Protokoll der Sitzung vom 18.05.2006

Danke schön, Kollege Dietmann! – Es fährt die SPD fort. Das Wort hat der Kollege Radebold. – Bitte schön!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dietmann! Wir werden bestimmte Anregungen von Ihnen gern verfolgen. Denn Sie haben immerhin dieses Gesetz zur Priorität in die Diskussion eingebracht. Ich denke, das ist schon eine Würdigung des Gesetzes. Dass die ausgerechnet von der CDU kommt, erstaunt mich, aber es freut mich natürlich. Sie haben völlig Recht in Ihrer Einleitung,

[Goetze (CDU): Wie immer!]

dass jede Entbürokratisierung Verwaltungsaufwand reduziert und damit Prozesse beschleunigt. Das übergeordnete Ziel dieser Koalition war es ja, auch durch Entbürokratisierung den Wirtschaftsstandort zu stärken und deshalb

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich ist dieses Gesetz nicht der Rede wert. Aber genau das gilt es hier zu problematisieren. Der Berg kreißte, und er gebar ein Mäuschen. Das gilt hier wieder mal. In diesem Fall kreißte aber wohl eine extra beauftragte Kanzlei. Und hier stellt sich schon die berechtigte Frage nach dem Verhältnis von Kosten und Nutzen.

Klar ist es schwierig, die Frösche zu fragen, wenn der Teich trockengelegt werden soll. Aber können Sie so etwas nicht über die Prämienregelung machen, für jeden brauchbaren Vorschlag eine Prämie? – Das wäre immer noch billiger als eine Kanzlei zu beauftragen, die wahrscheinlich auch wiederum nur die Frösche gefragt hat.

zum Abschluss der Legislaturperiode, ein bisschen sehr spät – da gebe ich Ihnen gern Recht –, dieses Dritte Gesetz. Ich finde es nicht glücklich, dass die Verwaltung, die das meiste Interesse daran hat, dass dieses Gesetz wirksam wird, politisch hier zur Debatte überhaupt nicht vertreten ist. Das muss ich einmal deutlich sagen.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP]

Aber ich weise auf ein weiteres Gesetz hin, das wir in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht haben, das in der Fachwelt allgemein Anerkennung gefunden hat, das sind die Veränderungen der Bauordnung.

Natürlich, in dem jetzt vorgelegten Gesetz werden 20 Rechtsvorschriften aufgehoben. Da haben Sie völlig Recht, dass man sich wundert, dass das Milchgesetz aus dem Jahr 1931 sämtliche verschiedenen Legislaturperioden überlebt hat, bevor es zusammen mit der Käse- und Butterverordnung verschwindet,

[Ritzmann (FDP): Ist eine Parodie!]

dass wir in dem Gesetz noch Bezirke haben, die es überhaupt nicht gibt, dass man das alles weg bekommt. Aber es sind einzelne Punkte, die wirklich wichtig sind. Wenn wir im Straßengesetz die aufschiebende Wirkung aufheben, damit Leute, die aus sehr egoistischen Gründen bestimmte Prozesse im öffentlichen Straßenland verhindern wollen, nicht damit durchkommen, dann sind wir auf dem richtigen Weg.

Aber Sie haben es sich an einer Stelle zu einfach gemacht. Die Aufhebung von Bürokratie kann auch Rechte Dritter betreffen. Insofern halte ich die parlamentarische Beratung zu einzelnen Punkten schon für wichtig. Wir müssen prüfen, ob wir an jeder Stelle diesem ein wenig mit heißer Nadel gestrickten Gesetz folgen werden. Da gibt es ein paar Bereiche im Rahmen des Naturschutzes, die wir sehr ernsthaft abwägen müssen, bevor wir zu einer Entscheidung kommen. Insofern sind ggf. Präzisierungen dieses Gesetzes erforderlich.

Wir sind damit noch lange nicht am Ende des Weges zur Entbürokratisierung und Aufhebung unsinniger Vorschriften, Herr Dietmann, da folge ich Ihnen auch. Aber wir sind auf dem richtigen Weg. Und wenn Sie, Herr Dietmann, als Vorbild Länder benennen, wo die Stückzahl von Vorschriften der Maßstab ist, dann sagt das noch keineswegs irgendetwas über die Qualität. Da müssen wir uns ja wohl bitte einig sein. Das muss man sich genauer anschauen.

