Protokoll der Sitzung vom 07.06.2007

familienfreundliche Politik in dieser Stadt. Aber in diesen Bereichen tut sich bis heute nichts.

Es ist tonnenweise Papier beschrieben, aber die praktischen Auswirkungen sind gleich null. Hier sind wir ganz dicht beim Grünen-Antrag, der dies zu Recht kritisiert. Wir brauchen keine Politik, die nur noch Symbolcharakter hat, weil man bei jedem praktischen Problem darauf verweisen kann, dass es dafür schon ein Stück beschriebenes Papier gibt. Denken Sie daran, wie viele Menschen mit wie vielen Problemen hinter diesen Papieren fast schon zu verschwinden drohen! Das darf nicht das Ergebnis der Politik in Berlin sein!

[Beifall bei der CDU]

Zum Zweiten: Ein weiterer wichtiger Grund zur Einführung von Kinderrechten in die Berliner Verfassung ist der Umstand, dass sich das Bild von Kindheit und Kindern gewandelt hat und sich stetig weiter verändert. Kinder werden schneller reif und entwickeln sich aufgrund intensiver Förderung in Familie, Kita und Schule sowie der hohen Informationsflut und vieler unterschiedlicher Freizeitangebote schneller zu eigenständigen Persönlichkeiten, die Mitspracherecht einfordern und auch ernst genommen werden wollen.

Die CDU unterstützt deshalb den Ansatz, die Mitwirkungsrechte junger Menschen auch im Bereich der Politik auszubauen und die unterschiedlichsten Partizipationsformen dafür zu entwickeln. Ich will dabei in Erinnerung rufen, dass die CDU einen Antrag auf Errichtung eines Landesjugendparlamentes gestellt hatte, der mehrheitlich von Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, abgelehnt worden ist.

Nach Ihrer heutigen Rede, liebe Frau Harant und Frau Scheeres, dürfte es gar nicht zu einer Ablehnung dieses Antrags kommen. Aber vielleicht haben Ihre Genossen noch nicht Ihre Weitsicht – mit zweien haben wir angefangen, und Sie erklären es den anderen, wie es weitergeht.

Zum Dritten: Die Idee, eine Berliner Kinderkommission nach Vorbild des Deutschen Bundestages einzurichten, ist in diesem Hause nun wirklich nicht neu. Immer mal wieder kommt dieser Vorschlag auf den Tisch, auch weil viele Verantwortungsträger, die sich in der Jugend- und Familienpolitik im Land engagieren, immer mehr den Eindruck gewinnen, dass dieser Politikbereich keine Rolle mehr spielt. In dem Namen der zuständigen Senatsverwaltung taucht er erst gar nicht auf, und im zuständigen Ausschuss des Abgeordnetenhauses spielen die Jugend- und Familienthemen auch nur eine untergeordnete Rolle. Deshalb halte ich die ganze Situation für äußerst unbefriedigend.

Viele Aspekte der Jugendpolitik kommen zu kurz oder sind ganz in der Versenkung verschwunden. Manche meinen, dass dies ein gut durchdachtes Kalkül der rotroten Koalitionspolitik sei, weil sich damit vieles der parlamentarischen Kontrolle entzieht. Will man einen sol

chen Eindruck ändern, gibt es hierfür ein einfaches Mittel: die Teilung des Mammut-Bildungsausschusses in zwei ordentliche Ausschüsse.

[Beifall bei der CDU]

Wenn ich mir die zwei Reden von heute noch einmal Revue passieren lasse und Ihnen Kinder und Jugendlichen so sehr am Herzen liegen, wie Sie es heute dargelegt haben, dürfte es bei dieser Teilung gar keine Probleme geben. Im Gegenteil: Dann könnten wir uns den Herausforderungen in diesen Bereichen mehr stellen, den Schutz, den diese Kinder und Jugendlichen brauchen, mehr gewährleisten und mehr gemeinsame Verantwortung übernehmen.

Von der erfolgreichen Hotline-Arbeit wissen Sie, dazu will ich nichts weiter sagen, als dass die zwei Mitarbeiter mit der 24-stündigen Arbeit überfordert sind und die zwei Stellen bis heute noch immer unbesetzt sind. Verschönern Sie nicht etwas, was auf den Papier steht, aber als Rahmenbedingung noch nicht in Gänze umgesetzt ist, weil Sie die Einsicht viel zu spät hatten, was alles an Rahmenbedingungen erfüllt werden musste!

