur selbst, Herr Dr. Lindner, wir wollen auch, dass die Anwohner und Anwohnerinnen ohne Angst, dass ein Flugzeug in ihren Wohngebieten herunterkracht, leben können. Deshalb muss Tempelhof so schnell wie möglich geschlossen werden. Legen Sie los, Herr Wowereit, es ist höchste Zeit!

[Beifall bei den Grünen und des Abg. Dr. Rogall (SPD)]

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Hürden für den Flughafen hoch gesetzt. Das wird Geld kosten. Berlin hat bereits 79 Millionen € an Eigenkapital eingesetzt und wird wohl noch 150 Millionen einsetzen müssen. Für das Flugfeld Ost hat Berlin 77 Millionen € in den Sand gesetzt. Da ist auch Skepsis hinsichtlich der Finanzierung

Ratzmann

Wir waren nämlich schon für Tempelhof, da waren Sie noch nicht einmal im Parlament. Und ich sage Ihnen auch ausdrücklich, damit Sie sich das merken können: Der Flughafen Tempelhof als City-Airport passt ausgezeichnet zu einem neuen Großflughafen in Schönefeld. Er ist mitnichten eine Gefahr für dieses Projekt, sondern eine

sinnvolle Ergänzung. Wir stehen dazu. Es ist jetzt endlich die Stunde der Vernunft, sachlich über dieses Thema zu reden und nicht alte ideologische Knallbonbons platzen zu lassen. Deshalb bitten wir darum, dass Sie uns auch in Ihre Beschimpfung mit einbeziehen. – Vielen Dank!

Danke schön! – Herr Ratzmann zur Erwiderung – bitte schön!

Herr Kaczmarek! Den Gefallen tue ich Ihnen gerne. Fühlen Sie sich hiermit beschimpft! All das, was ich zu Herrn Lindner gesagt habe, gilt auch für Sie, nur dass Sie nicht zur Möchtegern-SchampusFraktion gehören. Dazu ist die CDU in Berlin gar nicht in der Lage.

Aber dass Sie so mit diesem Thema umgehen, Herr Kaczmarek, zeigt noch einmal Ihre Verantwortungslosigkeit. Sie scheinen alles vergessen zu haben, was sich bereits in Innenstädten an Flugzeugunglücken ereignet hat, angefangen 1958, als die Fußballmannschaft von Manchester in die Innenstadt von München hineingekracht ist. Das ist kein Punkt zum Spaßen. Es zeigt auch, wie vertragsfähig und zuverlässig Sie sind.

(D Sie haben doch den Konsensbeschluss mitgemacht. Eigentlich müssten Sie hier dazu stehen und sagen: Wir wollen den Flughafen Tempelhof schließen. – Das zeigt, dass die Berliner CDU nicht in der Lage ist, in dieser Stadt verlässliche Politik zu machen.

angesagt. Die Zeitungen – das haben wir alle gelesen – sind voll von schlechten Nachrichten über ausbleibende Flugzeuge, verlorene Chancen und sinkende Einnahmen trotz steigender Passagierzahlen. Da stellt sich die Frage: Wie wird das Projekt finanziert? Wie werden die Kredite – immerhin fast 2 Milliarden € – refinanziert? Wie werden die zusätzlichen Maßnahmen – bisher waren es 200 Millionen € für Lärmschutz, jetzt sollen noch ungefähr 100 Millionen € dazukommen – finanziert? Wer trägt die Kosten, die noch auf uns zukommen werden? Soll BBF aus seinem Gewinn einen höheren Anteil in die Finanzierung des Flughafens einfließen lassen? Schießen wir als Gesellschafter Geld nach? Sollen wir noch mehr Geld aufnehmen und uns noch mehr Kredite ans Bein hängen, oder specken wir den Flughafen ab, bauen ihn kleiner und kostengünstiger? – Unsere Antwort ist klar: Wenn das möglich ist, dann präferieren wir das Abspecken auch vor dem Hintergrund der Prognosen, die jetzt kommen. Wir stecken das Geld, Herr Lindner, das der Flughafen Tempelhof kostet, lieber in Lärmschutzmaßnahmen für Schönefeld.

[Dr. Lindner (FDP): Er ist der Regierende Bürgermeister!]

