Protokoll der Sitzung vom 24.05.2007

Seit drei Jahren sind die Länder Mittel- und Osteuropas Mitglied in der Europäischen Union. Seit dem 1. Januar diesen Jahres ebenfalls Rumänien und Bulgarien. Alle Länder der Gemeinschaft sind unumstrittener Profiteuer dieser Erweiterung. Für Deutschland heißt dies zum Beispiel, dass seine Exporte in die neuen EU-Länder in den Jahren 2003 bis 2004 von 56,2 auf 64 Milliarden € und die Importe im gleichen Zeitraum von 55 auf 59 Milliarden € gestiegen sind.

Wir besprechen heute den Antrag der FDP „3 Jahre nach der Osterweiterung: Masterplan zum Abbau der Zugangsbeschränkungen für mittel- und osteuropäische Arbeitnehmer!“ Drucksache 16/0506. Kern des Antrages ist die schnellstmögliche Aufhebung der Freizügigkeit für alle Bürger der Europäischen Union. Eine solche unmittelbare und sofortige Aufhebung der Freizügigkeitsbeschränkung für Arbeitnehmer sehen wir mit einer gewissen Skepsis.

Eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit hat sich ausführlich mit den ökonomischen Auswirkungen der EU-Osterweiterung – und dabei insbesondere auch der Frage der Freizügigkeit der europäischen Arbeitnehmer – befasst. Sie hat im Rahmen dieser Studie mit Hilfe eines Simulationsmodells die Effekte der Osterweiterung auf die Produktion, Löhne und Beschäftigung in Deutschland untersucht. Sie kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die Bundesrepublik in hohem Maße von der EU-Erweiterung profitiert und dass diese Erweiterung erheblich zum Wohlstand und Wachstum in der Gemeinschaft beiträgt. Sie kommt aber ebenfalls zu dem Schluss, dass bei einer sofortigen Freizügigkeit auch mit einem geringeren Rückgang der Arbeitslosigkeit zu rechnen sei – verbunden mit sinkenden oder weniger stark steigenden Löhnen in bestimmten Wirtschaftsbereichen. Dies würde insbesondere im Bereich des Niedriglohnsektors zu Spannungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt führen.

Die Bundesregierung unter der Führung unserer Kanzlerin Frau Dr. Merkel hat durch kluge Politik Rahmenbedingungen geschaffen, die den Wirtschaftsmotor in Deutschland wieder in Gang gebracht haben und die Arbeitslosenquote erheblich zurückgehen ließen. Dennoch sind derzeit knapp vier Millionen Menschen in Deutschland ohne Arbeit, davon 271 000 in Berlin. Die Arbeitslosigkeit weiter zu senken muss daher Ziel aller Bemühungen bleiben. Deshalb ist eine Steuerung des Zuzugs von Beschäftigten aus dem Ausland auf absehbare Zeit notwendig.

Außerdem ist es ja nicht so, dass eine kontrollierte und begrenzte Zulassung zum deutschen Arbeitsmarkt nicht möglich wäre. Im vergangenen Jahr 2006 waren – nach Angaben der polnischen Botschaft – beispielsweise ca. 253 000 polnische Staatsbürger in der Bundesrepublik beschäftigt. Dabei wurden im Bereich der Werkverträge, die einer Kontingentierung unterliegen, nur ca. 75 Prozent der Plätze ausgeschöpft, was bedeutet, dass ein größeres Angebot an freien Beschäftigungsstellen bestand, als es Interessenten gab. Auch sind länderübergreifende Dienstleistungen – zeitlich begrenzt – möglich. In den Wirtschaftszweigen Bau, Gebäudereinigung und Innendekoration können Beschäftigte zunächst bis Ende 2008 entsendet werden.

Wir teilen aber die in Ihrer Begründung aufgeführten Maßnahmen für die spätestens 2011 zu erwartende Öffnung des Arbeitsmarktes. Berlin sollte in diesem Zusammenhang seine Standortvorteile nutzen und sich intensiv auf seine angestammte Rolle als Tor zu Mittel- und Osteuropa vorbereiten.

