Protokoll der Sitzung vom 13.03.2008

Wenn Sie, lieber Senat, die Bezirksreform wirklich durchziehen wollen, dann müssen Sie das jetzt tun und können es nicht um mehrere Jahre vertagen.

Zweites Problem: Die Umsetzung der Reform ist immer noch unvollständig. Mit dem Entwurf haben wir jetzt die einheitliche Ämterstruktur, die zentralen Anlaufstellen in den Bezirken und die Reduzierung der Stadträte von fünf auf vier. Aber da fehlt doch noch etwas! Da fehlt doch das politische Bezirksamt.

[Beifall bei der FDP und den Grünen]

Obwohl das immer ein wesentlicher Baustein der Koalition war, wird das nun von Teilen der Koalition infrage gestellt. Aber das politische Bezirksamt ist notwendig, damit die Bürger klar sehen, welche Parteien, welche Stadträte in ihrem Bezirk für die Politik verantwortlich sind. Die müssen dann auch dafür gerade stehen. Das Verwischen von Verantwortung, das Pingpongspiel mit Zuständigkeiten, muss endlich aufhören. Klare Verantwortung, klare politische Linien gibt es nur mit dem politischen Bezirksamt.

[Beifall bei der FDP]

Es kann nicht sein, dass Teile der SPD – die CDU war ja schon immer dagegen – diesen wichtigen Schritt blockieren, nur weil einige Stadträte um ihre gut dotierten Posten fürchten.

[Christian Gaebler (SPD): Wenn sie welche haben!]

Noch eine allgemeine Bemerkung zum Schluss. – Die Verwaltungsreform konzentriert sich leider immer wieder zu sehr auf die Bezirke. Es ist endlich an der Zeit, dass die Hauptverwaltung an die Reihe kommt.

[Beifall bei der FDP und den Grünen]

Kollege Dr. Zotl hat im Ausschuss für Verwaltungsreform zu Recht festgestellt:

Wir haben damals bei der Einführung der Verwaltungsreform bei den Bezirken angefangen. Wir haben beim Vollzug angefangen, nicht beim Erlass von Gesetzen. Das war ganz eindeutig ein Fehler.

So ist es. – Festzustellen ist jedenfalls, den Bezirken Reformen aufzudrücken, scheint offensichtlich allen leichter zu fallen, als die Hauptverwaltung anzugehen. Die Verbesserung der Arbeit der Bezirke funktioniert aber nur, wenn das ständige Hineinregieren durch die Hauptverwaltung, das Verwischen von Verantwortung, das Unkenntlichmachen von Verantwortung, abgestellt werden. Das ist doch das, was Verwaltungsprozesse verzögert, sie undurchschaubar und bürgerunfreundlich macht.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Dass dann manchmal solche Fehlleistungen wie beim Spreedreieck entstehen, ist auch kein Wunder mehr.

Die FDP-Fraktion unterstützt den vorliegenden Gesetzentwurf grundsätzlich und wird aber zusätzlich darauf dringen, die Verwaltungsreform konsequent weiterzuführen. Wir werden Druck machen, damit die dringend notwendige Reform auch in der Hauptverwaltung umgesetzt wird und eine eindeutige und saubere Abgrenzung der Aufgaben von Hauptverwaltung und Bezirken erfolgt. Die Bürger dieser Stadt haben ein Anrecht darauf, die besten und die effizientesten öffentlichen Dienstleistungen zu erhalten. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Herr Kollege! – Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung sowie an den Hauptausschuss. Weiterhin wurde die Überweisung an den Ausschuss für Verwaltungsreform, Kommunikations- und Informationstechnik als federführenden Ausschuss und an den Ausschuss für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz vorgeschlagen. – Dagegen höre ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 7:

Große Anfrage und schriftliche Antwort des Senats

Sicherung des Fachkräftebedarfs in der Altenpflege

Große Anfrage der Grünen und Antwort des Senats Drsn 16/0538 und 16/1175

Wir beginnen mit einer zusätzlichen mündlichen Stellungnahme der Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales. – Bitte, Frau Senatorin Knake-Werner!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Fachkräftebedarf in der Altenpflege liegt Ihnen in der schriftlichen Beantwortung der Großen Anfrage eine Fülle von Informationen, Fakten und Daten vor. Deshalb nutze ich jetzt die Gelegenheit für einige grundsätzliche Anmerkungen zum Thema Pflege.

