Protokoll der Sitzung vom 29.06.2006

d) Beschlussempfehlung

Jugendfreizeitstätten in freie Trägerschaft überführen!

Beschlussempfehlung JugFamSchulSport Drs 15/5236 Antrag der FDP Drs 15/4863

e) Beschlussempfehlungen

Jugendämter personell nicht ausbluten lassen

Beschlussempfehlungen JugFamSchulSport und Haupt Drs 15/5237 Antrag der CDU Drs 15/5029

f) Beschlussempfehlungen

Dauerhafte Planungssicherheit für die Jugend- und Jugendverbandsarbeit in Berlin gewährleisten

Beschlussempfehlungen JugFamSchulSport und Haupt Drs 15/5257 Antrag der CDU Drs 15/1801

g) Beschlussempfehlungen

Trägervielfalt im Land Berlin sicherstellen

Beschlussempfehlungen JugFamSchulSport und Haupt Drs 15/5258 Antrag der CDU Drs 15/284

h) Beschlussempfehlungen

Engagement Jugendlicher stärken - Zuwendungen sichern

Beschlussempfehlungen JugFamSchulSport und Haupt Drs 15/5260 Antrag der Grünen Drs 15/1313

Für die gemeinsame Beratung steht den Fraktionen eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der CDU. Es spricht der Kollege Steuer. – Bitte schön, Herr Steuer! Sie haben das Wort!

Der Senat hat die Herausforderung der sozialen Entwicklung Berlins ganz klar nicht erkannt. Während immer mehr Kinder in prekären Verhältnissen leben, immer mehr Kinder Eltern ohne Erziehungskompetenz ausgesetzt sind, immer mehr Kinder schädliche oder zu wenig Nahrung erhalten, zieht sich das Land Berlin mehr und mehr aus seiner Verantwortung zurück. Zu Beginn der Legislaturperiode haben Sie die Jugendeinrichtungen geschlossen, die keinen überregionalen Charakter hatten. Sie haben dann munter so weiter gemacht, die Bezirkshaushalte zusammengekürzt, so dass in den letzten fünf Jahren insgesamt über 100 Jugendeinrichtungen in Berlin geschlossen wurden. So sieht es aus, wenn SPD und Linkspartei.PDS der Jugend- und Bildungspolitik in dieser Stadt Priorität einräumen.

Wir haben immer wieder Standards angemahnt. Wir haben immer wieder gemahnt, dass der Senat in der Pflicht ist, deutlich zu machen, in welchen Bereichen Jugendpolitik wichtig oder sogar unabdingbar ist und in welchen nicht. Aber die absolute Gleichgültigkeit des Jugendsenators gegenüber der Schließung von über 100 präventiv arbeitenden Jugendeinrichtungen ist ungeheuerlich. Sie ist vor allem ungeheuerlich, da er gleichzeitig die

Tagesordnungspunkt ist der Jugendfreizeitstättenbericht. Ich habe mich gefreut, dass er auch so auf die Tagesordnung gekommen ist. Es ist wichtig, darüber zu sprechen, und in dieser Situation der Haushaltsnotlage ist es für das Land Berlin und auch für die Bezirke sehr schwierig, das Niveau zu halten, wie wir es in Berlin gewohnt waren. Sie haben gesagt, es habe Schließungen gegeben. Es hat Schließungen gegeben, ja. Sie haben aber nichts von dem demographischen Rückgang von Jugendlichen gesagt. Die Schließungen der Jugendfreizeit-einrichtungen waren parallel zum demographischen Rückgang.

Wenn Sie sich den Jugendfreizeitstättenbericht einmal angesehen hätten – ich gehe davon aus, dass Sie es nicht getan haben –, dann hätten Sie gesehen, dass der Ausstattungsgrad gleich geblieben ist. Er hat sich in den letzten Jahren nicht verändert. Das war möglich, weil die Anzahl der Jugendlichen zurückgegangen ist. Ich will hier nichts beschönigen: Wir sind im Land Berlin noch ein ganzes Stück von dem eigentlichen Richtwert, von unserem Ziel von 11,4 % entfernt. Das soll unsere Vision sein, dass wir das einmal erreichen können. Aber für die Kinder und Jugendlichen bei den Jugendfreizeitstätten hat sich durch die Schließung nichts verschlechtert.

nachgelagerte Jugendhilfe, also die Hilfen zur Erziehung, so brutal gekürzt hat, wie kein anderer Haushaltstitel gekürzt wurde. Um sage und schreibe 40 Prozent hat RotRot die Jugendhilfe gekürzt. 8 000 Kindern und Jugendlichen, denen bisher in ihrer Familie oder in ihrem Heim geholfen wurde, wird jetzt nicht mehr geholfen. Auch wenn Berlin hier früher deutlich mehr ausgegeben hat als alle anderen Bundesländer, ist dieses Zusammenstreichen mit der Brechstange ein Skandal.

