Das soll suggerieren, dass Frau Hess frei und unbehelligt durch Europa reisen konnte. Tatsache ist, dass Frau Hess eines Nachts 1936 von der Gestapo aufgesucht und unter Drohungen gezwungen wurde, die Bilder, die in Zürich waren, sofort nach Deutschland zurückzubringen. Sie tat dies, um sich und ihre Familie, die das KZ am eigenen Leibe erleben sollten, nicht noch mehr zu gefährden.
Es gab den Vorwurf, es sei nicht ausreichend geprüft worden und zu wenig für den Verbleib des Bildes in Deutschland getan worden, und außerdem hätte das Parlament beteiligt werden müssen. Tatsache ist, dass die Prüfung zwei Jahre dauerte, und zwar vom 21. September 2004 bis zur Unterzeichnung der Vereinbarung am 27. Juli 2006. Zur Beteiligung des Parlamentes bleibt festzustellen, dass in keinem Bundesland das Parlament bei Restitutionsentscheidungen beteiligt wird. In allen Ländern und auch im Bund ist dieses eine exekutive Aufgabe.
Was den Verbleib in Deutschland angeht, so wurde die Direktorin des Brücke-Museums bereits 2001 befragt, ob sich in ihren Beständen verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut befindet. Die Direktorin meldete, es gebe keine aus jüdischem Besitz beschlagnahmte Vermögen. Die Direktorin hätte rechtzeitig für Aufklärung sorgen können, war sie doch diejenige, die den meistens Sachverstand und angeblich auch die vielen Optionen hatte, was die Beschaffung von Geld über Sponsoring oder Mäzene angeht. Warum eine Museumsdirektorin erst aufgefordert werden muss, selbstständig tätig zu werden, erschließt sich mir nicht.
In diesem Entwurf wird der selbst ernannte Restitutionsforscher Herr von P. mit unsäglichen Thesen ausführlich zitiert. Aber Prof. Goschler von der Ruhr-Universität, der uns etwas über die Lebenswirklichkeit von jüdischen
Ja, bitte noch zwei Sätze: Auch die Auswirkungen auf die Landeshaushaltsordnung spielten eine Rolle. Da die Rückgabe berechtigt war und weder gegen Bundes- noch Landesrecht verstieß, ist auch ein etwaiger Untreuevorwurf nicht haltbar und nicht begründbar. Der Verlust der „Straßenszene“ ist schmerzlich, aber auch die Kritiker müssen anerkennen, dass dieses Bild zu Recht zurückgegeben wurde. Wir werden uns im Kulturausschuss mit der neuen Handreichung befassen und über die Konsequenzen für Berlin reden.
Vielen Dank! – Herr Dr. Pflüger hatte um das Recht einer Intervention gebeten. – Bitte schön, Herr Dr. Pflüger!
Frau Kollegin! Ich möchte eines klarstellen: Wir können über vieles streiten, aber uns, dem Kollegen Juhnke oder irgendeinem anderen Abgeordneten meiner Fraktion, zu unterstellen, wir würden die Notsituation von Juden im nationalsozialistischen Deutschland nicht verstehen und nicht würdigen, ist unglaublich. Sie sollten sich überlegen, ob Sie solche unerhörten Vorwürfe erheben wollen.
Jeder hier weiß, was es bedeutet hat, im Nationalsozialismus als Jude zu leben. Jeder von uns kennt die Washingtoner Erklärung. Wir haben uns damit auch in der Fraktion beschäftigt, und es gibt keinen, der den Grundsatz der Restitution in Frage stellt. Das in Abrede zu stellen, ist unfair, auch gerade gegenüber der hervorragenden Arbeit meines Kollegen Juhnke in dem Ausschuss, den ich hier nachdrücklich verteidigen möchte und der zusammen mit den anderen Kolleginnen und Kollegen der Oppositionsfraktionen Hervorragendes geleistet hat.
Wir können als Parlament – zumal wir keinen Untersuchungsausschuss, sondern nur einen Sonderausschuss hatten, zumal zum Beispiel Frau Kisseler diesem Ausschuss nicht zur Verfügung stand – nicht endgültig urteilen. Dazu gibt es ja auch staatsanwaltschaftliche Untersuchungen. Wir können nicht endgültig beurteilen, ob das zu Recht oder zu Unrecht geschehen ist. Es gibt allerdings sehr viele Hinweise, Expertisen, die darauf hindeuten,
Nein! Ich möchte erst einmal im Zusammenhang argumentieren. Es gibt so viele Hinweise, die dazu hätten führen können – bei einem Senat, der ein wenig kühler an die Sache herangegangen wäre –, zu prüfen und Expertisen heranzuholen, zum Beispiel die Limbach-Kommission einzuschalten, die genau für solche Streitfälle gedacht ist.
