Protokoll der Sitzung vom 26.10.2006

Der Weiterbau der U 5 wird aufgeschoben. Hierüber werden wir mit dem Bund verhandeln müssen. Grunderwerbssteuer und Grundsteuer werden maßvoll erhöht. Bei der Gewerbesteuer – Herr Lindner, das haben uns im Übrigen auch die Karlsruher Richter nahegelegt – –

[Dr. Martin Lindner (FDP): Ich komme darauf!]

Sie kommen bestimmt darauf und werden es für falsch halten, was uns die Karlsruher Richter nahegelegt haben. Und da haben Sie recht. Wir haben das abgewogen, ob die Gewerbesteuererhöhung sinnvoll ist oder eher dem Wirtschaftsstandort schadet.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Gegen den Wirtschaftssenator!]

Wir wissen alle, dass die Faktoren bei der Gewerbesteuer nicht allein den Ausschlag geben. Aber psychologisch wäre es bei Neuansiedlungen ein Argument unserer Standortkonkurrenten gegen den Standort Berlin, wenn wir dieses Signal setzen würden. Deshalb haben wir in dieser Verantwortung gesagt: Die Gewerbesteuer wird nicht erhöht. – Dazu stehen wir genauso wie zu einer Politik gegen einen Kahlschlag im sozialen Bereich.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Abwägen mussten wir auch die Hinweise zur Vermögensaktivierung bzw. zum Verkauf von Landesvermögen.

[Mario Czaja (CDU): Hört, hört!]

Wir haben beschlossen, über den Verkauf der Gewerbesiedlungsgesellschaft ernsthaft zu reden und Entscheidungen zu treffen.

[Zuruf von Joachim Eßer (Grüne) – Weitere Zurufe]

Ja, darüber zu reden, und zwar aus einem einfachen Grund: Es nutzt uns nichts, wenn die IBB die Gewerbesiedlungsgesellschaft verkauft und dabei für den Landeshaushalt nichts herauskommt. Dann macht das keinen Sinn, und deshalb müssen die Dinge vorher geklärt werden. Wir werden also den Vorschlag gewissenhaft prüfen und dann entscheiden.

Hinsichtlich der Wohnungsbaugesellschaften sind sich beide Koalitionspartner einig: Wir haben die GSW in der letzten Legislaturperiode verkauft, jetzt wollen wir den verbleibenden Bestand an städtischen Wohnungen erhalten. Das ist eine klare politische Entscheidung. Das haben wir im Wahlkampf gesagt, und das sagen wir auch jetzt. Dazu stehen wir, und das werden wir auch durchsetzen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Dr. Martin Lindner (FDP): Und Mieterhöhungen! – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP]

Und auch bezüglich der anderen Felder öffentlicher Daseinsvorsorge gehen wir mit einer klaren Ansage in die neue Koalition: Die Wasserversorgung, die Gesundheits

versorgung, die Stadtreinigung und den öffentlichen Personennahverkehr sicherzustellen, das bleibt eine originäre Aufgabe der öffentlichen Hand. Auch da gehen wir nicht den Weg des Kahlschlags. Wir sagen nicht, dass es nur um der Ideologie willen eine Privatisierung um jeden Preis geben soll, sondern wir wollen, dass in dieser Stadt ein Einfluss der Politik auf die Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge da ist – im Interesse der sozialen Gerechtigkeit. Deshalb halten wir unser Eigentum an diesen Unternehmen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Zurufe von den Grünen und der FDP]

Das Verfassungsgericht verneint die Notwendigkeit einer Sanierungshilfe für Berlin, und doch bleibt die Frage, der sich niemand entziehen kann: Was ist der Republik die Hauptstadt wert, und was für eine Hauptstadt will sie sich leisten?

