Protokoll der Sitzung vom 29.06.2006

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden hier über das Verhältnis eines der wichtigsten Träger gesellschaftlicher Entwicklung in der Bundesrepublik zum Land Berlin, über das Verhältnis von Kirche zu Staat und damit auch über einen Großteil der kulturellen Entwicklung und der kulturellen Basis mitteleuropäischer Staaten. Dabei geht es nicht nur um die historische Rolle von Kirchen in der Gesellschaft und von Religion. Auch in unseren modernen Gesellschaften hat Religion und Kirche einen wesentlichen Einfluss. Ich will erinnern an das Sozialwort der beiden großen christlichen Kirchen vor knapp 10 Jahren, die damals die sozialpolitische Debatte in Deutschland wesentlich mitbestimmt haben. Ich will aber auch auf die vielfältigen Interventionen von Katholischer und Kvangelischer Kirche zum Beispiel in Fragen von Asyl und Flüchtlingsrechten in der Bundesrepublik, verweisen. Das macht deutlich, dass Kirche die Gesellschaft wesentlich mit beeinflusst und mitbestimmt. Wenn wir in die USA schauen, ist es dort eine andere Richtung, die mitbestimmt. Aber auch dort gibt es einen großen politischen Einfluss von Kirchen, die damit die Gesellschaft prägen. Wir reden über eine wichtige Institution und über ein wichtiges Zusammenspiel von zwei verschiedenen großen Trägern gesellschaftspolitischer Debatten.

Nun haben wir hier einen Kirchenstaatsvertrag vorliegen, der an vielen einzelnen Detailpunkten massiv in politische Entscheidungsfragen eingreift. Es gibt beispielsweise die Regelung, die in den Rundfunkstaatsvertrag eingreift, und die Regelungen zum Datenschutz. Wir haben erlebt, was es für parlamentarische Debatten bedeutet, wenn es solche Regelungen in Staatsverträgen mit der Evangelischen Kirche gibt. Am letzten Dienstag im Datenschutzausschuss ging es um die Frage der Änderung

Einen Entwurf eines solchen Staatsvertrages auf den Tisch zu legen und jetzt eine einjährige öffentliche Debatte in Berlin zu fordern, auch eine Debatte zwischen den verschiedenen Kirchen und Religionsgemeinschaften zur Selbstidentifikation ihrer Rolle, zur Selbstfindung ihrer Rolle auch im Verhältnis zueinander, das wäre der adäquate Weg für einen solchen Vertrag gewesen. Es kann sein, dass am Ende eines solchen Diskussionsprozesses einzelne Punkte, die wir jetzt kritisieren, konsensual in der Gesellschaft akzeptiert worden wären – andere nicht – , aber es wäre eine Debatte über die zukünftige Rolle von Kirche in der Gesellschaft gewesen und kein Geheimver

trag. Das schadet letztlich beiden Seiten. Wir müssen Kirchen als Institution und Religion in dieser Gesellschaft schätzen. Sie spielen eine wichtige Rolle für die gesellschaftspolitische Debatte und Entwicklung und haben diese auch in der Vergangenheit gespielt. Ein solcher Umgang miteinander schwächt die Rolle eher als sie zu stärken. Ich finde das schade, weil gerade in der Debatte um Ethik und Moral, wo Kirchen einen hohen Anspruch haben, die Frage der öffentlichen Auseinandersetzung und der öffentlichen Diskussion eine wesentliche ist. Das wurde hier versäumt. Teile unserer Fraktion werden den Vertrag ablehnen. Andere werden sich enthalten. Hintergrund sind im wesentlichen diese Verfahrensfragen, aber auch politische Bindungen, ohne parlamentarische Debatte und ohne das Recht, diese jemals wieder zu verändern.

Danke schön, Herr Kollege Schruoffeneger! – Das Wort für die Fraktion der SPD hat nunmehr die Kollegin Frau Dr. Fugmann-Heesing. – Bitte schön!