Aber wissen Sie, ich erlebe ja gerade selbst sehr persönlich, wie Gesetze und Vorschriften in Berlin teilweise durch Verwaltungen ausgelegt werden. Da ist es unsere Aufgabe, Gesetze so konkret zu formulieren, dass sie möglichst eindeutig sind, um Überspitzungen in der Auslegung von Verwaltungen zu verhindern. Ich habe gerade einen Bauantrag für den Umbau eines Einfamilienhauses gestellt. Ich sage Ihnen, der Bauordnung, wie wir sie verabschiedet haben, hätte ich nicht zugestimmt, hätte ich gewusst, was für ein Schrott immer noch darin verborgen

ist. Aber auf dem richtigen Weg ist die Koalition an dieser Stelle. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS – Gelächter bei der CDU]

Danke schön, Herr Radebold! – Es folgt Herr Birk von den Grünen. – Bitte sehr, Sie haben das Wort!

[Gram (CDU): Allerdings!]

Nun zum Gesetz selbst. Es beginnt mit einer absolut lächerlichen Liste von zu streichenden Verordnungen, die für die Wirtschaft und das Verwaltungshandeln kaum bis gar keine Relevanz mehr haben. Sieben davon stammen aus den 30er und 40er Jahren. Fast alle sind heute schon gegenstandslos.

Wir haben letztes Jahr den Vorschlag gemacht, alle Rechtsverordnungen, die vor 1980 erlassen wurden, mit Ablauf des letzten Jahres außer Kraft zu setzen und alle Verordnungen, die bis 2002 erlassen wurden, bis Ende dieses Jahres und alle späteren bis Ende des nächsten Jahres, es sei denn, eine Verlängerung hätte sich begründen lassen. Hätten Sie dem zugestimmt, Sie hätten sich den ganzen Artikel I des Gesetzes mit diesen lächerlichen 20 Verordnungen gespart.

Was gibt es im Gesetz für die Wirtschaft an großartigen Vereinfachungen? – Die für die Stadt überaus bedeutsame Fischereiwirtschaft kann aufatmen. Hegebezirke und Hegegenossenschaften im Landesfischereigesetz werden abgeschafft – und das, nachdem sich die Verwaltung über zehn Jahre lang recht erfolglos damit beschäftigt hat, solche Hegebezirke einzurichten. Da kann ich nur sagen: Petri Heil! Angler, rettet diese Stadt! – Oder: Die Genehmigungsfrist für kleine Bootsstege wird verkürzt. Letztens hat sich ein Petent beim Petitionsausschuss beschwert, dass ihm nach über 20 Jahren die Baugenehmigung für seinen uralten Bootssteg versagt wurde. Das war wirklich etwas lange. Aber die Berliner Wirtschaft wird die neue Viermonatsfrist nun auch nicht voranbringen, es sei denn, jemand hat seine Privatvilla auf einem Wassergrundstück.

Streichen Sie endlich die Senatsprüfung bereits beschlossener Bebauungspläne! Schaffen Sie Ihre Sonderprogramme ab! Übertragen Sie das Quartiersmanagement den Bezirken! Lassen Sie endlich echte dezentrale Fach- und Ressourcenverantwortung zu! Setzen Sie ein flächendeckendes Zeit- und Ablaufmanagement um! Das bringt mehr als solche Gesetze, die sich als reiner Etikettenschwindel entpuppen. – Vielen Dank!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich gehört habe, dass die CDUFraktion das Dritte Rechtsvereinfachungsgesetz zur Priorität erklärt hat, konnte ich mir nicht so recht erklären, was der Grund dafür ist.

Inzwischen bin ich aufgeklärt worden, weil sowohl die CDU-Fraktion als auch mein Vorredner lange Reden darüber gehalten haben, dass dieses Gesetz der Rede nicht wert sei.

Richtig ärgerlich und gar nicht mehr spaßig wird es, wenn unter diese ganzen Lächerlichkeiten drastische Einschränkungen des Informationsfreiheitsgesetzes gemogelt werden. Das hat nichts mehr mit Entbürokratisierung zu tun und ist bürger- und wirtschaftsfeindlich. Das haben Sie anscheinend schon selbst gemerkt. Deswegen sind Sie im Unterausschuss Datenschutz schon teilweise zurückgerudert und nehmen Abstand von der Verweigerung der Akteneinsicht, wenn fiskalische Interessen des Landes Berlin betroffen sind. Es wäre geradezu ein Treppenwitz, wenn in dieser von Finanzskandalen gebeutelten Stadt ein Akteneinsichtsrecht dann verwehrt werden könnte, wenn es um die wirtschaftlichen Interessen des Landes geht.