[Beifall bei der CDU]

Jugendämter geben zu, dass fachlich anerkannte Hilfen nicht mehr gewährt werden.

Prominentestes Opfer dieser Sparorgie ist das Jugendaufbauwerk. Nur wegen der Größe und Schwerfälligkeit der Struktur führen die Einsparungen hier zur Zwangsauflösung, aber man muss gleichzeitig wissen, wie viele kleinere Einrichtungen schließen mussten und Kinder nicht mehr aufnehmen konnten, von denen wir nichts gehört haben. Wir wollen Engagement im Jugendbereich. Wir wollen Subsidiarität und kleine Träger, Elternvereine und ehrenamtliches Engagement. Ohne dieses Engagement geht es nicht.

Als hätte es zum Ende der Legislaturperiode noch eines abschließenden Beweises bedurft, dass Jugendpolitik bei SPD und PDS ganz wenig Priorität besitzt, stimmen Sie heute auch gegen mehr Beteiligung und demokratische Teilhabe von Jugendlichen. Sie ignorieren den Beschluss des EU-Ministerrats und des nationalen Aktionsplans der rot-grünen Bundesregierung und stimmen gegen unseren Antrag zur Einrichtung eines Landesjugendparlaments. Es gibt dafür und für Ihre Ablehnung der anderen ein Dutzend Anträge nur eine Erklärung: Sie haben Angst davor, dass Ihnen die Berliner Jugendlichen sagen, was sie von Ihrer Politik halten, nämlich nichts.

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Kollege Steuer! – Für die Fraktion der SPD hat nunmehr Frau Müller das Wort. – Bitte schön, Frau Müller!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob dieser tosende Beifall von der CDU schon mir gegolten hat.

[Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS – Hoffmann (CDU): Nur, wenn Sie sich wieder hinsetzen!]

Es gibt hier einiges richtig zu stellen. Ich versuche, das in der Kürze der Zeit hinzubekommen.

Herr Steuer! Einmal ganz ehrlich: Irgendwie entsteht der Eindruck, dass wir beide auf unterschiedlichen Veranstaltungen waren und dass Sie die Materialien, die Realitäten nie richtig zur Kenntnis genommen haben. Vielleicht nehmen Sie einmal irgendwo Nachhilfe in Richtung Jugendhilfe. Das könnte ganz gut tun. Das, was Sie wie

der von sich gegeben haben, könnte ein Außenstehender möglicherweise auch noch glauben.

[Och! von der CDU]

[Braun (CDU): Ein dummes Zeug!]

Wollen wir uns die Zahlen ansehen, Herr Braun? Im Rechnen müssten Sie schon einiges hintun, um es mit mir aufnehmen zu können. –

[Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Herr Steuer fing wieder mit den beliebten Themen „Hilfen zur Erziehung“ und „JAW“ an. Da können einem fast die Tränen kommen, wenn man das hört. Zeigen Sie mir doch einmal die Kinder, die jetzt auf der Straße sind, die unter Brücken schlafen oder sonst etwas, weil das JAW umstrukturiert wurde und in eine andere Trägerschaft überführt wurde. Es ist gesichert, und das haben auch meine permanenten Nachfragen und mein permanenter Kontakt zum JAW ergeben, dass alle Jugendlichen fachgerecht weiter versorgt werden, wenn es notwendig ist auch weiter in den Heimen. Sie bleiben in denselben Heimen, da steht nur nicht mehr JAW darüber, sondern Diakonie oder Paritätischer Wohlfahrtsverband. Auch wenn Sie den Kopf schütteln, Herr Braun, vielleicht können wir uns das eine oder andere Heim einmal ansehen. Ich bin immer sehr dafür und freue mich, wenn Kollegen Interesse an der Jugendhilfe haben.

Das Gleiche bei HzE, das hatten wir immer bei den Haushaltsberatungen im Gespräch. Es besteht der Rechtsanspruch auf Hilfen zur Erziehung, und Kindern und Jugendlichen, die Bedarf an Hilfen zur Erziehung haben, wird dieser Bedarf gewährt. Auch hier steht kein Kind auf

Die Angebote und Projekte für Jugendliche in dieser Stadt werden immer weniger. Damit meine ich nicht die hochspezialisierten Hilfen für Problemkids – die werden auch weniger, das wissen wir –, sondern die Projekte für Jugendliche, die in ihrer Freizeit in Projekten und Verbänden aktiv sind. Es geht um Jugendclubs und Verbände, in denen die Jugendlichen aktiv sind. Jugendarbeit ist keine freiwillige Leistung, so wie es der Finanzsenator formuliert, und damit meint er: entbehrlich. Jugendarbeit ist