Im Jahr 2020 wird jeder vierte Berliner zu den Seniorinnen und Senioren mit steigender Lebenserwartung gerechnet. Nun wissen wir alle, dass wir es nicht mit den Älteren zu tun haben. Das ist keine homogene Gruppe. Der überwiegende Teil der Älteren ist bis ins hohe Alter fit, gesund und gesellschaftlich aktiv, lebt unabhängig, allein, selbstbestimmt und weitgehend ohne fremde Hilfe. Das ist natürlich sehr gut so. Doch auch die Zahl derjenigen wird zunehmen, die früher oder später auf Unterstützung angewiesen sind. In Berlin verfügen wir bereits seit langer Zeit über ein sehr gutes, in sich gewachsenes Beratungs- und Versorgungssystem. Den vernetzten Strukturen kommt bundesweit eine Vorreiterrolle zu, insbesondere dann, wenn es darum geht, den Grundsatz „ambulant vor stationär“ umzusetzen. In diesem Sinne begrüße ich auch das Vorhaben der Bundesregierung zur Einführung von Pflegestützpunkten. Das eröffnet uns die Möglichkeit, gut verzahnt mit den Berliner Koordinierungsstellen rund ums Alter dieses Versorgungs- und Beratungssystem zu erweitern, es weiter zu qualifizieren und vor allem die Betreuungs- und Beratungsangebote zu differenzieren, z. B. für Menschen mit Migrationshintergrund oder für Demenzerkrankte.

[Gregor Hoffmann (CDU): Schön geredet!]

Auch die Zahl der älteren Menschen wird steigen – aber natürlich, Herr Hoffmann, extra für Sie! –, die ständig Pflege brauchen. Etwa drei Viertel aller Pflegebedürftigen wird heute zu Hause gepflegt, davon mehr als zwei Drittel ohne professionelle Unterstützung. Ein Viertel der Pflegebedürftigen lebt in stationären Einrichtungen. Unabhängig davon, ob künftig Familien und Angehörige weiterhin einen so erheblichen Anteil an der Pflege übernehmen, wird schon heute deutlich, dass der Bedarf an professioneller Pflege und gut qualifizierten Fachkräften wachsen wird. Da gilt es natürlich, sich darauf einzustellen.

[Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Gregor Hoffmann (CDU)]

Ein weiterer Aspekt in diesem Zusammenhang, der mir sehr wichtig ist: Mit dem Wandel des Pflegebegriffs, der leider nicht gesetzlich verankert wird, und den sich damit verändernden Anforderungen an die Pflege besteht gerade in der Ausbildung ein zwingender Bedarf, die Ausbildungsinhalte anzupassen, sie zu überprüfen und ggf. auch neue Berufsbilder in der Pflege und Betreuung zu entwickeln. Besonders gilt dies für Demenzerkrankte. Berlin beteiligt sich deshalb auch am Modellprojekt der Bundesregierung zur Weiterentwicklung der Pflegeberufe mit einem Vorhaben unter dem Titel „Pflege in Bewegung“.

Zurzeit gibt es auch ein Modellprojekt der BoschStiftung, z. B. zur verkürzten Ausbildung von Pflegekräften. Ich bin da skeptisch, aber man wird sicherlich die Ergebnisse prüfen müssen.

Will man allerdings einem künftigen Pflegenotstand wirksam begegnen – und das wollen wir natürlich in Berlin –, dann muss der Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften gesichert werden, heute und künftig. Deshalb ist zweierlei notwendig, erstens die Ausbildungssituation in den Blick zu nehmen und zweitens das Imageproblem der pflegerischen Berufe mit mehr Aufmerksamkeit zu bedenken.

[Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Ülker Radziwill (SPD) – Gregor Hoffmann (CDU): Nur der Blick reicht auch nicht aus!]

Zunächst zur Ausbildung: Mit der Neuregelung der Altenpflegeausbildung durch ein Bundesgesetz im Jahr 2003 wurde das Ziel verfolgt, die Qualität der Ausbildung bundesweit einheitlich zu organisieren und zu sichern, eine löbliche Absicht. Neben der engen Verbindung von Theorie und Praxis in der schulischen Ausbildung erfolgt die qualifizierte praktische Ausbildung in dafür anerkannten Einrichtungen. Das sind in der Regel die Pflegeeinrichtungen. Deshalb braucht es geeignete Ausbildungsplätze. Daraus kann in der Zukunft ein richtiges Problem entstehen. Die Ausbildungsbereitschaft der Einrichtungen ist leider nicht so, wie es für die Zukunft nötig wäre. Warum ist das so? – Die Träger der praktischen Ausbildung, also die Pflegeeinrichtungen, schließen für die Dauer der dreijährigen Ausbildung Verträge mit Auszubildenden ab. Sie bezahlen ihnen eine angemessene Vergütung, obwohl ihnen die Auszubildenden nur in der Praxisphase zur Verfügung stehen. Dafür dürfen die Pflegeeinrichtungen die Kosten auf die Pflegesätze umlegen, mit zwei Nachteilen: Erstens entsteht ihnen ein klarer Wettbewerbsnachteil gegenüber den Einrichtungen, die nicht ausbilden. Zweitens belastet das die zu Pflegenden oder deren Angehörige finanziell. Hier liegt ein echtes Grundproblem in der Altenpflege. Ganz anders ist es in der Krankenpflege organisiert. Die Kosten der Ausbildung müssen in der Altenpflege von den Nutzerinnen und Nutzern bezahlt werden, weil die Pflegekassen sie nicht tragen. Entsprechend groß sind natürlich die Beschwerden der Nutzerinnen und Nutzer, aber auch die Zurückhaltung der Einrichtungen. 90 von 290 Pflegeeinrichtungen in Berlin bilden überhaupt nur aus oder geben einen Platz für das dritte Jahr in der Umschulung. Das ist ein Riesenproblem.