Solange Rot-Rot die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik in dieser Stadt bestimmt, werden wir die Rote Laterne in punkto Wirtschaftsaufschwung nicht abgeben können. Deshalb glauben wir nicht, das der Vorschlag der Kollegen der FDP-Fraktion den Menschen in dieser Stadt helfen kann. Wir sind überzeugt, dass die Bundesregierung die Möglichkeiten, die die Regelungen zur Freizügigkeit eröffnen, mit Augenmaß und richtigen Entscheidungen ausfüllen wird.

Und vergessen wir nicht, dass bei allen Bestreben für eine rasche Integration der EU-Neumitglieder arbeitsmarktpolitische Entscheidungen auch mit Blick auf die jeweils nationalen Entwicklungen getroffen werden müssen.

Die Diskussion um die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist, wie Ihnen bekannt sein dürfte, keine neue. Schon frühzeitig haben wir als Koalition und meine Fraktion im Besonderen unsere Haltung dazu öffentlich deutlich gemacht.

Wirtschaftssenator Wolf hat seine Position zur Frage der Arbeitnehmerfreizügigkeit – wie die FDP im Antrag richtig erwähnt – hier im Plenum, aber auch im Europa- und im Wirtschaftssausschuss bereits mehrfach dargestellt. Die Linke-Fraktion Berlins plädiert von Anfang an dafür,

den Integrationsprozess der Europäischen Union zu vertiefen und die daraus erwachsenden wirtschaftlichen Möglichkeiten für Unternehmen und für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu nutzen. Das gilt sowohl für die mittel- und osteuropäischen Partner, insbesondere Polen, als auch für die deutsche Seite. Polen hat seine Arbeitsmarktbeschränkungen zwischenzeitlich aufgehoben, ein Grund mehr für Deutschland, seine Position zu überdenken, die von unseren Nachbarn als diskriminierend verstanden wird. Wenn Win-Win-Situationen entstehen, wird auch die Akzeptanz des Integrationsprozesses steigen.

Der Senat hat auf Vorschlag von Wirtschaftssenator Wolf im Februar 2006 die Berliner Haltung zur Arbeitnehmerfreizügigkeit mit Blick auf die seinerzeit anstehende Beschlussfassung der Bundesregierung zur deutschen Positionierung gegenüber der Europäischen Kommission festgehalten. Das Land plädierte schon damals für die schnellstmögliche Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Allerdings – und hier scheint mir eine relevante Differenz zur FDP zu bestehen – sollte die Freizügigkeit mit einem geregelten Rahmen versehen werden. Mindeststandards müssen für Beschäftigungsverhältnisse gesichert bleiben.

Deshalb wurden als Kondition für die volle Mobilität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch Mindestlohnregelungen verlangt, um Lohndumping und insgesamt einen Standortwettbewerb nach unten zu verhindern. Ziel war und ist, dass eine als diskriminierend empfundene Ungleichbehandlung polnischer und anderer Arbeitskräfte aus neuen EU-Mitgliedstaaten beseitigt und zugleich ein Rahmen für fairen und sozial gerechten Wettbewerb geschaffen wird. Gerade für die Akzeptanz des Integrationsprozesses ist die verantwortliche Gestaltung dieser Übergangsprozesse von großer Bedeutung. Der DGB hat in seinen positiven Stellungnahmen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit ähnliche Konditionierungen vorgenommen. Überdies sehen wir in einem solchen Herangehen auch einen Beitrag zur Bekämpfung von Schwarzarbeit.

Die Berliner Sichtweise hat sich leider bei der Mehrheit der Bundesländer und bei der Bundesregierung im letzten Jahr nicht durchsetzen können. Gleichwohl bewegt sich die Debatte. Mindestlohnregelungen wie auch die Ausweitung der Entsenderegelungen stehen aktuell in der Diskussion. Auch ist klarer geworden, dass die Angst vor massiven Arbeitnehmerbewegungen auf den regionalen Arbeitsmarkt nicht begründet ist. Vielmehr zeigen die Wanderungsströme, dass in Einzelbereichen schon Fachkräftemangel in Polen herrscht, dass die Lohnangleichung beschleunigter in diesen Segmenten vorankommt und sogar mehr, als zunächst in der Öffentlichkeit erwartet, auch KMU aus Deutschland bei zahlreichen wichtigen Projekten in Polen tätig sind. Diese Bewegung in der Diskussion, in der Wahrnehmung und der Analyse erster Erfahrungen gilt es zu nutzen. Die Chancen sind gegeben, dass am Ende dieses Prozesses sich die Position des Senats durchsetzt und eine weitere Ausdehnung der Übergangs

fristen nicht mehr Mehrheitsposition im Bundesrahmen ist.

