Hier knüpfe ich wieder an den Vorwurf der Geheimniskrämerei an. Durch die Maulkorbpolitik des Senats ist es natürlich nicht gelungen, eine breite Koalition aufzustellen. Eine breite Koalition, die zum Beispiel mit ihrem Sachverstand in der Lage gewesen wäre, die richtigen Argumente für eine gerechte und faire Lösung zu liefern, eine breite Koalition, die sich um Finanzmittel hätte bemühen können, um das Bild in Berlin zu halten. Nein, die Zeit war viel zu kurz, das Engagement viel zu mau. Hier ein Gespräch mit der Lottostiftung, hier eine Alibianfrage bei einer Bank, dort ein tröstender Brief des Finanzsenators, der sagt, dass er kein Geld habe, aber dem Kollegen Flierl alle ideelle Unterstützung zusage. Man möchte fast weinen vor Rührung. Allerdings kommen einem vor allem die Tränen angesichts eines so fahrlässigen Umgangs mit Landeseigentum, welches dem Senat zum Schutz und zur Mehrung anvertraut worden ist. Das Gegenteil ist in diesem Fall geschehen. Selbst wenn man zur Restitution die Meinung vertritt, dass diese unvermeidbar war, wie es die Koalition als ewiges Mantra ihrer Hilflosigkeit vertritt, selbst dann kommt man an einem Faktum nicht vorbei: Die Rückgabe verstößt in der Form, wie sie durchgeführt worden ist, gegen das geltende Haushalsrecht des Landes Berlin.
Es kam hier nämlich entweder ein Vergleich oder eine Veräußerung unter Wert in Betracht. Für beides lagen die Voraussetzungen nicht vor. Soweit kursorisch und im Rahmen der knappen Zeit einige der wesentlichen Mängel der Senatsentscheidung.
Es bleibt die Frage nach der Motivation für das merkwürdige Handeln. Entlarvend finde ich in diesem Zusammenhang einen Artikel des damaligen Kultursenators Flierl, der im „Neues Deutschland“ geschrieben hat:
Ich kann mir die Vehemenz der Reaktion auf die Rückgabe nur dadurch erklären, dass das konservativ-bürgerliche Westberlin erstmals die Wirkung des Prinzips Rückgabe vor Entschädigung als Vorgang der Enteignung selbst erlebte.
Ist also ein Teil des Motivs auch ein Feldzug gegen das konservativ-bürgerliche Westberlin, welches ausgerechnet im Brücke-Museum fröhliche Urständ feiert? Nebenbei bemerkt, der deutsche Expressionismus ist als Kunstbewegung etwa so konservativ wie Herr Flierl ein Vorzeigeproletarier ist.
Ich möchte mit zwei Zitaten schließen. Zunächst kommt noch einmal Frau Kisseler zu Wort. Diese hat gegenüber dem Vorsitzenden des Fördervereins des BrückeMuseums und der Direktorin des Museums Folgendes erklärt:
Ich bin froh und ein Stück weit stolz, bereits im ersten Gespräch mit der Erbin die Rückgabe des Gemäldes zugesagt zu haben.
Dieses Zitat könnte von fast jedem aus der Kunstfachwelt stammen, die die Restitution des Bildes praktisch einhellig als Fehler ansieht. Aber es stammt tatsächlich von keinem anderen als Ronald S. Lauder, demjenigen, der das Bild von Christie’s für 38 Millionen Dollar ersteigert hat. Lauder gilt als Initiator der Washingtoner Konferenz und ist somit über jeden Zweifel erhaben, ein Restitutionskritiker zu sein. Ich fasse zusammen: Hier sind viele Fehler passiert. Diese Fehler haben zum schmerzlichen und unnötigen Verlust eines der wichtigsten Kunstwerke Berlins geführt.
