Protokoll der Sitzung vom 13.03.2008

Im Übrigen führt dieses Sich-selbst-Feiern und das Ausblenden der nach wie vor dramatischen Haushaltsrisiken für Berlin – der Soli wird zurückgeführt; wir wissen nicht, wie sich die Konjunktur entwickeln wird; wir werden zusätzliche Lasten aufgrund der demografischen Situation Berlins haben –, dieses Vorspielen, wir hätten bei der Konsolidierung Riesenerfolge erreicht, nicht nur in Berlin, etwa bei der BVG, dazu, dass sie sagen: Jetzt sind wir auch einmal dran!, sondern es führt auch bei den anderen Bundesländern, im Rahmen der Föderalismuskommission II, dazu, dass sie sagen: Na, wenn es gut um die Berliner Finanzen bestellt ist, dann legen wir eben nur für Schleswig-Holstein, Bremen und das Saarland einen Altschuldentilgungsfonds auf! – Auch die anderen Länder haben die Erfolgsmeldung, die Sie selbst in die Welt gesetzt haben, so verstanden, als hätte Berlin es jetzt nicht mehr nötig. Reden Sie lieber etwas bescheidener über die eigene Finanzlage! Es würde Ihnen in Berlin selbst helfen, und es würde Ihnen auch gegenüber den anderen Bundesländern helfen!

[Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD – Uwe Doering (Linksfraktion): Deswegen streikt die BVG?]

Und dann hat es Anfang des Jahres ein Signal von Herrn Lederer, Herrn Wolf und Frau Blum gegeben.

[Martina Michels (Linksfraktion): Das war von Frau Merkel!]

Da wurde klar gesagt, es müsste schon im Jahr 2008 Gehaltserhöhungen geben. Wenn ich Verdi wäre oder BVGBetriebsratsvorsitzender, dann hätte ich gesagt: Ein Teil der Koalition sagt, es kann mehr Geld geben, das ist doch die Aufforderung zu einem Streik! – Und das kam aus der Koalition! Es wurde übrigens von Herrn Wowereit gerügt, aber es wurde nicht zurückgenommen. Auch Herr Müller hat sich dem angeschlossen. Das ist doch auch ein Wecken von Begehrlichkeiten, das hier stattgefunden hat!

[Uwe Doering (Linksfraktion): Wir haben über den öffentlichen Dienst gesprochen, nicht über die BVG! Nicht durcheinanderbringen!]

Ja, aber auch davon geht ein Signal aus, Herr Kollege! Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, dass Sie unterschiedliche Signale ausgesandt haben!

Der Hauptvorwurf, den wir machen, ist, dass Sie kurz vor dem Streik, der sich anbahnte, und während des Streiks nicht etwa zur Deeskalation beigetragen haben, sondern die Beschäftigten in der BVG und den ganzen öffentlichen Dienst provoziert und verärgert haben. Damit haben Sie zur Eskalation und nicht zur Deeskalation in dieser Stadt beigetragen!

[Beifall bei der CDU – Zurufe von der Linksfraktion]

Muss man, selbst wenn man der Meinung von Herrn Sarrazin ist, dass Busfahrer sehr gut verdienen – und dafür gibt es für diejenigen, die schon lange Busfahrer sind, auch gute Gründe –, in Interviews erklären: Das sind Leute, die schon heute ihr Geld am Markt nicht mehr wert sind?

[Henner Schmidt (FDP): Ja!]

Wenn man solche Äußerungen macht und so mit Leuten umgeht, die Jahre und Jahrzehnte lang in dieser Stadt pünktlich und anständig ihren Dienst versehen, die in ihrem Dienst auch bespuckt und geschlagen werden, dann verschärft man eine Situation. Und das trägt nicht dazu bei, zu einer vernünftigen Lösung zu kommen. Das ist der Vorwurf, den wir Ihnen machen.