[Beifall bei der CDU]

Ich komme noch einmal auf die Teilung des MammutBildungsausschusses in zwei ordentliche Ausschüsse: So könnte meines Erachtens effizient und demokratisch legitimiert ein Mehr an ordentlicher parlamentarischer Arbeit geleistet werden. Von einem weiteren Gremium neben dem Parlament und dem Landesjugendhilfeausschuss – mag es auch noch so gut gemeint sein – halte ich deshalb gar nichts.

Zum Schluss noch einige kurze Bemerkungen: Als ich mich heute auf den Tagesordnungspunkt vorbereitet habe, war ich geneigt, die Versäumnisse des rot-roten Senats aufzulisten. Es ist schon erstaunlich, was einem dabei so alles unter die Augen kommt: Die Regierungsfraktionen mussten ihren Senat per Parlamentsbeschluss mehrfach auffordern, Arbeitsaufträge zu erfüllen. Berichtsaufträge wurden teilweise mit anderthalbjähriger Verspätung und dann noch unvollständig erledigt. Ihre eigenen Vorgaben finden sich ein Jahr später in dem entsprechenden Maßnahmenkatalog der zuständigen Senatsverwaltung plötzlich nicht mehr wieder usw.

Aber der Blick zurück hilft uns nicht weiter, hilft den Familien, den alleinerziehenden Elternteilen, hilft den Kindern dieser Stadt nicht weiter. Deshalb zum Schluss meine Bitte an Sie: Verschließen Sie sich künftig nicht von vornherein den Initiativen, die von außerhalb Ihrer Regierungskoalition kommen! Legen Sie Ihre Pomadigkeit und Überheblichkeit in den Ausschussberatungen endlich ab! Üben Sie Toleranz gegenüber und insbesondere Kooperation mit den Andersdenkenden in diesem Haus! – Wie ich eingangs sagte: Wir haben uns die Gegenwart nur von unseren Kindern geborgt, sichern wir diesen ihre Zukunft! – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Das Wort für die Linksfraktion hat die Abgeordnete Dr. Barth.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht heute in der Aktuellen Stunde, in der Großen Anfrage und in den Anträgen um die Anerkennung von Kindern als Träger unveräußerlicher Grundrechte. Es geht um Kinderrechte. Das heißt, es geht um das Recht auf Individualität und Selbstbestimmung, das Recht auf Förderung und Bildung, das Recht auf Zärtlichkeit, Anerkennung und Bestätigung, das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung, das Recht auf schützende Kleidung, das Recht auf auskömmliche und gesunde Ernährung, das Recht auf ein eigenes Bett, das Recht auf ausreichende Körperpflege. Wir haben gemeinsam die Pflicht, für die Umsetzung dieser elementaren und eigentlich selbstverständlichen Rechte von Kindern Sorge zu tragen.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Das Recht auf eine gewaltfrei Erziehung steht angesichts der aktuellen Kinderschutzfälle im besonderen Fokus. Für die Linksfraktion möchte ich noch einmal ausdrücklich betonen, dass es uns in diesem Zusammenhang zuerst darum geht, Mütter und Väter frühzeitig in ihrer Erziehungskompetenz zu stärken – möglichst schon in der Schwangerschaft oder durch aufsuchende Angebote in den ersten Lebensmonaten des Kindes. Wir wollen Überforderungssituationen vermeiden, die oftmals die Ursache für Kindeswohlgefährdung darstellen. Hier knüpfen wir an unser vorhandenes Netz von Anlauf- und Beratungsmöglichkeiten auf unterschiedlichsten Ebenen von der Nachbarschaft über die Kita und Erziehungs- und Familienberatungsstellen bis hin zum Jugendamt an. Dieses Netz ist zweifelsohne zu verstärken und das Zusammenwirken aller Beteiligten zu verbessern.

