Protokoll der Sitzung vom 08.05.2008

Herr Senator! Ich teile völlig Ihre Auffassung. Sind Sie mit mir der Auffassung, dass es sich auch verbietet, gemeinsam mit der NPD oder ihren Funktionären an Demonstrationen teilzunehmen, beispielsweise gegen die Hartz-Gesetze, oder bezüglich anderer sozialpolitischer Dinge gemeinsame Sache zu machen?

Bitte schön, Herr Senator!

Herr Kollege Lindner! Ich teile Ihre Auffassung, dass man mit einer Organisation wie der NPD keine gemeinsame Demonstration machen sollte.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Aber Sie können nicht verhindern, dass sich an einer Demonstration von Demokraten auch Undemokraten beteiligen. Dieses Problem werden Sie immer haben. – Ich danke für Ihre Geduld!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank, Herr Senator! – Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Schreiber das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Gäste! Der heutige Tag ist ein wichtiger und geschichtsträchtiger. Er ist einerseits Mahnung und Erinnerung an die Vergangenheit. Andererseits ist es ein Tag des Rückblicks auf die Vergangenheit und die Verantwortung, aber auch des Blicks in die Zukunft bei der Gestaltung unserer gemeinsamen Demokratie. Wir leben in einer Demokratie, in der extremistische Verfassungsfeinde existieren, Organisationen und Parteien, die versuchen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu zersetzen und zu zerstören.

Daher können wir alle nur ausdrücklich begrüßen, dass Bundesinnenminister Schäuble am 7. Mai den Verein Collegium Humanum einschließlich seiner Teilorganisationen – Bauernhilfe e. V. sowie den Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocausts Verfolgten – verboten hat. Das Verbot erfolgte gemäß § 3 des Vereinsgesetzes. Die Vereine richteten sich gegen die verfassungsgemäße Ordnung der Bundesrepublik Deutschland und verstießen durch ihre fortgesetzte Leugnung des Holocausts gegen geltendes Recht.

Im April 2008 gab es eine repräsentative Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen. Herr Henkel und Herr Jotzo, hören Sie genau zu! Demnach waren ca. 74 Prozent der

Bundesbürger für ein NPD-Verbot. Ich denke, dass die Politik diese Meinung ernst nehmen muss. Es muss ein erneutes Verbotsverfahren gegen die NPD betrieben werden. Dafür steht die Sozialdemokratie.

[Beifall bei der SPD]

Herr Henkel! Gerade am 8. Mai, an diesem geschichtsträchtigen Tag ist es richtig, über Rechtsextremismus in Berlin und über die Auseinandersetzung mit Rechtsextremen in Berlin zu sprechen.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um auf eine rechtsextremistische Organisation aufmerksam zu machen, die im Berliner und Brandenburger Raum sehr aktiv ist. Es handelt sich um die Heimattreue Deutsche Jugend, die vorhin schon angesprochen wurde. Sie ist ein neonazistischer Jugendverband mit Sitz in Plön in Schleswig-Holstein. Vorbild der HDJ ist die Hitlerjugend. Die HDJ beschreibt sich selbst als volks- und heimattreue Jugendbewegung für deutsche Mädchen und Jungen im Alter von 6 bis 25 Jahren. Unter dem Deckmantel der Brauchtumspflege veranstaltet die HDJ Zeltlager, Heimatabende und Fahrten mit militärischem Drill und ideologischer Schulung. – Das ist ganz aktuell, Herr Lindner. – In den Camps kommen in sog. Pfingsttreffen bis zu 350 Personen zusammen. Ein solches steht auch nächste Woche an. Die HDJ ist ein wichtiges Bindeglied für die NPD. Teilweise sind dort hochrangige NPD-Mitglieder vertreten. Szeneübergreifende Verbindungen zu Kameradschaften, Parteien und Vereinen existieren. In den Zeltlagern sollen Kinder und Jugendliche Heimattreue und Ordnung lernen. Bei den Treffen begrüßen sich die Kinder mit dem Hitlergruß. Sie üben das Strammstehen, den Gehorsam und das Führerprinzip. In der Vergangenheit wurden bei Razzien Bilder und weiteres Material sichergestellt, auf dem paramilitärische Übungen mit nachgestellten Hinrichtungsszenen zu sehen waren. – All diese Dinge sind brandaktuell, Herr Lindner. – Am 9. Juni 2007 marschierte die Einheit Preußen in Vereinsuniformen durch Oranienburg. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin ermittelt wegen dem Uniformverbot.