Fraglich scheint mir aber in diesem Zusammenhang die Vorstellung der FDP, eine Bundesratsinitiative zu diesem Thema anzustreben. Abgesehen von der genannten inhaltlichen Differenz in der Frage der sozialen Konditionierung der neuen Mobilitätschancen ist es jetzt wichtig, Partner zu finden, die Diskussionen zu Entsendegesetz und Mindestlohn in den entsprechenden Gremien, in den vorhandenen Bund-Länder-Arbeitsgruppen zu führen und auf diesem Wege zu einem sinnvollen Ergebnis zu kommen. Eine eigenständige Bundesratsinitiative scheint da nicht der geeignete Weg zu sein. Im Herbst wird sich zudem die Wirtschaftsministerkonferenz mit der Frage der weiteren Nutzung der Übergangsfristen auseinandersetzen.

Schließlich ist zum Masterplan der FDP zu sagen, dass die dort empfohlenen Elemente in weiten Teilen bereits Arbeitspraxis des Senats sind. So hat Wirtschaftssenator Wolf im vergangenen Jahr maßgeblich die gemeinsame Konferenz zur Begründung der Oder-Partnerschaft mit initiiert und geprägt. Die Geschäftsstellenfunktion für dieses wichtige Netzwerk auf deutscher Seite wurde übernommen. Morgen wird ein Folgetreffen in Stettin stattfinden, zu dem der neu gewählte Marschall Westpommerns eingeladen hat. Berlin ist bemüht, die Kooperation innerhalb der Oder-Partnerschaft sowohl mit Städten als auch mit den Regionen im Rahmen konkreter Projekte zu entwickeln Gemeinsam mit dem Land Brandenburg hat die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen einen Diskussionsprozess unter Einbeziehung insbesondere der Kammern, der Gewerkschaften und des UVB in Gang gesetzt, um Unternehmen und Arbeitskräfte vorzubereiten auf die Chancen, die offene Arbeitsmärkte in der erweiterten Europäischen Union bieten.

Übrigens sei am Rande angemerkt, dass ich mir als Berliner Abgeordnete wünschen würde, dass auch in öffentlichen Brandenburger Statements das Senatsengagement deutlicher wahrgenommen und anerkannt würde, als dies bisweilen der Fall ist.

Schließlich ist anzumerken, dass erst vor wenigen Wochen Senator Wolf bei der Antwort auf eine Große Anfrage der Koalitionsfraktionen ausführlichst dargestellt hat, welche Aktivitäten der Senat in dem Bereich der Messebeteiligung im Ausland, der Unterstützung von Unternehmensansiedlungen aus Polen, der Förderung von Sprachkompetenzen und vieles mehr entwickelt hat.

Zum Schluss sei noch einmal betont: Ihr Grundanliegen, liebe FDP, kommt zwar spät aber deckt sich mit unseren Zielen. Vielleicht ist es aber auch nicht zu spät, wenn es gilt, den Senat in seinem weiteren Vorgehen zu unterstützen. Und dies tun wir mit dem Ziel der Schaffung eines geeinten sozialen Europas der Zukunft!

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung federführend an den Ausschuss für Europa- und Bundesangelegenheiten, Medien, Berlin-Brandenburg und mitberatend an den Ausschuss für Integration, Arbeit, Berufliche Bildung und Soziales. – Widerspruch höre ich nicht. Damit ist das so beschlossen.

Die lfd. Nr. 17 steht auf unserer Konsensliste.

Ich komme nun zur

lfd. Nr. 18:

Antrag

Modernisierung der Berliner Verwaltung und Bürokratieabbau entschlossen fortsetzen

Antrag der SPD und der Linksfraktion Drs 16/0515

Der Antrag ist vertagt.