[Zuruf von Michael Schäfer (Grüne)]

Wir werden in den nächsten Wochen detailliert klären müssen, auf welchen Feldern der Bund und die anderen Länder Berliner Leistungen in Anspruch nehmen, ohne dafür eine Gegenleistung bzw. die volle Gegenleistung zu erbringen. Berlin gibt 106 Millionen € pro Jahr für die Sicherheit der Hauptstadt aus und bekommt vom Bund dafür nur 38 Millionen € erstattet: Wenn es bei uns nach knallharten Businessprinzipien gehen soll, dann muss hier eben die Rechnung gestellt werden. Wir haben auch in dem Bereich nichts zu verschenken. Wer uns Verschwendung vorwirft, muss auf der anderen Seite auch sicher sein, dass in Rechnung gestellt wird, wo Berlin für andere Leistungen erbringt.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Berlin geht nicht nur alle etwas an, sondern Berlin hat der Republik auch eine Menge zu bieten. Das ist inzwischen Gemeingut und wird durch die neue Hauptstadtklausel im Grundgesetz anerkannt. Jetzt wird es darum gehen, die Klausel mit Leben zu erfüllen und die zusätzlichen Hauptstadtkosten auf eine solide, auskömmliche Basis zu stellen.

Ich sage auch hierzu ausdrücklich – und Herr Pflüger als ehemaliges Mitglied der Bundesregierung weiß das ganz genau –: Es wird nicht leicht sein – egal, bei welcher der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien –, dafür eine Sensibilisierung zu erreichen. Es wird unsere gemeinsame Aufgabe sein: Es wird die Aufgabe aller Parteien dieses Hauses sein, bei ihren Bundesparteien dafür zu werben, dass die Mehrkosten, die durch die Hauptstadtfunktion bedingt sind, auch erstattet werden.

Ein Hinweis: Bonn hat jahrelang Subventionen bekommen, ohne dass einer mit der Wimper gezuckt hat. Wenn Berlin etwas bekommen soll – das weniger ist, als jene Subventionen –, wird das grundsätzlich infrage gestellt. Auch dieses Bewusstsein muss sich verändern.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Beifall von Frank Henkel (CDU) – Zuruf von Franziska Eichstädt-Bohlig (Grüne)]

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zeigt wieder einmal mit aller Schärfe, dass die eigentliche Reform des deutschen Föderalismus noch aussteht. Wir haben die Föderalismusdebatte I hinter uns gebracht. Für einige war das zu wenig, für andere war das schon wieder zu viel, was dort vereinbart worden ist. Sie muss allerdings auch mit der neuen Gegenrichtung bei Vorstößen der Geberländer rechnen, wenn eine Diskussion über einen neuen Finanzausgleich geführt wird.

Denn das Urteil zeigt: Allen Ländern, die finanziell nicht gut dastehen, weht inzwischen ein rauer Wind ins Gesicht. Das betrifft nicht nur Berlin. Es wird daher nicht nur um die Verlagerung von Zuständigkeiten und die Vereinfachung des Systems gehen können, sondern um den Grundsatz der Gerechtigkeit, um den Zusammenhalt in der Republik und darum, dass die Gleichheit der Lebensbedingungen auch in Zukunft Maßstab einer vernünftigen, modernen bundesstaatlichen Ordnung ist. Deshalb setzen wir uns im Rahmen der Föderalismusreform II für ein solidarisches System ein, in dem auch mit den schwächeren Gliedern des Bundesstaates fair umgegangen wird. Einen hemmungslosen Wettbewerbsföderalismus werden wir nicht unterstützen. Der ist mit uns nicht zu machen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Dr. Martin Lindner (FDP): Alles nicht – nicht, nicht, nicht!]

Ich habe mich schon gewundert, dass gerade die neuen Länder infolge des Karlsruher Urteils nicht begriffen haben, in welcher Lage sie sich selber befinden, wenn die Solidarpaktmittel bis 2019 kontinuierlich abgebaut werden. Ich habe mich auch gewundert, dass die Vertreter des Landes Brandenburg zehn Minuten nach der Urteilsverkündung sofort den Gedanken der Fusion aufgegeben haben. Dies halte ich nach wie vor für falsch. Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass ein gemeinsames Land besser wäre, und zwar nicht nur für die Entwicklung Berlins, sondern auch die der gesamten Republik.