Sie hätten dazu führen müssen, dass man vor allem das Parlament und die Öffentlichkeit informiert. Es ist ein enormer Kunstgegenstand, der mit diesem Kirchner-Bild aus Berlin weggekommen ist. Bevor man so etwas weggibt, spricht man erst einmal mit den Leuten, mit der Berliner Kunst- und Kulturszene und gibt es nicht einfach unter der Hand schnell weg.
Das ist der zentrale Vorwurf. Zentral ist nicht, ob die Restitution – das können wir nicht beurteilen – berechtigt ist oder nicht, sondern dass Sie nicht alles getan haben, um die Sache wirklich zu überprüfen, und nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben. Den schlagenden Beweis hat Ihnen Herr Juhnke geliefert: Herr Lauder selbst, einer der Mitinitiatoren der Washingtoner Erklärung, sagt, er habe in diesem Fall kein Verständnis.
Das müssen Sie doch ernst nehmen und können nicht auf einen solchen ernst zu nehmenden Einwand mit der Diffamierung einer ganzen Fraktion antworten. Das gehört sich einfach nicht. Das ist unverschämt, und das weisen wir zurück.
Ich will Ihnen etwas aus der Stellungnahme der CDU vorlesen, die dem Bericht anhängt. Auf Seite 111 heißt es:
Außerdem: Ihre Behauptung, das Bild sei unter der Hand weggegeben worden, ist hinterhältig. Sie wissen doch genau, dass alle Möglichkeiten geprüft wurden. Es ist infam und hinterhältig, wie Sie hier auftreten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der jetzige Schlagabtausch ist ein Zeugnis dafür, wie schwierig es ist, sich einem so komplexen Vorgang inhaltlich und sachgerecht zu nähern. Frau Lange, wir könnten Ihnen – genauso, wie Sie es gerade dem Kollegen Juhnke vorgeworfen haben – bestimmte Dinge, die angeblich widerlegt worden sind, zitieren. Das gilt auch für Ihre völlig aus dem Zusammenhang gerissenen zeithistorischen Beziehungen. Was den Punkt angeht, dass z. B. die Wohnung von Hans Hess zerstört wurde: Sie wissen doch, dass das so überhaupt nicht stimmt
und dass es um jemand anderen ging, gegen den die Nazis vorgingen. Ich finde das schade und werde versuchen, mich in meinem Beitrag, so gut es geht, an den Sachverhalt zu halten. Vielleicht klappt es, aber vielleicht auch nicht.
Am Ende unseres Sonderausschusses „Restitution“ bleibt festzuhalten: Die von der Kulturverwaltung betriebenen Anstrengungen bezüglich der Provenienzforschung und der Umstände des Verkaufs des Kirchner-Gemäldes in der NS-Zeit waren ungenügend. Die offensichtlich frühe Festlegung auf eine Restitution sowie die sachlich nicht gerechtfertigte Geheimhaltung des Rückgabeverlangens vor dem Parlament und der Öffentlichkeit haben verhindert, zu einer fairen und gerechten Lösung, wie sie in den vorgegebenen Regelungen angeregt wird, zu kommen.
Der damalige Kultursenator Flierl und seine Staatssekretärin Barbara Kisseler haben im Ausschuss zur Sachverhaltsaufklärung leider keine Aussage gemacht. Auch ein Oppositionsantrag, den Regierenden Bürgermeister zu den Umständen der Rückgabe im Sommer 2006 zu hören, wurde mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Allein der damals kaum mit der Sache befasste ehemalige Chef der Senatskanzlei Schmitz wurde gehört, aber auch er gab auf wesentliche Fragen keine Antwort. So blieb nach Aktensichtung ungeklärt, warum zum Bei
spiel die Senatskanzlei überhaupt erst nach knapp zwei Jahren über die Befassung mit diesem Vorfall seitens der Fachverwaltung informiert wurde. – Frau Lange, dazu müssen Sie einmal Stellung nehmen!
