Protokoll der Sitzung vom 08.11.2007

Professionelles Forderungsmanagement organisieren

Beschlussempfehlung Haupt Drs 16/0905 Antrag der CDU Drs 16/0751

Dazu findet keine Beratung statt. Der Hauptausschuss empfiehlt zum CDU-Antrag – mehrheitlich gegen CDU und FDP bei Enthaltung der Grünen – die Ablehnung. Wer dem Antrag jedoch seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – CDU und FDP! Gegenprobe! – Das ist die Koalition. Enthaltungen? – Das sind die Grünen. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Es steht nicht da, aber ich bin darauf hingewiesen worden, dass auch zur lfd. Nr. 17 die Reden zu Protokoll gegeben werden.

Warum ist ein professionelles Forderungsmanagement erforderlich? – Im Haushaltsjahr 2005 gingen dem Land Berlin circa 490 Millionen € Einnahmen verloren. Enthalten in dieser Summe sind sowohl entgangene Steuereinnahmen als auch Rückforderungen von Sozialhilfeleistungen, Unterhaltsforderungen in Höhe von circa 50 Millionen €, Bußgelder in Höhe von circa 137 000 €, Verwarnungs- und Zwangsgelder, Gebühren und Entgelte. Das ist bei 60 Milliarden € Schulden ein fiskalpolitischer Offenbarungseid – aber auch ordnungspolitisch verheerend, denn von einem solchen Sachverhalt geht die Botschaft aus: „Wer seine Abgaben ordnungsgemäß entrichtet, ist der Dumme – wer sich seinen Pflichten entzieht, der profitiert!“ Dabei ließen sich grundsätzlich die meisten Außenstände bei entsprechender gesetzlicher Regelung durch einen professionellen Dienstleister managen.

Professionelles Forderungsmanagement umfasst nicht allein das Eintreiben der Forderungen – im Gegenteil, Verwaltungshandeln soll minimiert werden. Es gilt, im Vorfeld tätig zu werden, denn ist der Gerichtsvollzieher erst einmal in Gang gesetzt, sind aus 100 € schnell 300 € geworden.

Die Einführung eines Forderungsmanagements ist auch kein Neuland. Beispiele sind das Inkasso der Autobahnmaut, der Zoll, die BVG, auch Gemeinden im Umland Berlins nehmen diese Dienste in Anspruch. BadenWürttemberg befasst sich mit der Einführung, und der Städte- und Gemeindeverbund Nordrhein-Westfalens steht dem positiv gegenüber.

Ich möchte an dieser Stelle die entgangenen Steuereinnahmen von den übrigen Forderungen trennen, weil sich an den Letzteren die Problematik des derzeitigen Beitreibungsverfahrens gut darstellen lässt.

Ein zentraler Punkt ist die Einrichtung einer Schuldnerdatei, deren Kosten von circa 1 Million € sich schnell amor

tisieren würden. Denn zurzeit sind die Forderungen an den jeweiligen Einnahmetatbestand geknüpft und nicht an die Person.

Bedenken des Datenschutzes können ausgeräumt werden. Das Filtern von Informationen, Anonymisierungsverfahren und die Trennung von Einforderungs- und Recherchearbeit sind möglich und müssen beachtet werden.

Ich bin sicher, dass ein professioneller Forderungsmanager im Interesse eines reibungslosen Ablaufs den Datenschutz gewissenhafter umsetzen wird, als so manche Behörde oder Verwaltung dies bei der Abfassung eines Gesetzes oder einer Verordnung tut.

Als Beispiel sei der typische Verlauf einer Forderung aus einer Fachverwaltung eines Bezirks beschrieben: Über ein mehrstufiges zeitaufwendiges Mahnverfahren geht die Forderung schließlich an das Finanzamt zur Vollstreckung. Bei Erfolglosigkeit geht der Vorgang zurück zum Fachamt – dort dämmert er seinem Ende entgegen. Von den circa 135 000 monatlich an das Finanzamt geschickten Anträgen sind schätzungsweise 35 000 erfolgreich. Realität ist, dass viele der Forderungen erst gar nicht erhoben, sondern erlassen, gestundet oder unbefristet niedergeschlagen werden, da eine Einziehung zu teuer bzw. erfolglos erscheint. Auf der anderen Seite kann nicht ausgeschlossen werden, dass Schuldner Berlins ohne Aufrechnung Geldleistungen vom Land erhalten, weil die eine Dienststelle nichts von den Ansprüchen der anderen weiß.

Natürlich sieht die LHO ausdrücklich eine Aufrechnung zur Durchsetzung staatlicher Ansprüche vor. Ich darf zitieren aus einem Schreiben der Senatsverwaltung für Finanzen/Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg:

... das Verfahren wird insgesamt als veraltet sowie unflexibel eingeschätzt.... Dies führt dazu, dass die Bezirke nahezu alle dezentral agieren.

Dieses Agieren führt aber zu weiterer Ineffektivität!

