Protokoll der Sitzung vom 26.06.2008

[Joachim Esser (Grüne): Indem man allen erzählt, hier sei alles in Ordnung!]

Das geht natürlich nur, indem man den eigenen Anspruch erst einmal vernünftig begründet und auf Gleichbehandlung dringt.

Dazu gehört, dass man sich von Fall zu Fall in einem solchen Fall unterschiedliche Verbündete sucht. Wir hatten und haben zu allen Themen Verbündete gehabt.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Wer ist denn hier Verbündeter?]

Dass man parallel in Arbeitsgruppen auch nach anderen Wegen sucht, ist klar. Und dann wird man sehen, was am Ende dabei herauskommt. Das zu dem Thema „Altschuldenhilfe“, das unvermutet aufkam.

Nun zum eigentlichen Thema: Herr Dr. Lindner, als ich sah, was heute kommt, habe ich in etwa geahnt, was Sie sagen würden. Ich will es gar nicht weiter im Einzelnen bewerten. Es war auch zu erwarten. Ich habe mir allerdings überlegt: Steuer- und Abgabenerhöhung in Berlin. Wo haben wir in den vergangenen sechs Jahren die Abgaben erhöht? – Ich bin das alles durchgegangen, Jahr für Jahr. Wasserpreise haben Sie genannt, die werden immer genannt. Als ich kam, waren sie leider schon da, wo sie sind. Sie sind seitdem auch nicht wesentlich erhöht worden. Das kann man also abhaken.

[Joachim Esser (Grüne): Wie bitte?]

Für Strom und Energie hat das Land keine Verantwortung. Die Grunderwerbsteuer und Grundsteuer haben wir erhöht.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Zwei Mal: von 440 auf 810!]

Sie haben die Einnahmen genannt, 200 Millionen € pro Jahr bei 20 Milliarden € Ausgaben insgesamt. Das ist relativ minimal, nachdem, was wir sonst getan hatten. Es ist also fast nichts geblieben. Die Gewerbesteuer ist unverändert dort, wo sie war, als ich im Jahr 2002 Senator wurde, mit einem Hebesatz, der natürlich höher ist, als im Umland – das ist bei allen großen Städten so –, aber deutlich niedriger als bei allen ähnlichen Vergleichsstädten. Auch dort haben wir keine übermäßige Belastung. 80 Prozent unserer Unternehmen zahlen keine oder kaum Gewerbesteuer.

Und nun, nachdem die ganze Gewerbesteuer sowieso mit der Unternehmensteuer verrechnet wird, hat sich das Thema erledigt. Mit der Körperschaftsteuer zahlt kein Unternehmen mehr als 30 Prozent insgesamt auf den Gewinn, mit Gewerbesteuer, was wiederum bedeutet, dass wir hier kein Thema einer besonders ernsthaften Belastung haben. Unsere Unternehmen werden ebenso belastet, wie das anderswo bundesweit auch üblich ist.

Es ist ganz klar: Abgaben und Steuern sind immer schlecht. Deshalb meint jede Generation, es sei zu ihrer Zeit besonders schlimm. Darum muss man immer wieder einmal vergleichen, wie es in der Vergangenheit war. Ich habe einfach angefangen und mir überlegt, was ich von meinem ersten Gehalt gezahlt habe. Nach BAT II a hatte ich 1 850 DM brutto. Ich war stolz wie ein Spanier. Wenn man das erste Gehalt bekommt, ist das klar. Es war November 1971, ich schaue in meine Gehaltsabrechnung: 1 130 DM netto! Ich war so etwas von stinkig! Ich wäre fast in die FDP eingetreten.

[Heiterkeit – Beifall bei der SPD]

Ich dachte aber, vielleicht wartest du noch ein bisschen. Hinterher, zwei Jahre später, war ich dann in der SPD, weil ich anfing darüber nachzudenken, dass man alles auch irgendwie bezahlen muss. Wenn man sich die Zahlen anschaut, sieht man, dass sich die tatsächlichen Belastungen kaum geändert haben.