[Beifall bei den Grünen – Beifall des Abg. Ritzmann (FDP)]

Der Passus, dass Entwürfe und Notizen nicht preisgegeben werden dürfen, wenn sie nicht Bestandteil eines Vorgangs werden sollen, ist so auslegungsfähig, dass er als Vorwand benutzt werden kann, um Akten zu verweigern, oder dass Bürgern künftig kaum noch handschriftliche Akten gegeben werden oder vor allem geschwärzte Dokumente vorgelegt werden. Sie engen auf diese Weise den Aktenbegriff unnötig ein. Kritik haben Sie sich prompt von Transparency International und von der Humanistischen Union eingefangen. Die Humanistische Union weist zu Recht darauf hin, dass es absurd ist, dass die Koalition am selben Tag, wo wir die Ausweitung von Bürgerrechten, die Vereinfachung von Volksbegehren und Volksentscheiden beschließen und uns selbst als Abgeordnete endlich die Informationsfreiheit zugestehen, ein Gesetz einbringt, das die Informationsfreiheitsrechte wieder heftig einschränkt. Wir haben dieses Gesetz erkämpft, und wir werden alles daran setzen, dass es nicht beschnitten wird.

[Beifall bei den Grünen]

Dann bleibt aber nicht mehr viel von Ihrem Entbürokratisierungsgesetz übrig. Rund ein Drittel betrifft sowieso redaktionelle Änderungen, die inhaltlich ohne Bedeutung sind.

Die Stärkung der bezirklichen Wirtschaftsförderung ist nett, aber dazu hätten Sie nicht einmal ein Gesetz gebraucht. Frau Wanjura hat es in Reinickendorf auch so gemacht. Ich begrüße den dahinter stehenden Gedanken einer One-Stop-Agency ausdrücklich. Solange wir aber nicht das politische Bezirksamt haben, ist nicht auszuschließen, dass viele Vorgänge nun zweimal eine Verwaltungshierarchie hinauf und hinunter geschickt werden – im Bau- und Stadtentwicklungsressort und im Wirtschaftsressort.

[Zuruf des Abg. Doering (Linkspartei.PDS)]

Schon die Frage, welche Ressorts für die Stärkung der Wirtschaftsförderung die benötigten Stellen abgeben, wenn wir keine zusätzlichen zugestehen, wird die Bezirke eine Weile beschäftigen.

Kurzum: Dieses Gesetz ist ein Witz. Die rot-rote Bilanz der Entbürokratisierung ist insgesamt mager.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

[Beifall bei den Grünen – Beifall des Abg. Niedergesäß (CDU)]

Vielen Dank, Herr Kollege Birk! – Für die Linkspartei.PDS folgt nun Herr Kollege Dr. Nelken. – Bitte sehr!

[Zurufe von der CDU]

[Gram (CDU): Kurze und prägnante Reden!]

Wenn man sich das Gesetz ansieht, dann ist es so – das haben meine Vorredner zum Teil völlig richtig gesagt –, dass damit nicht gerade eine Verwaltungsrevolution ausgelöst wird. Ein Großteil der Rechtsvorschriften, die aufgehoben werden, ist für die Verwaltungspraxis unbedeutend. Insofern stellt sich die Frage, warum man unbedeutende Verwaltungsvorschriften nicht aufheben sollte und worin hier das Problem liegt. Zum Artikel I sage ich: Das kann man machen. Hätte man es nicht jetzt gemacht, hätte man es irgendwann machen müssen. Es ist eigentlich selbstverständlich, dass solche überflüssigen Vorschriften aufgehoben werden müssen. Es lohnt sich nicht, darüber als Priorität zu diskutieren.

Zum Inhalt des Gesetzes haben Sie in der Regel nichts gesagt. Mein Vorredner ist auf zwei, drei Punkte eingegangen. Zum Informationsfreiheitsgesetz hat er schon angedeutet, dass auch wir Nacharbeitungsbedarf sehen. Das Gesetz ist auch nicht von der Koalition eingebracht worden, Herr Birk, sondern eine Vorlage des Senats. Wir werden uns in den Ausschüssen damit beschäftigen müssen. Auf Einzelfragen in der Ersten Lesung einzugehen, ist deshalb etwas unfruchtbar. Darüber diskutieren wir dann in den Ausschüssen.

