Protokoll der Sitzung vom 10.04.2008

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Zillich! – Ich bitte um Entschuldigung bei Herrn Mutlu. Wir haben das übersehen: Die Redezeit von Herrn Zillich war eigentlich schon beendet, aber er hat etwas überzogen.

[Mieke Senftleben (FDP): Er hat sehr überzogen! Ich möchte auch zwei Minuten überziehen!]

Herr Mutlu, Sie haben jetzt das Wort. Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Es ist kein Problem, ich wollte nur eine Frage stellen, aber ich kann ja jetzt etwas dazu sagen. – Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Einiges, was ich jetzt hier sage, wird Ihnen bekannt vorkommen.

[Mieke Senftleben (FDP): Ach!]

Wir haben dieses Thema schon des Öfteren diskutiert. Sie wollten darüber reden, also müssen Sie jetzt meinen Redebeitrag über sich ergehen lassen. Manchmal ist es auch gut, wenn man Dinge wiederholt, dann lernen vielleicht manche, die auch etwas zu lernen haben, dazu.

Unser Ziel ist es, dass Kinder unterschiedlicher sozialer Herkunft, unterschiedlicher Kulturen, mit und ohne Behinderungen sowie leistungsstarke – das betone ich, Frau Senftleben – und leistungsschwache gemeinsam unterrichtet und bestmöglich individuell gefördert werden.

[Beifall bei den Grünen]

Für uns ist auch das Ziel einer gemeinsamen Schule für alle nach skandinavischem Vorbild nach wie vor richtig und erstrebenswert. Dafür werden wir uns weiterhin einsetzen.

[Beifall bei den Grünen]

Auch wir wollen die Berliner Schulen dazu befähigen, alle Schülerinnen und Schüler gemeinsam zu unterrichten und individuell zu fördern. Allerdings reicht es nicht aus, wenn man sagt: Man will es. – Man muss auch die Voraussetzungen dafür schaffen. Deshalb werden wir uns in Anbetracht Ihrer Gesetzesvorlage enthalten, weil wir der Meinung sind, dass etliche Voraussetzungen nicht geschaffen werden. In diesem Schulgesetz wird zwar einiges und vieles Richtige für die künftigen elf Gemeinschaftsschulen oder Pilotschulen getan, sie bekommen neue Chancen – das ist auch gut so –, aber eine Antwort auf die Probleme der Berliner Schulen in der Fläche ist dieser Gesetzentwurf nicht. Herr Zillich! Dass Schulen, die nicht an der Pilotphase teilnehmen, auch diverse Kriterien dieses Schulgesetzes in Anspruch nehmen können, stimmt nicht: Das setzt alles einen KMK-Beschluss voraus. Eine Berliner Schule, die wie die Pilotschulen Sitzenbleiben oder Probehalbjahr abschaffen will, kann dies ohne Genehmigung der KMK nicht. – Deshalb sage ich: Das ist ein halber Schritt. Wer individuelle Förderung in den Berliner Schulen flächendeckend etablieren will, muss das Problem am Kern angehen und Sitzenbleiben generell abschaffen, für alle Schulen in Berlin und nicht nur für die elf Pilotschulen.

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion)]

Wer eine Veränderung der Berliner Schullandschaft möchte, kann die Gymnasien nicht auf der einen Seite und die Hauptschulen auf der anderen Seite lassen und sagen: „Nur die elf Pilotschulen, was in den Hauptschulen passiert, interessiert mich nicht“, und die Gymnasien, die tatsächlich einer Reform bedürfen – das ist die Schule, wo am meisten Reformen gemacht werden müssten –, die fassen wir nicht an. Wir sagen: Das ist zu kurz gegriffen. Eine Gesetzesänderung, die derart wichtig ist, oder eine Veränderung der Bildungslandschaft in Berlin, die tatsächlich gewollt ist, muss die Gymnasien reformieren, muss eine innere Reform der Gymnasien als Kern haben und muss auch das Problem der Hauptschulen lösen. Sie haben keine Antwort auf die Probleme der Hauptschulen. Das ist Ihnen vorzuwerfen.

