Protokoll der Sitzung vom 23.11.2006

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP – Zurufe von der Linksfraktion]

Herr Wowereit und die Kolleginnen und Kollegen von der SPD und der Linkspartei! Vor allem gibt es in Ihrem Programm keinerlei Gerechtigkeit gegenüber der jungen Generation – die junge Generation, die heute schon keine Arbeit bekommt, weil die Besitzstände der heutigen Arbeitsplatzinhaber immer den Vorrang haben. Dieser Generation muten Sie wegen Ihrer Reformunfähigkeit als Dank im Jahr 2011, 2016 und den folgenden Legislaturperioden zu, dass sie den ständig wachsenden Schuldenberg abtragen. Das nenne ich nicht soziale Gerechtigkeit, sondern das ist Generationenungerechtigkeit in höchstem Maße. Das ist eine Dimension, die Sie überhaupt nicht im Blick haben.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP]

Ihr vierter Fehler, Herr Wowereit,

[Carl Wechselberg (Linksfraktion): Ich dachte, wir sind schon weiter!]

ist der missglückte neue Zuschnitt der Ressorts, der peinliche Umgang mit den Kabinettskolleginnen und die LastMinute-Senatorensuche, die Sie uns vorgeführt haben.

[Oh! von der SPD]

Es erfüllt uns ernsthaft mit Sorge, wie schlecht Sie Ihre neue Richtlinienkompetenz bereits vor Regierungsbeginn wahrnehmen.

[Beifall bei den Grünen]

Der parteitaktische Verschiebebahnhof der Umweltpolitik zur Gesundheit hin und die Unterordnung der Kulturpolitik unter das launische Regime des Regierenden selbst sind unverzeihliche Fehlgriffe. Alles nur, um der Linkspartei ein paar Minijobs zuzuschieben, wie die „taz“ so wunderbar treffend angemerkt hat. Denn das ist letztlich

der Grund gewesen, weswegen Sie die Ressortzuschnitte, die durchaus vernünftig waren, völlig durcheinandergebracht haben.

[Stefan Liebich (Linksfraktion): Der blanke Neid!]

Und dann – das ist das Peinlichste – klopft Herr Wowereit tatsächlich jammernd bei der Opposition an, sie möge doch mitmachen, die Verfassung so zu ändern, dass wieder mehr als acht Senatorenposten zulässig werden. Das ist peinlich, Herr Wowereit!

[Mieke Senftleben (FDP): Das Allerschärfste! – Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Wenn ich es richtig erinnere, war die SPD selbst daran beteiligt, die acht Ressorts in die Verfassung zu schreiben. Sie sollten also mit den Rahmenbedingungen, unter denen hier Politik zu machen ist, schon etwas besser klarkommen!

[Zuruf von der Linksfraktion: Das tut er ja auch! – Christian Gaebler (SPD): Sie haben doch das Problem damit!]

Ihre Personenauswahl ist weit gehend farblos – ein biederes „Weiter so“! Erst mussten die Senatoren Herr Böger und Frau Schubert gehen – sehr viel Respekt von unserer Seite beiden gegenüber, es war peinlich, wie sie sich selbst entlassen mussten –,

[Unruhe]

dann wäre die Suche nach neuen Namen fast schiefgegangen. Nun ist es im Ergebnis so, dass einzig der Name Zöllner darauf hinweist, dass es durchaus Möglichkeiten gibt, Berlins Senatorenriege auf ein höheres Anspruchsniveau zu geben.

Herr Wowereit! Letztlich sollten Sie Ihrem Parteivorsitzenden Kurt Beck dankbar sein, dass er Ihnen aus der Patsche geholfen hat, denn die Suche nach einem passenden Senator für das anspruchsvolle Ressort Wissenschaft und Bildung war mit den vielen Absagen, die Sie sich geholt haben, ein Drama. Auch das schadet unserer Stadt Berlin.

[Gelächter bei der SPD]

Die Fehlerliste ist leider noch nicht zu Ende: Der neue Kultursenator tritt die Kulturpolitik, die unter dem bisherigen Regierenden Bürgermeister gemacht wurde, schon vor Amtsantritt kräftig „in die Tonne“. Die Opernstiftung ist bereits demontiert. Der Vertrag mit dem Bund ist schon gebrochen. Herr Schindhelm ist schon abserviert. Die Staatsoper wird nicht saniert, wird in ihrer Arbeit blockiert – eine kulturpolitische Bruchlandung, die Sie da hingelegt haben, Herr Regierender!

[Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Quatsch!]