[Beifall bei der CDU]

Da liegt jetzt der Busfahrer der Linie M 29, die durch Kreuzberg fährt, im Krankenhaus. Er hat versucht, einer Frau zu helfen, und wurde mit dem Messer niedergestochen. Der Mann müsste einen Orden bekommen. Er müsste belobigt werden. Stattdessen muss er sich Beschimpfungen von Herrn Sarrazin anhören. Das ist nicht anständig gegenüber den Leuten, die für unsere Stadt arbeiten und vernünftig und gut arbeiten!

[Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD und der Linksfraktion]

Sie wissen selbst – sie brauchen gar nicht unruhig zu werden –: Es ist Herr Lederer selbst, Ihr Koalitionskollege, Herr Sarrazin, Herr Wowereit, der diese Art von Äußerungen kritisiert hat. Was sagt Herr Lederer in einem Interview vom 8. März?

Thilo Sarrazin hat zu einer Eskalation beigetragen. Es ist absolut kontraproduktiv, die Arbeitnehmer mit überspitzten Äußerungen in der Öffentlichkeit schlecht zu machen.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Richtig oder falsch?]

Das genau ist der Vorwurf. Herr Gaebler hat ihn eben wiederholt. Es reicht nicht mehr, immer nur zu sagen: Ja, das hat Herr Sarrazin ein bisschen überspitzt gesagt. So ist er eben, unser Thilo. – Ein anderes Mal heißt es dann: Na

ja, ich hätte es auch nicht so formuliert. – Herr Regierender Bürgermeister! Sie regieren die Stadt. Es ist Ihr Senator, Sie haben Richtlinienkompetenz. Hören Sie endlich auf damit, die Arbeitnehmer dieser Stadt zu beleidigen und in die Ecke zu stellen! Sie haben es nicht verdient.

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion)]

Sie hätten vorher mit den Beschäftigten und den Gewerkschaften sprechen müssen,

[Michael Müller (SPD): Was sagen Sie denn eigentlich zur BVG?]

informell, aber Sie hätten sich auch mit Ihnen treffen müssen. Wir haben es gemacht.

[Oh! bei der SPD und der Linksfraktion – Uwe Doering (Linksfraktion): Wir auch!]

Wir haben es immer wieder gemacht. Das ist von den Gewerkschaften auch anerkannt worden.

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Sie benutzen sie nur!]

Von Ihnen jedoch kommt nur das Signal, dass es keine Gesprächsbereitschaft gibt, nach dem Motto: Wir haben doch Tarifverträge. Wenn jemand in einer Stadt wie Berlin Gesprächsbedarf formuliert, sich die Konjunktur insgesamt gut entwickelt, die Mieten und Abgaben steigen und die Menschen nicht mehr wissen, wie sie ihre Mieten, Nebenkosten und Kredite bezahlen sollen, dann muss man mit ihm sprechen. Man muss die Menschen ernst nehmen, auf sie zugehen und darf sie nicht in die Ecke stellen und obendrein auch noch beschimpfen. Das ist ein Stil, der zur Ausgrenzung beiträgt und zur Spaltung führt. Das ist die Arroganz der Macht und keine verantwortliche Regierungspolitik, wie sie notwendig gewesen wäre. Wenn Sie verantwortliche Regierungspolitik betrieben hätten, hätte es diese Eskalation in den vergangenen neun Tagen nicht gegeben.

[Beifall bei der CDU – Daniel Buchholz (SPD): Wofür sind Sie denn, Herr Pflüger?]

Diese Stadt hat enorme soziale Probleme. Dass die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner diese sieht, zeigt das große Verständnis, dass die Menschen trotz der öffentlichen Finanzlage, trotz der Beschwernisse durch den Streik immer wieder gezeigt haben. Der sozialen Probleme muss man sich annehmen. Herr Wowereit! Dagegen helfen keine Image- und Be-Berlin-Kampagnen, sondern dagegen hilft nur eine sozial gerechte, an den Problemen orientierte Politik. Es geht um Substanz und nicht um Verpackung,

[Zuruf von Michael Müller (SPD)]

es geht um Inhalte und Konzeptionen und nicht um eine neue Imagekampagne. Berlin hat ein gutes Image,

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Eben!]

aber es wird schlechte Politik gemacht. Das muss geändert werden – zum Wohle der Berlinerinnen und Berliner. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Dr. Fritz Felgentreu (SPD)]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Pflüger! – Für die Linksfraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Matuschek das Wort. – Bitte sehr!

