Protokoll der Sitzung vom 10.04.2008

Den Anschein zu erwecken, als gebe es in diesem Haus in der Menschenrechtsfrage nur drei Fraktionen der Opposition, die sich für dieses Ziel einsetzen und initiativ werden, das ist nicht nur grotesk, sondern das ist geradezu unverantwortlich.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Zurufe von den Grünen]

Setzen wir uns nun mit dem Inhalt des Oppositionsantrages auseinander.

[Zurufe von den Grünen]

Hören Sie doch erst einmal zu! Wenn Sie das schon vorher nicht machen konnten, dann können Sie es wenigstens jetzt! – Man muss leider feststellen, dass er nach unserer Auffassung viel zu kurz greift, weshalb wir auch einen Antrag der Koalitionsfraktionen entgegensetzen.

Sie, meine Damen und Herren, reduzieren die Auseinandersetzung mit Menschenrechtsverletzungen einzig und allein auf die Reisetätigkeit des Senats und des Abgeordnetenhauses sowie auf den Tibetkonflikt. Das wird dem Anspruch, den wir an diese Problematik haben, aber nicht gerecht. Zweifellos sind die aktuellen Ereignisse in und um Tibet dramatisch zugespitzt und erfordern auch die internationale Aufmerksamkeit. Wir sagen aber auch, Menschenrechte sind unteilbar. Wir verurteilen Menschenrechtsverletzungen jedweder Art und im Übrigen überall auf der Welt.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Das schließt in China neben dem Tibetkonflikt die Inhaftierung von Bürgerrechtlern ebenso wie z. B. die schweren Auseinandersetzungen in der von Muslimen bewohnten Region in China vor einigen Wochen ein. Und da gab es leider keine solchen lautstarken Reaktionen aus der westlichen Welt wie zum Tibetkonflikt. Damit stellt sich für uns die Frage: Welches ist nun der beste Weg, um zur Verbesserung der Lage der Menschen vor Ort in China beizutragen?

[Zuruf von Michael Schäfer (Grüne)]

Hysterie, Gewalt und Boykott sind für uns der falsche Ansatz. Schon bei der Vergabe der Olympischen Spiele an China im Jahre 2001 war bekannt, dass es dort Probleme bei der Wahrung von Menschenrechten und beim Umgang mit nationalen Minderheiten gibt. Auch der Tibetkonflikt ist nicht neu.

[Zuruf von Dr. Frank Steffel (CDU)]

Es lag also seit dieser Zeit gleichfalls in der Verantwortung der internationalen Staatengemeinschaft und im Besonderen des IOC, rechtzeitig Aktivitäten einzuleiten, die auf diese Situation aufmerksam machen und Lösungswege ermöglichen, um so die Vorbereitung der Olympiade zu begleiten.

[Zuruf von Joachim Esser (Grüne)]

Auch das Nichthandeln hat letztlich zur Eskalation des Konflikts beigetragen. Insofern stehen auch wir nicht au

ßerhalb des Problems, sondern sind aufgefordert, alle Möglichkeiten zu nutzen, um zur Lösung beizutragen.

[Mario Czaja (CDU): Ein dialektischer Hammelsprung, den Sie da machen!]

Deshalb fordern wir alle gesellschaftlichen Bereiche auf, ob Wirtschaft, Kultur, Sport oder Politik, die vorhandenen Kontaktmöglichkeiten zu nutzen, um sich aktiv für Demokratie und Menschenrechte einzusetzen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Es gilt bei der Wahrnehmung der Aufgaben im Interesse des Landes Berlin im kritischen Dialog zu verdeutlichen, was wir von China erwarten. Wir fordern, dass China seine eigenen Zusagen in Bezug auf die Menschen- und Minderheitenrechte, die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit, die China öffentlich bei der Vergabe der Olympischen Spiele durch das IOC verkündet hat, auch einlöst. Der einzige Weg zu einer politischen Lösung des Konflikts besteht aber darin, die gegenwärtige internationale Aufmerksamkeit für einen breiten Dialog zu nutzen. Es macht sehr wohl Sinn, liebe Frau Eichstädt-Bohlig, wenn Vertreter des Senats, und zwar sowohl bei Wirtschaftskontakten als auch bei der Präsentation Berlins als „Stadt des Sports“ – und das sind die Aufgaben, die der Senat zu leisten hat –, diese Position und Erwartungen offiziell und unmissverständlich deutlich machen und so zur Eskalation beitragen können.

[Franziska Eichstädt-Bohlig (Grüne): Was?]

Nur der Dialog zwischen den Beteiligten kann die Lage entschärfen und den politischen Prozess neu beleben, der den Erwartungen der Tibeter auf Dauer gerecht werden kann. Vorschnelle Boykottforderungen und Gewaltaufrufe sind der falsche Ansatz.

[Zuruf von Andreas Gram (CDU) – Christoph Meyer (FDP): Lesen Sie mal unseren Antrag!]