Bildung. Es kommt nicht von ungefähr, dass ein Mehr an sozialem Engagement auch mit besserer Schulleistungen bei Jugendlichen einhergeht. Denn wenn Neugier und Interesse an der Welt angeregt werden, wenn Selbstständigkeit gefördert und engagiert diskutiert wird, dann kommt das den Jugendlichen, ihren Schulleistungen und damit uns allen zu Gute. 70 % der Bildung wird im Rahmen von informeller Bildung, also außerhalb von Schule erworben. Kinder und Jugendliche brauchen deshalb außerhalb der Schule vielfältige Angebote, in denen sie soziale Kompetenzen, Demokratie, Umgang miteinander und vieles mehr erwerben und erlernen können.

Doch die Jugendpolitik des rot-roten Senats ist konzeptionslos, die Zeiten, in denen alle nach Berlin geschaut haben, weil die Szene bunt, vielfältig und aufregend war, sind längst vorbei. Durch den finanziellen Druck verschärft sich die Situation wie überall. Die Bezirke, die hauptsächlich Jugendarbeit finanzieren, haben früher noch zu Gunsten der Jugendprojekte umgeschichtet. Das ist jetzt nicht mehr möglich. Immer mehr Projekte fallen aus der Finanzierung heraus. Eine neue Finanzierung ist noch lange nicht in Sicht.

Damit Jugendarbeit und Jugendprojekte nicht in der Versenkung verschwinden, muss der Senat – und ich sage der nächste Senat, weil es dieser sicher nicht mehr anpacken wird – sich dazu bekennen, dass Jugendarbeit ein wichtiger Teil der Berliner Bildungspolitik ist. Das bedeutet für mich insbesondere, die Zusammenarbeit mit der Schule zu verstärken und zu verbessern, die vielen guten Angebote der Jugendarbeit für die Bildungspolitik nutzbar zu machen. Die musisch-kulturelle Jugendbildung, die aufsuchende Jugendarbeit und die Jugendverbandsarbeit müssen für die Jugendlichen nutzbar gemacht werden.

der Straße. Es wird keinem Kind die Hilfe zur Erziehung verweigert.

Eine andere interessante Diskussion ist das Verhältnis der Bezirke zu den Einrichtungen der Jugendhilfe. Habe ich Sie richtig verstanden, Herr Steuer, dass Sie die Eigenständigkeit der Bezirke wieder einschränken wollen?

[Steuer (CDU): Nein, niemals!]

Sie hatten doch gesagt, der Senat solle Vorgaben machen. Lassen Sie das einmal die Bezirke hören! Da haben Sie in Neukölln eine gute Diskussionsgrundlage, wenn Sie sagen, das Land Berlin macht die Vorgaben und sagt den Bezirken, was sie für die Jugendarbeit ausgeben sollen und was nicht. Das wäre eine interessante Diskussion, die ich auch schon des Öfteren gehört habe.

Natürlich ist bei dieser prekären Situation im Land Berlin vieles nicht so, wie wir uns das vorstellen. Deswegen haben wir auch gemeinsam den Antrag mit dem Titel „Jugendämter personell nicht ausbluten lassen“ beschlossen. Wir haben eine Version des Antrags gefunden, die fraktionsübergreifend Bestätigung gefunden hat. Ich bin mir sicher, dass wir an dieser Stelle gemeinsam weiterarbeiten können und werden. Hier gibt es noch eine ganze Menge im Sinne der Jugendlichen zu tun. Und wenn wir die Koalitionsvereinbarung durchgehen, sehen wir: Es ist umgesetzt worden, dass wir nicht an der Jugend, sondern für die Jugend gespart haben. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Danke schön, Frau Kollegin Müller! – Für Bündnis 90/Die Grünen hat nunmehr Frau Pop das Wort. – Bitte schön, Frau Pop!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema Jugendarbeit ist bekanntermaßen ein Stiefkind der Berliner Jugendpolitik, selten finden Debatten dazu statt. Die großen Umwälzungen und Reformen fanden und finden im Kitabereich und bei den Hilfen zur Erziehung statt. Der dritte Bereich der Jugendpolitik, die Jugendarbeit, ist vor allem unter Rot-Rot zum Wurmfortsatz des Bildungssystems verkommen. Klammheimlich sind 100 Freizeitstätten und Projekte in den letzten Jahren geschlossen worden. Und wenn Sie mir, Frau Müller, erzählen, dass das etwas mit dem demographischen Wandel zu tun hat, dann kann ich Ihnen nur sagen: Nur weil die Jugendlichen weniger werden, müssen wir nicht zwingend Freizeitstätten schließen.

[Beifall bei den Grünen]