Herr Kollege Schruoffeneger! Sie haben weit ausgeholt und angemahnt – das haben Sie auch schon vor zwei Wochen im Kulturausschuss getan –, dass man im Zusammenhang mit den Verhandlungen über den Staatsvertrag eine offene Diskussion über die Rolle der Kirchen in dieser Gesellschaft führen müsste. Mich hat nur gewundert, warum Sie dieses nicht getan haben. Wir haben vor drei Monaten das erste Mal im Abgeordnetenhaus über diesen Staatskirchenvertrag gesprochen. Sie hätten alle Möglichkeiten gehabt, diese Debatte zu führen, aber Sie haben dazu weder in der Diskussion im Abgeordnetenhaus noch in der Diskussion im Kulturausschuss etwas gesagt. Inhaltlich ist von Ihrer Seite keine Aussage dazu getroffen worden.

des Meldegesetzes. Es wurde nicht etwa inhaltlich diskutiert, ob es für das Land Berlin sinnvoll ist, sondern es war klar, dass es einen Kirchenstaatsvertrag gibt, der etwas anderes vorsieht. Damit war die eigentlich fachpolitisch notwendige Diskussion um Datenschutzfragen vom Tisch.

Wir haben die Eingriffe und Festlegungen im Hochschulrahmen, in den Hochschulverträgen, die durch die Festlegung einer Professorenzahl in einem bestimmten Fach ebenfalls gebunden sind. Wir haben Haushaltsförderungen in einem Staatsvertrag für einen Bach-Chor, für die kirchenmusikalische Ausbildung, für die Erwachsenenbildung festgeschrieben. Das alles ist ohne Haushaltsvorbehalt geschehen. Nun kann man sich fragen, ob das nicht Kleinkram ist. Das ist es aber nicht, weil es grundsätzlich um das Verhältnis von Parlament, von politischen Entscheidungsfreiheiten und Bindungen, die man eingeht, geht. Wenn man so etwas machen will, dann muss man zumindest eine breite öffentliche, transparente Diskussion führen. Das ist es, was wir an diesem Verfahren kritisieren.

[Beifall bei den Grünen]

Gerade wenn Staat und Kirche einen solchen Vertrag abschließen wollen, ist eine gesellschaftliche Auseinandersetzung vonnöten, in der offen die Rolle von Kirche und Religion in einer sich wandelnden Gesellschaft, die Rolle von Religion geklärt wird, wie in Berlin damit umgegangen wird, dass wir nicht mehr die Situation aus dem Jahr 1803 haben, wo es den Kirchenstaatsvertrag in ähnlicher Form zum ersten Mal mit zwei großen Kirchen gab. Wir haben jetzt eine multikulturelle Stadt mit vielen verschiedenen Glaubensrichtungen, mit einer großen evangelischen, mit einer kleineren Katholischen Kirche, mit einer relativen Zersplitterung in anderen Religionsbereichen. Damit muss man sich auseinandersetzen. Man muss dann auch definieren, was wir machen, wenn andere Religionsgemeinschaften darauf hinweisen, eine ähnlich wichtige Rolle in der Gesellschaft zu spielen und ähnliche Rechte und Pflichten übernehmen wollen. All das hat nicht stattgefunden. Man hat hier hinter verschlossener Tür, auch ohne das Parlament – wir sind erst sehr spät eingebunden worden – Regelungen ausverhandelt und sie der Öffentlichkeit später präsentiert und Unterschrift verlangt. Das wird dem Wandlungsprozess in der Gesellschaft nicht mehr gerecht.

[Beifall bei den Grünen]

[Beifall bei den Grünen]

Ich habe mich gefragt, warum ich hier heute überhaupt noch reden soll. Wir haben die Diskussion bereits vor drei Monaten geführt, wir haben sie vor zwei Wochen im Ausschuss geführt, warum also heute noch einmal zu diesem Thema reden? Ich habe auch ein gewisses Verständnis dafür, wenn Sie als Oppositionsfraktion jetzt vor der Sommerpause noch einmal das eine oder andere Thema hochziehen wollen. Aber ich glaube, der letzte Satz, den Sie eben gesagt haben, ist die eigentliche Begründung dafür, dass wir heute noch einmal über dieses Thema im Plenum sprechen müssen. Denn Sie können sich in Ihrer Fraktion nicht einigen.