Nun liegt uns das umfangreiche Konzept unter dem Titel „Kinderschutz verbessern – Gewalt gegen Kinder entgegenwirken“ vor. Allen, die an der Erarbeitung mitgewirkt haben, ist zu danken. Dieses Konzept folgt grundsätzlich den Leitlinien der Prävention durch ein Frühwarnsystem und der Frühförderung, der Früherkennung durch einheitliche Indikatoren und Risikofaktoren für Kindeswohlgefährdung, der schnellen und unbürokratischen Intervention in Krisenfällen, der Festlegung von verbindlichen Handlungs-, Informations- und Dokumentationsmustern und dem verlässlichen Zusammenwirken aller Beteiligten durch Kooperationsvereinbarungen.

Dieses Konzept folgt konsequent und überzeugend dem der Jugendhilfe zugrunde liegenden Prinzip, Hilfe zu geben, wo es notwendig und möglich ist. Es folgt dem Grundsatz Hilfe vor Strafe. Das macht aus unserer Sicht die besondere Qualität dieses Netzwerkes aus. Darüber sollten wir uns parteiübergreifend einig sein.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

In den nächsten Wochen und Monaten wird es darum gehen, die konkrete Umsetzung des Konzeptes zu begleiten. Hier haben Lenkungs- und Projektgruppe eine große Verantwortung. Aber nicht nur sie, wir alle sind gefordert. Die verschiedenen Verwaltungen erwarten und verdienen politische Unterstützung, politischen Rückhalt. Dazu gehört auch, dass die Politik nicht in Wunschdenken verfällt und konkrete Probleme und auftretende Schwierigkeiten wahrnimmt. Gleichermaßen gehört dazu, dass wir bereit sind, uns mit den Rahmenbedingungen zur Umsetzung des Konzepts weiter auseinanderzusetzen. So wissen wir zum Beispiel, dass die bezirklichen Jugendämter zum Teil Probleme unterschiedlicher Art haben. Beispielsweise kommt es vor, dass aufgrund der Personalstärke mit den hohen Fallzahlen nicht umgegangen werden kann. Hierfür suchen wir nach Lösungen. Engagement, Verantwortungsbewusstsein und die Bereitschaft zu vernetzter Arbeitsweise sind gute Voraussetzungen für die Umsetzung unseres Kinderschutzprogramms. Es ist aber auch klar, dass die Umsetzung des Netzwerkes Kinderschutz nicht zum Nulltarif zu haben ist. Ich will es noch deutlicher sagen: Alle, aber auch alle finanzpolitischen Entscheidungen, die wir hier treffen, haben Einfluss auf das Kindeswohl in dieser Stadt.

An dieser Stelle ein Wort zu der von der Opposition vorgetragenen These, dass aufgrund der Minderausgaben im Bereich der Hilfen zur Erziehung die Zahl der Kinderschutzfälle zugenommen habe. Vor solch einer Auffassung warne ich ausdrücklich. Sie passt zwar einigen ins politische Kalkül, geht aber an den Tatsachen vorbei. Solch eine Auffassung unterstellt den Bezirken, konkret den Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern in den Jugendämtern, dass sie um der Kosten willen den Kinderschutz vernachlässigen und Kinder bewusst Gefahren aussetzen. Diese Unterstellung weise ich auf das Schärfste zurück!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Ja, es kostet erhebliche Summen, wenn zum Beispiel vier Kinder auf unbestimmte Zeit in Obhut genommen werden müssen. Doch es wird und wurde jederzeit getan, wenn es nötig war, ohne dass dabei auf das Geld geschaut worden wäre. Die Jugendämter sind verpflichtet, stets im Interesse des Kindeswohls zu handeln. Sie üben das staatliche Wächteramt sehr verantwortungsbewusst aus. Nicht umsonst überschreiten im Übrigen die Bezirke zum Teil in erheblichem Umfang die Zuweisungen. Nicht umsonst setzen wir uns – soweit ich es sehe – über alle Parteigrenzen hinweg dafür ein, dass die Finanzzuweisung für die Hilfen zur Erziehung für den kommenden Haushalt noch einmal überprüft wird.

[Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Lars Oberg (SPD)]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schruoffeneger?

Nein, ich möchte fortfahren. – Von der CDU haben wir bislang kein gutes Wort über das Netzwerk gehört.

[Emine Demirbüken-Wegner (CDU): Das stimmt doch gar nicht!]

Im Gegensatz dazu vertritt die Fachöffentlichkeit eine andere Position. Inzwischen ist ein intensiver fachpolitischer Dialog auf der Landes- und Bezirksebene in Gang gekommen, die Öffentlichkeit ist stärker sensibilisiert, die Hotline wird gut angenommen und auch das Projekt „Aufsuchende Elternhilfe“ ist auf dem Weg.