Es gibt viele Anhaltspunkte, dass es sich um eine Nachfolgeorganisation der Wiking-Jugend handelt und – wie bereits ausgeführt wurde – müssen Nachfolgeorganisationen verboten werden. Man muss wissen, dass von der Gründung der Wiking-Jugend im Jahr 1952 bis zum Verbot 1994 schätzungsweise 15 000 Kinder und Jugendliche in die Organisation eingebunden waren. Die HDJ ist keine Massenorganisation, sondern eine reine Kaderorganisation für Neonazis von morgen. Ihre Strategie ist es auch, unauffällige HDJ-Frauen als Pädagoginnen oder in Elternvertretungen, Vereinen und Kultureinrichtungen zu etablieren. Die HDJ wird vom Bundesamt und den Landesämtern für Verfassungsschutz beobachtet. Ich möchte kurz Bundesinnenminister Schäuble zitieren, der gestern gesagt hat:

Der Rechtsextremismus hat viele Gesichter. Dazu gehören junge Nazis ebenso wie alte Nationalsozialisten. Ihnen gemeinsam ist die Ablehnung unse

rer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Der Staat ist in der Pflicht, dem zu begegnen und alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel auszuschöpfen. Die geistigen Brandstifter, mit denen wir es hier zu tun haben, sind Nährboden, aus dem letztlich auch rassistisch motivierte Gewalt wächst.

Und ich sage Ihnen: Recht hat Herr Schäuble, und deswegen sollten wir versuchen, diese bundesweit agierende Organisation auch zu verbieten.

Gerade die neue Landeskonzeption für Demokratie und gegen Rechtsextremismus zeigt, wie wichtig es ist, dass staatliche und zivilgesellschaftliche Initiativen erfolgreich für unsere Demokratie einstehen. Im Übrigen – das ist vielleicht bei Ihnen untergegangen, Herr Jotzo! – hat diese Landeskonzeption eine wissenschaftliche Begleitung der Projekte. Das heißt, die Projekte werden evaluiert. Es wird also kein Geld rausgeschmissen.

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen!

Auch wenn es – und damit will ich enden, Herr Präsident! – unter demokratischen Parteien und auch im Berliner Abgeordnetenhaus manchmal hoch hergeht, sind wir uns wohl in einer Frage einig: Wir stehen gemeinsam für ein tolerantes und demokratisches Berlin. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Herr Kollege Dr. Lindner hat das Wort zu einer Kurzintervention. – Bitte!

Herzlichen Dank, Herr Präsident! – Herr Kollege Schreiber! Daran knüpfe ich gern an, denn da haben wir einen Konsens. Selbstverständlich – und das kann man wohl für alle sagen – kämpfen wir gegen jede Art von Radikalismus und gegen Feinde der Demokratie. Dabei ist der Rechtsextremismus an erster Stelle zu nennen. Das lehnen wir ab, das bekämpfen wir, und das müssen wir mit aller Macht bekämpfen. Aber über die Verbotsidee, die der Innensenator und auch Sie in Direktansprache an mich populär zu machen versuchen, bitte ich Sie, noch einmal nachzudenken.

Die Väter des Grundgesetzes haben das Verbotsinstrument vor dem Hintergrund eines klaren Bildes, nämlich der NSDAP, in das Grundgesetz aufgenommen. Ziel war es, die Möglichkeit zu eröffnen, große, schlagkräftige, mit großer Finanzkraft ausgestattete Organisationen zu verbieten. Angesichts der NPD und all dieser Organisatio

nen, die Sie genannt haben, muss man aber feststellen, dass vor allem die NPD keine große Organisation ist.

[Zurufe von der SPD]

Sie ist eine Organisation, in der man unter Verfassungsschutzaspekten sehr gut die Leute observieren kann. Aber selbst, wenn Sie mit einem Verbotsverfahren Erfolg haben und die NPD verbieten, werden diese Leute doch sofort eine neue Organisation gründen. Sie werden diese Leute doch nicht wegbekommen.

Das Zweite, was ich bemerken möchte – weil Sie es auch in unsere Richtung ansprachen –: Heute ist selbstverständlich der Tag, an dem wir zuerst die Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rechtsradikalismus vor Augen haben müssen. Am 8. Mai! Das ist schon richtig. Wir haben aber betont – Kollege Jotzo und auch Kollege Henkel –, dass man beim Thema Antisemitismus seriöserweise den Linksextremismus und Linksradikalismus unmöglich aus den Augen verlieren darf. [Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Kollege Schreiber! Ich zitiere aus einem Artikel von Philipp Gessler aus der „taz“:

Wie nahe sich Antiamerikanismus und Antisemitismus sind, hat schon der Philosoph Max Horkheimer vor ein paar Jahrzehnten deutlich gemacht mit seinem Diktum, „dass überall dort, wo der Antiamerikanismus sich findet, auch der Antisemitismus sich breitmacht". Die Wurzeln dieses antisemitisch fundierten Antiamerikanismus gehen mindestens zurück bis zum Kriegseintritt der USA in den Ersten Weltkrieg.