Fazit: Die Verfahren zur Einziehung der Geldforderungen Berlins müssen endlich professionalisiert werden. Insbesondere müssen mehrere Ansprüche gegen einen Schuldner addiert werden, so dass Beitreibungen wirtschaftlich werden und ferner die Möglichkeit der Verrechnung von Forderungen und Ansprüchen geschaffen wird. Grundlage dessen ist der Aufbau einer entsprechenden Datenbank, in der die relevanten – dem Land Berlin ohnehin bekannten – Informationen zentral verwaltet werden können. Dieses neue Forderungsmanagement sollte unter Nutzung des Angebotes privater Dienstleister konzipiert, ausgeschrieben und auf das öffentlich-rechtliche Vollstreckungsverfahren abgestimmt werden.

Angesichts des Umfangs der eingangs genannten Forderungen des Landes steht nicht nur ein hoher zweistelliger Millionenbetrag als jährliche Mehreinnahme zu erwarten, ein professionelles Forderungsmanagement trägt auch zu mehr Abgabengerechtigkeit bei und unterstützt damit die

Glaubwürdigkeit von Politik und Verwaltung, und diese Chance, meine Damen und Herren von SPD und PDS, sollten Sie sich nicht entgehen lassen!

Der heute zur Abstimmung stehende Antrag der CDUFraktion greift ein Thema auf, welches aufgrund seiner haushalterischen Dimension wert ist, hier diskutiert zu werden. Denn die offenen Forderungen, die das Land Berlin derzeit gegenüber seinen Schuldnern hat, belaufen sich auf einen hohen dreistelligen Millionenbetrag. Mit Stichtag 31. Dezember 2006 hatte das Land Berlin offene Forderungen in Höhe von 415 Millionen €. Dabei sind nicht nur die ausstehenden Steuerschulden relevant, sondern auch säumige Unterhaltszahlungen oder ausstehende zuviel gezahlte Sozialleistungen. Auch wird ein Teil dieser Forderungen gar nicht erst eingetrieben, da sie unter die Kleinbetragsregelung der LHO fallen, also weniger als 25 € betragen.

Vor diesem Hintergrund ist die Forderung der CDUFraktion, eine Zusammenstellung dieser Forderungen zu erstellen und darauf aufbauend ein professionelles Forderungsmanagement aufzubauen, eine richtige und wird daher von der FDP-Fraktion unterstützt. Denn dass die Finanzverwaltung ein professionelles Finanzmanagement betreibe, weil sie die Finanzverwaltung ist, wie uns Staatsekretär Teichert im Hauptausschuss erklärte, sagt ja nichts über die Qualität aus. Die Finanzverwaltung ist vielleicht professionell, weil die dort Beschäftigten einer hauptamtlichen Tätigkeit nachgehen. Sie ist aber ganz und gar nicht professionell was das Eintreiben der ausstehenden Steuerschuld angeht.

Berlin kann auch in dieser Angelegenheit von anderen Bundesländern und Gemeinden lernen. So steht BadenWürttemberg kurz vor der Realisierung eines professionellen Forderungsmanagements und auch in NordrheinWestfalen steht eine entsprechende Realisierung kurz bevor.

Doch muss der Berliner Senat gar nicht so weit schauen. Der Berliner Rechnungshof hat sich bereits mit dem Forderungsmanagement der Berliner Bezirke auseinandergesetzt und diese im Jahresbericht 2007 aufgefordert, das Forderungsmanagement wirtschaftlicher und effizienter zu gestalten. So verlangt der Rechnungshof von den Bezirksämtern, das Mahnverfahren durch den Einsatz von IT zu rationalisieren und eine zentralisierte Lösung anzustreben.

Nun geht der CDU-Antrag noch ein Stück weiter, in dem er den Senat auffordert, das Forderungsmanagement zu externalisieren und einen Forderungsverkauf zu realisieren. Doch meine Damen und Herren, warum auch nicht? Der Forderungsverkauf, der im übrigen in der Privatwirtschaft und bei privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen gängige Praxis ist, würde im wahrsten Wortsinne zu einer Professionalisierung führen.

Und auch die Bedenken des Staatssekretärs Teichert, dass der Forderungsverkauf durch Artikel 108 GG verboten wird, mag der FDP-Fraktion nun wahrlich nicht einleuchten. Da es Gebietskörperschaften möglich ist, zukünftige Zahlungen an Banken zu verkaufen, ist es ebenso möglich, einen Forderungsverkauf zu tätigen. Denn Artikel 108 GG stellt lediglich fest, dass die Steuerverwaltung grundsätzlich der unmittelbaren Staatsverwaltung unterliegen muss. Die Verwaltung umfasst die Steuerfestsetzung und die Steuererhebung, nicht aber einen Forderungsverkauf.

Nicht nur in der Hauptverwaltung, auch in den Bezirken, ist der Forderungseinzug oft alles andere als professionell. Ich erinnere nur an Forderungen in Millionenhöhe, die so lange in den Aktenschränken des Bezirksamtes Charlottenburg-Wilmersdorf schlummerten, bis sie verjährt waren. Eine solche „Professionalität“ ist schlechthin nicht akzeptabel. Vor diesem Hintergrund halten wir den Antrag der CDU für hilfreich und daher für unterstützenswert.

