Protokoll der Sitzung vom 28.02.2008

Reformen werden ad absurdum geführt oder schlichtweg rückgängig gemacht, weil der Senat zuvor vergessen hat, die Rahmenbedingungen zum Gelingen dieser Reformen finanziell und personell zu schaffen. Lehrerinnen und Lehrer, die für viel Geld in Berlin ausgebildet worden sind, wandern ab. Wir haben gestern in der Zeitung von einem engagierten ex-Berliner Lehrer lesen können, der gern an einer Schule im sozialen Brennpunkt gearbeitet hätte. Aber Berlin hat diesen engagierten Lehrer davonziehen lassen, weil Sie kein Konzept haben, wie Sie dem Lehrermangel, der der Stadt bevorsteht und tagtäglich in den Schulen erlebt wird, entgegentreten wollen.

[Beifall bei den Grünen]

Berlin kann es sich vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung nicht leisten, dass ein derart großer Teil der Kinder und Jugendlichen in der Stadt so schlecht ausgebildet wird. Ich sage: Herr Wowereit – Sehen Sie doch mal her! –,

[Reg. Bürgermeister Klaus Wowereit: Mache ich doch!]

anstatt diese unmögliche und unverschämte Schülerschelte zu tolerieren, sollten Sie ihn in die Schranken weisen und endlich tatsächlich in die Bildung investieren!

[Beifall bei den Grünen]

Herr Mutlu! Ihre Redezeit ist beendet!

Ich komme zum Schluss. – Wir alle stehen in der Pflicht, den Kindern und Jugendlichen das breit gefächerte soziale und mentale intellektuelle Rüstzeug mitzugeben, dass sie benötigen, um in dieser Wettbewerbsgesellschaft oder Konkurrenzgesellschaft bestehen zu können. Deshalb bitte ich Sie: Packen Sie endlich die Probleme an, und reden Sie nicht davon, dass sich die Lehrer, die Eltern, die Schülerinnen und Schüler vor Ort in den Schulen das alles nur einbilden!

[Beifall bei den Grünen und der CDU]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Mutlu! – Für die Linksfraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Liebich das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben heute von drei Oppositionsparteien einen Antrag vorliegen, der allgemeine Kritik an der Berliner Schulpolitik übt und die Forderung nach mehr Lehrerinnen und Lehrern, nach mehr Geld und mehr Erzieherinnen und Erziehern erhebt. Ich möchte zunächst zur Bildungspolitik der rot-roten Koalition und auch zu deren Finanzierung etwas sagen, dann aber auch zum zweiten Teil, denn das Ganze ist aus einem bestimmten Anlass heraus entstanden. Dieser Anlass war der nicht gelungene Scherz unseres Finanzsenators.

[Özcan Mutlu (Grüne): Das war kein Scherz!]

Erst einmal zur Schulbildung, Schulpolitik und Schulpolitikfinanzierung: Wir haben uns entschieden – darauf hat die Kollegin Tesch schon beim letzten Haushalt Bezug genommen –, die Berliner Schulen personell zu stärken. Wir haben die Sprachförderung nicht abgesenkt, sondern wir haben sie erhöht und werden das auch weiterhin tun.

[Beifall von Dr. Felicitas Tesch (SPD)]

Die Bürokratie in der Berliner Schulverwaltung ist abgebaut worden. Wir haben neue Sozialarbeiterprojekte an den Schulen aufgelegt. Wir haben das letzte Kitajahr kostenfrei gemacht, und zwei weitere Kitajahre werden folgen. Wir haben die ohnehin schon hohen Ausgaben bei Forschung und Hochschule noch weiter erhöht. Einen letzten Punkt will ich auch noch erwähnen, den Sie feinsinnigerweise verschwiegen haben, weil er Ihnen Ihre mühsam zusammengeschmiedete Jamaika-Koalition wieder zerstört hätte: Wir waren heilfroh – und sind es noch immer! –, dass es 15 Schulen in Berlin gibt, die sich bereiterklärt haben, Gemeinschaftsschule zu werden. Alles das können Sie nicht wegreden! Hier ist eine Menge passiert, hier geht es vorwärts.

[Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Dr. Felicitas Tesch (SPD) – Özcan Mutlu (Grüne): Toller Beifall!]