Er schließt diesen sehr langen Artikel, in dem er sich mit dieser Frage auseinandersetzt, mit der Bemerkung:

Es gibt also Überschneidungen zwischen Antisemitismus, Antiamerikanismus und mancher Globalisierungskritik: „Amerikaner" und „Juden" werden als Protagonisten einer modernen Welt verteufelt, die ihre Gegner als oberflächlich, heimatlos, rein profitorientiert et cetera ablehnen. Die gemeinsame Ablehnung der Moderne, vor allem in Form der Globalisierung, ist es auch, die einige Rechte, Linke und Muslime in ihrem Antisemitismus und Antiamerikanismus verbindet.

Das sind Tatsachen, denen man sich nicht entziehen kann. Dem muss man entschieden entgegentreten. Da darf man eben nicht auf einem Auge blind sein.

Dann noch einmal zu Ihnen und Ihren Bemerkungen: Auf einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung hat der Zentralrats-Vize Dieter Graumann gesagt, dass in der Linkspartei das alte SED-Gift weiterwirke. Schon die DDR-Führung habe die blutigsten Israelfeinde unter den Terroristen im Nahen Osten massiv unterstützt, und so habe die Linksfraktion im Bundestag etwa im vergangenen Herbst einen Minister der israelfeindlichen Hamas nach Deutschland eingeladen.

[Ramona Pop (Grüne): Sehr spontan, Ihre Kurzintervention!]

Das passt schon ganz gut zusammen, und deswegen werden wir auch auf Ihre Richtung sehr sorgfältig gucken, wenn es um das Thema Antisemitismus geht. Wir schulden es hier, auch das an einem solchen Tag zu bemerken.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Herr Schreiber möchte replizieren. – Bitte schön!

[Uwe Doering (Linksfraktion): Auf diese ganz spontane Kurzintervention! – Christoph Meyer (FDP): Schreiber hat ihn doch zwei Mal angesprochen!]

Herr Dr. Lindner! Ich hätte mich sehr gefreut, wenn es eine tatsächliche Kurzintervention gewesen wäre und nicht der Versuch, auf den vorangegangenen Beitrag der Linksfraktion einzugehen. Aber das sind wahrscheinlich Ihre rhetorischen Schwächen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Zuruf von Uwe Goetze (CDU)]

Herr Dr. Lindner! Ich möchte noch einmal darstellen, dass es nicht sein kann, dass Sie hier versuchen, die Realität zu verniedlichen. Der Innensenator und ich haben sehr deutlich gemacht, wie die Tatsachen im Land Berlin sind und wie es ist, wenn Rechtsextreme nicht nur zur Gewalt aufrufen, sondern sie tatsächlich umsetzen. Herr Dr. Lindner! Ich würde mich freuen, wenn Sie beispielsweise bei den Demonstrationen am 1. Dezember in Treptow-Köpenick oder in Neukölln gegen Rechtsextremismus mal Gesicht und Flagge zeigen und sagen: Auch die FDP steht dafür, dass wir uns gemeinsam mit den anderen demokratischen Parteien einsetzen und den Rechtsextremen zeigen, dass wir sie hier nicht wünschen.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Es ist bei Ihnen anscheinend untergegangen, dass auch die NSDAP zunächst einmal klein angefangen hat. Das waren zunächst einmal kleine Organisationen bzw. eine Partei mit wenigen Mitgliedern, die sich sozusagen gesteigert hat. Auch das dürfen Sie nicht verkennen. Sie wissen ja selber, wie das ist mit Mitgliedern der eigenen Partei – da hat man nicht viele.

[Heiterkeit bei der SPD]

Das andere, um das noch einmal klarzustellen – der Innensenator hat es vorhin schon deutlich gesagt –: Das NPD-Verbotsverfahren ist nicht aus einem inhaltlichen Grund gescheitert, weil man etwa nicht genug Material hätte. Es ist nur aus dem Grund gescheitert, dass das Problem vorherrschte, dass V-Leute ein doppeltes Spiel spielten und Informationen an die eine und die andere Seite geliefert haben. Deswegen ist das Verfahren aus ju

ristischen Gründen gescheitert. Aus keinem anderen Grund ist das Verfahren gescheitert.

[Dirk Behrendt (Grüne): Dilettanten!]

Es wäre richtig, wenn beispielsweise auch die CDUInnenminister nicht nur im Kamingespräch sagen, wie gefährlich diese Partei ist und was man tun und machen müsste, sondern das in konkrete Politik umsetzen und beispielsweise mit den Sozialdemokraten zusammen das neue Verbotsverfahren anschieben würden. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]