Als Letztes merke ich an: Wenn Bürokratieabbau oder Deregulierung oder Entstaatlichung oder Vorschriftenabbau zum Selbstzweck wird, habe ich damit ein grundsätzliches Problem. Der Kollege Dietmann von der CDU misst offensichtlich Quantitäten, wie viele Vorschriften man abgeschafft hat. Es gab in Deutschland eine Traditi

Jetzt ist gesagt worden: Warum soll man nicht unnütze Vorschriften aufheben? – Das ist ja richtig, nur als die

FDP in diesem Sinne einige Vorschläge gemacht hat – es ging um die Sonderregelung die Hebammen betreffend –, sagte die Koalition: Wie blöd ist denn die FDP, dass sie vorschlägt, Verordnungen aufzuheben, die gar nicht mehr angewandt werden? – Jetzt bringen Sie ein ganzes Paket mit Verordnungen und Gesetzen ein, die nicht mehr angewandt werden, und sagen, es sei das Normalste der Welt, dass sie aufgehoben werden.

hier in Berlin zumindest nicht. Dieser Ansatz ist vollständig gescheitert. Das muss aber nicht so sein. Auch eine Regierung kann reformieren. Niedersachsen mit der FDP, Baden-Württemberg mit der FDP, Nordrhein-Westfalen mit der FDP:

Die Landesregierungen haben Tausende von Vorschriften und Gesetzen und Dutzende von Behörden abgeschafft. Das ist bürgerfreundlich und spart Geld. Es geht, und man kann hiervon lernen.

on, dass man mit gutem Grund gegenüber dem Staat, der Bürokratie, der Verwaltung misstrauisch war. Allerdings hat das deutsche Staatswesen sich zum Sozialstaat entwickelt, so dass bestimmte Vorschriften und Regelungen mitunter durchaus auch einen Sinn haben. Man kann die Aufhebung von Vorschriften und Gesetzen nicht zum Sport an sich machen, sondern muss immer die Frage stellen: Was ist der Sinn einer Regelung? Werden da Interessen abgewogen? Werden vielleicht unterschiedliche Interessen ausgeglichen? – Immer wenn über Gesetze und Vorschriften geredet wird, wird auch über Interessen geredet. Das haben Sie hier im Prinzip schon angedeutet. Meistens ist die FDP Vorreiter. Die CDU macht es auch. Gerade wenn Ihre Klientel von staatlichen Vorschriften – wie sie meint – benachteiligt ist, möchten Sie sie weghaben. Wenn Sie sich davon Vorteile versprechen, rücken Sie ganz dicht an den Staat heran, in der Hoffnung, dem Staat in die Tasche greifen zu können. Wir dürfen die Beseitigung oder Änderung von Vorschriften und den Bürokratieabbau nicht als politischen Sport betreiben, sondern wir müssen sagen, was Aufgabe des Staates ist, wo ein sinnvoller Interessenausgleich stattfindet, wo es sinnvolle Regelungen gibt und wo sich Regelungen überholt haben, weil sich die Verhältnisse geändert haben. Dann muss man zu konkreten Vorschriften Vorschläge auf den Tisch legen. Hier liegen welche auf dem Tisch. Darüber können wir in den Ausschüssen diskutieren. Aber an dem Sport, wer die meisten Vorschriften abbaut, wer die meisten Gesetze abschafft, werden wir uns nicht beteiligen.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD – Dietmann (CDU): Ja, das merkt man!]

Danke schön, Herr Kollege Dr. Nelken! – Für die FDP-Fraktion hat nun Kollege Ritzmann das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Das Gesetz selbst ist keiner Beratung würdig. Da haben Sie Recht. Deswegen müssen wir die Gelegenheit nutzen, Bilanz zu ziehen, was in den letzten viereinhalb Jahren bei Bürokratieabbau, Entbürokratisierung, Rechtsvereinfachung etc. geleistet wurde. Herr Körting und Herr Wolf haben vor ungefähr zwei Jahren eine Initiative von Seiten des Senats ergriffen und insgesamt über 100 Vorschläge und Ideen aufgeschrieben. Herr Körting hat das angeblich privat gemacht, weil er in seiner Verwaltung keinen gefunden hat, der diese Reformvorschläge für ihn aufschreibt. Und dann sind diese 110 Reformvorschläge in das Mühlenwerk von Staatssekretärskonferenzen und fraktionsübergreifenden Arbeitskreisen der Koalition geraten. Herausgekommen ist das, was wir heute besprechen: das Aufheben der Milchverordnung von 1950, das Aufheben einer Verordnung von 1939, die den Eisenbahnverkehr im Straßenverkehr regelt – das brauchen wir alles nicht mehr –, den Schwefelgehalt in der Braunkohle aus den achtziger Jahren. – Das ist von der Initiative zweier maßgeblicher Senatoren dieses Senats übriggeblieben.

[Dr. Lindner (FDP): Das ist dann saublöd!]