So verstehen wir zugleich den Geist des olympischen Gedankens. Das genau ist die Unterstützung des Sports durch die Politik und deren Wechselverhältnis.

Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin!

Mein letzter Satz! – Abschließend sei bemerkt: Zur Präsidiumsreise haben wir uns im Antrag ebenso deutlich positioniert. Dem ist nichts hinzuzufügen. – Meine Damen und Herren von der Opposition! Ich fordere Sie auf, lesen Sie unseren Antrag, aber lesen Sie ihn richtig, und dann stimmen Sie ihm zu!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Mirco Dragowski (FDP): Er ist ja auch sehr kurz! Den kann man schnell lesen!]

Danke schön, Frau Kollegin Michels! – Zu einer Kurzintervention hat sich jetzt der Kollege Schruoffeneger gemeldet. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sollten vielleicht in dieser Debatte etwas mehr Zwischentöne zulassen.

[Ah! von der Linksfraktion]

Frau Michels! Wenn Sie sagen, Boykott ist nicht der richtige Weg, dann erinnere ich mich an die Achtzigerjahre, an den Südafrikaboykott. Das war der richtige Weg. In der Auseinandersetzung mit Staaten, die Menschenrechte verletzen, geht es darum, Instrumente verschiedenster Form zu nutzen. Dazu gehört der Boykott. Dazu gehört aber ganz wichtig die Solidarität mit den Verfolgten. Und dann gehört auch Dialog dazu. Aber jedes hat seine Zeit.

[Beifall bei den Grünen und der CDU]

Wenn Sie sich angucken, wie die chinesische Regierung heute den Fackellauf in den USA gestern kommentiert hat, als großen Sieg, als Erfolg über die Feinde des Landes, dann wissen wir, dass auch die chinesische Regierung, so wie es schon einige vor ihr getan haben, diese Olympischen Spiele innenpolitisch instrumentalisiert. Und dazu darf man sich nicht hergeben.

[Beifall bei den Grünen und der CDU – Zuruf von Uwe Doering (Linksfraktion)]

Wenn man nach China fährt, dann muss man nach Tibet fahren. Dann muss man das beantragen. Dann muss man das versuchen. Und wenn das nicht gestattet und erlaubt ist, dann kann man zum jetzigen Zeitpunkt nicht nach China fahren.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Ich will die Diskussion erweitern, weil das Land Berlin im Rahmen der Städtepartnerschaft den sogenannten Menschenrechtsdialog mit China hat, federführend verantwortet von der Justizverwaltung in Berlin.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Das ist ein Redebeitrag, keine Kurzintervention!]

Ich stelle auch die Frage, ob es in der jetzt zugespitzten Situation geht, einen justizpolitischen Menschenrechtsdialog mit einem Land zu führen, über die Verbesserung von Haftbedingungen zu reden, aber die Todesstrafe, die Inhaftierung ohne Urteil hinzunehmen und in diesem Dialog nicht mitzudiskutieren. Ich glaube auch, das geht nicht gleichzeitig, sondern man muss sagen: Auch dieser Dialog hat Spielregeln, und diese Spielregeln müssen dann von beiden Seiten des Dialogs akzeptiert werden.

[Zurufe von der Linksfraktion]

Auch darüber müssen wir – vielleicht etwas weniger aufgeregt, liebe Kolleginnen und Kollegen – demnächst einmal diskutieren.

Meine Bitte und mein Plädoyer: Solidarität mit den Verfolgten auf jeden Fall! Boykottaktionen auch, denn die sind spürbar und treffen! Und auch Dialog, aber zu anderen Zeitpunkten als ausgerechnet zum Zeitpunkt der Olympischen Spiele!

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Danke, Herr Kollege Schruoffeneger! – Sie möchten replizieren? – Bitte sehr!

Ich kann nur schwer erkennen, wieso das eine Kurzintervention auf meine Rede gewesen sein soll,

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

weil wir in vielem übereinstimmen. Aber gut! Wenn Sie uns vorwerfen, wir seien hier zu aufgeregt, sage ich auch: Die Aufregung ist durch Sie produziert worden und nicht durch uns.

[Ramona Pop (Grüne): Durch Ihren Präsidiumsbeschluss!]

Zu Ihrem Beispiel Südafrika, das Sie ansprachen: Der Unterschied besteht, dass damals Wirtschaft, Sport und Handel gemeinsam diesen Boykott getragen haben. Da sind wir auf einer Wellenlänge. Das kann ich aber zurzeit nicht erkennen, schon gar nicht in Ihrem Antrag.

[Zuruf von Volker Ratzmann (Grüne)]

Sie richten Ihre Stoßrichtung einzig und allein auf die Politik. Dass wir uns da unterscheiden, habe ich deutlich gemacht.

[Zuruf von Franziska Eichstädt-Bohlig (Grüne)]