[Joachim Esser (Grüne):Wasser trinken nützt jetzt auch nichts!]

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wende mich heute von diesem Ort auch direkt an die Beschäftigten der BVG.

[Oh! von der CDU – Dr. Martin Lindner (FDP): Sehr staatstragend! – Weitere Zurufe von der CDU]

Ich möchte Ihnen sagen, dass ich für die Gründe, weshalb Sie diesen Streik begonnen haben, Verständnis habe. Dieses Verständnis teilt nicht nur meine Partei, es wird auch von vielen Berlinerinnen und Berlinern geteilt.

[Mario Czaja (CDU): Vielleicht hätten Sie für diese Rede auf einen Betriebshof der BVG fahren sollen!]

In den letzten Jahren ist die alltägliche Situation in diesem Land für viele Menschen schwieriger geworden: Realeinkommenverluste, Arztpraxisgebühr und höhere Preise treffen viele hart. Hartz IV entmündigt und entmutigt auch in Berlin Tausende Menschen.

[Zurufe von Burgunde Grosse (SPD) und Volker Thiel (FDP)]

Anhaltende Arbeitslosigkeit trotz Wirtschaftsaufschwung, Kinder- und Altersarmut, das alles sind Zeichen für ein rauer gewordenes soziales Klima. Es gibt dieses Klima auch in Berlin, trotz und neben dem so schönen, hippen, modernen und bunten Berlin. Das macht wütend.

[Joachim Esser (Grüne): Liegt vermutlich an ihrer Stimmung!]

Es gibt aber auch bei der BVG selbst ganz spezielle Sachverhalte, die wütend machen. Das ist zum Ersten die vermeintlich fehlende gesellschaftliche Akzeptanz. Berlin und die BVG, das war früher einmal eine gefühlte Einheit. Der BVGer galt als der Prototyp eines Berliners schlechthin, der war etwas, der hatte Autorität. Das ist anders geworden. Obwohl Millionen von Touristen neidisch auf den Berliner Nahverkehr zu allen Wochentagen, Tages- und Nachtstunden sind, wird in Berlin selbst die BVG als der Lieblingsadressat für Pauschalkritik benutzt.

[Christoph Meyer (FDP): Das ist jetzt aber unseriös, oder?]

Da kann das Angebot noch so zuverlässig zur Verfügung stehen, die Fahrzeugflotte die beste in der Bundesrepublik sein, da können Schüler-, Geschwister- und Sozialtickets als einzigartige soziale Errungenschaften gesichert werden,

[Joachim Esser (Grüne): Heul, heul!]

der Berliner im Allgemeinen, die politische Opposition, Herr Esser, im Besonderen meckert, meckert und meckert. Diese Meckerei wird bei den Beschäftigten, den Fahrern der BVG insbesondere abgeladen. Zum anderen geht es um den gestiegenen Arbeitsdruck. Die gleiche Verkehrsleistung wird heute von viel weniger BVGern erbracht – zuverlässig und pünktlich. Ein Fahrer hat heute sehr viel stringenter den Fahrplan einzuhalten, obwohl er auch Fahrscheine verkauft, kontrolliert, den Bus sauber hält, mit dramatisch schlechter gewordener Verkehrsdisziplin zurechtkommen, Auskünfte in vielen Sprachen geben und natürlich freundlich zu den Fahrgästen sein soll. Das alles für weniger Geld. Mehr noch, die Fahrerinnen und Fahrer bekommen die sozialen Probleme der Stadt ins Gesicht gespuckt oder mit der Faust ins Auge gedrückt. Und sie fühlen sich allein gelassen. Allein gelassen von Ihrem Vorstand, dem das innerbetriebliche Klima egal zu sein scheint, von der Polizei, die sie scheinbar nicht sicher schützen kann,

[Klaus-Peter von Lüdeke (FDP): Wer regiert denn eigentlich die Stadt?]