[Beifall bei der SPD – [Beifall der Abgn. Frau Seelig (Linkspartei.PDS) und Frau Senftleben (FDP)]

Sie können sich in Ihrer Fraktion nicht verständigen, wie Sie zu dieser Thematik stehen. Das tut mir Leid für Sie, aber von einer Partei, die am 17. September antritt und Regierungspartei werden will, erwarte ich allerdings, dass es in einer solch zentralen Frage eine einheitliche Position gibt. Die kann ich aber bis heute nicht erkennen.

[Beifall bei der SPD]

)

Sie sollten sich gar nicht so erhitzen! – Ich habe im Ausschuss die Frage gestellt, wieso fällt Ihnen das erst jetzt ein? Diese melderechtlichen Bestimmungen haben wir schon über Jahre und Jahrzehnte gehabt. Es hat aber auch von Ihnen nie einen Vorstoß gegeben, diese melderechtlichen Bestimmungen zu verändern.

Nein! – Das Thema Haushaltsvorbehalt haben wir auch in anderen Verträgen, die dieses Land abschließt. Das Thema Kündigungsmöglichkeiten: Wir schließen einen Vertrag über einen bestimmten Zeitraum

Mich wundert, dass ich Ihre Beiträge gar nicht hätte hören müssen, ich hätte nur das zur Hand nehmen müssen, was alle Abgeordneten von der Humanistischen Union geschickt bekommen haben. Denn der Text dieses Briefes ist 1:1 das, was Sie hier als Kritik vortragen.

(D

Da hätte ich von Ihnen ein bisschen mehr und eigenen Einsatz erwartet. Den hat es leider nicht gegeben. Die ganz überwiegende Mehrheit dieses Hauses wird dem Vertrag zustimmen. Sie müssen sich dann eben so verhalten, wie Sie sich verhalten wollen, überzeugend ist es nicht.

Die ganze Debatte wird heute also nur geführt, weil Sie noch ein Stück Selbstvergewisserung und für Ihre Position ein wenig Entschuldigung brauchen.

Ich will es noch einmal kurz darlegen: Es hat viele kritische Fragen gegeben. Die eine Fraktion hat den einen Punkt, die andere den anderen Punkt angesprochen. Keine hat gesagt, in allen Punkten finden wir alles richtig, was da geregelt wird. Aber wir reden über einen Staatskirchenvertrag, und wir haben die Abwägung zu treffen, ob wir zu diesem Vertrag Ja oder Nein sagen.

[Zurufe der Abgn. Frau Oesterheld (Grüne) und Frau Ströver (Grüne)]

Ein Nein ist nur dann zu rechtfertigen, wenn die Bedenken, die man gegen diesen Vertrag hat, in der Summe so schwer wiegend sind, dass man – –

[Frau Ströver (Grüne): Haben wir!]

Dann begründen Sie, was in der Summe so schwer wiegend ist! Einige von Ihnen scheinen da auch anderer Auffassung zu sein, wir werden es gleich in der Abstimmung sehen.

[Eßer (Grüne): Es will gar nicht mehr in die Welt passen!]

Sie haben all die Punkte, die Sie heute hier angesprochen haben, bereits im Kulturausschuss angesprochen.

[Zuruf der Frau Abg. Ströver (Grüne)]

Sie haben sie dort zum Teil als Fragen formuliert. Auf diese Fragen haben sie eine Antwort bekommen. Sie haben selbst im Ausschuss gesagt, die Diskussion in Ihrer Fraktion sei noch offen, und wenn Sie Antworten bekämen, könne es auch sein, dass Ihre Fraktion zustimme.

[Frau Ströver (Grüne): Das haben wir so nie gesagt!]