In einem Schreiben vom März 2006 informierte Frau Staatssekretärin Kisseler den Regierenden Bürgermeister unter anderem über das Angebot einer Großbank, gegebenenfalls eine Zwischenfinanzierung bereitzustellen und unter Anerkennung des Rückgabeersuchens der Erben eine angemessene Entschädigung zu zahlen. Allein diese Option hätte schon eine Wende zugunsten des Erhalts der „Straßenszene“ für Berlin bringen können, aber es folgten ein desinteressiertes Schreiben und weitere minimale Versuche in der Kulturverwaltung, eine Finanzierung zu bekommen. Das verwundert allerdings nicht, konnte der Ausschuss bereits zu dem Verlauf der ersten Begegnung mit der Erbin, im April 2005, in keiner Aktennotiz einen Hinweis finden, und das bei über 1 000 Aktenblättern. – Das ist doch merkwürdig, oder? – So bleibt die Aussage der Direktorin des BrückeMuseums, Frau Prof. Dr. Möller, es habe bereits zu diesem frühen Zeitpunkt eine grundsätzliche Zusage zu der Restitution von Frau Staatssekretärin Kisseler gegeben, im Raum stehen. Das würde jedenfalls erklären, warum so wenige Versuche gemacht wurden, Geld von privaten und öffentlichen Stiftungen, von Banken oder auch von dem kunstinteressierten Teil der Öffentlichkeit zu generieren, um eine Entschädigung zu bezahlen.
Für die Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts gibt es keine rechtliche Verpflichtung. Für uns Grüne ist es eine wichtige Aussage, dass wir uns bei tatsächlich geraubtem Kulturgut zur Rückgabe moralisch verpflichtet sehen, und das wird auch immer so bleiben. Wir nehmen uns aber auch das Recht heraus, eine sachliche Prüfung der Ansprüche vorzunehmen.
Im Fall Kirchner gab es gemäß der Vorgaben der Washingtoner Erklärung und der Handreichung des Bundes und der Länder die Prüfung nach drei Kriterien: Hat bei einem Verkauf eines Kunstwerks der Verkäufer einen angemessenen Kaufpreis erhalten, konnte er darüber frei verfügen, und wäre dieses Rechtsgeschäft auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus zustande gekommen? Bei der Klärung dieser Fragen gilt die Beweislastregel. Kann der Sachverhalt nicht nachgewiesen werden, so geht das zulasten – wie in unserem Fall – des Landes Berlin.
Aufgrund der vorhandenen Prüfungsunterlagen der Kulturverwaltung ist davon auszugehen, dass ein Verkauf des Bildes stattgefunden hat und dass ein angemessener Kaufpreis gezahlt wurde, der auch in die Hände der Mutter des damaligen Eigentümers, Hans Hess, gelangte. Den Nachweis zu führen, dass dieser Verkauf aus dem Besitz einer jüdischen Familie in den Jahren 1936 oder 1937 in dieser Form auch ohne den Nationalsozialismus stattgefunden hätte, ist angesichts der Verfolgungssituation der jüdischen Bevölkerung nicht möglich, und es ist vermutlich auch niemals zu belegen.
Um diesen Vorgang endgültig aufzuklären, wurden wesentliche Aspekte von der Kulturverwaltung ungeprüft gelassen. Aus Sicht der Koalition war die Prüfung dieses Sachverhalts überhaupt nicht erlaubt, weil nur die moralischen Kriterien gewertet wurden. Es fragt sich nur, warum es überhaupt einer Prüfung gemäß der Handreichung bedarf, denn das würde bedeuten, dass die ehemaligen Eigentümer bzw. deren Erben nur ihre Berechtigung nachzuweisen bräuchten, und das Land würde automatisch zurückgeben. So sind die Vorgaben jedoch nicht, Frau Lange. Ich bitte von dieser Stelle noch ein letztes Mal darum, das zur Kenntnis zu nehmen und gedanklich zuzulassen!
Die Vorgaben legen fest, dass an diese grundsätzliche Prüfung eine faire und gerechte Lösung zwischen den Parteien anzuschließen ist, wenn der Rückgabe zugestimmt wurde. Es ist festzustellen: Fair und gerecht war in diesem Fall eher wenig, sondern das gesamte Verfahren war dilettantisch – vielleicht auch mangels Erfahrung mit derartig bedeutenden Vorgängen, die es so bisher in nicht ausreichendem Maß in der Verwaltung gegeben hat. Allerdings ist die politische Bedeutung dieses Bildes, sein Wert auf dem Kunstmarkt und die mangelhaften Bemühungen, unter Anerkennung der Rückgabe alles erdenklich Mögliche in Bewegung zu setzen, um Geld zu sammeln und die Erbin zu entschädigen, was schließlich von ihr selbst angeboten worden ist – wie wir inzwischen wissen, zu einem respektablen Preis, angesichts dessen, dass dieses Bild in der Auktion 38 Millionen Dollar erbracht hat – , komplett falsch eingeschätzt worden. Es hat im Senat niemals eine formelle oder informelle Beratung darüber gegeben, wie mit diesem Fall umzugehen sei. Da fragt man sich: Warum ist das niemals geschehen?