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Sascha Steuer (CDU)]

Wann will man das Problem der Hauptschulen angehen? – Irgendwann, wenn wir die Ergebnisse dieser Gemeinschaftsschule vorliegen haben! Das kann mindestens eine Schülergeneration dauern. Aber die Hauptschulen haben keine Zeit, haben nicht zehn Jahre oder sechs, sieben Jahre Zeit zu warten, bis irgendwann einmal der rot-rote Senat – wenn er denn überhaupt nach 2011 regiert – eine Antwort auf die Misere hat.

[Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion)]

Die Hauptschülerinnen und -schüler brauchen jetzt Antworten und Lösungen. Ich kann unserem Senator nur raten – er kommt aus einem Land, nämlich aus RheinlandPfalz, das den richtigen Schritt unternommen hat, die Hauptschulen abzuschaffen –: Nehmen Sie sich daran ein Beispiel! Schaffen Sie die Hauptschulen ab! Denn sie helfen weder den Schülerinnen und Schülern, noch bieten sie sonstige Zukunftschancen.

Weil es keine Antworten auf die Hauptschulmisere gibt, weil auch diese elf Pilotschulen nicht mehr Bildungsgerechtigkeit schaffen, obwohl das Ziel richtig ist, werden wir uns bei diesem Gesetz enthalten.

[Carola Bluhm (Linksfraktion): Das ist ja revolutionär!]

Ja! – Wir brauchen eine flächendeckende Qualitäts- und Sprachoffensive. Wir brauchen eine konsequente individuelle Förderung und eine andere Lern- und Unterrichtskultur in der Fläche. Wir brauchen eine andere Lehrerinnen- und Lehrerausbildung.

Ein letzter Satz zu der hier zitierten Elementstudie: Die Konsequenz aus der Elementstudie ist nicht, die sechsjährige Grundschule in Frage zu stellen, sondern die richtige Konsequenz ist es, sich die Frage zu stellen, was in der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung falsch läuft, sodass in der fünften und sechsten Klasse offensichtlich – wir kennen die Studie nicht – die Leistungsstärkeren weniger gefördert werden.

Das waren viele letzte Sätze.

Hier müssen wir genauer hinschauen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Mutlu! – Herr Zillich hat den Wunsch zu einer Kurzintervention. – Bitte, Sie haben das Wort, Herr Abgeordneter Zillich!

Vielen Dank! – Herr Kollege Mutlu! Es ist völlig in Ordnung, dass man als Opposition sagt: Mit uns ginge das alles noch viel schneller und radikaler. Das ist okay. Schwierig ist es nur, wenn man mit dieser Begründung die eigene Unsicherheit und die Unsicherheit in der eigenen Fraktion im Abstimmungsverhalten versteckt.

[Beifall von Mieke Senftleben (FDP)]

Der zweite Punkt: Ich finde es etwas ärgerlich, wenn Sie sagen, es gehe nicht, dass Schulen, die sich nicht formal an der Pilotphase beteiligen, trotzdem Elemente aus der

Pilotphase anwenden, weil sie eine KMK-Genehmigung bräuchten.

[Özcan Mutlu (Grüne): Da sitzt der Senator! Den können Sie fragen!]

Zur Logik Ihrer Argumentation: Wenn das so wäre, wie wäre es denn dann möglich, das auf alle Schulen zu übertragen. Das wäre mit der KMK-Genehmigung das gleiche Problem.

Nein, dadurch, dass wir es an die Pilotphase ankoppeln, die die KMK-Genehmigung hat, gibt es dort aus meiner Sicht kein Problem. Das ist das Wichtige: Dass wir den Schulen diese Möglichkeit eröffnen, auch wenn sie nicht an der Pilotphase beteiligt werden. Ich fände es auch gut, wenn es noch mehr Schulen wären, und bin mir sicher, dass es über die zweite Bewerbungsrunde, die wir in diesem Jahr noch haben werden, noch mehr werden. Ich begrüße alle Schulen, auch alle Gymnasien, die von einzelnen Punkten Gebrauch machen wollen. Genau diese Möglichkeit haben sie über diese Gesetzesänderung.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Herr Mutlu hat das Wort zum Replizieren. – Bitte sehr!