Nun, Herr Lindner, kommt etwas, was ich vor allem für Sie herausgesucht habe: Die FDP war von den 60 Jahren Bundespolitik 46 Jahre mit in der Verantwortung. Sie hat in den Jahren 1957 bis 1961 und seit dem Jahr 1998 nicht mitregiert, sonst hat sie immer regiert und immer wesentlich gestaltet. Jetzt habe ich den Einkommensteuertarif von 1958 mit dem vom Jahr 2005 verglichen. Was kam dabei heraus? – Der Einkommensteuertarif 2005 ist fast so wie der aus dem Jahr 1958.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Da müssen Sie die kalte Progression und die Freibeträge mit berücksichtigen!]

In Bezug auf das Realeinkommen: 40 000 € heute waren 10 000 € damals, und sie werden völlig identisch besteuert. So geht es über den ganzen Tarif. Die Grenzbelastung ist heute sogar niedriger, die Durchschnittsbelastung – kaufkraftbereinigt – identisch. Das heißt, so ist die Republik: 50 Jahre viel Betrieb, am Ende keine Bewegung. Wir besteuern vergleichbare Realeinkommen genauso wie vor 50 Jahren.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Nein!]

Sie verstehen es nicht, Herr Lindner, weil Sie Jurist sind!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Sie wissen nicht, was preisbereinigtes Einkommen ist. Da ist es nämlich herausgerechnet, da wird das auf das reale Kaufkrafteinkommen berechnet. Darum ist das weg.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Reden Sie mal zur kalten Progression!]

40 000 € werden heute so besteuert wie im Jahre 1958 10 000 €. Das ist auch richtig so, denn man konnte sich damals von 10 000 € ebenso viel kaufen, wie heute von 40 000 €. Das zeige ich Ihnen über den ganzen Tarif.

Lieber Herr Lindner! Wenn Sie selbst nicht rechnen können oder auch nicht nachschauen – ich habe Beamte, die es tun können, und die wollten es selbst nicht glauben und waren ganz erstaunt über das Ergebnis – kann ich Ihnen meine Unterlagen nachher gern geben. Ich habe es in allen Formen: Folie, Tabelle, in Farbe, Schwarz-Weiß – überhaupt kein Thema!

[Heiterkeit – Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Es ist so! Alles Gerde über den Umverteilungsstaat ist Unfug. Wir verteilen genauso viel oder wenig um wie zu den besten Zeiten von Adenauer. Das ist für Sie die gute Nachricht. Für die Linke ist das natürlich schlecht. Es ist immer noch so ungerecht wie damals!

[Heiterkeit – Beifall bei der SPD]

Man kann es so oder andersherum sehen. Man muss jedoch die Fakten zur Kenntnis nehmen, und dann kann man sich daran reiben.

Eine andere Sache: indirekte Steuer oder direkte Steuer. Wir sind genau im Verhältnis des Jahres 1950: 50,5 Prozent direkte Steuern, 49,5 Prozent indirekte Steuern. Es hat sich nichts geändert. Auch die Verteilung auf Einkommen und Besitz einerseits, Umsatz und Verbrauch andererseits hat sich nicht geändert. Steuerquote: Wir haben im Augenblick 22 Prozent Steuerquote. Sie war einmal höher. Sie war bei 25 Prozent, genau 24,7 Prozent, vor acht Jahren. Sie geht immer rauf und runter. Sie ist im Augenblick auf dem Niveau des Jahres 1956, als Sie mitregiert haben. Auch in der Summe wurde vom Bürger nicht mehr geholt.

Ein Thema bleibt, das sind die Sozialabgaben. Die sind deutlich gestiegen. Das ist auch für alle belastend. Andererseits wiederum behält der Staat dort nichts, außer etwas Verwaltungskosten. Was wir an Sozialabgaben haben, geht unmittelbar an die Bürger – über die Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Rentenversicherung. Wer dort kürzen will, muss sich zuerst andere Leistungen überlegen. Dann kann man sagen: Okay, wir haben jetzt weniger Leistungen, wir wollen das anders. Wir wollen nicht diese Art von Rente haben. Wir wollen weniger Krankenversicherung haben. Wir wollen weniger Pflegeversicherung haben. Darüber kann man reden. Dann muss man sich das anschauen und es tun. Wie Sie die Debatte führen, ist es jedoch unseriös.