Wenn Sie sich, sehr geehrte Politiker der Koalition aufrichtig fragten, ob Sie das so noch einmal machen würden, könnten Sie zu keiner anderen Ansicht kommen. Ich weiß jedoch, dass jetzt noch nicht die Stunde ist, um dieses zuzugeben. Bislang gibt es nur Vereinzelte unter Ihnen, die sich offen zu dieser Ansicht bekennen. Mit dem Wechsel von Personen und Zeitablauf wird diese Stunde kommen. Bis dahin werden wir nicht aufgeben, neues Licht in die Angelegenheit zu bringen und beispielsweise den Verstoß gegen das Haushaltsrecht zu beleuchten. Der Sonderausschuss mag seinen Abschluss gefunden haben, aber die Wahrheit lässt sich nicht durch eine Mehrheit niederstimmen. Ich möchte deshalb hier und heute nicht in der Haut der Koalition stecken, solch ein skandalöses Versagen des Senats decken zu müssen. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In Ihrer Haut möchte ich auch nicht stecken, weil Sie eben die Unwahrheit gesagt haben, Herr Juhnke. Die Äußerungen der Direktorin des Brücke-Museums sind im Ausschuss widerlegt worden. Ich möchte dies hier klarstellen.
Ich will versuchen, von den vielen Halb- und Unwahrheiten wegzukommen, die Fakten zurechtrücken und eine sachliche Ebene anstreben, was wirklich schwer ist bei diesem Thema.
Die aktuelle Debatte zur Restitution des wohl berühmtesten Kirchner-Gemäldes führt die Folgen des nationalsozialistischen Kunstraubs einer breiten Öffentlichkeit vor Augen. Die erfolgte und berechtigte Rückgabe des Kirchner-Bildes wird allerdings keinen Schlussstrich unter die
ses bedrückende Thema ziehen. Es gilt die moralische Verantwortung Deutschlands: Was unrechtmäßig in staatlichen Besitz gekommen ist, muss an die legitimierten Eigentümer beziehungsweise deren Erben zurückgegeben werden.
Auf diesen Grundsatz haben sich 44 Nationen im Rahmen der Washingtoner Erklärung verständigt. Ich werde noch einmal kurz die Grundlagen ausführen, weil einige oder viele von Ihnen nicht wissen, weshalb das Bild zurückgegeben worden ist.
[Dr. Friedbert Pflüger (CDU): Das bestreitet doch niemand! Das muss nicht noch einmal vorgelesen werden!]
Die Unterzeichnerstaaten haben sich verpflichtet, die während des NS-Regimes beschlagnahmten Kunstwerke festzustellen, deren frühere Eigentümer ausfindig zu machen und eine individuelle Lösung zu finden, die gerecht und fair sein soll. Dieser Verantwortung haben sich der Bund, die Länder und die kommunalen Spitzenverbände gestellt, als sie 1999 in einer Gemeinsamen Erklärung erklärt haben, alle Kulturgüter, die Gegenstand einer NSverfolgungsbedingten Entziehung waren und sich noch im Besitz der öffentlichen Hand befinden, nach individueller Prüfung zurückzugegeben.
Im Februar 2001 hat der Beauftragte für Kultur und Medien eine Handreichung als Hilfe zur Umsetzung der Washingtoner Erklärung und der Gemeinsamen Erklärung herausgegeben. Diese Handreichung enthält praktische Hinweise zur Prüfung, ob ein verfolgungsbedingter Entzug vorliegt. Die Washingtoner Erklärung hat keine neue Restitutionspolitik begründet, der alliierte Gesetzgeber hat vielmehr schon 1949 Rückerstattungsbedingungen für verfolgungsbedingten Vermögensverlust erlassen. Dabei – jetzt hören Sie zu, Herr Pflüger – wurde festgelegt, dass mit dem 30. Januar 1933 – dem Tag der Machtergreifung Hitlers – Juden kollektiv als verfolgt galten. Für jedes Rechtsgeschäft, das danach getätigt wurde, wird deshalb ein verfolgungsbedingter Vermögensverlust unterstellt, es sei denn, der heutige Eigentümer kann das Gegenteil beweisen. Diese Entscheidung zur Beweislastumkehr bedeutet für die Beurteilung von in Frage kommenden Kulturgütern, dass der heutige Eigentümer die folgenden Punkte belegen muss, damit die gesetzliche Vermutung des NSverfolgungsbedingten Vermögensverlustes widerlegt ist. In unserem konkreten Kirchner-Fall bedeutete dies: Wir mussten beweisen, dass die jüdische Verkäuferin, Frau Thekla Hess, einen angemessenen Kaufpreis erhalten hat, wir mussten beweisen, dass der Kaufpreis in die freie Verfügung von Frau Hess gelangt ist, und wir mussten beweisen, dass das Rechtsgeschäft seinem wesentlichen
Frau Hess verkaufte die „Berliner Straßenszene“ 1936/37 an den – auch interessant – ehemaligen I.G.-Farben-Manager Carl Hagemann, der, wie es heißt, einen angemessenen Kaufpreis von 3 000 Mark bezahlt haben soll. Es ließ sich nicht beweisen, dass Herr Hagemann bezahlt hat, dass Frau Hess den Kaufpreis zur freien Verfügung hatte und dass der Verkauf auch ohne die Nazis stattgefunden hätte. Die Behauptung der CDU, der Verkauf sei nicht verfolgungsbedingt, ist unsäglich.