Die lfd. Nrn. 18 und 19 stehen auf der Konsensliste.

Wir kommen zur

lfd. Nr. 20:

a) Beschlussempfehlung

Atomausstieg selber machen (I): Tschernobyl-Jahrestag am 26. April

Beschlussempfehlung GesUmVer Drs 16/0956 Antrag der Grünen Drs 16/0437

b) Dringliche Beschlussempfehlungen

Berliner Initiative für Klima- und Umweltschutz (I): Atomenergie bleibt draußen, stattdessen mehr Strom aus erneuerbaren Energien und Lieferverträge mit verpflichtender Energieeinsparung

Beschlussempfehlungen GesUmVer und Haupt Drs 16/0963 Antrag der SPD und der Linksfraktion Drs 16/0701

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der Grünen vor, Drucksache 16/0701-1.

Der Dringlichkeit der zuletzt genannten Beschlussempfehlung wird offensichtlich nicht widersprochen.

Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der Grünen. Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer. – Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Grüner muss ich Vattenfall heute einmal loben: Mit seinem Sponsoring der 18. Berliner Märchentage macht der Konzern einmal etwas richtig. Ob man sie dann gleich „Vattenfall-Märchentage“ nennen muss, sei dahingestellt, aber wir wünschen uns sicher alle, dass sich möglichst viele Kinder in Berlin auf diesen 200 Veranstaltungen von den Märchen bezaubern lassen.

Bezaubern soll auch die Anzeigenkampagne, die der Konzern derzeit schaltet. In großen Anzeigen betont Vattenfall sein Engagement für den Klimaschutz, für die erneuerbaren Energien. Direkt daneben in denselben Zeitungen kann man dann lesen, dass der Konzern plant, ein Heizkraftwerk im Märkischen Viertel von Erdgas auf den Klimakiller Braunkohlestaub umzustellen. VattenfallMärchentage: Da passt es einmal. Das müsste als Motto groß auf alle diese Anzeigen geruckt werden!

[Beifall bei den Grünen]

Vattenfall-Märchentage auch bei der Atomkraft: Trafobrand im AKW Krümmel, Kurzschluss in Brunsbüttel, Riss in Armaturen und falsche Sicherheitsdübel, das sei alles kein Problem, meinte Vattenfall diese Woche, man könne diese Reaktoren sofort wieder ans Netz nehmen – den Bedenken der Aufsichtsbehörde zum Trotz. Für den Uraltreaktor Brunsbüttel will Vattenfall auch noch den Atomkonsens aushebeln. Diese Atompolitik verdient unseren Widerstand.

[Beifall bei den Grünen]

In Ihrem Koalitionsvertrag steht:

Berlin wird für die vom Land genutzten Gebäude nur mit Unternehmen Stromlieferungsverträge abschließen, die keinen Atomstrom produzieren.

Das fanden wir gut. Wir haben deshalb einen Antrag vorgelegt, über den wir gleich abstimmen werden, der im Kern aus genau diesem Satz aus Ihrem Koalitionsvertrag besteht. Aber im Ausschuss haben Sie dagegen gestimmt. Warum nur? – Man könne das vergaberechtlich nicht umsetzen, sagen Sie. Das ist eine Ausrede, denn wenn Sie wollten, könnten Sie die Ausschreibung so gestalten, dass die Atomkonzerne faktisch ausgeschlossen werden. Das Bundesumweltministerium hat das praktiziert und erfolgreich umgesetzt. Es hat heute einen Anbieter, der keinen Atomstrom herstellt.

Aber statt den Senat dazu aufzufordern, dasselbe zu tun, es ähnlich zu machen, werfen Sie einfach das komplette politische Ziel über Bord. Sie kuschen vor Vattenfall, sehr geehrte Koalitionäre. Die Senatoren Wolf und Lompscher fordern groß die Öffentlichkeit dazu auf, einen Wechsel des Stromanbieters vorzunehmen, und das Land Berlin tut alles, damit Vattenfall weiterhin der Stromlieferant des Landes bleiben kann.

Für die künftigen Stromlieferungen des Landes fordert Ihr Antrag, über den wir auch gleich abstimmen, eine KWK

Quote von 50 Prozent, aber ohne die Befeuerung des Kraftwerkes durch Kohleenergie auszuschließen. Sie laden damit Vattenfall geradezu ein, das geplante Steinkohlekraftwerk in Klingenberg zu bauen. Ihr Antrag ist nichts anderes als eine Garantie dafür, dass das Land ein Großkunde des Konzerns bleiben wird.

[Daniel Buchholz (SPD): Völliger Unsinn! Das wissen Sie ganz genau!]

Wir haben die Möglichkeit, heute zu beweisen, dass das Abgeordnetenhaus gegen dieses Kohlekraftwerk steht, und zwar nicht nur im Reden, sondern im Handeln.