Bei uns, bei der rot-roten Koalition, genießt Bildungspolitik nach wie vor Priorität. Auch wenn das Erreichte nicht das Erreichbare ist – das geht sicherlich nicht immer –, kann ich Ihnen zusichern, dass wir unsere Hausaufgaben gemacht haben und auch weiter machen werden.

Herr Liebich! Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Pop?

Nein! – Wir haben es bei diesem Antrag aber offenkundig neben der Schulpolitik mit einem anderen Vorgang zu tun. Ich bin dankbar, dass wir uns darüber unterhalten, denn es geht um die Äußerungen des Finanzsenators Thilo Sarrazin. Klar, das war ein willkommener Anlass für Sie als Opposition, Ihre brüchige Gemeinschaft wieder ein bisschen zusammenzuschweißen. Diese Anlässe sind in der Tat auch ernst, deshalb will ich aus Sicht unserer Fraktion darauf reagieren und einige Klarstellungen abgeben.

[Zurufe von den Grünen]

Wir sind der Auffassung, dass die Hartz-IV-Sätze nicht ausreichen, dass Menschenrechte, wie unser Landesvorsitzender gesagt hat, mehr sind als Bratwurst und Sauerkraut. Das sage ich Ihnen von den Grünen, die Sie das letzte Mal einen Korb überreicht haben. Wenn es eine Partei hier im Abgeordnetenhaus gibt, die das genau so sagen kann, dann sind wir das, weil nämlich die Hartz-IVRegelsätze von allen anderen Fraktionen beschlossen wurden.

[Özcan Mutlu (Grüne): Ja, ja!]

Wir finden die Äußerung des Finanzsenators falsch, deshalb hat sich das Land Berlin im Bundesrat damals enthalten, und deshalb hat unsere Partei damals im Bundestag dazu Nein gesagt.

Ich finde auch Späße über das mangelnde Berliner Bildungsniveau unserer Schüler im Vergleich zu Bayern aus dem Mund eines Berliner Regierungsmitglieds unpassend. Ich finde, dass Schwarzarbeit kein Kavaliersdelikt ist, sondern ein Gesetzesverstoß, um nur die aktuellsten Beispiele zu nennen. Alles das ist keine Berliner rot-rote Regierungspolitik. SPD und Linke handeln in all diesen Fragen anders, als Thilo Sarrazin spricht.

Sie, Herr Sarrazin, schaden mit diesen Äußerungen unserer ansonsten erfolgreichen Regierungspolitik. Ich finde, das ist langsam mal genug. Wir fordern Sie daher nachdrücklich und ernsthaft auf, dass Sie damit aufhören und zur Sacharbeit als Teil der rot-roten Koalition zurückkehren! – Ich bedanke mich.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Liebich! – Für die FDPFraktion hat Frau Senftleben das Wort. – Bitte sehr!

Verehrte Präsidentin! Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen! Verehrter Herr Senator Sarrazin! Chapeau, zu Anfang erst mal wirkliches Chapeau! In kürzester Zeit haben Sie stakkatomäßig drei verbale Ausrutscher losgelassen. Sie haben Prügel gekriegt – Presse, Opposition, aber auch aus den eigenen Reihen wurde Ihnen durchaus die Meinung gesagt. Das Ergebnis dieser Polterei: Empörung, wie im

mer. Und dabei, Herr Senator, sprechen Sie durchaus ernste Probleme an. Das Problem ist leider: Mit Ihrer Holzerei lösen Sie keine einzige Debatte aus, keine Diskussion, sondern nur Empörung. Sie rütteln die Menschen nicht wach, Sie rütteln sie so lange, bis allen schlecht wird.

[Beifall bei der FDP]

Natürlich – das sage ich ganz deutlich – legen Sie den Finger in die Wunde im Bereich Arbeit, Wirtschaft; und zu unser aller Freude sprechen Sie auch im Bereich Bildung offen und ehrlich aus, wo die Linke und Ihre SPD versagen, nämlich in den Bereichen Arbeit, Wirtschaft und Bildung.

[Beifall bei der FDP und den Grünen]

Aber, Herr Senator, die Bürger und Bürgerinnen dieser Stadt erwarten mehr als reine Sprücheklopferei. Es genügt nicht, nur Probleme zu benennen und sich als Enfant terrible oder als Bad Guy der Senatsriege zu outen. Berlin braucht keine Regierung, die Probleme vertuscht oder Maulkörbe verteilt. Berlin braucht eine Regierung und einen Regierenden, die genau eines tun: die Probleme lösen.