Nach allem, was wir bis jetzt über die Familie Hess wissen, hieße das, die Lebenswirklichkeit einer alleinstehenden jüdischen Frau in den Jahren 1936/37 völlig zu ignorieren.
Ich kann es Ihnen belegen. – Hören Sie doch einfach zu, Herr Pflüger! Ich dachte, Sie sind ein kultivierter Mensch. Wir haben uns fast ein Jahr mit den Hintergründen der Rückgabe des Kirchner-Bildes beschäftigt. Es gab im Verlauf des Ausschusses viele unappetitliche Zwischentöne, die ich lieber nicht zitieren möchte.
Wir können aber als Ergebnis feststellen, dass die Restitutionsentscheidung berechtigt war. Alle Bedingungen der Washingtoner Konferenz, der Gemeinsamen Erklärung und der Handreichung wurden erfüllt. Die Prüfung des gesamten Vorgangs ist in allen Punkten ordnungsgemäß erfolgt, und unserer Meinung nach wurde auch dem Grundsatz „fair und gerecht“ Genüge getan.
Gerecht war es, dass das Eigentum der Erbin der verfolgten jüdischen Familie zurückgegeben wurde. Fair ist es, dass uns der Kaufpreis für das Kirchner-Bild erstattet wurde. Es gibt keinen vergleichbaren Fall in Deutschland, wo der Kaufpreis bei einem restituierten Kulturgut erstattet wurde.
Es gab viele Stimmen, die sagen, Kunst solle mit nationaler Identität gleichgesetzt werden, und das Kirchner-Bild gehöre auf die Liste nationaler Kulturgüter, was in diesem Fall gar nicht ging – ich sage es noch einmal, Frau Ströver –, weil das Kirchner-Bild zum damaligen Zeitpunkt in öffentlichem Eigentum war und das Kulturgutgesetz nur für Kulturgüter in privatem Besitz angewandt werden konnte.
So zu argumentieren, ist zynisch, Herr Meyer! – Es geht nicht, den Erben das Argument des Schutzes nationalen Kulturgutes vorzuhalten, nachdem die Nazipolitik schon einmal die Eigentümer verjagt und sich an deren Eigentum bereichert hat.
Nun zu dem Berichtsentwurf: Wir haben den Entwurf überarbeitet, weil er von Mutmaßungen, Verdrehungen von Tatsachen oder Weglassen historischer Fakten durchsetzt war.
Ich will einige Beispiele dafür bringen. Auf Seite 69 heißt es im ersten Absatz zur Emigration von Hans Hess:
Das ist doch schön, wenn er so eine Reise machen konnte! Jeder unbedarfte Leser könnte annehmen, dass dies eine ganz normale Reise gewesen sei. Weggelassen wurde jedoch, dass er aus Deutschland flüchtete, nachdem er im Zuge der Arisierung bei Ullstein entlassen worden war und Nazis seine Wohnung verwüstet hatten.