[Beifall aller Fraktionen]

Wir haben in den letzten Jahren viel bewegt, um Berlin auf eigene Füße zu stellen: Mit der Sanierung der öffentlichen Unternehmen, mit der Effektivierung unserer Wirtschaftsförderung, mit der Ausrichtung unserer Forschungs- und Technologiepolitik auf die Zukunftsfelder der Stadt, mit der Reform der Hochschulmedizin und unseres Bildungswesens! – Wir werden alles tun, damit in den nächsten Jahren die Saat unserer Strukturveränderungen aufgeht, damit aus Wissen und Kreativität noch mehr Arbeit wird. Das sind die wichtigsten Rohstoffe, über die Berlin verfügt.

Das Bundesverfassungsgericht hat in unserem Staatsaufbau eine wichtige Rolle. Es hat diese Rolle wahrgenommen, in diesem Fall gegen Berlin. Die SPD und ich als Regierender Bürgermeister haben von den Bürgerinnen

und Bürgern am 17. September den Regierungsauftrag erhalten, um den sozialen Frieden zu bewahren und die Integration in der Stadt zu fördern. Wir sind gewählt worden, um die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Wirtschaftsentwicklung zu schaffen. Und wir sind gewählt worden, um die innere Sicherheit in der Hauptstadt zu gewährleisten. Dieser Wählerauftrag gilt für mich persönlich, und er gilt für die Parteien, die den neuen Senat bilden werden. Diese Verantwortung kann uns niemand abnehmen, und wir werden dieser Verantwortung gerecht werden.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Die Grundlagen sind gelegt. Berlin hat den Mentalitätswechsel geschafft. Die Berlinerinnen und Berliner haben eine enorme Opferbereitschaft gezeigt. Diese enorme gemeinsame Leistung sollte uns alle nicht nur stolz machen, sondern auch mutig. Jetzt geht es darum, den Kurs der Vernunft fortzusetzen. Es geht nicht um eine Abkehr vom Konsolidierungskurs, sondern darum, dass die begonnene Konsolidierung dauerhaft wirkt. Und das schafft man nicht mit kurzfristigem Aktionismus, mit dem überstürzten Verkauf von Vermögen oder mit einem radikalen Kurswechsel.

Ich vertraue auf die Kraft, die in Berlin steckt. Auf die Kreativität, für die Berlin berühmt ist und die uns hilft, mit schwierigen Situationen umzugehen. Auf sie werden wir bauen. Viele Bürgerinnen und Bürger machen sich nach dem Karlsruher Urteil Sorgen und geben uns wichtige Ratschläge. Viele Institutionen, Organisationen und Verbände tun das ebenfalls. Auch über die Stadt hinaus gibt es viele, die wissen, wie wichtig eine Hauptstadt ist, die auf das ganze Land ausstrahlt. Und es gibt auch viele, die sich sehr wohl bewusst sind, was wir in Berlin in den letzten Jahren geleistet haben. Ein Beispiel von heute Morgen: Es war der Staatspräsident der Republik Benin da und parallel eine Besuchergruppe eines Bundestagsabgeordneten aus Warendorf. Beide Gruppen waren von dieser Stadt begeistert und haben sich faszinieren lassen. Das ist auch die Wahrheit. Neben der Häme und der Abgrenzung gibt es Menschen im In- und Ausland, die auf Berlin bauen und stolz darauf sind, dass Deutschland diese Hauptstadt hat.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Ich danke allen, die nach diesem schweren Urteil in Solidarität zu uns gestanden haben. Ich bedanke mich auch bei denen, die sich im Wege eines bürgerschaftlichen Engagements in die Debatten einbringen wollen. Nicht alle Ratschläge können befolgt werden. Sie müssen abgewogen werden. Wir werden alle Ratschläge prüfen und in den Dialog mit denen eintreten, die glauben, gute Rezepte für die Weiterentwicklung dieser Stadt zu haben. Wir sind nicht der Meinung, wir könnten alles allein oder besser, aber die politische Abwägung muss eine Regierung bzw. ein Parlament treffen. Darum kommen wir nicht umhin. Wir haben diese Abwägung getroffen und werden sie für die nächste Legislaturperiode in der Koalitionsvereinbarung festlegen. Wir legen ein deutliches Bekenntnis zu sozialer Gerechtigkeit und Zukunftsinvestitionen in Kitas,

Bildung, Hochschulen und Ausbildung für eine Generationengerechtigkeit in Berlin, der Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland, ab.