Herr Senator Sarrazin! Ich habe da eine ganz persönliche Frage an Sie, die sich mir geradezu aufdrängt. Haben Sie vergessen, dass Sie in dieser Stadt an einer ganz entscheidenden Position sitzen, dass Sie mitregieren? Tragen Sie nicht auch, insbesondere Sie, Verantwortung für diese Stadt? Wer ist es denn, der die dringend notwendigen Bildungsinvestitionen blockiert? Ich meine, damit haben Sie etwas zu tun. Wer trägt die Verantwortung für den Sanierungsstau an unseren Schulen – von inzwischen 1,5 Milliarden €? Ich gucke da nur mal nach links, Herr Finanzsenator. Kürzungen von 10 Millionen €, allein im letzten Jahr beschlossen? Der Blick nach links. Wer trägt die Verantwortung dafür, dass Schulen nicht mithilfe privater Investoren schneller und effizienter saniert werden können, also wer hat das Programm PPP endgültig gekippt? Wer hat sich vor den Hasenfüßen, hier von den Roten und da von den Roten, einkaufen lassen? – Das sind und waren Sie, Herr Senator. Da haben Sie diesem Land einen Bärendienst getan.

[Beifall bei der FDP]

Und wer trägt die Verantwortung für den chronischen Lehrermangel? Herr Steuer hat eben schon gesagt: 80 Lehrer pro Monat, macht im Jahr 960 Lehrer nach Adam Riese. Wo bleibt der Ersatz? Und wo bleibt hier Ihr Einsatz, Herr Senator? Und wer trägt die Verantwortung für drangsalierte und zusammengestürzte freie Schulen? Wer verspricht ihnen im Juni letzten Jahres finanzielle Zusagen und kann sich ein halbes Jahr später daran nicht mehr so richtig erinnern? Das waren definitiv Sie, Herr Senator. Und zum Schluss: Wer verhindert das Schulessen an gebundenen Ganztagsschulen nach wie vor? – Das sind doch Sie, allerdings gemeinsam mit Ihrem Kollegen Schulsenator, obwohl der Zuschuss im November avisiert, im Dezember beschlossen wurde. Nichts ist unten angekommen! Ich sage wieder deutlich: Beide müssten

kommen! Ich sage wieder deutlich: Beide müssten Sie rote Ohren kriegen.

Also, Herr Senator Sarrazin, hören Sie auf, herumzupoltern, handeln Sie! Aber was tun Sie? Sie kommen daher, machen ein paar blöde Sprüche und dicke Backen. Da müssen Sie sich nicht wundern, dass man Sie bei manch auch berechtigter Kritik nicht mehr für voll nimmt.

[Beifall bei der FDP]

Sie nennen die Dinge beim Namen. Das ist eigentlich eine positive Eigenschaft, gerade in Zeiten der Becks, der Ypsilantis und der Heils ist es durchaus erfrischend. Aber, Herr Sarrazin, Ihre Kritik verpufft, denn der Ton macht die Musik. Und dieser Ton ist zum einen ein Missklang, und zum anderen sind gerade Sie es, der in dieser Stadt den Ton mit angibt. Herr Senator, Sie und Ihre Kollegen und Kolleginnen zur Rechten und zur Linken sitzen im Glashaus. Sie und Ihre Kollegen wissen es ganz genau: Wer im Glashaus sitzt, sollte tunlichst nicht mit Steinen werfen. – Vielen herzlichen Dank!

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Senftleben! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Vorgeschlagen wurde die Überweisung an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie. Widerspruch erhebt sich nicht. Dann ist dies so beschlossen. Weiterhin müsste dieser Antrag auch an den Hauptausschuss überwiesen werden, wozu ich keinen Widerspruch höre.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4 b:

a) Beschlussempfehlungen

Programmqualität in Berliner Kinos fördern und verbessern

Beschlussempfehlungen Kult und Haupt Drs 16/1187 Antrag der Grünen Drs 16/0520

b) Antrag

Filmförderung optimieren – Kinovielfalt erhalten

Antrag der SPD und der Linksfraktion Drs 16/1214

Für die gemeinsame Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Linksfraktion. Frau Dr. Hiller hat das Wort – bitte sehr!