Zur Verbesserung der Ausbildungsplatzzahlen hat der Senat mit Verbänden und Einrichtungen nach Wegen gesucht, zusätzliche Ausbildungskapazitäten zu erschließen. Im Rahmen des Stellenplans der Einrichtungen können deshalb drei Auszubildende für eine Stelle einer nicht examinierten – das betone ich ausdrücklich, weil es darüber eine schiefe Debatte in der Öffentlichkeit gibt –, das heißt, gegen eine Hilfskraft gegengerechnet werden. Eine Umlage der Kosten ist dann nicht mehr möglich. Das hat drei Vorteile: Die Pflegeeinrichtungen sparen nichts, aber

die Nutzerinnen und Nutzer werden nicht belastet, und die Ausbildungsplatzsuchenden haben größere Chancen.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Deshalb unterstütze ich ausdrücklich diesen Weg. Ich freue mich sehr, dass der Landespflegeausschuss diese Forderung gestern einstimmig mit erhoben hat.

[Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Christian Gaebler (SPD) und Ülker Radziwill (SPD)]

Abschließend eine Bemerkung zum Ansehen der pflegerischen Berufe: Trotz des unermüdlichen Einsatzes der meisten Pflegekräfte ist der Ruf der Pflege denkbar schlecht, und darunter leiden nicht nur die Beschäftigten, sondern auch die Attraktivität solcher Ausbildungsberufe. Wir brauchen deshalb eine Aufwertung der Pflegeberufe, eine Imagekampagne ist notwendig. Der Landespflegeausschuss hat hier eine wichtige Initiative ergriffen. Zur Aufwertung der Pflegeberufe gehört aber auch eine Bezahlung, die der Verantwortung und dem Engagement in diesem Arbeitsfeld gerecht wird. Ich unterstütze deshalb die Forderung der Berufsverbände nach einem Mindestlohn in der Altenpflege. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Danke schön, Frau Senatorin! – Wir kommen nun zur Aussprache, in der jede Fraktion eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung hat. Es beginnt Frau Villbrandt von der Fraktion der Grünen. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Große Anfrage hat schon etwas Schimmel angesetzt. Aber trotzdem schönen Dank, Frau Senatorin, für die Beantwortung! Ich habe mich außerdem diesmal sehr gefreut, dass die Antwort nicht erst der Öffentlichkeit präsentiert wurde, bevor wir sie selbst lesen konnten, wie kürzlich bei einer anderen Großen Anfrage von uns.

[Beifall bei den Grünen]

Warum diese Große Anfrage? – Zuerst sind das die Herausforderungen, die uns der demografische Wandel bescheren wird, besonders die wachsende Zahl hochbetagter Menschen. Werden Menschen älter, dann wächst die Wahrscheinlichkeit, dass sie im Alter auch pflegebedürftig werden, auch wenn künftige Generationen etwas gesünder als die heutigen leben oder altern.

Dass Sie, Frau Senatorin, in der schriftlichen Beantwortung etwas anderes behaupten, ist ziemlich unerträglich. Sie wollen damit Ihre Verantwortung verweigern und – wie so oft – für nichts, was wesentlich ist, zuständig sein. Wenn der Bedarf an Pflege steigt und wenn die Pflege qualitativ gut sein soll, dann kann diese Aufgabe nur durch eine höhere Zahl auch an Fachpflegekräften bewältigt werden.

[Beifall bei den Grünen – Dr. Stefanie Schulze (Linksfraktion): Erklären Sie das mal!]

Lesen Sie bitte die schriftliche Beantwortung, dann werden Sie wissen, warum ich das sage.

Wir müssen uns fragen, wie die Sicherheit, die Würde und die Lebensqualität von pflegebedürftigen Menschen garantiert werden kann, und wir müssen aus diesem Grund Pflege neu definieren. Das hat die Senatorin schon angesprochen. Aber diesen Weg muss man jetzt gehen. Wir müssen ergründen, was dies für die fachliche Qualifikation der Pflegekräfte bedeutet und was sich an der bisherigen Ausbildung ändern muss.

[Beifall bei den Grünen]

Wir haben bereits einen erheblichen Anstieg der Zahl an Menschen die demenzerkrankt sind. Daraus ergibt sich dringender Handlungsbedarf des Senats, die Ausbildung von Altenpflegekräften in ausreichendem Umfang sicherzustellen und auch fachliche Anforderungen zu definieren, die sich aus diesem Krankheitsbild ergeben.

In den vergangenen Jahren gab es für die Ausbildung zur Altenpflege immer wieder mehr Bewerber und Bewerberinnen als Plätze, weil es auch an Praxisstellen für die Auszubildenden mangelt. Die stationären Einrichtungen der Altenhilfe bilden nämlich immer weniger Altenpfleger und Altenpflegerinnen aus, weil ihnen die Refinanzierung durch die Pflegekassen im Verhältnis zu den Kosten nicht ausreicht. Ambulante Pflegeeinrichtungen wiederum stellen kaum Praxisplätze zur Verfügung und andere Gründe hat die Senatorin schon angesprochen.