Die lfd. Nr. 19 steht auf der Konsensliste. Der Tagesordnungspunkt 20 war Priorität der Linksfraktion unter der lfd. Nr. 4 c. Die lfd. Nrn. 21 und 22 stehen wiederum auf der Konsensliste.

Ich komme nun zur

lfd. Nr. 23:

Antrag

Programmqualität in Berliner Kinos fördern und verbessern

Antrag der Grünen Drs 16/0520

Eine Beratung ist nicht vorgesehen. Empfohlen wird die Überweisung an den Ausschuss für Kulturelle Angelegenheiten sowie an den Hauptausschuss, worüber inzwischen Einvernehmen erzielt werden konnte und ich jetzt keinen Widerspruch höre.

Wir kommen nun zur

lfd. Nr. 24:

Antrag

Lohndumping verhindern – Mindestlohn einführen

Antrag der Grünen Drs 16/0521

Eine Beratung wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung federführend an den Ausschuss für Integration, Arbeit, Berufliche Bildung und Soziales sowie mitberatend an den Ausschuss für Wirtschaft, Technologie und Frauen, wozu ich keinen Widerspruch höre. Dann ist auch das so beschlossen.

Die Tagesordnungspunkte 25 und 26 sind bereits durch die Konsensliste erledigt. Die lfd. Nr. 27 war Priorität der CDU unter dem Tagesordnungspunkt 4 b. Die Tagesordnungspunkte 28 und 31 stehen als vertagt auf der Konsensliste. Auch die lfd. Nrn. 29, 30 und 32 sind durch die Konsensliste erledigt. Der Tagesordnungspunkt 33 war

Priorität der Fraktion der FDP unter der lfd. Nr. 4 e. Die lfd. Nrn. 34 bis 38 sind wiederum durch die Konsensliste erledigt.

So weit war es mit der heutigen Tagesordnung. Nun habe ich jemanden zu verabschieden, der als Geschäftsführer die Fraktion und die Arbeit gestaltet und zusammengehalten hat, den Kollegen Felsberg, der uns nach 11 Jahren in diesem Haus verlässt.

[Beifall]

Sie sehen, Herr Kollege Felsberg, die Fraktion der Grünen ist Ihnen zu besonderem Dank verpflichtet. Die übrigen Fraktionen folgen – wie Sie gesehen haben – in angemessenem Abstand. Lieber Herr Felsberg, wenn ich einmal etwas aus meiner Sicht sagen darf – die Fraktion möge mir das verzeihen –, waren Sie immer netter als Ihre Fraktion. Das ist wohl das Beste, was man über einen Geschäftsführer sagen kann.

[Beifall]

Sie kommen aus der alten Bürgerrechtsbewegung der DDR, wie wir wissen. Sie gehen dorthin zurück, woher Sie gekommen sind, zur Charité. Ihr Aufgabengebiet ist die Vorbereitung von Wissenschaftsratstagung und „300 Jahre Charité“. Für diese Arbeit und diese Aufgabe wünsche ich Ihnen alles Gute und viel Erfolg, auch viel Glück, das kann man immer gebrauchen.

[Beifall – Reiner Felsberg: Vielen Dank!]

Abschied fällt immer schwer, den Betroffenen besonders, aber den anderen geht es auch nicht anders. Lieber Herr Felsberg, ich habe auch gleich die Gelegenheit, Ihren Nachfolger, den Kollegen Heiko Thomas allen vorzustellen. – Herr Thomas, herzlich willkommen in diesem Haus. Alles Gute und gute Zusammenarbeit! – Herr Thomas ist auch schon in diesem Haus gewesen. Deswegen kennt ihn der eine oder andere aus diesem Zusammenhang.

Jetzt sind wir wirklich am Ende der heutigen Sitzung angekommen. Die nächste 13. Sitzung findet am Donnerstag, dem 7. Juni 2007 um 13.00 Uhr statt. Für die bevorstehenden Feiertage wünsche ich Ihnen und Ihren Familien viel Sonne und Erholung.