Dann scheinen Sie entweder die Antworten nicht haben wahrnehmen wollen oder die Antworten haben Sie nicht überzeugt. – Letzteres ist Ihr gutes Recht, man muss Antworten nicht annehmen, wenn man sie bekommt, aber überzeugend für die anderen ist es nicht. – Alle anderen Fraktionen haben gesagt: Wir stimmen diesem Vertrag zu, weil wir in der Abwägung, die ich eben geschildert habe, der Überzeugung sind, dass die überwiegenden Gründe für diesen Vertrag sprechen.

[Eßer (Grüne): Jetzt sagen Sie doch einmal welche!]

Diese überwiegenden Gründe – da kann ich Sie nur auf das verweisen, was ich bereits vor drei Monaten hier im Abgeordnetenhaus gesagt habe – sind, dass wir eine Planungssicherheit bekommen,

[Frau Oesterheld (Grüne): Wer „wir“?]

klare Regelungen, die Verlässlichkeit bedeuten. Und die Punkte, die Sie angesprochen haben: Melderecht, Datenschutz, sind alles Punkte gewesen, die es früher auch schon gab. Sie sind melderechtlich geregelt.

[Zuruf der Frau Abg. Oesterheld (Grüne)]

[Ratzmann (Grüne): Doch! Im Rechtsausschuss!]

[Ratzmann (Grüne): Begrenzten Zeitraum? Welchen denn?]

und danach muss man sich verständigen, wie dieser Vertrag fortgesetzt wird. Die Punkte, die Sie angesprochen haben, sind im Ausschuss beantwortet worden.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Das haben wir gar nicht bekommen!]

[Beifall bei der SPD – Frau Ströver (Grüne): Erst einmal einen inhaltlichen Beitrag bringen, wofür dieser Staatsvertrag gut ist!]

Schönen Dank, Frau Dr. Fugmann-Heesing! – Nun ist der Kollege Ratzmann für eine Kurzintervention an der Reihe. – Bitte schön, Herr Ratzmann!

[Gaebler (SPD): Jetzt hören wir, was die grüne Fraktion denkt!]

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist in der Tat eine schwierige Frage, Herr Gaebler. Das gebe ich Ihnen auch gerne zu, Frau Fugmann-Heesing. Ich glaube, wir haben das bei uns in der Fraktion sehr sorgfältig diskutiert. Für mich ist das immer noch eine Frage des Selbstverständnisses dieses Parlaments, wie weit man sich mit einem Vertrag in seiner legislativen Ausübung hier bindet. Ich habe es am letzten Dienstag im Datenschutzausschuss am eigenen Leib erfahren. Wir haben einen Antrag gestellt, genau diese kritische Passage aus dem Meldegesetz zu nehmen, die jetzt wieder in der Novellierung des Meldegesetzes zum Tragen kommen wird, dass die Kirche automatisch Daten von Familienangehörigen bekommt, die nicht mit in der selben Religionsgemeinschaft sind. Auf meine Fra

Danke schön, Herr Kollege Ratzmann! – Ich hätte das sonst am Ende des Tagesordnungspunkts gesagt, aber es trifft zu: Der Kollege Lorenz hat gegen das Betriebe-Gesetz gestimmt. Frau Dr. Klotz wollte mich wohl durch Zuruf darauf aufmerksam machen, was hier aber nicht ankam. Ich bitte, dieses Versehen entschuldigen zu wollen. Ich hätte es sowieso nachgetragen.

Frau Fugmann-Heesing hat das Wort zur Replik. – Bitte!

Ich halte erst einmal fest, es gibt keine Fraktionsposition der Grünen. Das kann man ja auch positiv sehen. Es sind wenigstens einige von Ihnen, die diesem Vertrag zustimmen wollen.

ge bzw. auf unseren Antrag, ob das im Inhalt heute nicht – datenschutzrechtlich im Übrigen stark von unserem Datenschutzbeauftragten kritisiert – zumindest gemindert werden kann, wurde uns gesagt: Nein, das geht nicht, weil in der Diskussion um diesen Kirchenstaatsvertrag die Vereinbarungen mit der Kirche so getroffen worden sind, dass wir in eine Kollision kommen würden.