Das ist wie im Drehbuch, schlimmer kann man es in so kurzer Zeit gar nicht machen.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP]

Auch der sechste Fehler ist ziemlich bedeutend: Der Kandidat, der auch heute wieder Regierender Bürgermeister

werden will, geht voll auf Konfrontation mit dem Bund und den anderen Ländern – hierzu hat der Kollege Pflüger bereits einiges gesagt. Problem ist, dass er nicht einmal gesittete Umgangsformen kennt. Für einen Regierenden Bürgermeister wäre es schon wichtig, ein paar Manieren mitzubringen und den Unterschied zwischen einer Bitte und der pampigen Art, die Sie an den Tag legen, zu kennen.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Auch ein bisschen Diplomatie im Umgang mit einer Bundeskanzlerin, mit einem Kulturstaatsminister oder auch mit Ministerpräsidentenkollegen anderer Länder wäre für Berlin und den künftigen Senat mit seinem Regierenden Bürgermeister sehr nützlich.

Wenn Sie zur Bundeskanzlerin gehen, sollte im Übrigen Ihr Büro so gut organisiert sein, Ihnen die Tagesordnung zur Kenntnis zu geben, damit Sie wissen, dass über das Tempelhofer Feld und nicht über anderes geredet wird.

[Heiterkeit bei der CDU]

So viel Realitätsverlust, wie an den Tag gelegt, sollte ein Regierender Bürgermeister nicht haben.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Als siebenten Fehler und wirklich großes Problem muss ich die sozialdemokratische Debattenkultur aufrufen. Die SPD ist zu einer sprachlosen Partei geworden, ein reiner Wowereit-Huldigungsverein.

[Heiterkeit und Beifall bei den Grünen und der CDU]

Offenbar hat diese Partei zu allem, was in den letzten Wochen an Mist gebaut wurde, keinerlei Diskussionsbedarf. In zwei Stunden winkt sie diesen Koalitionsvertrag durch. Die Aufbruch-Gruppe hat schnell wieder die Fahnen eingezogen. Die Wahl des Koalitionspartners wurde ohne Diskussion geschluckt. Es gab nicht einmal Bedarf,

[Uwe Doering (Linksfraktion): Über die Grünen zu reden!]

das künftige Regierungspersonal rechtzeitig kennenzulernen. Das ist einer demokratischen Partei schon ziemlich unwürdig. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD! Was lasst ihr mit euch machen? Es ist eine Schande!

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Es ist nicht nur eine Schande für die SPD selbst, sondern für unsere Demokratie insgesamt.

[Oh! von der SPD]

Sie wissen sehr wohl, dass das den Politikverdruss deutlich erhöht. Das ist ein großes Problem, wenn der Bürger merkt, dass die Politik und die Parteien selbst die Auseinandersetzungen, um die es in dieser Stadt gehen muss, nicht führen. Wenn Sie das jedoch anders sehen, werden Sie dafür eines Tages Ihren Strafzettel bekommen.

[Beifall bei den Grünen]

Das Fazit sieht leider – dies sage ich sehr ernsthaft – ziemlich traurig aus: Herr Kandidat Wowereit! Sie stehen ohne Zukunftskonzept für Berlin da. Sie haben kein Sanierungsprogramm für die großen Haushaltsprobleme. Sie haben Berlin in unverantwortlicher Weise vom Bund und von der Ländergemeinschaft isoliert. Sie vergraulen Investoren und Berlinunterstützer. Sie bestätigen Berlingegner in ihren negativen Urteilen, was wir alle in höchstem Maße bedauern, denn wir alle lieben unsere Stadt. Dafür wollen Sie heute gewählt werden: Ich hätte da große Probleme, Sie zu wählen.

[Unruhe]

Sie können sich sicher auch vorstellen, wie in unserer Fraktion die Wahl dementsprechend ausfallen wird.

Deshalb müssen alle, die Ihnen heute ihre Stimme geben, wissen, dass sie mitverantwortlich sind für den Schaden, den Sie Berlin bereits zugefügt haben.

[Beifall von Kurt Wansner (CDU)]

Trotzdem: Wir von der Opposition – und die Opposition wird Sie in dem kommenden fünf Jahren gemeinsam treiben –

[Unruhe]

hoffen und wünschen im Interesse Berlins, dass Sie und die rot-rote Koalition endlich einsichtig werden und lernen, sich den Aufgaben und den großen Problemen, die Berlin hat, endlich ernsthaft zu stellen. Das ist die Aufgabe der Stunde und der nächsten Jahre. Diese Aufgaben sind groß und schwierig genug, und sie haben es verdient, ernsthaft angegangen zu werden.