[Zuruf von Emine Demirbüken-Wegner (CDU)]

Wir sind mit dem Netzwerk Kinderschutz längst nicht am Ende einer Entwicklung. Es gibt noch viel zu tun.

Bei der Erarbeitung des Konzeptes für das Netzwerk Kinderschutz wurde analysiert, welche familiären Konstellationen das Risiko einer Kindeswohlgefährdung besonders erhöhen. Dabei wurde festgestellt, dass ein wesentlicher Risikofaktor das Aufwachsen in Armut ist. Armut wirkt sich direkt auf die Gesundheit des Kindes, auf Chancengleichheit beim Zugang und beim Erwerb von Bildung und generell auf die gesellschaftliche Teilhabe aus. Es ist Fakt: Hartz IV hat die Armut von Kindern in ungeheurem Ausmaß sichtbar gemacht und verschärft. Mehr als ein Drittel aller Unter-14-Jährigen wachsen in unserer Stadt in Armut auf. Wenn wir Kinderrechte ernst nehmen, dann müssen wir uns über Kinderarmut in dieser Stadt und diesem Land verständigen. Die Linkspartei hat viele Initiativen ergriffen, um Armut zu bekämpfen. Als Beispiel möchte ich nur die Bemühungen um die Mindestlöhne und Arbeitsplätze im Rahmen eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors nennen,

[Dr. Frank Steffel (CDU): Ach, um Gottes willen! – Zuruf von Ramona Pop (Grüne)]

den beitragsfreien Kitabesuch für alle Kinder und die Anstrengungen für eine Gemeinschaftsschule, in der alle Kinder gleiche Chancen haben, und mehr Ausbildungsplätze, die das Land seit Jahren aus öffentlichen Mittel finanziert.

Mit der Bundesinitiative für eine Kindergrundsicherung gehen wir neue Wege, um das Existenzminimum des Kindes unabhängig vom Einkommen der Eltern zu sichern. Für mich steht fest: Mit dem Regelsatz von 207 € im Monat kann keine Mutter und kein Vater ein Kind großziehen, ohne dass es Einschränkungen gibt in der Gesundheitsversorgung, in der Freizeit und Feriengestaltung beim Zugang zu kulturellen Angeboten, bei Kleidung oder auch Ernährung.

Frau Kollegin! Die Kollegin Grosse bittet Sie darum, eine Nachfrage stellen zu dürfen.

Nein, das möchte ich nicht! – Wir führen gerade eine Debatte über das Mittagessen an gebundenen Ganztagsgrundschulen. Ein Antrag der Fraktion der Grünen liegt dazu heute vor. Die Position der Linkspartei ist klar: Ausreichende und gesunde Ernährung ist ein grundlegendes Kinderrecht. Am liebsten wären uns finnische Verhältnisse, beitragsfreies und gesundes Mittagessen in Kita und Schule für alle Kinder.

[Beifall bei der Linksfraktion – Özcan Mutlu (Grüne): Dann tut mal etwas dafür!]

Bis wir soweit sind, wollen wir einen Essenbeitrag in Höhe von 23 € für alle Kinder in Kitas und in jeder Schulstruktur.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Wir sind hier mit der SPD auf einem guten Weg.

Eines steht fest, es muss den Interessen der Kinder entsprechen, aber es ist auch jetzt schon klar, dass Große Anfragen wie die der FDP über hungernde Kinder uns in der Stadt nicht richtig weiterhelfen.

[Mirco Dragowski (FDP): Warten Sie ab!]

Ein Wort zum Antrag der Grünen zur vorbehaltlosen Anerkennung der Kinderrechtskonvention. Dazu haben wir heute bereits einiges gehört. Die Linksfraktion erhebt diese Forderung seit Inkrafttreten des Vertragswerks.

[Elfi Jantzen (Grüne): Wir auch!]

Dies haben wir auch getan, als eine rot-grüne Bundesregierung regierte. Zu dieser Zeit hat die PDS-Fraktion mehrere Beschlüsse des Bundestags unterstützt, in welchen die rot-grüne Bundesregierung aufgefordert wurde, ist,

[Özcan Mutlu (Grüne): Es sind immer die anderen schuld!]