Jetzt geht es darum, den Flughafen in Schönefeld zu bauen, sauber zu finanzieren, so umweltverträglich, wie es nur geht. Es ist in unser aller Interesse, wenn die Welt in Berlin bei hellem Tage sauber und leise landen kann. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön! – Das Wort zu einer Kurzintervention hat Herr Abgeordneter Kaczmarek. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Ratzmann! Wie Sie den Flughafen Tegel „spätestens“ schließen wollen, wenn der neue Flughafen in Betrieb geht – mit anderen Worten: es könnte auch früher sein –, das ist Ihr Geheimnis. Das klären Sie einmal mit ein paar Luftverkehrsexperten, wo Sie die 12 Millionen Fluggäste dann so lange unterbringen. Vielleicht warten die ja ein paar Jährchen.

Eines nehme ich Ihnen wirklich übel – deswegen habe ich mich gemeldet –: Sie haben ausschließlich die FDP beschimpft. Da fühlen wir uns als CDU ganz schlecht behandelt

[Heiterkeit bei den Grünen und der FDP – Zurufe von den Grünen]

Wir wollen auch von Ihnen beschimpft werden, dass wir für Tempelhof sind.

[Zurufe von der SPD und der FDP]

[Beifall bei der CDU]

[Zurufe von der CDU, den Grünen und der FDP]

[Zurufe von der CDU]

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linkspartei.PDS – Zurufe von der CDU]

Danke schön! – Für die Fraktion der Linkspartei.PDS hat jetzt Herr Abgeordneter Liebich das Wort. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Weil zu Beginn immer die Frage gestellt wird, ob jetzt eine Jubelrede oder Sachlichkeit angebracht ist, sage ich Ihnen, dass für uns von der rot-roten Koalition nicht die B-Note, sondern das Ergebnis zählt, und auf das Ergebnis kommen wir sehr stolz sein.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Wir haben mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig endlich Klarheit. Es ist ein Punkt hinter eine lange Kette von Entscheidungen gesetzt worden. Damit wurde eine der beiden für Berlin wichtigsten Fragen beantwortet, die in dieser Legislaturperiode zu entscheiden waren. Die andere, die Entscheidung über die Klage auf Bundeshilfen in Karlsruhe, wird vielleicht nicht mehr in dieser Legislaturperiode beantwortet. Dort ist aber ebenso gut vorgearbeitet worden wie bei der Entscheidung zum Flughafen. Deshalb glaube ich, dass wir auch da mit einem ähnlich positiven Resultat rechnen können. Das Ganze funktioniert deshalb, weil unsere

Wir haben uns für Veränderungen eingesetzt. Das waren sinnvolle Veränderungen. Um den internationalen Single-Flughafen zügig zu erreichen, wollten wir, dass statt der verkorksten Privatisierung nach dem „erfolgreichen“ Modell der Bankgesellschaft Berlin und nach dem Motto: Der Steuerzahler zahlt, die privaten Eigner füllen sich die Taschen – stattdessen wollten wir, dass eine öffentliche Finanzierung geprüft wird. Beim Anwohnerschutz – ich will darum herumreden – erschienen uns vor allem die Lärmschutzmaßnahmen als nicht ausreichend. Wir sind immer für Verbesserungen eingetreten und haben am Ende auch in dieser Frage Recht behalten. Und es war uns auch wichtig, dass bei einem solchen Großprojekt die Einbeziehung von Transparency International in das Verfahren gegeben sein sollte. Wenn man sich das Ergebnis anschaut, sind wir durchaus erfolgreich gewesen. Das freut mich vor allem deshalb, weil ich mich noch gut an den Wahlkampf 2001 und die ersten Monate unserer Regierung von SPD und PDS erinnern kann, wo von CDU und FDP und zu Beginn auch von Bündnis 90/Die Grünen immer behauptet wurde, dass es gerade an dieser Frage, an der Flughafenfrage, mit einer Regierungsbeteiligung der PDS schwerer und nicht leichter wird. Sie sehen, das Gegenteil ist der Fall. Klaus Wowereit und Harald Wolf haben vielleicht nicht so dicke Backen gemacht wie die Herren zu Zeiten der großen Koalition, aber es wurde gehandelt. Fehler der Vergangenheit wurden korrigiert, und es konnte endlich entschieden werden.