Ich bitte Sie um ihre Unterstützung für die Zukunft Berlins. Ich bin sicher, dass Berlin auch diese Krise bewältigen wird. Wir haben allen Grund, auf das stolz zu sein, was wir aus eigener Kraft geschaffen haben. Ich bin sicher: Berlin wird es schaffen!

[Anhaltender Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Danke schön, Herr Regierender Bürgermeister! – Wir kommen jetzt zur Aussprache mit einer Redezeit von 30 Minuten, die sich an der Redezeit des Regierenden Bürgermeisters orientiert. Die Beratung kann in freier Zeitaufteilung in maximal zwei Redebeiträgen erfolgen. Jetzt spricht der Vorsitzende der CDU-Fraktion. – Bitte schön, Herr Pflüger!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Heute halte ich meine Jungfernrede hier im Abgeordnetenhaus. Ich habe in der letzten Woche mein Amt als Staatssekretär der Bundesregierung aufgegeben, um mich ganz auf Berlin zu konzentrieren. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen, auf kontroverse Debatten zum Wohle unserer Hauptstadt und aller Berlinerinnen und Berliner.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den Grünen]

Hermann Hesse sagte: Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. – Ich merke gerade etwas von dem Zauber der Berliner Parteien- und Fraktionslandschaft, auch vom Zauber der eigenen Partei. Es ist ein schönes Gefühl, eine neue Aufgabe hier im Abgeordnetenhaus anzufangen. Ich muss allerdings sagen, Herr Regierender Bürgermeister: Von Ihrer Rede ging heute keine Kraft, sicher kein Zauber aus.

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Das ist schade, denn Berlin ist in einer ungewöhnlich schwierigen Situation. Ich habe keine Vision gehört, keinen Appell: Lasst uns alle zusammenhalten und diese Aufgabe annehmen! Ich habe vielmehr einen Mix aus „Weiter so!“, Trotzreaktion und mangelnder Führung erlebt. Ich glaube, dass Sie heute angesichts der enormen Herausforderung, die das Karlsruher Urteil an uns alle stellt, zu kurzgesprungen sind.

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Zunächst zu den Aspekten, bei denen ich Ihnen und dem Kollegen Lehmann-Brauns mit seiner eindrucksvollen Rede zustimme: Ich finde auch, dass das Urteil die Berliner Sonderlage zu wenig würdigt. Das Gericht sagte, der Bund und die Länder könnten nicht für die Fehler der

Berliner Stadtpolitik einstehen. Das hat aber auch niemand verlangt. Mit unseren Fehlern werden wir alleine fertig, gleich welcher Senat sie begeht. Aber das, was die eigentliche Herausforderung, der Hauptgrund für den Schuldenberg in Höhe von 60 Milliarden € ist, können wir trotz aller Appelle an die eigenen Kräfte der Berliner, die wir gerne mobilisieren wollen, nicht allein schaffen. Das ist nicht unsere Schuld. Es gibt natürlich auch Dinge, die Berliner Parteien gemeinsam falsch gemacht haben, aber im Wesentlichen liegt unsere schwierige Lage an der Tatsache, dass unsere Stadt geteilt war, dass wir Doppelstrukturen übernehmen mussten, dass Berlinförderung und -hilfe nach der Wende zu schnell zurückgeführt wurden. Das hat eine enorme Last für die Stadt gebracht.

Hinzu kommt der Punkt, dass wir damals gesagt haben: Wir müssen es in dieser Stadt möglich machen, gleichen Lohn für gleiche Arbeit in Ost und West zu zahlen. Das war richtig und notwendig. Das verstehen die Leute in Bayern und Baden-Württemberg bis heute nicht. Aber wenn man in einer Stadt wie Berlin lebt, dann geht es eben nicht an, dass der Müllmann aus Kreuzberg, der auf dem gleichen Wagen sitzt wie der aus Friedrichshain, nicht das Gleiche verdient. Es war richtig, diesen Weg zu gehen. Den musste man in Berlin gehen. Das hätte das Gericht sehen müssen.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]