Herr Kollege Zillich! Wenn Sie die Regularien kennen würden, würden Sie wissen, dass für ein derartiges Vorgehen bei jeder Schule ein KMK-Beschluss oder eine KMK-Genehmigung notwendig ist. Wo kämen wir sonst hin? Wir hätten sonst Beliebigkeit. Jede Schule, die Elemente aus diesem Gesetz oder Elemente, die die Pilotschulen haben, nutzen möchte, muss sich zuvor eine KMK-Genehmigung einholen. Anders geht dies nicht. Deshalb sage ich, dass dies ein halber Schritt ist.

Warum tun Sie nicht den ganzen Schritt und sagen: Wir schaffen das generell ab, indem wir in der KMK eine Initiative starten und diese Selektionsmechanismen bzw. Ausleseinstrumente, die das vielgliedrige Schulsystem beinhaltet, abschaffen, da sie nicht mehr individuelle Förderung bewirken, sondern das Gegenteil. Deshalb wäre es richtig und konsequent zu sagen: Wir beschäftigen uns hiermit, wir schaffen das Probehalbjahr generell ab. Wir schaffen das Sitzenbleiben generell ab. Wir schaffen die Bildungsgangempfehlung generell ab, weil wir inzwischen durch etliche internationale Studien und Untersuchungen wissen, all diese Instrumente bringen nichts. Aber das tun Sie nicht.

Und jetzt sagen Sie auch noch: Wir haben elf Pilotschulen, es sollen noch weitere hinzukommen. Wir haben 22 Millionen € für fünf Jahre. Wenn Sie Qualität wollen, können Sie nicht jedes Jahr etliche weitere Schulen hinzufügen – Wie wollen Sie das Ganze finanzieren? –, oder wollen Sie bei den nächsten Haushaltsberatungen für die Gemeinschaftsschule noch weitere 20, 30 Millionen € zur

Verfügung stellen? Der Einsatz dieser 20,30 Millionen € wäre jetzt für die Lösung der Probleme der Berliner Schule angebracht und notwendig!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Mutlu! – Für die FDPFraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Senftleben das Wort! – Bitte sehr!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Kollege Mutlu hat recht, das Problem der Hauptschule ist in keiner Weise gelöst. Aber vielleicht dieser kleine Tipp an die Grünen – Herr Zillich, ich gebe Ihnen selten recht, aber in diesem Fall muss ich es tun:

[Özcan Mutlu (Grüne): Jetzt kommt die Retourkutsche!]

Es kommt keine Retourkutsche.

[Özcan Mutlu (Grüne): Nehmen Sie es nicht persönlich!]

Die Fraktion der Grünen sich muss langsam entscheiden, in welche Richtung sie gehen will.

[Beifall bei der FDP, der SPD und den Linksfraktion]

Sie singen das Hohelied auf die Gemeinschaftsschule und bringen gleichzeitig einen Antrag zur Zweigliedrigkeit ein. Irgendwann müssen Sie wissen, welchen Weg Sie gehen wollen.

[Beifall von Lars Oberg (SPD)]

Ich sage ganz klar: Wir wissen, welchen Weg wir gehen, und das wissen wir schon etwas länger.

Nun zum heutigen Thema: Rot-Rot frohlockt, das haben wir eben auch deutlich gehört, denn mit der heutigen Debatte wird für die Koalition ein entscheidender Aspekt erfüllt. I have a dream – und dieser Traum geht jetzt endlich in Erfüllung: Der Weg hin zu einer flächendeckenden Einführung der sogenannten Gemeinschaftsschule. Übergang ist die Pilotphase ab Schuljahr 2008/2009.