[Beifall bei der SPD, der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Ich glaube nicht, dass irgendeiner, der ein bisschen nachdenkt, darauf reinfällt.

[Joachim Esser (Grüne): Leider doch!]

Denn in der Tat haben sich die Abgabenbelastungen über die Jahrzehnte kaum verändert. Da sich der Mensch auch kaum verändert hat, ärgert er sich jeweils über die aktuellen Abgaben und darum muss man darüber auch immer wieder reden, und man muss im Detail anpassen. Wir haben den Einkommensteuertarif seit dem Jahr 1958 sechzehn Mal angepasst. Wir werden ihn auch in Zukunft anpassen. Gleichwohl gilt: Wir liegen im Augenblick auf einer Ebene, wo die Belastung exakt so ist wie im Jahr 1958, bezogen auf die realen Einkommen.

Deshalb, Herr Lindner: Sie sollten etwas mehr Ideen versprühen über Themen, wie man Aktuelle Stunden gestaltet. Ich habe ein paar Thementipps für Sie. Die verrate ich allerdings nicht, da ich uns ja nicht schaden will. – Danke schön!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank, Herr Senator Dr. Sarrazin! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Die Aktuelle Stunde hat damit ihre Erledigung gefunden.

Ich rufe als Priorität der Fraktion der Grünen unter dem ehemaligen Tagesordnungspunkt 6 auf

lfd. Nr. 4 a:

II. Lesung

Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens „Investitionsprogramm Klimaschutz“ des Landes Berlin

Beschlussempfehlungen GesUmVer und Haupt Drs 16/1537 Antrag der Grünen Drs 16/0796

Ich eröffne die II. Lesung und schlage vor, die Einzelberatung der zwei Artikel miteinander zu verbinden und höre hierzu keinen Widerspruch.

Ich rufe auf die Überschrift und die Einleitung sowie die Artikel I und II Drucksache 16/0796 und Drucksache 16/1537. Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die antragstellende Fraktion, das ist die Fraktion der Grünen. Herr Schruoffeneger steht bereit. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Anregung von Herrn Sarrazin war ja beeindruckend. Wir könnten zum Beispiel über das Thema reden: Warum braucht Rot-Rot über ein halbes Jahr, um 24 Stellen in den Jugendgesundheitsdiensten bereitzustellen? Warum braucht es neun Monate, um das kostenlose Essen an den Schulen endlich einmal umzusetzen? Alles spannende Themen, aber heute wollen wir über den Klimaschutz reden, und auch der hat eine solche Relevanz.

Klimaschutz ist spätestens seit dem letzten Jahr weltweit als das Zukunftsthema der Gesellschaft anerkannt. Der G 8-Gipfel hat sich damit beschäftigt. Die Bundesregierung hat Programme aufgelegt. Nur Rot-Rot und Berlin tauchen bei diesem Thema ab. Wir haben Ihnen am 4. September 2007 einen Antrag vorgelegt, ein Sondervermögen Klimaschutz einzurichten, was dazu beitragen soll, die landeseigenen Gebäude und die Gebäude der Landesunternehmen zügig energetisch zu sanieren. Wir wollten dafür nicht ausgegebene Investitionsmittel verwenden – in einem Land, das eine Investitionsquote von acht Prozent hat und im Ranking der Bundesländer damit auf dem 15. Platz steht, eine sinnvolle Finanzierungsstrategie.

[Beifall bei den Grünen]

Sie werden das heute ablehnen. Welche Alternativen präsentiert uns Rot-Rot jedoch in den letzten zwölf Monaten zum Klimaschutz? – Da gibt es eine Umweltsenatorin, die den Senat aufgefordert hat, energiesparende Fahrzeuge für den Fuhrpark anzuschaffen.

[Zwischenrufe]

Ja! Klimaschutz interessiert diesen Senat nicht, das sieht man. Die Justizsenatorin ist noch da, und der Bildungssenator ist noch da. Der kann das Thema dann wenigstens in die Schulen tragen.

[Zurufe von der SPD: Hier ist der Innensenator!]